Protocol of the Session on March 14, 2017

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 99. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben und eines ehemaligen Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 11. März verstarb im Alter von 73 Jahren der ehemalige Staatsminister der Justiz Dr. Manfred Weiß. Von 1978 bis 2013 war er Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat für die CSU-Fraktion den Stimmkreis Roth. Während seiner beinahe 35-jährigen Zugehörigkeit zum Hohen Haus engagierte er sich insbesondere in den Ausschüssen für Verfassungs-, Rechts- und Kommunalfragen sowie für Kommunale Fragen und Sicherheit. Mit dem Parlamentarischen Kontrollgremium, der G-10-Kommission sowie mehreren Untersuchungsausschüssen leitete er über viele Jahre lang wichtige Gremien des Parlaments. Von 1993 bis 1999 war er stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion im Bayerischen Landtag, bevor er in das Amt des Bayerischen Staatsministers der Justiz berufen wurde, das er bis zum Jahr 2003 innehatte. Für seine mittelfränkische Heimat engagierte sich Dr. Manfred Weiß bis zuletzt auch in der Kommunalpolitik, wo er ab 1972 Mitglied des Rother Stadtrats sowie Kreisrat im Landkreis Roth war. Ebenfalls bis zuletzt brachte der promovierte Richter seinen juristischen Sachverstand als nichtberufsrichterliches Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ein.

Dr. Manfred Weiß hat in den langen Jahren seines politischen Engagements als leidenschaftlicher Parlamentarier und als Mitglied der Staatsregierung durch seine umfassende Sachkenntnis und sein großes politisches Engagement einen herausragenden Beitrag zur Gestaltung des Freistaats Bayern geleistet. Sein besonderes Interesse galt der Innen- und Rechtspolitik sowie der Wehrpolitik, sein Einsatz stets den Bürgerinnen und Bürgern und dem Gemeinwohl in Bayern. Er überzeugte in all seinen Ämtern und Funktionen durch seine geradlinige, zupackende Art, vor allem aber auch durch große Menschlichkeit, Humor und Fairness, die ihm über die Parteigrenzen hinweg hohe Achtung und breite Anerkennung sicherten. Sein Wirken wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit der Verfassungsmedaille in Gold, dem Bayerischen Verdienstorden und dem Bundesverdienstkreuz am Bande. Der Bayerische Landtag trauert mit seinen Angehörigen und wird dem Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren. – Sie

haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, darf ich noch zwei Glückwünsche aussprechen. Am 10. März feierte Frau Kollegin Ruth Müller einen runden Geburtstag, und heute dürfen wir Herrn Kollegen Dr. Otto Hünnerkopf zum Geburtstag gratulieren.

(Allgemeiner Beifall)

Im Namen des gesamten Hauses und persönlich wünsche ich beiden alles Gute und weiterhin viel Erfolg bei ihren parlamentarischen Aufgaben.

Wir treten nun in die Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 BayLTGeschO auf Vorschlag der SPDFraktion "Bayerns Russlandpolitik: Kritischer Dialog in Verantwortung für europäische Werte, Frieden und Sicherheit statt christsozialer Freibrief für den Machthaber!"

Die Regeln für die Aktuelle Stunde sind bekannt. – Als erstem Redner erteile ich dem Vorsitzenden der SPDFraktion, Herrn Kollegen Rinderspacher, das Wort. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident, Herr Ministerpräsident, Hohes Haus, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am morgigen Mittwoch bricht der Bayerische Ministerpräsident in Begleitung einer großen Delegation zu einer politischen Konsultation nach Moskau auf, unter anderem zu politischen Gesprächen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Wir begrüßen, dass bilaterale Beziehungen auch mit der Russischen Föderation gepflegt werden. Wir begrüßen es, dass die Zusammenarbeit in den unterschiedlichsten Bereichen – Wirtschaft, Landwirtschaft, Kultur und Wissenschaft – intensiviert wird. Uns geht es nicht um die Frage, ob die Reise von Herrn Seehofer nach Russland stattfindet, sondern darum, wie sie stattfindet. Wir wollen mit der heutigen Aktuellen Stunde dem Bayerischen Ministerpräsidenten die Gelegenheit geben, gegenüber dem Hohen Hause und der bayerischen Öffentlichkeit Rechenschaft über eines seiner zentralen Projekte abzulegen, wie er es nannte.

