Protocol of the Session on May 10, 2000

Meine Damen und Herren, begründet wird diese Politik mit der Behauptung, dass das Fortschreiten der europäischen Integration den Kern, die Eigenstaatlichkeit der deutschen Länder bedrohe, die, ich darf Bürgermeister Scherf im Bundesrat zitieren, „die ökonomische Verlässlichkeit, kulturelle Vielfalt und soziale Sicherheit in den Bundesländern“. Das ist absurd.

Allerdings, muss man sagen, zum Nulltarif war europäische Integration nie zu bekommen, ich kann mich nicht erinnern. Ohne Abgabe von Souveränität ist europäische Gemeinsamkeit nicht zu haben. Aber diese Teilung von Souveränität ist doch schon lange der einzige Weg, überhaupt noch Einfluss auf den Gang der gemeinsamen Dinge zu nehmen und ihn zu gestalten. Sich in die Schmollecke zu setzen, wird mit Sicherheit kein vernünftiger Weg sein.

Herr Scherf gibt nun vor, mit der neuen Linie die Interessen der Länder zu wahren, er bezeichnet das schon als „patriotische Pflicht“. Ich glaube, Herr Bürgermeister, Sie verwechseln da etwas. Wir haben die Interessen und das Wohl der Menschen in unserem Land zu wahren und zu mehren, und in deren Interesse ist es keineswegs, die europäische Integration aufzuhalten. Das hört sich ja gut an, wenn da gesagt wird, in den Ländern sind Entscheidungen immer bürgernäher zu treffen und können getroffen werden. Aber sehen wir einmal genauer hin: Regelungen über Umwelt und Naturschutz, über Standards etwa in der Telekommunikation, über die Schließung von Steuerschlupflöchern, über Wettbewerbskon

trolle, über Freizügigkeit und so weiter, alles dies kann man einfach nicht mehr sinnvoll auf der Ebene eines Landes machen, oder eben nur sehr viel schlechter als gemeinsam. Das ist doch politisch und ökonomisch der rationelle Kern der europäischen Integration und der europäischen Idee, und nicht die Träumereien von Einzelnen.

Gegenüber der Realität zunehmender Verflechtungen nützt es nichts, sich auf ein Kompetenzreservat zurückziehen zu wollen. Daran muss man mit anderen arbeiten, dass man neue Formen der verflochtenen und gemeinsamen Politik auf mehreren Ebenen entwickelt. Das wäre die Aufgabe, und darauf sollten wir unsere Zeit verwenden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben, damit sich Ihr Kurs ein bisschen sanfter anfühlt, eine Frage in den Mittelpunkt gerückt. Die Länder, sagen Sie, verteidigten die deutsche föderale Tradition der Daseinsvorsorge vor der angeblich europäischen Logik des kalten Marktes und Wettbewerbs. Bürgermeister Scherf hat Folgendes im Bundesrat zu Protokoll gegeben, ich darf zitieren: „Wir haben in den letzten Jahren wahrnehmen müssen, dass unter Hinweis auf europäisches Wettbewerbsrecht Kernelemente der öffentlichen Daseinsvorsorge in Deutschland von der Kommission in Frage gestellt werden, und wir befürchten, dass hier ein Domino-Effekt beginnt, in dem die so genannte beihilferechtliche Überprüfung, die zurzeit den Sektor der öffentlichen Banken und Sparkassen belastet, künftig auch auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die öffentlich bezuschusste Wohlfahrtspflege und kommunale Energieversorgungsunternehmen ausgedehnt wird.“ Den Beweis dafür bleibt allerdings der Senat in seiner Antwort schuldig.

In der Tat hat die Kommission in den letzten Jahren, und zwar bis heute allein auf Beschluss der Mitgliedstaaten, also auch der deutschen Regierung, daran gearbeitet, die Telekommunikation zum Beispiel, die Post, die Energieversorgung, den öffentlichen Personenverkehr zu öffnen, Wettbewerb einzuführen und gleichzeitig über das Institut des Universaldienstes eine Gemeinwohlorientierung zu bewahren und zu garantieren. Die Länder haben dieser Politik, die ja auch die Politik der Bundesregierung gewesen ist, niemals in der Substanz widersprochen. Es ist schon sehr bezeichnend, dass der Senat in seiner Antwort zurückgreifen muss auf eine Äußerung des Städtetages, eine Detailkritik des Städtetages, die übrigens sinnigerweise unter der Überschrift erschienen ist: „Städte im Griff der EU, des Bundes und der Länder“.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Zuruf von Bürgermeister D r. S c h e r f)

Ich sage nur, dass die Kommunen feststellen, dass sie in der Tat in Schwierigkeiten sind, aber nicht aufgrund der Politik der EU, sondern weil sie natürlich auch wahrnehmen, dass ihre eigene Gestaltung immer schwieriger wird, weil die Verflechtung und die Notwendigkeit, das auf einer anderen Ebene auszuverhandeln, größer wird. Sagen Sie uns doch nur: Hat etwa Brüssel den Senat der großen Koalition gezwungen, die Stadtwerke zu verkaufen, die BEB oder demnächst die Brekom? Das ist eine unredliche Falschmünzerei, wenn hier der Eindruck erweckt wird, als habe Brüssel den Ländern all diese schönen Dinge weggenommen oder zerschlagen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren der großen Koalition, das waren Sie schon selbst, die diese Sachen alle der Logik des Marktes zugeordnet haben, und jetzt wollen Sie da einen schützenden Zaun darum ziehen. Das ist irgendwie eine falsche Logik, das passt nicht zusammen.

