Protocol of the Session on January 27, 2000

Schutz vor Gewalt im häuslichen Bereich

Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU vom 16. Dezember 1999 (Drucksache 15/154)

Wir verbinden hiermit:

Den Schutz von Frauen und Kindern vor häuslicher Gewalt verbessern

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 25. Januar 2000 (Drucksache 15/181)

Dazu als Vertreter des Senats Frau Senatorin Adolf, ihr beigeordnet Frau Hauffe.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wulff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gewalt gegen Frauen ist kein Phänomen, das etwa nur im öffentlichen Raum, also auf der Straße oder am Arbeitsplatz, stattfindet. Gerade in ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld, in ihrer Familie oder Partnerschaft, werden Frauen und auch Kinder häufig Opfer von Gewalt. Wir müssen davon ausgehen, dass Gewalt im sozialen Nahbereich die in unserer Gesellschaft am weitesten verbreitete Gewaltform überhaupt darstellt.

Eine im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführte Untersuchung hat ergeben, jede siebte Frau war mindestens einmal in ihrem Leben Opfer einer Vergewaltigung und sexuellen Nötigung. Zwei Drittel dieser Fälle fanden in der Familie oder Partnerschaft statt. Nach Schätzungen der genannten Studie erleiden Frauen in jeder dritten Partnerschaft körperliche Gewalt.

Dieses Ausmaß ist einer breiten Öffentlichkeit kaum bewusst. Auch die polizeiliche Kriminalstatistik hilft wenig weiter, solange ein großes Dunkel

feld verbleibt. Die Betroffenen wenden sich nur selten an die Polizei, um ihren Partner, Verwandte oder andere Gewalttäter ihres unmittelbaren privaten Umfeldes anzuzeigen.

Einer der Gründe hierfür ist, dass die Opfer von häuslicher Gewalt sich durch die Rechtsordnung nicht ausreichend geschützt fühlen. Entschließen sie sich dennoch zu einer Anzeige, fehlen der herbeigerufenen Polizei häufig geeignete Eingriffsbefugnisse, um bedrohte Frauen und Kinder unmittelbar und nachhaltig gegen die in derselben Wohnung lebenden Täter zu schützen.

Tatsache aber ist und bleibt, Gewalttaten sind strafbare Handlungen, auch und gerade wenn sie durch den Partner erfolgen. Die SPD-Fraktion hat daher gleich zu Anfang dieser Legislaturperiode eine erneute Initiative ergriffen, damit von Bremen aus alles erdenklich Mögliche geschieht, um zur Verbesserung der Situation der Opfer beizutragen.

(Beifall bei der SPD)

Die grundsätzliche Nichteinmischung des Staates in private und partnerschaftliche Angelegenheiten darf nicht so weit führen, dass die private Wohnung als rechtsfreier Raum missverstanden wird, sondern Gewalt in den eigenen vier Wänden muss ebenso entschieden verfolgt werden wie Gewalt im öffentlichen Raum.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Die SPD-Fraktion hat sich daher dafür eingesetzt, dass sich Bremen an der EU-weiten Kampagne zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen beteiligt, wie sie unter deutscher Ratspräsidentschaft im März 1999 in Köln beschlossen worden ist. Wir begrüßen es sehr, dass sich mit Bürgermeister Dr. Henning Scherf nicht nur ein hoher Repräsentant unseres Bundeslandes, sondern vor allem eine bei nahezu 100 Prozent der Bremerinnen und Bremer bekannte Persönlichkeit in der Öffentlichkeit zur Ächtung von Gewalt gegen Frauen bekennt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch ausdrücklich die Initiative der Landesfrauenbeauftragten Ulrike Hauffe zur Herausgabe einer Sonderbriefmarke zu diesem heiklen Thema, die vom zuständigen Bundesfinanzministerium aufgegriffen worden ist.

(Beifall)

Diese Sonderbriefmarke ist seit kurzem in den Postämtern zu erwerben. Ein Hinweis an Sie, liebe Kol

leginnen und Kollegen: Sollten Sie einmal in Verlegenheit geraten, ich habe immer eine Briefmarke zur Hand!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die notwendige gesellschaftliche Ächtung von Gewalt gegen Frauen in privaten Beziehungen zu erreichen, ist eine wichtige Voraussetzung auf dem Weg zur Verbesserung der Situation der Opfer. Es werden aber immer noch viel zu wenige Gewalttaten aus dem häuslichen Bereich angezeigt. Für die meisten betroffenen Frauen ist die strafrechtliche Verfolgung der Täter immer noch von zweitrangiger Bedeutung, denn an erster Stelle steht für sie der Schutz vor der Gewalt ihres Partners. Dies zeigen Untersuchungen, die in den Frauenhäusern in Deutschland — es gibt übrigens ungefähr 400 Frauenhäuser in der Bundesrepublik — durchgeführt wurden.

Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass Frauen- und Mädchenhäuser sowie Schutzwohnungen nicht länger die alleinige Alternative für misshandelte Frauen und Kinder sein dürfen, auch wenn wir in absehbarer Zeit nicht auf solche Zufluchtsstätten werden verzichten können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich möchte darum gleich dieser Debatte den Wind aus den Segeln nehmen, wenn uns unterstellt wird, dass es uns nur um Sparüberlegungen in diesem Bereich geht. Wir wissen um die Probleme bei der Verabschiedung des Sozialhaushalts, es ist aber nicht so, dass bei den Frauenhäusern gespart werden sollte, denn sie sind zurzeit voll belegt, und es gibt sogar Erwägungen über Anbauten, um ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen.

Nach Auffassung der SPD-Fraktion verträgt es sich nicht mit dem Selbstverständnis eines sozialen Rechtsstaates, dass die betroffene Frau mit ihren Kindern ihre vertraute Umgebung verlassen und fliehen muss, um vor weiteren Angriffen Schutz zu finden, während der Täter in der vormals gemeinsamen Wohnung verbleiben darf. Wir setzen uns daher für eine vereinfachte Zuweisung der Wohnung an die Ehefrau ein. Es müssen aber weitere Schutzanordnungen hinzukommen, die den gewalttätigen Partner wirksam daran hindern, in die Nähe der Wohnung zu kommen und Frau und Kinder dort weiter zu bedrohen. Dazu gehören zum Beispiel Belästigungs-, Kontakt- und Annäherungsverbote, die vor allem schnell und wirkungsvoll umgesetzt werden können.

(Beifall bei der SPD)

In der fachlichen Diskussion befinden sich derzeit insbesondere zwei Schutzanordnungen, die sich in

Österreich seit ihrer Einführung vor nun gut zwei Jahren bewährt haben: einmal die sofortige Wegweisung von Gewalttätern aus der gemeinsam mit dem Opfer beziehungsweise den Opfern bewohnten Wohnung sowie zweitens ein zeitlich befristetes Rückkehrverbot. Zur Durchsetzung dieser Ansprüche sind besondere Regeln für Eilverfahren vor den Familiengerichten in der fachlichen Diskussion. Der Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen sieht hier ausdrücklich Handlungsbedarf. Gesetzesnovellen sind seitens der Bundesfamilien- sowie der Bundesjustizministerin in Vorbereitung.

Die SPD-Fraktion begrüßt den nationalen Aktionsplan ebenso wie die Empfehlungen auf EU-Ebene, die sich gerade auch und unter anderem an die Bundesländer richten. Wir meinen, die in Arbeit befindliche Novellierung des Bremischen Polizeigesetzes bietet eine gute Gelegenheit, wirksame polizeiliche Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt auch im Land Bremen festzuschreiben.

(Beifall bei der SPD)

Interessant war für die Öffentlichkeit, dass sich gerade auch Polizeipräsident Lüken bereits im November 1999 öffentlich zustimmend zu dieser Initiative geäußert hat. Ich möchte mit Genehmigung des Präsidenten noch ein kurzes Zitat aus einem Schreiben der Leiterin eines der Bremer Frauenhäuser, das ich gerade heute erhalten haben anfügen, die zu dieser Gesetzesinitiative Stellung genommen hat:

„Das Gesetz würde also keine Alternative zu Frauenhäusern darstellen, jedoch eine gute Ergänzung. Jetzt schon ist es in leichter Zunahme der Fälle bei Polizeieinsätzen im häuslichen Bereich Praxis, die Männer für ein paar Stunden aus der Wohnung zu entfernen. Die Frau hat während dieser Zeit die Möglichkeit, in größerer Ruhe als bisher zu entscheiden, ob sie mit den Kindern in ein Frauenhaus gehen möchte. Sie kann sogar persönliche Dinge zusammenpacken, wozu bis vor kurzem keine Zeit blieb.“

Wir Sozialdemokraten freuen uns daher, dass es gelungen ist, unseren Koalitionspartner davon zu überzeugen, dass die positiven österreichischen Erfahrungen mit dem so genannten Wegweisungsrecht sowie einem Rückkehrverbot von gewalttätigen Partnern bei der Erarbeitung der bremischen Polizeigesetznovelle vom Senat berücksichtigt werden sollen. Wir erwarten vom Senat die Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfs.

