Protocol of the Session on May 11, 2000

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Kleinigkeit: Im Juni beraten wir den Haushalt. Im Haushalts- und Finanzausschuss müssen aber alle Anträge eingereicht werden. Nirgendwo habe ich irgendetwas gesehen, wie dieser Bremer Eigenanteil finanziert werden soll.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Drittmittel der EU eingeworben werden, muss auch gegenfinanziert werden. Darauf geben Sie uns keine Antwort. Das ist nicht seriös.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie schaffen es nicht, Prioritäten zu setzen, das haben wir gestern auch schon bei der Debatte über die Kapitaldienstfinanzierung erlebt. Auch wenn Herr Eckhoff die Online-City jetzt besetzt als Person, als Jens-Eck-Line, Herr Scherf mit Herrn Prodi redet, Herr Schildt in die USA fährt, unser Parlament kann davon nur profitieren, wenn wir uns auch Meinungen von außen einholen. Aber auch einen Besuch in den alten Hafenrevieren, Herr Eckhoff, lege ich Ihnen noch einmal ans Herz. Es kann irgendwie nicht sein, dass in anderen Städten die Multimediafirmen in die Hafenreviere drängen, und in Bremen soll das nicht klappen?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann noch ein kleiner Vorschlag zur Ersparnis! Sie können meinetwegen auch den Medienausschuss für Informations- und Kommunikationsangelegenheiten abschaffen, der hat bisher nämlich überhaupt noch nichts zu sagen gehabt und hat dieses Programm auch noch nicht gesehen. Wenn der Senat auf Fachkompetenz verzichten kann, denn dieser Ausschuss ist eigentlich ganz hochrangig besetzt — Herr Scherf hat ja auch Sachverstand von außen in die Fraktion hereingeholt, Herrn Kottisch als Par

teilosen, wie wir heute in der Zeitung sehen können —, wenn beide Fraktionen darauf verzichten können, meinetwegen! Wir bekommen unsere Informationen sowieso von woanders.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Gern wird, wenn Sie sich nicht einig sind, immer über unsere Unzulänglichkeiten parliert. Manchmal stelle ich mir gern vor, wen ich mit wem auf eine Reise schicken würde. Ich hatte schon einmal die Idee, Herrn Hattig mit Herrn Schramm auf eine Reise zu schicken.

(Heiterkeit)

Auch Herr Dr. Kuhn und Herr Scherf oder Herr Zachau und Herr Scherf wären sozusagen Traumpaare. Sicherlich fallen Ihnen auch selbst noch einige Konstellationen ein, bezüglich des Landesmedienprogramms vielleicht Herr Hattig und Herr Lemke. Ein gemeinsamer Urlaub täte vielleicht gut. Im Urlaub, sagt meine Mutter immer, schweißen die Menschen sich zusammen, lernen sich richtig kennen. Das könnte vielleicht abhelfen.

Herr Hattig hat eine Studie zitiert, in der die Städte hinsichtlich Multimediastandorte gerankt wurden. Die stand in der „Wirtschaftswoche“. Bremen nimmt von 97 Plätzen Platz 55 ein, mittelmäßiges Mittelfeld,

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Sagen Sie doch einmal, woran das lag!)

Bremerhaven Platz 96 von 97! Meine Damen und Herren, Herr Hattig hat gestern gesagt, hier im Parlament besteht die Eigenschaft, dass die Hühner laut gackern, bevor die Eier gelegt sind. Sie, lieber Senat, gackern und legen Überraschungseier. Das ist die Krönung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Damit ist die Aktuelle Stunde geschlossen.

Konsequenzen aus der „Green-Card“-Debatte

Antrag (Entschließung) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. März 2000 (Drucksache 15/257)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Senatorin Adolf, ihr beigeordnet Staatsrat Dr. Knigge.