Bleiben der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Landesbank und Sparkassen sowie die Wohlfahrtspflege, die in der Tat eine besondere deutsche Tradition darstellen, eine Zwischenstellung zwischen Staat und Markt zu finden, eine Form und Tradition, die auch wir im Kern für wichtig halten! Die Frage ist nur: Wer gefährdet das denn eigentlich gegenwärtig, wer ist es denn? Im Fall der Sparkassen und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat die Kommission nun mehrfach öffentlich erklärt, sie stelle diese Institutionen nicht in Frage. Etwas anderes kann der Senat auch in seiner Antwort nicht belegen. Waren es nicht Kirch und die CDU-geführten Länder, die das Trommelfeuer auf den öffentlichrechtlichen Rundfunk eröffnet haben? War das etwa die Kommission, erinnere ich mich da falsch?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Im Übrigen waren es private Mitbewerber, die sich an die Kommission gewendet haben mit der Bitte zur Überprüfung, weil sich einige Einrichtungen so auf dem Markt bewegen wie jeder andere, bei gleichzeitiger massiver staatlicher Subvention. Das kann doch wohl wirklich nicht gehen, dass die WestLB zum Beispiel auf internationalen Finanzmärkten auftritt wie jede andere Großbank und vom Land in schönster Symbiose mit Milliardenbeträgen subventioniert wird.

(Zuruf von der SPD: Warum nicht?)

Das kann doch wohl nicht sein! Die Kommission achtet auftragsgemäß darauf, dass nicht unter dem Mantel öffentlicher Daseinsvorsorge der Wettbewerb verzerrt wird.

Wollen die Länder denn wirklich einen Passus in den EU-Vertrag hineinbekommen, dass Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge machen können, was sie wollen, oder was wollen sie eigentlich? Wenn die Debatten um die Landesbank zum Beispiel aufhören sollen, da gibt es nach unserer Meinung ein relativ einfaches Mittel: Erst einmal müssen wir selbst dafür sorgen, dass sie in Ordnung gebracht werden und sich auf ihre besonderen Aufgaben beschränken, und dann kann man über dann klar definierte Beihilfen auch weitere Präzisierungen mit der Europäischen Kommission erreichen. Darüber wird ja ständig verhandelt, teils vor und teils jetzt vermutlich auch in den Gerichten, weil es dann eben so notwendig ist.

Meine Damen und Herren, ich bin mir sicher, dass die weit überzogene Politik der Länder in dieser Frage keinen Erfolg haben wird. Herr Scherf weist immer darauf hin, er hat ja Recht, dass die 16 sich einig sind, aber sie finden sonst nirgendwo Unterstützung, weil nämlich die schrittweise Fortführung europäischer Integration auf der Tagesordnung steht, und nicht das Gegenteil.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn es Ihnen ernsthaft darum ginge, eine allgemeine Debatte um die Gestalt eines föderalen Europas zu führen, dann hätten Sie ja Verbündete gesucht, zum Beispiel wären Sie damit in den Ausschuss der Regionen gegangen. Genau der Ausschuss der Regionen hat sich ja auch mit der nächsten Konferenz befasst, Initiative des Landes Bremen dazu: null. Im Ausschuss der Regionen säßen die möglichen Verbündeten, aber das haben Sie nicht gemacht, weil es Ihnen darum gar nicht geht. Es ist nur das alte langweilige „Europa ja, natürlich gern, aber wir können nichts mehr abgeben“. Dazu passt übrigens auch, dass die Länder überall dort, wo sie nur entfernt betroffen sein können, wirklich nur entfernt, dafür votieren, nicht zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen, um sich ihre Blockademacht und Vetomacht zu erhalten.

(Glocke)

Ich komme zum letzten Absatz, Herr Präsident!

