Antrag der Abgeordneten Katharina Schulze, Johannes Becher, Andreas Birzele u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Landkreise für den Mangel an staatlichem Personal in den Landratsämtern kompensieren (Drs. 19/1976)
Ich erinnere daran, dass die GRÜNEN für diesen Antrag namentliche Abstimmung beantragt haben. Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt 29 Minuten. – Erster Redner ist Herr Kollege Andreas Birzele für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Sehr geehrtes Präsidium, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich im Oktober hier in den Landtag habe einziehen dürfen, war ich 26 Jahre lang als Schreinermeister tätig, 15 Jahre davon mit eigenem Betrieb und Angestellten. Warum erwähne ich das? – Einfach aus dem Grund, weil mich eine Sache immer besonders aufgeregt hat, und das war dann, wenn jemand bestellt, dann aber nicht voll oder schlimmstenfalls gar nicht gezahlt hat. Das gilt nicht nur draußen im Handwerk, sondern ganz prinzipiell. Wer eine Leistung für sich erbracht haben will, der muss auch dafür zahlen, und zwar den vollen Betrag und in vollem Umfang.
Genau das macht ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU und den FREIEN WÄHLERN, aber nicht. Ihr fordert von den Landratsämtern, dass sie staatliche Aufgaben übernehmen, gebt quasi den Auftrag dazu, und gleichzeitig wisst ihr schon im Vorfeld, dass ihr die Rechnung nicht zahlen könnt. Ich bin, wie gesagt, Schreinermeister und nicht Jurist. Aber ich glaube, wir wissen alle, wie man so etwas nennt.
Was ich noch viel weniger verstehe, ist die Tatsache, dass viele von euch in Stadt-, Kreis- oder Gemeinderäten sitzen, einige waren auch Landräte oder Bürgermeister; sprich, ihr wisst doch ganz genau, wie die Situation vor Ort ausschaut. Durch die Übernahme von immer mehr Aufgaben, die das Land Bayern den Kommunen überträgt, erhält das Schiff leider immer nur noch mehr Schlagseite. Warum? – Ganz einfach, es fehlt an Personal und Geld.
Vielleicht an der Stelle mal ein paar Zahlen, um das Ganze ein bisschen besser einordnen zu können: Ich selber bin Gemeinde- und Kreisrat im Landkreis Fürstenfeldbruck. In unserem Landkreis fehlen circa 12 Millionen Euro, weil wir staatliche Aufgaben mit unseren kommunalen Beschäftigten erfüllen müssen. Die Folge sind längere Warte- und Bearbeitungszeiten, wie es unser Landratsamt im Februar dieses Jahres ganz offiziell mitgeteilt hat. Wenn also Kreisstraßen nicht zeitnah oder nicht in ausreichendem Umfang saniert werden, wenn bei dem Erweiterungsbau eines Gymnasiums oder bei der Baudenkmalpflege gespart werden muss, haben wir das auch der Bayerischen Staatsregierung zu verdanken. Da gibt es nichts zu leugnen.
Nach Aussage des Landkreistages hat sich die Kostenunterdeckung, die sich aus der Erfüllung von staatlichen und übertragenen Aufgaben ergibt, Ende April 2024 pro Landkreis im Durchschnitt auf 4,76 Millionen Euro belaufen. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 waren es nur 2 Millionen Euro. Sprich, wir haben innerhalb von 7 Jahren mehr als eine Verdoppelung. Das kann und darf einfach nicht sein. Das ist Geld, das den Landkreisen für eigene kommunale Aufgaben fehlt.
Dazu kommt, dass die kreisangehörigen Städte und Gemeinden die gestiegenen Personalausgaben durch die seit Jahren immer weiter steigenden Kreisumlagen
mitfinanzieren müssen. Unterm Strich muss dann meistens vor Ort bei den freiwilligen Leistungen gekürzt werden; wir schaffen es also nicht mehr, Schwimmbäder zu sanieren, Umbaumaßnahmen an Vereinsheimen oder an Feuerwehrhäusern durchzuführen oder – ganz banal – kleine Beträge zur Unterstützung an Vereine zu geben. Wir alle reden immer von lebenswerten Kommunen. Ganz ehrlich: Durch das Kürzen von freiwilligen Leistungen im Ehrenamt, von denen Kommunen insbesondere auf dem Land leben, kann man solche Strukturen auch wissentlich kaputt machen.
