Protocol of the Session on July 6, 2000

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats Kenntnis.

Meine Damen und Herren, bevor ich den Tagesordnungspunkt 15 aufrufe, möchte ich noch einmal aus gegebenem Anlass darauf aufmerksam machen, dass Sie darauf achten, Ihre Handys auszuschalten, sobald Sie den Plenarsaal betreten.

(Beifall)

Verantwortlicher Umgang mit Alkohol

Mitteilung des Senats vom 30. Mai 2000 (Drucksache 15/328)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Senatorin Adolf.

Die Beratung ist eröffnet.

Als Erste hat das Wort die Abgeordnete Frau Sauer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der CDU zum Thema „Verantwortlicher Umgang mit Alkohol“ wurde im Februar dieses Jahres hier im Haus diskutiert und der entsprechende Antrag einstimmig beschlossen. Der Senat hat zeitnah reagiert, und so kann auch in Bremen und Bremerhaven der Aktionsplan Alkohol, der im November 1997 durch die Gesundheitsministerkonferenz beschlossen wurde, umgesetzt und mit Leben erfüllt werden. Bereits im März dieses Jahres hat sich das Bremer Aktionsbündnis „Alkohol — Verantwortung setzt die Grenze“ gegründet und einen Bündnisrat berufen. Die CDU-Fraktion dankt allen Beteiligten, die diesem Bündnis beigetreten sind, und ist sich sicher, dass

die Arbeit mit Engagement und Augenmaß angegangen und umgesetzt wird.

Meine Damen und Herren, es geht den Bündnispartnern nicht darum, das Gläschen Wein zu einem guten Essen zu verteufeln oder das kühle Bier nach einer Fahrradtour zu verbieten. Dieser Genuss soll niemandem genommen oder gar mies gemacht werden. Den Bündnispartnern geht es ausschließlich darum, dass aus einem Genuss keine Sucht erwächst. Das Bündnis will Hinweise geben, will aufklären und will für den verantwortlichen Umgang mit Alkohol sensibel machen, damit der Genuss erhalten bleibt und Sucht vermieden wird. Diesem Ziel haben sich die Bündnispartner verschrieben, und dafür wünscht die CDU-Fraktion allen Beteiligten ein gutes Gelingen.

(Beifall bei der CDU)

Sie leisten damit einen Beitrag für die Menschen, ob jung oder alt, in Bremen und Bremerhaven für eine breite Information ohne einen erhobenen Zeigefinger und für einen gelungenen Weg nach Hause mit dem Auto, aber bitte ohne Alkohol. Für diesen Beitrag sage ich danke für die CDU. — Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Sauer hat gerade darauf hingewiesen, dass wir im Februar diese Debatte schon einmal geführt und daraus einen Antrag formuliert haben von allen Fraktionen über den verantwortlichen Umgang mit Alkohol. Dieser Bericht liegt uns jetzt vor, und ich möchte dazu Stellung nehmen. Ich habe schon damals deutlich ausgeführt, dass Alkoholmissbrauch quer durch alle Bevölkerungsschichten geht und dass es differenzierter Konzepte bedarf, diesem Problem gesundheitspolitisch zu begegnen.

Dass Sie im ersten Schritt der Umsetzung von Schwerpunkten besonders Jugendliche ansprechen, finde ich logisch, richtig und notwendig. Jedoch fehlt in der weiteren Schwerpunktsetzung die große Gruppe der Betroffenen, die schon durch die jetzigen Hilfsangebote nicht erreicht werden können, ich meine die chronisch Abhängigen, Menschen in Bremen und Bremerhaven, die nicht durch Kampagnen, durch Medien und durch Broschüren erreicht werden. Sie trinken in den eigenen vier Wänden und versuchen, nicht aufzufallen. Für diese Menschen müssen gemeinsam mit den Selbsthilfegruppen ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

stadtteilbezogene Konzepte erarbeitet werden, die die Situation dieser Menschen verbessern.

Es ist bekannt, dass die Selbsthilfegruppen nur ein Viertel bis zu einem Drittel der Abhängigen erreichen. Hier ist die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern als möglicher Schwerpunkt, wie im Bericht erwähnt wird. Das reicht aber nicht aus. Schon 1989 forderte die Expertenkommission der Bundesregierung, dass die Grundversorgung chronisch mehrfach geschädigter Menschen Vorrang haben muss. Dieser Handlungsbedarf wurde auch im letzten Suchthilfeplan deutlich aufgezeigt. Deshalb ist es für uns nicht zu verstehen, dass dieser Schwerpunkt in Ihrem Bericht nicht gesetzt wurde.

Der Bericht besteht zum größten Teil aus notwendiger Prävention und Öffentlichkeitsarbeit, jedoch wird die Ist-Situation absolut vernachlässigt. Ich habe nicht erwartet, dass ein differenziertes Konzept für chronisch alkoholisch kranke Menschen vorgelegt wird, nein, ich habe aber erwartet, dass dieser Schwerpunkt gesetzt wird und dass auch hier Hilfen eingefordert werden.