Meine Damen und Herren, es ist bedauerlich, dass gerade der Bremer Regierungschef hier so scharfe Töne anschlägt, offensichtlich ja wohl, um sich in größeren deutschen Städten Freunde zu machen. Ich fürchte allerdings, mit dieser Taktik wird er am Ende mit leeren Händen dastehen. Ich möchte abschließen mit den Worten des sozialdemokratischen Europaabgeordneten Görlach: „Beim Schmusen mit Stoiber scheint Henning Scherf jegliches Maß verloren zu haben. Er muss sich entscheiden, ob das Land Bremen weltoffen und europäisch gesehen werden

soll oder ob er seine Stadt mit borniertem Provinzialismus ins Abseits stellt.“

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Recht hat der Mann, und auf diese Frage werde ich nachher noch einmal zurückkommen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Brumma.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kuhn, ich denke, wir sollten die Polemik mit Stoiber und Ähnlichem erst einmal aus der Debatte herauslassen. Wir sollten zur sachlichen Diskussion kommen, und vielleicht war es auch nötig, dass der Präsident bei diesem Thema etwas lauter wurde, damit die Diskussion geführt wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen — Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das war sachlich!)

In diesem Zusammenhang bin ich auch froh, dass wir heute die Debatte zu diesem Thema führen, denn in der vergangenen Woche haben wir gehört, dass der niedersächsische Parlamentspräsident Wernstedt beklagt, dass die Kompetenzen der Bundesländer immer geringer werden.

(Zuruf des Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/ Die Grünen])

Ja, deswegen finde ich es wichtig, dass wir hier eine Diskussion zu diesem Thema führen und eben noch über die verbliebenen Kompetenzen der Länder sprechen, denn auf vielen Ministerpräsidentenkonferenzen wurde das Thema behandelt und wurden auch entsprechende Beschlüsse gefasst!

Um was geht es nun im Einzelnen? Mit den Amsterdamer Verträgen wurden als oberstes Prinzip die gleichen Wettbewerbsbedingungen in allen EU-Ländern formuliert. Hierzu stehen wir weiterhin, Herr Dr. Kuhn, Sie können uns nicht sagen, dass wir davon weg wollen.

Allerdings gibt es im Zusammenhang mit den öffentlichen Dienstleistungen, der öffentlichen Daseinsvorsorge und den Wettbewerbsvorschriften eben noch Klärungsbedarf. Wir sollten uns klar werden, was eigentlich Daseinsvorsorge ist. Das ist weder der Sparstrumpf der Oma noch die private Altersvorsorge, sondern es geht vielmehr um Dienstleistungen, die der Gemeinschaft von öffentlichen Einrichtungen flächendeckend und günstig zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel die Konten der

Kleinsparer, Bustransporte bis ins hinterste bayerische Dorf oder dass alle die Fernsehsendung „Wetten dass“ am Wochenende sehen können. Ich finde, hier sollte man definieren, was der Kernbereich staatlich finanzierter Daseinsvorsorge ist und auch die Mischformen davon abgrenzen.

Deshalb will der Wettbewerbskommissar Monti die Bürgschaften, die Beihilfen, die Subventionen, auch die indirekter Art, hinterfragen. Aber wenn Sie die „Financial Times“ von gestern gelesen haben —

(Abg. B e c k m e y e r [SPD]: Die deutsch- sprachige oder die englischsprachige?)

die deutschsprachige! — , da können Sie nachlesen, wie der Kommissar über die Arbeitsbelastung klagt. Im vergangenen Jahr musste die Behörde 512 Beihilfeverfahren klären, und das waren schon 69 mehr als im Jahr davor. Also, ich finde, allein aus Sicht der Arbeitsökonomie wäre es sinnvoll, solche Sachen an die Länder zurückzugeben,

(Beifall bei der SPD)

statt die EU-Behörde noch weiter mit Arbeit zu belasten und den Wasserkopf eventuell noch zu vergrößern.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Die müssen handeln!)

Worum geht es? Der Präzedenzfall ist, wie Sie vorhin auch schon ansprachen, die West-LB, die von 1991 bis 1998 Subventionen vom Land erhielt, diese Detailfragen interessieren allerdings mehr die Finanzpolitiker. Wir sollten fragen, wieso uns das berührt. Die West-LB, eine öffentlich-rechtliche Einrichtung, ist bedeutsam als sozialer Puffer, der gerade in den heutigen Zeiten bei verschärftem Wettbewerb mehr denn je gebraucht wird.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Die West-LB ist ein sozialer Puf- fer!)

Ja, denn die West-LB macht Strukturpolitik, da habe ich nichts dagegen!

(Beifall bei der SPD)

Das sollte mit unterstützt werden, warum auch nicht? Zum Beispiel die kommunalen Sparkassen, wie wir eine in Bremerhaven haben, die Sparkasse in Bremen fällt nicht unter dieses Plazet, müssen auf jeden Fall gestärkt werden.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wenn man die Fusion zwischen Dresdner und Deutscher Bank sieht, die gescheitert ist, und wo eben die Kleinsparer herunterfallen, die 200 000 DM und weniger verdienen, gerade für diesen Bereich brauchen wir die entsprechenden Banken, um auch diese Klientel zu versorgen. Deswegen, meine ich, sollten wir hier klar die Sparkassen unterstützen.