In seiner Neujahrsansprache 2016 sprach er von einer zentralen Bedeutung seiner Besuche bei Präsident Putin, und da ist es selbstverständlich, dass er auch hier gegenüber dem Hohen Hause Rechenschaft ablegt. Was sind seine Ziele? Um welche Projekte geht es genau? Es ist im Deutschen Bundestag üblich, dass sich die Kanzlerin in Regierungserklärun

gen vor großen Gipfeln und außenpolitischen Konsultationen erklärt. Wir erwarten das heute auch vom Bayerischen Ministerpräsidenten.

(Beifall bei der SPD)

Wir erwarten, dass die Visite 2017 besser vorbereitet sein wird, als das 2016 erkennbar war. Damals war der Besuch wenig professionell vorbereitet und in der politischen Kommunikation ausgesprochen unglücklich. Der russische Machthaber instrumentalisierte den Besuch von Herrn Seehofer ganz offensichtlich für seine Zwecke. Das russische Staatsfernsehen sprach von einem Zeichen von Aufruhr, dass Herr Seehofer als unmittelbarer politischer Partner von Frau Merkel gegensätzliche Positionen in Moskau vertrat. Der Bonner "General-Anzeiger" kommentierte: Seehofer "Putins Helfer" und "nützlicher Idiot des Kremls". Das mache ich mir ausdrücklich nicht zu eigen. Aber es stellt sich schon die Frage: Stand der Besuch damals im Widerspruch zur Politik der Bundesregierung? War das eine Visite, die gegen die Interessen der europäischen Wertegemeinschaft gerichtet war, und was haben wir jetzt in den nächsten drei Tagen in Moskau zu erwarten?

Tatsächlich war es 2016 überraschend, dass der Bayerische Ministerpräsident ausgerechnet Wladimir Putin, dem russischen Machthaber, politische Noblesse attestierte. In einer Zeit, in der Tausende Streubomben auf Aleppo niedergingen, sagt Herr Seehofer in einer internationalen Pressekonferenz, es sei nobel von Herrn Putin, dass er sich nicht in die europäische Flüchtlingspolitik einmische. Unterdessen fallen Tausende von Streubomben auf Aleppo und auf andere syrische Städte. Die russischen Bomber nahmen keine Rücksicht auf Zivilisten; sie kümmerten sich nicht um die Kriegsopfer und nicht um die Flüchtlinge. Es gab absichtliche Attacken auf Gesundheitseinrichtungen, und das humanitäre Völkerrecht wurde verletzt.

Wir wissen, dass Ban Ki Moon das Handeln der Russischen Föderation folgendermaßen beschrieben hat: Die russische Regierung hat Blut an ihren Händen. Der Bayerische Ministerpräsident attestiert Herrn Putin politische Noblesse. Man wundert sich deshalb nicht, wenn die "FAZ" kommentiert: " Horst Seehofer und Edmund Stoiber haben die eigene Blamage auf ein Höchstmaß getrieben." Die "Bild"-Zeitung titelte, die Seehofer-Reise sei eine Torheit gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen als Opposition einige wenige Forderungen im Vorfeld dieses erneuten Besuchs in der Russischen Föderation hier im Parlament zum Ausdruck bringen. Wir erwarten, dass der Bayerische Minister

präsident, der unter anderem davon sprach, es gebe Schießereien in der Ukraine, und der damit einen Krieg mitten in Europa verharmloste, sich besser auf diese Russland-Visite vorbereitet und dass mehr Trittsicherheit auf internationalem Parkett auch aus bayerischer Perspektive zu beobachten sein wird. Ferner erwarten wir, dass der Krieg in Syrien und die russische Rolle sowie der Krieg in der Ukraine und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim nicht verharmlost werden, sondern dass diese Themen bei der Visite bei Wladimir Putin offensiv angesprochen werden.