Jetzt zeigt bitte nicht wieder mit dem Finger nach Berlin. Sicher, da läuft nicht alles optimal und richtig,
aber wir alle wissen, dass die Bayerische Staatsregierung per Gesetz für die finanzielle Ausstattung der Kommunen zuständig ist. Wenn ich eines im Handwerk gelernt habe, dann das, dass man zu seinen Fehlern steht und alles versucht, damit die Kundschaft zufrieden ist, und zwar zuallererst mit den Mitteln, die einem der eigene Betrieb zur Verfügung stellt, einfach um Wartezeiten zu vermeiden. Sobald ich aber anfange, auf andere Gewerke zu schimpfen, beispielsweise auf den Maurer, der wieder nicht ordentlich geputzt hat, oder den Elektriker, der seine Leitung nicht ordentlich verlegt hat, lenke ich nur vom eigenen Versagen bzw. der eigenen Leistungsbereitschaft ab. Das merkt die Kundschaft sehr schnell; blöd ist sie nämlich nicht.
Ihr habt – das muss man fairerweise sagen – das Problem erkannt. Ihr plant jetzt bis 2028 pro Landratsamt 7,5 Stellen zusätzlich. Das Problem dabei: Die Landratsämter brauchen jetzt die Hilfe. Heruntergebrochen heißt eure Zahl nämlich nur 1,8 Stellen pro Landratsamt pro Jahr. Da kann ich nur sagen: Finde den Fehler!
Unterm Strich bin ich mir sicher, dass der Betrieb mit dem Namen Bayerische Staatsregierung deutlich mehr kann, um seine Kommunen zu entlasten. Daher noch mal mein eindringlicher Appell: Geht noch mal in euch, und zahlt endlich das, was ihr angeschafft habt!
Vielen Dank, Herr Kollege Birzele. – Nächster Redner ist für die CSU-Fraktion Herr Kollege Patrick Grossmann.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident, verehrte Kolleginnen, verehrte Kollegen! Also, ich muss sagen, es ist ja schon unglaublich, dass die Fraktion der GRÜNEN die Bayerische Staatsregierung auffordert, ein Konzept zur Zuteilung der staatlichen Stellen und zur Verbesserung der Finanzierung vorzulegen. Da muss ich mich doch fragen: Wer trägt denn mit seiner Politik in Berlin dazu bei, dass unsere Kommunen immer mehr Aufgaben bekommen? Wer trägt denn mit seiner Politik in Berlin dazu bei, dass die Kommunen immer weniger Einnahmen haben, um diese Aufgaben zu finanzieren? Sie verkehren doch die Tatsachen. Das ist ein absoluter Treppenwitz.
Ich kann gern ein paar Beispiele dazu geben. Das prominenteste Beispiel ist sicher die Migration, auch wenn Sie es nicht hören wollen. Die Ausgaben für die Migration haben sich in Bayern in den letzten drei Jahren Ihrer Regierungszeit um 50 % erhöht. Damit steigen logischerweise gleichermaßen auch die personellen Belastungen an unseren Landratsämtern.
Dabei hilft der Freistaat seinen Kommunen, indem wir die Kosten für die nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erbrachten Leistungen voll übernehmen. Allein für das Jahr 2023 bedeutet das für den Freistaat Bayern, dass wir Ausgaben in Höhe von 2,5 Milliarden Euro bezahlt haben, während nur 600 Millionen Euro vom Bund kommen. Das heißt, Bayern stellt seine Kommunen hier viel besser als andere Bundesländer, sehr geehrte Damen und Herren.
