Denjenigen, die in Deutschland jetzt die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt fürchten — diese Besorgnis ist ja real und auch ernst zu nehmen —, muss man aber dennoch sagen, ein Closed Shop war schon immer nur kurzfristig und vordergründig ein Vorteil, er ist aber mittelfristig für die Gesamtheit immer ein Nachteil.
Natürlich sind Nationen und Staaten immer noch die Form, in der wir Gesellschaft und auch sozialen Ausgleich organisieren. Darauf müssen wir weiter achten, das werden wir auch. Deswegen müssen auch Staaten die Zuwanderung organisieren und regeln. Wir müssen aber uns und anderen klar sagen, dass die Zeiten unwiderruflich vorbei sind, in denen es einen Sinn zu machen schien, und ich sage ausdrücklich schien, zwischen uns Deutschen und den anderen eine Mauer zu ziehen, wenn es um Arbeit, Innovation und Mehrung des gemeinsamen Wohlstands geht. Eine Abschottung aus ideologischem Prinzip bewahrt und schafft keinen einzigen Arbeitsplatz, davon bin ich überzeugt, und zwar für niemanden!
Allerdings müssen wir natürlich, meine Damen und Herren, und damit komme ich zu dem letzten großen Punkt, die besorgten Reaktionen der jungen Leute und der Gewerkschaften in einem Punkt sehr ernst nehmen. Die Erteilung von so genannten Green Cards, die ja, wie wir wissen, keine sind — eine Green Card ist ein Langzeitticket und keine Tageskarte oder ein Wochenendticket —, darf keine Ausrede sein und erst recht nicht die Ausflucht für womöglich weitere Versäumnisse bei der Ausbildung hier im eigenen Haus.
Ich muss sagen, nichts hat mich so erstaunt, so geärgert und deprimiert wie die Tatsache, wie schnell die Akteure da wieder im Kreis standen, und zwar nicht, um gemeinsam zu debattieren, sondern um einer auf den anderen zu zeigen: „Du bist Schuld, du hast die Verantwortung, du hast nichts getan.“ So ging das reihum, und am Ende war jeder irgendwie verantwortlich, aber dass man sich klar gemacht hätte, dass wir die Verantwortung gemeinsam haben, das habe ich nicht erkennen können. Wir müssen erst einmal zunächst deutlich sagen, dass es sich bei den Versäumnissen der Vergangenheit auch um gemeinsame Versäumnisse handelt, beim Staat, bei den Hochschulen, bei der Wirtschaft, aber auch natürlich durch Zeitströmungen bei den jungen Leuten selbst.
Das meinten wir mit dem Bündnis für Ausbildung in unserem Entschließungsantrag und nicht so sehr eine Organisation, die man wieder neu schaffen müsste. Es geht darum, dass wir uns einig werden, dass es nicht nur wichtig ist im Sinne von wechselnden politischen Themen, sondern dass es wirklich dringlich, eilig ist. Das war auch die Debatte eben. Höchst dringlich und eilig ist es, die Fragen der Ausbildung ganz oben in unserer Aufmerksamkeit und Arbeit zu platzieren.
Dabei gilt, das ist eine zweite Lehre, und das ist gerade für uns Grüne, die wir immer gesagt haben, man muss auch in die Politik und in die Gesellschaft Elemente der Ruhe und Entschleunigung hineinbringen, im Grunde auch schwer zu verdauen. Es gilt tatsächlich, dass die Zeit und die Beschleunigung eine ganz andere Rolle spielt, als es vorher der Fall gewesen ist. Das ist einfach Tatsache! Die möglichst lebenslange Fähigkeit, schnell und flexibel zu reagieren, muss im Zentrum stehen, den Älteren muss dabei geholfen werden, und wir müssen wirklich in der Ausbildungsfrage ernsthaft davon abkommen zu sagen, die jungen Leute bekommen einmal eine Ausbildung, die dann möglicherweise ein bisschen länger sein kann, danach passiert gar nichts. Nein, das geht nicht mehr! Man muss die ganze Frage der Ausbildung auf Kleinteiligkeit, auf größere Flexibilität, dann aber auch lebenslang, konzentrieren.
Ich sage Ihnen, Ungeduld ist hier in dieser Frage schon fast eine Tugend, denn wir haben nicht viel Zeit, wenn wir nicht die nächsten und dann viel schwierigeren Green-Card-Debatten haben wollen.