Diese chronifizierten Menschen sind seit Jahren Stiefkinder von Hilfsangeboten. Das ist kaum zu verstehen, wenn wir das Ausmaß und die damit verbundene Problematik sehen. Auch spiegelt es die Randständigkeit wider, die legale Suchtmittel und abhängige Menschen aufzeigen. Wie ich schon erwähnte, versuchen sie, gesellschaftlich unauffällig zu bleiben. Hier dürfen Hilfssysteme nicht erst einsetzen, wenn die soziale Ausgrenzung stattgefunden hat. Süchtiges Verhalten betrifft nämlich nicht nur die Abhängigen selbst, sondern auch ihre Angehörigen, ihre Arbeitskollegen und sogar das gesamte soziale Umfeld.

Es muss davon ausgegangen werden, dass etwa zwei bis vier Millionen Kinder und zirka sieben Millionen Angehörige in ihrem täglichen Leben mit Sucht und süchtigem Verhalten konfrontiert werden. Daher ist die Arbeit mit Partnern, mit Familien, mit Angehörigen und mit Kollegen eine wesentliche Aufgabe der Betreuung und Behandlung von Abhängigkeitskranken. Viele Suchtkranke benötigen noch in ihrem suchtzentrierten Lebensstil in der Regel mehrere Jahre nach Entsagen ihrer Sucht eine Hilfe. Das bedeutet intensive therapeutische Hilfen, die notwendig werden, um die Wiederaufnahme gesellschaftlich aktiver Lebensformen zu ermöglichen.

Die Wiedererlangung der verloren gegangenen oder auch nicht erworbenen Befähigung zu einer selbständigen Lebensführung gehört zum Hilfeprozess und ist eines der wesentlichen Therapieziele. Die feste Integration in deren Selbsthilfebereich ist eine zentrale Aufgabe der Nachsorge, aber das haben wir ja auch gestern schon besprochen. Hier erfüllen die Selbsthilfegruppen einen wesentlichen Teil, darauf möchte ich auch nicht noch einmal eingehen, weil wir das auch gestern schon gemacht ha

ben. Deshalb sind Bündnis 90/Die Grünen die Stärkung und die finanzielle Absicherung so wichtig, aber das habe ich ja auch schon gesagt. Suchtkranke sind eines der größten sozialmedizinischen Probleme unserer Zeit, deshalb ist es schade, dass dieser Bericht leider nur einen Teil berücksichtigt. Ich bin mir aber sicher, dass die angesprochenen Probleme von Ihnen auch gesehen und in der Zukunft bearbeitet werden. Es hätte für mich dann ausgereicht, wenn dieser Schwerpunkt nur im Bericht gesetzt und dann eine differenzierte Aussage nachgereicht worden wäre. Weil es ein familiärer Prozess ist, werden die Wirkungen danach erst in vielen Jahren messbar sein, und deshalb ist die Aufklärung der Jugendlichen nur eine Seite der Medaille. Die Eltern und Familien der Betroffenen müssen ebenso im Blickfeld unseres Handelns sein. Lassen Sie die von mir angesprochenen Punkte in Ihre Schwerpunktsetzung einfließen, und dann, denke ich, sind wir auf einem guten Weg, das Problem mit dem Alkohol und Alkoholmissbrauch angehen zu können! — Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Busch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist sicherlich Aufgabe der Opposition, an allem etwas zu mäkeln zu finden, auch wenn wir einmal etwas positiv begrüßen können.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wir mäkeln nicht, wir haben Ar- gumente!)

Die SPD begrüßt das prompte Handeln des Senats zum verantwortlichen Umgang mit Alkohol. Gerade einmal vier Wochen waren vergangen, seitdem die Bremische Bürgerschaft den Antrag beschlossen hatte, also das Aktionsbündnis „Alkohol — Verantwortung setzt die Grenzen“. Wir sehen also, der Senat kann auch schnell handeln, und das begrüßen wir sehr.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

An diesem Bündnis haben sich inzwischen 70 Partner beteiligt und zusammengeschlossen. Ich nenne einige: Zentralkrankenhaus Links der Weser, Zentralelternbeirat, die Bremer Sportjugend, die Kassen, die Kammern, Kinderschutzbund, Partner, die unter dem Vorsitz von Frau Senatorin Adolf in die––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

sem Kreis sich zusammengeschlossen und inzwischen auch schon einen sehr interessanten Infobrief verschickt haben. Ich finde, das ist schon einmal ein sehr guter Beginn.

Wir kennen das, in der öffentlichen Diskussion nimmt der Gebrauch von illegalen Drogen einen sehr breiten Raum ein. Die legale Droge Alkohol wird immer vernachlässigt, aber er ist eine Droge. Es lässt sich daran verdeutlichen, wenn man die Zahlen, die das Land Bremen betreffen, noch einmal kurz erwähnt.