Aber ich will es nicht beim Thema Migration belassen. Es gibt zahlreiche Beispiele für Gesetzesänderungen der letzten Jahre im Sozialbereich, die dazu führen, dass es eine Aufgabenübertragung vom Bund auf die Länder, auf unsere Kommunen gibt. Ein Beispiel: Verfahrenslotsen. Seit Anfang dieses Jahres muss jedes Jugendamt Verfahrenslotsen für junge Menschen mit Behinderung, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, einstellen. Was macht der Bund? – Es gibt keinen Kostenausgleich durch den Bund. Das ist wieder eine Aufgabe, die bei unseren Landratsämtern landet.
Zweites Beispiel: Ganztag. Die Hauptlast der Finanzierung der Ganztagsangebote an unseren Schulen – jetzt mit dem Rechtsanspruch an unseren Grundschulen – tragen der Freistaat und seine Kommunen. Der Bund führt einen Rechtsanspruch ein, zahlt aber nur anteilig, und das auch erst ab 2026. Da frage ich mich, was mit der Konnexität ist. Jetzt sollen die Landratsämter auch noch für die Koordination der Ganztagsangebote in den Gemeinden zuständig sein, und der Rechtsanspruch richtet sich auch wieder an die Landratsämter. Ja, das führt doch auch wieder zu mehr Aufgabenlast bei den Landratsämtern.
Und es geht munter weiter. Es wird eine Reform des SGB VIII geplant. Die Ampel plant die Zusammenführung der Jugendhilfe mit der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderung unter dem Dach der Jugendhilfe. Das bedeutet auch wieder erhebliche Mehrkosten und mehr Bürokratie. Der gleiche Wahnsinn wie bei der Kindergrundsicherung, sehr geehrte Damen und Herren! Von den überbordenden Auflagen im Naturschutz und den damit zusammenhängenden unverhältnismäßigen Personalaufwendungen an unseren Landratsämtern möchte ich schon gar nicht mehr sprechen.
Der andere wesentliche Punkt – das habe ich vorhin schon angesprochen – ist ein großes Problem, nämlich die schlechte Einnahmensituation auf Bundesebene. Die Tatsache, dass gemäß der aktuellen Prognose der Bundesregierung das Bruttoinlandsprodukt lediglich um 0,3 % wächst – letztes Jahr ist es sogar um 0,3 % gesunken –, aber gleichzeitig unsere Personalkosten auch an den Landratsämtern um 10 % steigen, führt doch wieder dazu, dass wir in Bayern einen Spagat machen müssen, um das Ganze zu finanzieren, verehrte Damen und Herren. Ihr Wirtschaftsminister Robert Habeck hat vor zwei Jahren auf die Frage, ob er eine Insolvenzwelle erwartet, geantwortet, er könne sich vorstellen, dass manche Branchen einfach mal aufhören zu produzieren.
Tatsächlich haben Sie in der Bundesregierung einfach aufgehört, Wirtschaftspolitik zu machen. So sieht es aus.
Robert Habeck ist ein mäßiger Klimaschutzminister, aber der schlechteste Wirtschaftsminister, den wir jemals hatten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Trotzdem krempeln wir in Bayern die Ärmel hoch. Der Freistaat hat schon viel gemacht: Wir haben in den letzten zehn Jahren die Landkreis-Schlüsselzuweisungen um 49 % erhöht. Das ist deutlich mehr als die Inflation in diesem Zeitraum. Wir haben in den letzten zehn Jahren auch den Stellenbestand um 24 % erhöht und gehen weiter: Weitere 532 Stellen sind bis 2028 geplant. Im Doppelhaushalt – das hat der Kollege erwähnt – sind sowohl im Jahr 2024 als auch im Jahr 2025 jeweils 71 Stellen vorgesehen. Wir haben trotz der seitwärts gehenden Steuereinnahmen den kommunalen Finanzausgleich um 1,9 % erhöht, die Schlüsselzuweisungen sogar um 4,4 %. Ich muss erwähnen, wenn es die Landratsämter auch nicht so gerne hören, dass diese pauschalen Zuweisungen natürlich auch der Mitfinanzierung der staatlichen Aufgaben dienen.