Ein Beispiel, wir werden es heute Nachmittag diskutieren! Ich kann wirklich nicht verstehen, dass die Juristen ihre Ausbildungsreform in Jahrhunderten planen. Das muss man ja schon sagen, so lange ist es ja her, und die Schwerfälligkeit und Dickfelligkeit heute früh war ein Beispiel, die Quälnummer Medieninformatik ist ein weiteres hier in Bremen. Ich weiß, der Amtsschimmel war nie ein Renner. Das Problem ist nur, dass er heute überall Konkurrenten hat. Da fällt es ein bisschen mehr auf, und wir können uns das einfach nicht leisten!
Nur, die andere Seite der Dringlichkeit dieser politischen Aufgaben ist ihre internationale Dimension. Wir müssen uns heute faktisch in viel mehr Feldern als früher auch international messen und messen lassen, wir müssen die jungen Menschen darauf vorbereiten, wir müssen versuchen, die Besten hierher zu holen, das meine ich ganz ernst, so wie wir wollen, dass unsere Leute auch ins Ausland gehen können und dort ihr Glück machen können, wenn man sie denn will und holt und sie das selbst wollen. Noch einmal: Abschottung nützt niemandem!
Ein letzter Satz! Meine Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion haben mir ausgeredet, unseren Antrag mit „Konsequenzen aus dem Green-CardSchock“ zu überschreiben. Ich bleibe aber trotzdem dabei, dass der Sinn unseres Antrags und der Sinn meines Beitrags ist, dass wir diesen auch von mir persönlich so gefühlten Schock gemeinsam versuchen, für die politische Zukunft unseres Landes fruchtbar zu machen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die so genannte Green-Card-Initiative der Schröder-Regierung kommt einer Bankrotterklärung gleich. Computerexperten, deutsch Großrechnerfachleute, vor allem aus Indien, sollen der Wirtschaft des Standortes Deutschland technologisch auf die Beine helfen. Das spricht Bände für die hiesige Versagerpolitik, denn demnach muss das Deutschland des Jahres 2000 den Stellenwert eines Entwicklungslandes haben.
Meine Damen und Herren, zunächst sei festgestellt, Indien ist mit annähernd einer Milliarde Menschen der zweitbevölkerungsreichste Staat der Erde. Die Quote der Analphabeten liegt in der Bundesrepublik Deutschland mit 83 Millionen Einwohnern bei einem Prozent, während sie in Indien 50 Prozent beträgt. Indien verfügt je 145 Einwohner über einen Studenten, Deutschland über einen je 44 Einwohner. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf hierzulande beträgt 57.000 DM im Jahr, in Indien dagegen umgerechnet 760 DM. Damit ist das Bruttoso
Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist aus Sicht der Deutschen Volksunion die Niedertracht kaum nachzuvollziehen, dass solch einem armen und verelendeten Land wie Indien, einem potentiellen Partner und Freund Deutschlands, derart übel mitgespielt werden soll, indem ein beachtlicher Teil seiner zahlenmäßig viel zu geringen Elite ausgerechnet nach Mitteleuropa abgezogen werden soll. Tatsache ist doch, dass Indien weit mehr Computerspezialisten und Spitzenwissenschaftler benötigt.
Doch! Tatsache ist auch, dass der deutsche Bedarf der wissenschaftlichen Elite am besten gedeckt werden kann, wenn endlich Bund und Länder alljährlich viele Dutzende Milliarden DM zusätzlich für die Ausbildung und Forschung verwenden werden, anstatt das sauer verdiente Geld des Steuerzahlers als Reparationen, Tribute an die EU und Zahlungen in alle Himmelsrichtungen hinauszuwerfen.
Meine Damen und Herren, zu Recht fragt der gesunde Menschenverstand, wie es möglich ist, dass bei den vier Millionen registrierten Arbeitslosen in Deutschland keine 20.000 zu finden sind, die entsprechende Computerkenntnisse mitbringen oder in den letzten Jahren hätten umgeschult werden können. Tatsächlich sind 32.000 deutsche Informatiktechniker arbeitslos. Da ist verschiedentlich zu hören, sie seien zu alt, zu unflexibel. Einerseits heißt es in der Computerbranche, man sei mit 30 oder 35 Jahren pensionsreif, andererseits fordern Politiker des etablierten Parteienkartells die Heraufsetzung des Rentenalters sogar bis zum siebzigsten Lebensjahr. Das kann es ja wohl nicht sein!
