Schaffung billiger Volkswohnungen, wie es in der Bayerischen Verfassung heißt, Herr Ministerpräsident: Verfassungsauftrag nicht erfüllt. Und tatsächlich ist es an uns in der deutschen Bundesregierung, das von Ihnen heute hier vorgeschlagene Baukindergeld, ursprünglich eine Idee der SPD-Ministerin Hendricks, tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen. Wir befürchten, Sie machen das sogenannte Baukindergeld zum Wahlkampfschlager der Jahre 2017 und 2018. Der Vorschlag wurde von der SPD-Ministerin unterbreitet. Lassen Sie uns das Baukindergeld noch in dieser Legislaturperiode gemeinsam beschließen, wenn Sie es wirklich ernst meinen.
Sie sprachen davon, dass Bildungsgerechtigkeit auch ein zentraler Auftrag unserer Bayerischen Verfassung sei.
Tatsächlich kann man Ihnen da nur beipflichten. Sie haben übrigens diesbezüglich bereits 2013 ein bemerkenswertes Versprechen abgegeben; Sie haben für Bayern eine Ganztagsgarantie abgegeben. Ich zitiere: Bis 2018 gibt es in allen Schularten für jede Schülerin und jeden Schüler bis 14 Jahre ein bedarfsgerechtes Ganztagsangebot. Nun stellt sich die Reali
tät hier und heute wie folgt dar: In Oberfranken ging die Zahl der Grundschüler im gebundenen Ganztag von 4,8 auf 4,6 % im Schuljahr 2015/16 zurück. Auch in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten sank die Zahl der Grundschüler im Ganztag, in Rosenheim von 8,5 auf 7,9 %. Im Landkreis Hof ging die Zahl der Gymnasiasten, die eine Ganztagsklasse besuchen, von 7,1 auf 6,6 % zurück. Sie sprachen von einer Ganztagsgarantie. Dabei gibt es an den staatlichen Realschulen in 65 Landkreisen und kreisfreien Städten noch kein einziges gebundenes Ganztagsangebot.
Bei den Gymnasien besteht in 57 Landkreisen und kreisfreien Städten kein einziges entsprechendes Ganztagsangebot. Das ist die Garantie, die Sie abgegeben haben. Leider hat sich in den letzten drei Jahren Ihrer Regierungszeit hier überhaupt nichts getan.
Im Gegenteil ist es noch ein Stück weit schlechter geworden, wie man erkennt, wenn man sich die Statistiken anschaut.
Die CSU hat den SPD-Gesetzentwurf zur Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Ganztagsplatz am 12. Juli 2016 im Plenum des Bayerischen Landtags abgelehnt. Nüchtern betrachtet muss man sagen: Ihre Ganztagsgarantie hat sich regelrecht pulverisiert.
Ein zweites Versprechen haben Sie abgegeben. 2013 haben Sie – auch vor dem Hintergrund Ihres Bestrebens, soziale Gerechtigkeit voranzutreiben; das war ja heute auch ein Stück weit der Tenor Ihrer Rede – ein richtig schönes Präsent versprochen, nämlich, Bayern innerhalb von zehn Jahren barrierefrei zu machen. Die Euphorie war groß. Es gab großen Applaus im Bayerischen Landtag. Aber heute wissen wir: Wenn Sie die Haushalte weiter so festschreiben wie bisher, wird Bayern nicht 2023, sondern erst in mehr als 120 Jahren tatsächlich barrierefrei werden.
Schauen wir uns doch einmal die Zahlen von Oberfranken an, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich weiß nicht, ob Ihnen da noch nach Lachen ist, insbesondere auch unseren Zuschauern auf der Tribüne. In Oberfranken sind 78 von 112 Bahnhöfen gegenwärtig nicht
barrierefrei, also für Menschen mit Behinderung, für Rollstuhlfahrer, aber auch für Familien mit einem Kinderwagen nicht zugänglich. 78 von 112 – das sind 70 % – sind nicht barrierefrei. Nun hat die Bayerische Staatsregierung ein Paket für barrierefreies Bayern 2013 bis 2018 ausgelobt; man möchte da etwas tun. Was glauben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU – vielleicht wissen Sie es nicht –, wie viele Bahnhöfe von diesen 70 bis 2018 von Ihrer Regierung tatsächlich barrierefrei gemacht werden? Gibt es Schätzungen? – Ich sage es Ihnen: Ein einziger von 70, nämlich der Bahnhof in Coburg. 69 bleiben nicht barrierefrei. Was wir brauchen, ist ein echtes Sonderinvestitionsprogramm Barrierefreiheit zur Beseitigung von Zugangshindernissen und Barrieren im öffentlichen Raum. Das ist das, was wir jetzt brauchen.