Wir fordern Sie, Herr Seehofer, auf, deutlich zu machen, dass Sie die Politik der deutschen Bundesregierung und der Europäischen Union in Moskau unterstützen werden. Sie sollten heute hier im Hohen Haus die Gelegenheit nutzen, deutlich zu machen, dass Sie keine Nebenaußenpolitik betreiben, wie das im Jahre 2016 den Anschein hatte. Da hatten Sie zur Überraschung auch des bayerischen Parlaments auf dem Flug nach Moskau über dem Staatsgebiet von Polen plötzlich gegenüber einem Korrespondenten des Bayerischen Landtags die Forderung nach einer einseitigen Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland erhoben. Damit haben Sie sich ein Stück weit zum Sprachrohr des russischen Außenministers gemacht. Die "Deutsche Welle" kommentierte: Seehofer hat bei seinem kontraproduktiven Moskau-Trip alle Fehler gemacht, die Kritiker vor der Reise befürchtet hatten.

Ich sage, es hat keinen Sinn, zum gegenwärtigen Zeitpunkt einseitig und bedingungslos die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland zu fordern. Denn es ist überhaupt nicht zu erkennen, dass sich Wladimir Putin die Mühe macht, das Minsker Friedensabkommen umzusetzen. Solange das nicht erkennbar ist, kann es kein Entgegenkommen Deutschlands und der Europäischen Union geben.

(Beifall bei der SPD)

Es kann keine Rede davon sein, dass die bayerische Wirtschaft und auch die bayerische Landwirtschaft vor dem Niedergang stünden. Die Exporte von Bayern nach Russland machen gerade einmal 1,4 % des gesamten Exports Bayerns aus. Das ist Platz 18. Es gibt 17 Länder, die in diesem Zusammenhang als relevanter einzustufen sind als die Russische Föderation. Mitnichten sind nur die Sanktionen dafür verantwortlich, dass es im Handel zwischen Bayern und Russland rückläufige Zahlen in den Statistiken gibt. Nein, es ist auch der schwache Rubel, und es ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Russischen Föderation. Es sind der Niedergang des Ölpreises und damit verbunden auch die Schwierigkeiten der Russischen Födera

tion auf dem gesamten Energiesektor. Das hat zum problematischen Handelsbilanzdefizit geführt.

Ich sage auch, wir können von Bayern aus nicht eine Politik betreiben nach dem Prinzip: Hauptsache, der Rubel rollt. Ja, wir haben bayerische wirtschaftliche Interessen. Das ist keine Frage. Aber das allein kann es nicht sein. Es gibt weitere Gesichtspunkte, die wir berücksichtigen müssen, und ich erwarte von Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass Sie diese heute wie auch in den nächsten drei Tagen ansprechen. Es liegt im bayerischen Interesse – unser Land liegt im Herzen Europas –, dass wir Teil einer europäischen Sicherheits- und Friedensarchitektur sind und dass wir uns an das halten, was in der Europäischen Union und in der deutschen Bundesregierung beschlossen wird. Es liegt im vitalen Interesse des Freistaates Bayern, dass wir nicht nur die wirtschaftlichen Beziehungen pflegen, sondern auch auf das pochen, was wir für einen Markenkern des Freistaates halten, nämlich Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Auch das müssen Exportschlager sein, es darf nicht um nur wirtschaftliche Produkte gehen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

In dem Augenblick, in dem Sie Ihre Forderung nach einer einseitigen bedingungslosen Aufhebung der Sanktionen bei Wladimir Putin wiederholen, lacht der sich ins Fäustchen. Sie sagen damit, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist für uns eine vollendete Tatsache, die wir politisch legitimieren. So kann bayerische Außenpolitik nicht funktionieren.

Wir erwarten von Ihnen, Herr Ministerpräsident, dass Sie bei Herrn Putin das Thema der Cyberkriegsführung der Russischen Föderation gegen Europa und gegen die Bundesrepublik Deutschland ansprechen. Wir nehmen es sehr ernst, dass der BND-Präsident, aber auch der deutsche Verfassungsschutz selbst vor russischer Einflussnahme, vor Störversuchen und vor politischer Verunsicherung warnen und erklären, es gebe einen erheblichen Anstieg russischer Propaganda und Desinformationskampagnen sowie eine aggressive Cyberspionage. Ich erinnere nur an die Cyberattacke auf den Deutschen Bundestag. Auch das muss bei einer solchen Visite in Russland angesprochen werden.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss ein paar versöhnliche Worte. Wir haben als Opposition im Bayerischen Landtag immer wieder angeregt und Sie aufgefordert, auf Ihren Auslandsreisen in China oder auch in Russland den Gedankenaustausch mit der Opposition und der Zivilgesellschaft zu pflegen. Ich hatte Ihnen am 22. August letzten Jahres einen Brief mit einigen Vorschlägen betreffend zi