Aber die steigende Aufgabenlast in den Landratsämtern ist unübersehbar. Ich war selbst 15 Jahre lang Bürgermeister einer Gemeinde und weiß, wie stark der finanzielle Spielraum unserer Kommunen eingeschränkt ist, wenn die Landratsämter den Kostendruck über die Erhöhung der Kreisumlagen weitergeben. Das ist keine schöne Situation. Unser Landkreis Regensburg hat die Kreisumlage in diesem Jahr sogar um vier Prozentpunkte angehoben. Gerade deshalb nehmen wir als CSU-Fraktion diese Entwicklung sehr ernst.
Obwohl die durchschnittlichen Kreisumlagesätze im Jahr 2024 gegenüber dem Vorjahr trotz der steigenden Kosten – in Anführungszeichen: – nur um 1,4 % gestiegen sind, liegt die Kreisumlage in Bayern jetzt im Landesdurchschnitt bei 47,8 %. Das ist, ehrlich gesagt, nicht mehr so weit weg vom Höchstniveau im Jahr 2012. Damals waren es 49,5 %. Deshalb geht es uns schon darum, die Landkreise in erster Linie von Aufgaben zu entlasten und zu befreien, aber da ist in erster Linie schon auch der Bund gefragt. Wir beim Freistaat setzen auf Digitalisierung und Entbürokratisierung. Bayern handelt im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ihr Antrag ist abzulehnen.
Es liegt eine Meldung zu einer Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Andreas Birzele von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN vor.
Kollege Grossmann, der Städtetag und der Landkreistag monieren seit Jahren die fehlenden Stellen. Deren Zahl steigt von Jahr zu Jahr. Von Ihrer Seite aus passiert seit Jahren nichts. Man hat fast das Gefühl, es wird ignoriert. Sicherlich kommt einiges vom Bund runter; aber ich sage noch mal: Bevor ich mit dem Finger auf die anderen zeige, sollte ich meine Hausaufgaben daheim machen und nicht im Glashaus mit Steinen werfen.
Entschuldigung, lieber Kollege Birzele, Sie zeigen doch mit dem Finger auf uns. Da müssen Sie schon damit rechnen, dass eine Gegenreaktion kommt; denn wir sitzen da schon in einem Boot. Wir machen was im
Ich habe die 532 neuen Stellen erwähnt. Das ist nicht der letzte Wurf. Wir sind weiter dran; aber es geht nicht nur um neue Stellen, sondern um Entbürokratisierung, vor allem um Digitalisierung, und darum, dass hier die Aufgaben einfacher werden. Deshalb setzen wir darauf.
Vielen Dank, Herr Kollege Grossmann. – Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Baumann für die AfD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident, sehr geehrte Kollegen! Die Zeiten für die bayerischen Landkreise sind hart, und sie werden nach Einschätzung vieler Kämmerer noch viel härter werden. Viele Haushalte für das laufende Jahr sind schon auf Kante genäht und mit vielen Kürzungen versehen. Ein Grund für die klammen Kassen ist der Freistaat, der die Landkreise bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben im Stich lässt, weil er zu wenig staatliches Personal zur Verfügung stellt. Die Folge ist, dass die Landkreise ersatzweise eigenes Personal einsetzen und dies auch selbst bezahlen müssen.
Das macht unter anderem auch CSU-Landräte wütend. So sprach Stefan Frey, Landrat des Landkreises Starnberg, in der "Süddeutschen Zeitung" vom 29. Februar 2024 davon, dass er im Jahr 2022 für die Erledigung staatlicher Aufgaben 12 Millionen Euro erhalten habe. Die tatsächlichen Ausgaben des Landkreises hätten aber 21 Millionen Euro betragen. Der Landkreis Starnberg bleibt also auf Kosten von 9 Millionen Euro sitzen. Da müssten eigentlich auch die Staatsregierung und die Regierungsparteien einsehen, dass das ein Hohn und eine himmelschreiende Ungerechtigkeit gegenüber dem Landkreis ist. Damals sagte der erzürnte CSU-Landrat gegenüber der Zeitung, dass es womöglich der bessere Weg sei, wenn der Landkreis gegen den Freistaat klage. Das wäre ein einmaliger Vorgang, der dokumentiert, dass das Fass nicht überzulaufen droht, sondern bereits übergelaufen ist.