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet. Als Erster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Kuhn.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es passiert selten, dass sich in einer Tagesordnung ein Punkt aus dem anderen so gut ergibt, wie es heute der Fall ist mit dieser Debatte nach der Aktuellen Stunde. Wir hatten im März den Entschließungsantrag in die Bürgerschaft eingebracht, den wir heute verhandeln, mit dem Titel „Konsequenzen aus der ‚Green-Card‘Debatte“. Es ging uns im März und geht uns auch heute nicht darum, Einzelfragen, etwa organisatorische Umsetzung, zu diskutieren, sondern es geht uns um eine politische Debatte, um die Bedeutung und vor allem die Konsequenzen aus den Auseinandersetzungen, die wir gegenwärtig führen. Ich bin überzeugt davon, dass diese Konsequenzen sehr lang anhaltend wirken werden. Deshalb, glaube ich, ist es auch vernünftig, hier eine umfassende Diskussion in Ruhe zu führen und zu versuchen, Gemeinsamkeiten oder auch Differenzen herauszuarbeiten. Deswegen gestatten Sie mir, dass ich ein bisschen länger und mehrere Punkte umfassend aushole! Bundeskanzler Schröder hat ja nach einer immer wieder schön erzählten Geschichte die Green-CardIdee auf der Fahrt zur CeBIT erfunden, weil er kein Pressethema hatte. So wird es immer wieder erzählt. Wie auch immer — ich meine, Politik ist ja manchmal so banal —, er hat einen Stein ins Rollen gebracht, der inzwischen erhebliche Fahrt aufgenommen hat und der, unterstützt von vielen, wozu auch die Grünen gehören, inzwischen eine ganz vernünftige Richtung eingeschlagen hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

10.000 und dann möglicherweise noch einmal 10.000 Spezialisten aus der IT-Branche aus dem Nicht-EUAusland werden die Möglichkeit erhalten, für fünf Jahre hierher zu kommen, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Sie können sich in dieser Zeit auch selbständig machen. Sie können auch den Arbeitgeber wechseln. Familienangehörige können mitkommen und nach relativ kurzer Zeit auch hier arbeiten, und über die Anträge soll zügig entschieden werden. Wir vom Bündnis 90/Die Grünen begrüßen diese Regelung ausdrücklich. Die Gründe, die die Computerunternehmen über die Schlüsselrolle ihrer Branche, über die Lücke zwischen der Nachfrage nach Arbeitskräften, die sie haben, und den vorhandenen Qualifikationen vorgebracht haben, erscheinen uns im Großen und Ganzen einleuchtend. Ich rede jetzt einmal nicht von der Frage der Verantwortung. Wer wofür verantwortlich ist, darauf komme ich noch einmal zurück. Die beschlossene Aktion ist ein richtiger konkreter Schritt, über weitere wird man aber sehr gut nachdenken müssen.

Es ist ja ganz interessant, dass jetzt überall aus Industrie, Handwerk, Dienstleistungsbereichen „Wir auch!“ gerufen wird. Ich glaube nicht, dass wir dem sofort nachgeben sollten, ich glaube aber, dass wir der Sache in der Tat nachgehen sollten, auch als Hinweise auf tatsächliche Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt in der Ausbildung, Schwierigkeiten, die, glaube ich, überhaupt erst anfangen, wenn man jenseits der Statistik fragt. Dass es jenseits der Statistik reale Probleme gibt, das hat ja auch kürzlich die Aktion gezeigt, die der Arbeitssenator gemacht hat, wo nach der Statistik eigentlich die Lage klar sein müsste, dann aber die arbeitskraftsuchenden Firmen nicht erschienen. Ich fürchte aber umgekehrt, wenn man jetzt die Arbeitsuchenden abfragen würde, würde auch ein anderes Bild erscheinen, als die reine Statistik zeigt. Ich glaube, da verbergen sich große Probleme, denen man auch im Einzelnen nachgehen muss.

Zu der Regelung allgemein! Ich mache allerdings auch keinen Hehl aus unserer Überzeugung, meine Damen und Herren, dass die jetzt vereinbarte Regelung wohl nicht das letzte Wort sein wird, und das betrifft vor allem die Befristung. Ich glaube, wir werden wie in den sechziger und siebziger Jahren auch in diesem Falle eine Debatte um den ökonomischen Sinn und die menschliche Weisheit solcher Befristungen bekommen, wenn die Zeit denn dafür reif ist. Das sollte man den Leuten auch heute schon sagen, finden wir, und da nicht so viel Angst vor der eigenen Courage haben wie zurzeit noch manche Sozialdemokraten.