Zweitens fordern wir den Senat auf, auf Bundesebene an den notwendigen Schutzregelungen konstruktiv mitzuwirken. Drittens erwarten wir die Vorlage des in der Koalitionsvereinbarung angekündigten ressortübergreifenden Präventionskonzepts gegen häusliche Gewalt zum 31. März 2000.

Auf dieses Konzept möchte ich nicht näher eingehen, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dazu einige inhaltliche Vorschläge in ihrem Antrag gemacht. Wir sind aber der Auffassung, dass uns der Senat dieses Konzept zunächst einmal vorlegen sollte und wir dann in einer weiteren Debatte, die dann voraussichtlich noch vor der Sommerpause stattfinden wird, diese Einzelpunkte noch einmal behandeln. Sehr wichtig wird dabei die Fortbildung im gesamten Bereich der Polizei, der Justiz und so weiter sein. Aber ich glaube, meine Redezeit ist auch inzwischen abgelaufen, wir werden das Thema sicherlich in Kürze dann wieder hier behandeln. — Danke schön!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Windler.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir alle lehnen Gewalt ab, Gewalt in der Schule, Gewalt in den Medien, Gewalt auf der Straße, Gewalt gegen Senioren, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine besondere Form der Gewalt ist die Gewalt gegen Frauen. Sie kommt in allen gesellschaftlichen Schichten vor und ist kein Privileg der angeblich gering Qualifizierten, der Menschen mit geringen Einkünften.

Gewalt gegen Frauen findet überwiegend im vermeintlichen Schutzraum der eigenen vier Wände, also zu Hause statt. Häusliche Gewalt wird fast ausschließlich von Männern ausgeübt und reicht von Drohungen, Erniedrigungen und sozialer Isolation bis hin zum Erzwingen sexueller Handlungen, körperlichen Misshandlungen, Nötigungen, ja sogar zu Tötungen.

Durch repräsentative Untersuchungen in den alten und neuen Bundesländern wurde ermittelt, dass fast jede dritte Frau Gewalt durch ihren Ehemann oder Partner erfährt, also ein Phänomen, das nicht hin und wieder zwischen Frauen und Männern abläuft, sondern Tag für Tag in unserer Gesellschaft stattfindet. Wir geben in Bremen jährlich 1,7 Millionen DM nur für Frauenhäuser aus, die eine gute und wichtige Arbeit leisten.

Den Bund allein kostet die häusliche Gewalt jährlich 29 Milliarden DM. Das sind Summen, die nicht zu begreifen sind. Die Spitze des Eisbergs erleben täglich die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern. Knapp 50.000 Frauen suchen jährlich Schutz vor ihren gewalttätigen Ehemännern, Partnern oder Freunden in den Frauenhäusern. Die Frauen suchen Schutz für sich und ihre Kinder in einer ausweglosen Situation.

In Bremen gab es 1998 rund 800 Fälle, in denen weibliche Gewaltopfer Anzeige erstatteten. Seit 1999 gibt es in Bremen die Kampagne der ZGF gegen Ge

walt an Frauen. Ich glaube, dass diese Kampagne wachrüttelt und zum Nachdenken anregt.

(Beifall)

In jeder Straßenbahn ist das Plakat „Du kannst der Nächste sein!“ zu sehen. Auch das ist eine Kampagne gegen Gewalt.

Meine Damen und Herren, wir dürfen auch die Mitbetroffenheit der Kinder nicht vergessen. Allen Mädchen und Jungen, die mit ihren Müttern ins Frauenhaus kommen, ist gemeinsam, dass sie von Misshandlungen betroffen sind. Über ein Drittel der Mütter gab an, dass ihre Kinder, meist die Töchter, auch misshandelt worden sind, ob seelisch, psychisch oder körperlich.

Die vereinzelten Antworten geben sicher nur einen Teil des Problems wieder, weil hier die Tabuisierung noch größer ist als bei anderen Gewaltformen. Bei rund der Hälfte der Frauen hatten die Kinder die Misshandlung der Mutter unmittelbar miterlebt und nach Einschätzungen der Mütter sehr darunter gelitten.