vilgesellschaftliche Menschenrechtsorganisationen übersandt. Ich habe heute feststellen dürfen, dass Sie in Russland erstmals tatsächlich mit einer Menschenrechtsorganisation, nämlich Memorial, das Gespräch suchen werden. Es stimmt mich ein Stück weit hoffnungsfroh, dass sich Ihr Blickfeld in der bayerischen Außenpolitik diesbezüglich erfreulicherweise erweitert hat.

Nein, der Besuch in Moskau darf sich nicht auf Küsse im Kreml zu Krimsekt reduzieren. Wir erwarten, dass Sie auch die kritischen Themen, die wir heute im Bayerischen Landtag angesprochen haben, offensiv in Russland vertreten.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat Kollege Dr. Rieger von der CSU das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Wer glaubt, die Brandherde dieser Erde ohne die großen Weltmächte löschen zu können, ist entweder naiv oder dumm. Wenn wir Antworten auf Terror, Flüchtlingskrisen und Klimawandel finden wollen, dann können wir das nur gemeinsam mit den großen Staaten dieser Erde tun, ob es uns gefällt oder nicht.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Das ist jetzt nichts Neues!)

Deshalb wird die Bayerische Staatsregierung die bewährte Tradition der Reisen der Bayerischen Ministerpräsidenten nach Russland, angefangen 1987 mit Franz Josef Strauß über Edmund Stoiber bis hin zu Horst Seehofer, fortsetzen.

(Beifall bei der CSU)

Strauß, Stoiber und Seehofer haben sich auch und gerade in schwierigen Zeiten nicht von Reisen nach Moskau abhalten lassen; denn gerade in solchen Zeiten dürfen die Gespräche nicht abbrechen.

(Beifall bei der CSU)

Oder wollen Sie die Verhältnisse weiter verschlechtern und einen Kalten Krieg provozieren? – Nein, das darf und das kann nicht sein.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Dem widerspricht doch keiner!)

Ohne Moskau werden wir die großen Krisen dieser Welt nicht lösen können. Aber es interessiert leider niemanden, ob wir das schön finden oder nicht.

Man braucht auch nicht bis Bismarck zurückzugehen, um festzustellen, dass man das alte Blockdenken nicht praktizieren kann. Man kann die Welt nicht einfach in die Guten und die Bösen einteilen. Die Welt ist voller Konflikte. Die Auswirkungen bekommen auch wir in Bayern unmittelbar zu spüren.

(Volkmar Halbleib (SPD): Aber eine Haltung braucht man schon!)

Kriege und Bürgerkriege in Europa und in seiner näheren Umgebung, große Fluchtbewegungen, die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Sicherheitslage in vielen Regionen der Welt bis hin zur Terrorbekämpfung – alle diese Herausforderungen verlangen ein gemeinsames Vorgehen. Das, meine Damen und Herren, ist ohne Russland nicht möglich. Eine Zusammenarbeit mit Russland ist in allen Bereichen wichtig. Auch in Bezug auf die wirtschaftlichen Beziehungen können dabei Brücken gebaut werden; denn auch Russland hat ein großes Interesse an guten Wirtschaftsbeziehungen zum Freistaat wie zu ganz Deutschland. Mehr als 5.500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung sind in Russland vertreten; ein Viertel davon kommt aus Bayern. Wenn wir diese Beziehungen abbrechen, dann schadet das nicht nur unserer Wirtschaft, sondern es schadet auch dem gemeinsamen Dialog.

(Beifall bei der CSU)

Denn diese Verbindungen bauen starke Brücken, meine Damen und Herren. Und Sie wollen das alles jetzt in Gefahr bringen und einreißen?