Es werden Menschen kommen, und das ist für uns ja das eigentlich Schockierende, es werden keine Handwerker und armen Bauern aus dem Süden mehr ans Band kommen, keine polnischen Bauarbeiter, sondern es werden begabte, hoch qualifizierte Leute kommen, die etwas vorhaben, die jetzt schon die Nase vorn haben, sei es aus Indien, aus Polen oder aus der Ukraine. Für viele wird es durchaus attraktiv sein, hierher zu kommen. Obwohl ich gerade gestern gelesen habe, dass der unbekannte Inder mit einem Medienpreis gekürt worden ist. Wer da kommen wird von den jungen Frauen und Männern, die uns tagtäglich auf dem Bildschirm präsentiert werden, das ist allerdings noch ein großes Fragezeichen, aber es werden welche kommen wollen. Nicht wir, sondern Herr Rüttgers hat uns auf den Inder fokussiert. Die Regierung hat nie davon geredet, dass die alle aus Indien kommen sollten,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

sondern wir haben jetzt eine Regelung aus dem Nicht-EU-Ausland beschlossen, und das ist bekanntlich ein bisschen mehr als nur ein, zwei Städte in Indien. Diese Leute haben natürlich auch die Möglichkeit, woanders hinzugehen, in die USA, nach Ka

nada, nach Israel, nach Australien, und sie werden diese Möglichkeit auch nutzen. Auch deshalb, glaube ich, sind Integrationsangebote, eine gute Aufnahme und nicht Hürden und Lebenserschwernisse das Gebot der Stunde. Wir Grünen jedenfalls werden dafür eintreten.

Um noch einmal eine Debatte vom Winter aufzugreifen: Können Sie sich vorstellen, meine Damen und Herren, dass die von uns hier erwünschten Frauen und Männer aus dem Ausland erst einmal durch das Fegefeuer des Bremer Ausländeramts geschickt werden? Das kann ich mir nun wirklich nicht vorstellen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auch deshalb, weil darüber einiges im Ausland bekannt ist und die Zeitungen darüber schreiben, ist die Resonanz aus dem Stand nicht so groß.

Meine Damen und Herren, auch wenn es vielleicht zunächst nicht beabsichtigt war: Mit der Initiative zur Anwerbung von Spezialisten aus aller Welt sind politische Themen wieder auf die Tagesordnung gekommen, die lange verschüttet waren. Ob dies nun in der Form eines Einwanderungsgesetzes geschehen wird oder in der Weiterentwicklung bestehender Formen und Gesetze und Vorschriften, dass Zuwanderung stattfindet und dass sie politisch geregelt wird, wird inzwischen von vielen gesellschaftlichen Gruppierungen, ich nenne einmal nur Gewerkschaften und Unternehmensverbände, für notwendig und sinnvoll gehalten. Wir Grünen sind schon lange dieser Auffassung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich will als ein Beispiel von sehr vielen Stimmen die neue Studie „Migration im neuen Jahrtausend“ nennen, ausgearbeitet von Spezialisten von jenseits und diesseits des Atlantiks. Dort werden Grundsätze für eine Regelung formuliert, die ich im Kern für richtig halte. Die Autoren fordern die westlichen Industrieländer auf, endlich anzuerkennen, dass sie Einwanderungsländer sind, denn wer sich dem verweigere, müsse an den Aufgaben der Globalisierung scheitern, so schreiben sie, und „Regierungen sollten daher klar formulieren, wer in ihr Hoheitsgebiet einwandern darf“. Da werden drei Gruppen genannt, deren Regelung ich für unverzichtbar halte: erstens, Flüchtlinge, die man übrigens nicht abzählen kann. Das ist so, das ist das Wesen dieser Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskommission, deren Bedeutung ja noch einmal auf dem europäischen Gipfel in Tampere bekräftigt worden ist, und des deutschen Asylrechts. Das sind humanitäre Akte, die wir machen, zu denen wir uns verpflichtet haben und zu denen wir weiterhin stehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Zweitens Familienmitglieder hier bereits Lebender und drittens eben qualifizierte Fachkräfte, deren Auswahl der ökonomischen und gesellschaftlichen Rationalität unserer, um es ganz klar zu sagen, Nützlichkeitserwägung unterliegt. Da gilt der Grundsatz, wen wir dann holen, dem muss man allerdings Integration anbieten und von den Kommenden auch abfordern.