Im Übrigen soll auch nicht vergessen werden mit Blick auf das Bundesministerium für Bildung und Forschung, dass der Bulmahn-Vorgänger, Jürgen Rüttgers, nun mit dem Ruf in Nordrhein-Westfalen im Wahlkampf „Kinder statt Inder“ vom eigenen Totalversagen ablenken will. Klar ist, ob rotgrün oder schwarz, diese Kartellparteien haben bildungspolitisch die Weichen auf Crash gestellt. Während nun Politik und Multikonzerne mit weiteren Einwanderern ihre Versäumnisse kaschieren wollen, wird gewissermaßen unterstellt, dass Deutschland zu dumm für das Computerzeitalter wäre und sei, meine Damen und Herren.
Abschließend sei aus einer Meldung der Nachrichtenagentur AFP aus Neu Delhi zitiert, ich darf zitieren: „In Indien fehlen derzeit 67.000 Computerexperten.“ Die Unternehmen im Land hätten für dieses und das kommende Jahr einen Bedarf von 140.000 Computerspezialisten angemeldet, verfüg
bar seien aber nur 73.000. Bis zum Jahr 2008 könnten sogar mehr als zwei Millionen Experten in Indien fehlen.
Ich sage namens der Deutschen Volksunion, man muss kein Prophet sein, keine Gaben besitzen, um hier vorauszusehen, dass Indien nach einer sich jetzt schon anbahnenden stürmischen Aufwärtsentwicklung dereinst zu den führenden Weltmächten gehören wird. Heute die Beziehung durch die Abwerbung von Wissenschaftlern zu beeinträchtigen, ist so intelligent, meine Damen und Herren, wie einst die Niederschlagung des Boxeraufstands mit Hilfe deutscher Truppen. — Ich bedanke mich!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Dr. Kuhn haben gezeigt, dass das Thema Green Card ein nicht ganz triviales ist. Fakt ist, dass sowohl bundesweit als auch in Bremen viele Stellen in der ITBranche unbesetzt sind, was für eine zügige Entwicklung der Branche und vor allem für den in Bremen notwendigen Strukturwandel nicht gerade förderlich ist. In Bremen sind beim Arbeitsamt derzeit zirka 140 unbesetzte Stellen gemeldet. Das Stellenangebot dürfte weit größer sein, da viele Unternehmen aufgrund der in der Vergangenheit nicht gerade erfolgreichen Vermittlung viele Stellen schon gar nicht mehr melden.
Auf der anderen Seite gibt es eine große Anzahl arbeitsloser IT-Kräfte, die allerdings größtenteils aufgrund ihres Alters schwer zu vermitteln sind und/ oder nicht in den Technologien ausgebildet und qualifiziert wurden, die die Gegenwart dieser Branche und vor allen Dingen die Zukunft dieser Branche bestimmen. Das dürfte nach der heute Morgen geführten T.I.M.E.-Debatte leicht nachvollziehbar sein. Beim Arbeitsamt sind derzeit zirka 400 IT-Kräfte gemeldet. Die Aufschlüsselung dieser Personengruppe nach Alter und Beruf macht deutlich, dass da ein sehr heterogenes Spektrum zugrunde liegt. Die Hälfte der arbeitslos Gemeldeten ist älter als 40 Jahre, und die andere Hälfte umfasst aus anderen Gründen schwer Vermittelbare beziehungsweise die Fluktuationsarbeitslosen, die sich nach ihrem Studium pro forma schnell arbeitslos melden, dem Arbeitsmarkt tatsächlich aber gar nicht mehr zur Verfügung stehen.
Gleichzeitig muss zur Kenntnis genommen werden, dass auch durch die Tatsache, dass dieses Missmatch zu verzeichnen ist, die Einstiegsgehälter für gut qualifizierte IT-Kräfte, insbesondere für kleine und mittlere Betriebe, die maßgeblich vor allem auch regional Strukturwandel und Innovationen generieren, zu hoch sind. Auch hieran geknüpfte Fluktuationen und das Abwerben von guten Kräften macht den kleinen und mittleren Unternehmen das Leben
schwer. Einzig die Personalberater können sich über diese Situation freuen, das allerdings auch nur eingeschränkt. Dieser Zusammenhang ist übrigens auch ein Grund dafür, dass Arbeitnehmer dieser Branche nicht so recht die Notwendigkeit von Betriebsräten und Gewerkschaften erkennen können.