Gestatten Sie mir angesichts der fortgeschrittenen Zeit noch einige zusammenfassende Feststellungen in Kurzform. Erstens. Die CSU war 2016 vornehmlich damit befasst, dem einstigen Leitsatz von Franz Josef Strauß Genüge zu tun, die CSU dürfe keinen politischen Wettbewerber rechts von sich dulden. Sie hat damit nicht nur die AfD in Bayern größer gemacht als notwendig, sondern auch der demokratischen politischen Kultur in unserem Land einen Bärendienst erwiesen.
Die CSU war in Bayern 2016 fast ausschließlich Bundespartei und nicht landespolitische Kraft. Der ewige Streit mit Frau Merkel, der bis heute andauert, stand im Mittelpunkt Ihrer Politik. Auf Landespolitik wurde stellenweise regelrecht verzichtet.
Zweitens. Die Bayerische Staatsregierung hat 2016 Chancen verpasst und Hausaufgaben liegen gelassen. Hier ein paar harte Zahlen und ein paar harte Fakten: sechs Millionen ausgefallene Unterrichtsstunden an den bayerischen Schulen, zwei Millionen Überstunden bei der bayerischen Polizei – ein neuer Rekordwert –, eine halbe Million Überstunden an den 37 Justizvollzugsanstalten von Aichach bis Würzburg, 36 % des Staatsstraßennetzes – fast 5.000 km – und 1.400 Staatsbrücken dringend sanierungsbedürftig.
Drittens. Der Steuervollzug hat eklatante Lücken, wovon vor allem Reiche und Superreiche profitieren und worunter vor allem die Gemeinwohlfinanzierung leidet.
Viertens. Das Land wird – anders, als Sie es versprochen haben – bis 2030 nicht schuldenfrei sein. Allein die Kürzungen bei der Pensionsvorsorge reißen in fünf Jahren eine Lücke von 1 Milliarde Euro – Ten
denz steigend –, eine aufwachsende Summe, für die unsere Kinder und Enkelkinder eines Tages werden aufkommen müssen. Die Rücklage wird laut Ihrem Haushaltsplan in diesem Haushalt regelrecht geplündert. Wir hatten zum 31. Dezember 2015 eine Rücklage von 6,1 Milliarden Euro. 2016 sollen 2,5 Milliarden Euro für den laufenden Haushalt entnommen werden. 2017/18 sollen weitere 2 Milliarden Euro abfließen, und nach den Planungen im Doppelhaushalt soll die Rücklage Ende 2018 nur noch 1,5 Milliarden Euro statt 6,1 Milliarden Euro betragen. Das heißt, der Staatshaushalt lebt auf Kosten der Substanz, und auch die Schuldentilgung von 500 Millionen Euro pro Jahr erfolgt nicht aus den laufenden Einnahmen, sondern aus der Rücklage. Der angekündigte Schuldenabbau bis 2030 ist vor diesem Hintergrund nichts als politische Propaganda und Schönrednerei, meine Damen und Herren.