Nur an dieser Stelle will ich kurz von der CDU reden! Die CDU hat sich ausgesprochen vielstimmig, direkt charmant chaotisch, geäußert zu dieser politischen Frage. Ich fand es richtig erfrischend, was da in den letzten zwei Monaten alles möglich war. Ganz ernsthaft, das ist jetzt keine Ironie! Bloß dann kam der unverfrorene und beschämende Versuch zu sagen, Green Card statt Asylrecht, Green Card statt Flüchtlingsaufnahme. Ich kann Ihnen eines sagen in all diesen Fragen: Ein Slogan, der ein „statt“ in der Mitte beinhaltet, bei dem kann man schon von vornherein sagen, dass er faul ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Dann kam leider auch die dumme und unverantwortliche Kampagne von Rüttgers, „Kinder statt Inder“, mit der er zu Recht im Düsseldorfer Regen stehen bleiben wird. Ich will darüber auch gar nicht lange reden. Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang aber eine Episode zur Kenntnis geben, die die Misere in manchen Köpfen ziemlich grell beleuchtet.

Die Presse hatte geschrieben, die Postkartenaktion der CDU würde mit dem Programm SQL ausgewertet, und dieses Programm habe der Inder Umang Gupta entwickelt. Die Düsseldorfer CDU hat dann in einer Presseerklärung Folgendes verlautbart, ich darf zitieren: „Die nordrhein-westfälische CDU setzt kein von einem Inder geschriebenes Programm ein, um die CDU-Postkartenaktion auszuwerten.“ Ich bin ganz sicher, Herr Eckhoff, auch kein amerikanisches Betriebssystem und erst recht keine in Hongkong gefertigte Tastatur! Ich meine, es ist eigentlich kaum zu glauben, zu welchen Verwüstungen nationalistische Borniertheit in Köpfen führen kann!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist wirklich ein Highlight! Ich bin heute sehr gespannt auf Herrn Eckhoff. Damit aber genug zur CDU, das ist auch in dieser Frage nicht das Wesentliche.

Ich möchte zu einigen grundsätzlichen Folgerungen kommen! Um diese grundsätzlichen Folgerungen geht es uns heute auch in dieser heutigen Debatte. Wir müssen als politisch Verantwortliche einige Grundtatsachen anerkennen und dann bei den Bürgerinnen und Bürgern dafür werben, die Verhältnisse auf dieser Grundlage zu gestalten.

Es geht erstens um die Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, und das zwar aus Gründen, die aus unserer Stärke in der Welt resultieren und von der wir profitieren. Das sind die Gründe dafür, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.

Es geht weiter um die Tatsache, dass wir offensichtlich nicht immer und ewig und naturgegeben Spitze sind in der Ausbildung und Qualifikation, sondern dass uns dies streitig gemacht wird, und zwar nicht nur von einigen europäischen Nachbarländern, sondern eben massiv von Leuten, die sich eben mit dieser Ausbildung und dieser Qualifikation auf den Weg nach oben machen und damit die Nase vorn haben wollen, den Weg zu Wohlstand und Aufstieg machen wollen.

Es geht schließlich um die grundlegende Tatsache, dass der Arbeitsmarkt in immer größer werdenden Teilen nicht mehr national begrenzt ist, sondern sich über die Grenzen ausweitet. Das muss man begreifen, dass da Chancen sind für alle. So gut es für die Dynamik von US-Firmen sein kann, deutsche Chemiker oder Physiker zu beschäftigen, so vernünftig wird es eben sein, dass sich deutsche Firmen polnische, indische oder sonstige Spezialisten holen. Das ist vernünftig, und, das ist das Entscheidende, für die Dynamik der ganzen Gesellschaft, der ganzen Wirtschaft, und das wirkt auch auf den Arbeitsmarkt insgesamt für alle. Das ist entscheidend. Das ist jedenfalls die eindeutige und klare Erfahrung der US-amerikanischen Entwicklung und anderer Entwicklungen der letzten Jahre, und das müssen wir endlich begreifen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Denjenigen, die in Deutschland jetzt die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt fürchten — diese Besorgnis ist ja real und auch ernst zu nehmen —, muss man aber dennoch sagen, ein Closed Shop war schon immer nur kurzfristig und vordergründig ein Vorteil, er ist aber mittelfristig für die Gesamtheit immer ein Nachteil.