Die Green Card darf nicht isoliert betrachtet werden. Sie stellt eine Maßnahme im Rahmen eines Maßnahmenbündels dar. Ich habe gerade mit dem Kollegen Frank Schildt gesprochen, der mir sagte, seine USA-Reise hätte ihm aufgezeigt, dass dort die Leute darüber den Kopf schütteln würden, dass wir über dieses Thema überhaupt debattieren. Das wäre so selbstverständlich, dass man auch Kräfte aus dem Ausland in das Land holt, um die Branche intern zu fördern.
Selbstverständlich koppelt die Bundesregierung die Akquisition ausländischer IT-Fachkräfte an die Intensivierung der Qualifizierungsbemühungen für inländische Kräfte.
Das ist übrigens eine Maßnahme, die unter dem damaligen Zukunftsminister nicht einmal als nötig erkannt wurde.
Die kurzfristige Entwicklung bei der Qualifizierung der benötigten inländischen IT-Kräfte kann im Zeitalter nach Rüttgers als sehr erfreulich bezeichnet werden.
Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in den entsprechenden Berufen steigt seit kurzem bundesweit und auch in Bremen deutlich.
Herr Eckhoff, im Jahr 1999 stieg die Zahl der Ausbildungsverhältnisse in Bremen um sage und schreibe 66 Prozent von unter 100 auf 153. Ich denke, das ist ein Fakt.
(Abg. T e i s e r [CDU]: Hat das die neue Regierung angeordnet? — Abg. Frau L e m k e - S c h u l t e [SPD]: An der Stel- le würde ich mich lieber zurückhalten!)
Für die derzeit arbeitslosen IT-Kräfte wurden zahlreiche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen initiiert,
das ist sehr wichtig. Im Übrigen muss an dieser Stelle auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass auch ältere, heute arbeitslose inländische ITFachkräfte Vorteile gegenüber jüngeren ausländischen IT-Fachkräften haben. So beherrschen sie etwa in aller Regel die deutsche Sprache besser, was auch ein Vorteil ist. Es lohnt sich deshalb allemal für die inländischen arbeitslosen IT-Kräfte, die von der Branche nachgefragten Qualifikationen im Rahmen der angebotenen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zu erwerben.
Eine ausreichende Zahl an Absolventen aus diesen initiierten Qualifizierungsmaßnahmen steht dem Arbeitsmarkt allerdings erst in einigen Jahren zur Verfügung, so dass bis dahin nach wie vor eine Lükke klafft, und dies insbesondere für hoch qualifizierte Stellen. Hierauf weisen diverse Prognosen namhafter Researchcompanies hin. Bundesweit kann von momentan mindestens 75.000 offenen IT-Stellen ausgegangen werden, davon zirka 37.000 offenen Stellen für Hochschulabsolventen. Diesen 37.000 offenen Stellen steht eine Absolventenzahl von 8000 gegenüber. Die offensichtliche Lücke soll durch die Akquisition von zunächst 10.000 und bei Bedarf 20.000 ausländischen IT-Experten geschlossen werden. Sicherlich ist dies keine Patentlösung, ich denke, darüber ist sich die Bundesregierung im Klaren. Um den notwendigen Strukturwandel zu ermöglichen und im Wettbewerb mit anderen Regionen bestehen zu können, gibt es hierzu allerdings momentan kaum Alternativen.
Unabhängig davon entspricht die hierdurch steigende Internationalität in den Regionen durchaus dem Geist der Branche und kann sich auf diese befruchtend auswirken. Auch die Tatsache, dass einige der akquirierten Ausländer ihren Aufenthalt in Deutschland als Basis für die Kooperation mit ihren inländischen Firmen nutzen werden, muss als positiver Effekt gewertet werden.
Ein wesentlicher Aspekt ist aber doch, dass ein Inder gleich mehrere Arbeitsplätze für Einheimische nach sich zieht.
(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen — Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen])
Anstelle der dummen Aussage „Kinder statt Inder“ sollten wir lieber Inder für unsere Kinder gewinnen.