Fünftens. Anders, als Sie es dargestellt haben, ist der zu diskutierende Haushalt kein Investitionshaushalt. Die Investitionsquote sinkt. Zu Beginn der Amtszeit Stoiber lag sie noch bei über 20 %. Davon ist sie heute meilenweit entfernt. Der Erhalt und der Ausbau der Infrastruktur können mit aktuellen Investitionen nicht gesichert werden. Damit werden Lasten in die Zukunft verschoben. Die sogenannten versteckten, impliziten Schulden, wie sie der Oberste Rechnungshof einmal nannte, steigen. Positive Ausnahmen waren die Jahre 2009 und 2010. Da lag die Investitionsquote noch bei 13,6 % bzw. 13,8 % – aber nur deshalb, weil es damals das kommunale Investitionsprogramm des Bundes gab. Im Jahr 2015 waren es 11,8 %, und in diesem Jahr sind es 11,7 %. 2018 werden es nur noch 11,5 % sein. Das bedeutet: Es gibt einen regelrechten Verfall der Investitionsquote.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um der Bayerischen Verfassung gerecht zu werden, müssen wir deutlich mehr tun, als der Ministerpräsident heute angekündigt hat. Die Bayerische Verfassung ist nämlich nicht nur eine Charta der Freiheit, sondern auch ein Plädoyer für Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit, und diese will organisiert sein.
Wir als SPD vermissen vor allem Investitionen in soziale Gerechtigkeit, in kostenfreie Kitas und in bezahlbaren Wohnraum. Zumindest das konnte ich heute ausführen. Die Sozialdemokratie im Hohen Hause wird sich auch im Jahr 2017 für mehr Gerechtigkeit in Bayern einsetzen. 1,8 Millionen Menschen in Bayern unterhalb der Armutsgrenze – ich wiederhole die Zahl: 1,8 Millionen Menschen: Das ist eine Feststellung, vor
deren Hintergrund sich politische Selbstgerechtigkeit und politische Selbstzufriedenheit verbieten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Auch wenn die CSU alle unsere Anträge zur Armutsbekämpfung, zur Stärkung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, zur Entlastung der Familien in Bayern und für eine moderne Gleichstellungspolitik im Allgemeinen und im Besonderen auch dieses Jahr abgelehnt hat, bleiben wir als SPD hartnäckig dran. Ganz augenscheinlich ist: Der politische Wettbewerb wird 2017 in Bayern weiter zunehmen. Die CSU bekommt Druck von rechts, von der AfD.
Aber selbstverständlich. Sie bekommen Druck von rechts, von der AfD – diesen Druck haben Sie zum Teil selbst mit befördert –, und Sie bekommen Druck von Mitte links, auch von der SPD. Wir stehen für eine solidarische, offene Gesellschaft und ein soziales Miteinander ein. Diesen Platz der sozialen Gerechtigkeit im Bayerischen Landtag wird die Sozialdemokratie auch weiter besetzen und ausfüllen.
Herr Rinderspacher, ich finde es sehr schade, dass Sie in Ihrer grundsätzlichen Rede wichtige Sachverhalte so oberflächlich behandeln und ansprechen.
Sie hatten die Kinderbetreuungsquote in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein genannt – den Landkreisen, aus denen Frau Kollegin Kaniber und ich kommen. In der Tat haben wir eine sehr niedrige Betreuungsquote von 13,9 %. Aber warum verstehen Sie nicht, welche Hintergründe das hat? In diesen Regionen werden diese Einrichtungen einfach nicht nachgefragt,
Die Sozialraumanalyse des Landkreises Traunstein gibt über genau diese Gegebenheiten sehr detailliert
Auskunft. Diese Einrichtungen werden nicht in dem Maße nachgefragt wie in den Großstädten. Ich wehre mich dagegen, dass Sie die Situation hier so darstellen und das aus ideologischen Gründen quasi nicht zur Kenntnis nehmen.
Es gibt eben sehr viele Mütter und Väter, sehr viele Familien, die ihre Kinder zu Hause haben wollen. Die Strukturen in unseren Landkreisen sind nun einmal so. Man kann dies heile Welt nennen oder wie auch immer, aber die Eltern wollen ihre Kinder in diesem Alter hauptsächlich daheim betreuen und nicht mit zwei, drei Jahren oder mit einem Jahr irgendwo abgeben und abstellen.
(Beifall bei der CSU – Natascha Kohnen (SPD): Buh! "Irgendwo abstellen"! Das ist ja wohl eine Frechheit!)
und warum die Menschen im Berchtesgadener Land oder im Landkreis Traunstein so ganz anders ticken sollten als beispielsweise im Landkreis Coburg, wo es mit die höchste Kinderbetreuungsquote überhaupt gibt.