Sie haben gelesen und gehört in den letzten Debatten um dieses Thema, dass Alkoholkonsum sich in drei Gruppen unterscheidet, einmal der riskante Konsum, der missbräuchliche Konsum und dann die Gruppe der abhängig Alkoholkranken. Der riskante Konsum wird nach Aussagen dieser Statistik von 74000 Menschen im Lande Bremen ausgeführt, und man muss dazu sagen, dass diese 74 000 Menschen im Jahr einen Verzehr von reinem Alkohol, also nicht Bier und Wein, sondern von reinem Alkohol, von drei bis 9,2 Liter haben. Das richtet sich danach, ob es Frauen oder Männer sind. Bei Männern ist das statistisch immer ein bisschen höher. 23 000 Menschen konsumieren missbräuchlich Alkohol, das heißt, ich verkürze das einmal so, sie trinken trotz erheblicher beruflicher, sozialer oder auch gesundheitlicher Probleme, und 14 000 Menschen sind dann abhängig alkoholkrank.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal einen Satz einfügen: Ich würde es schön finden, wenn wir in einer Gesellschaft so leben könnten, dass wir uns nicht dafür entschuldigen müssten, dass wir einmal keinen Alkohol trinken, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit ist.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die SPD-Fraktion begrüßt insbesondere, dass als erste Zielgruppe jugendliche Personen angesprochen werden. Es hat 1998 eine Befragung gegeben, da haben 70 Prozent der Schüler und Schülerinnen von achten Klassen auf die Frage nach ihrem Alkoholkonsum geantwortet, dass sie manchmal Alkohol trinken, und drei Prozent, achte Klasse, konsumieren regelmäßig Alkohol.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, es hat ein Projekt des Schulzentrums Alwin-Lonke-Straße gegeben, ein Projekt mit Schülerinnen und Schülern unter dem Thema „Voll und abgefahren“, bei dem dann die Schülerinnen und Schüler testen konnten, wie fahrtüchtig sie sind, wenn sie nichts getrunken haben, und wie es dann erheblich nachgelassen hat, wenn sie Alkohol getrunken haben. Also, das ist ein Projekt, das sicherlich des Öfteren und wiederholt durchgeführt werden kann.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die überaus wichtige Arbeit der Selbsthilfegruppen und deren Kompetenz müssen dringend in die Konzepte eingebunden werden. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal daran erinnern, dass man in den letzten Tagen in den Nachrichten zum Thema Lebensmittelrecht hören konnte, dass wiederholt Lebensmittel auch für Kinder — da gibt es immer spezielle Lebensmittel — Alkohol enthalten, ohne dass es auf Verpackungen ausgezeichnet oder deklariert ist. Dagegen muss angegangen werden.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Um handeln zu können, braucht das Aktionsbündnis natürlich auch Geld. Es hat eine Anschubfinanzierung gegeben, aber die ist natürlich, wie wir es kennen, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir erhoffen uns eine breite, auch finanzielle Unterstützung durch Sponsoren. Ich konnte lesen, dass dort inzwischen auch schon die ersten Erfolge erzielt werden konnten.

Gefordert sind aber auch die Krankenkassen! Aktionen für einen verantwortlichen Umgang mit Alkohol als Präventionsmaßnahmen sind allemal besser als das Kurieren an den mit Alkohol zusammenhängenden Gesundheitsproblemen.

Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich die KfzVersicherungsgesellschaften massiv finanziell beteiligen, denn eine mitfinanzierte Medienkampagne zur Punktnüchternheit — es wurde von meiner Kollegin Hammerström in der letzten Debatte verdeutlicht, worum es sich dabei handelt — ist allemal gesellschaftspolitisch und betriebswirtschaftlich sinnvoller als die Übernahme von Kosten, die dann durch Sach- und Personenschäden bei durch Alkohol verursachten Unfällen entstehen.

(Beifall bei der SPD)

Die heutige Mitteilung des Senats begrüßen wir. Sie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, und wir werden weitere Schritte positiv begleiten.

Erlauben Sie mir am Schluss noch einen Hinweis auf eine Veranstaltung, die nächste Woche im Rathaus stattfindet: Der Deutsche Frauenbund für alkoholfreie Kultur feiert dann sein einhundertjähriges Bestehen! Das ist eine Gesellschaft, die auf den Grundfesten von Ottilie Hoffmann, die Sie sicherlich alle kennen, gegründet worden ist. Ich denke, daran kann man teilnehmen und gratulieren. — Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Adolf.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit dem 27. März 2000 gibt es in Bremen ein Bremer Aktionsbündnis „Verantwortung setzt die Grenze“. Ich glaube, Frau Hoch, man muss ein bisschen differenzieren zwischen dem, was man einem solchen Aktionsbündnis abverlangen kann, was Kampagnencharakter hat, und die Schwerpunktsetzungen, die in unserem Bericht genannt sind, beziehen sich auf die Arbeit dieses Aktionsbündnisses.

Man muss natürlich daneben dann sehen, dass es selbstverständlich Schwerpunktsetzungen auch in unserem Ressort in der Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen gibt, die sich genau auf das beziehen, was Sie sagen, nämlich die chronisch Kranken in den Blick zu nehmen. Sie haben aber selbst auch ausgeführt, dass das aus Ihrer Sicht nicht kampagnenfähig ist. Die erreicht man eben nicht über Kampagnen, sondern über andere Wege.