Protocol of the Session on December 8, 2016

Das wird auch ein Problem für einige in der Staatsregierung und in der CSU werden. Wenn das Grundgesetz tatsächlich zur Grundlage für das Verhalten in der Öffentlichkeit werden soll, also wenn die demonstrative Missachtung unserer Rechts- und Werteordnung bestraft werden soll, ja, was machen Sie dann? Da können viele von Ihnen schon den vorgesehenen Grundkurs über die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung buchen.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD – La- chen bei der CSU – Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Wir Bayern feiern gerade 70 Jahre Verfassung, und ich bin froh, dass wir diese Verfassung haben. Aber heute will ich einmal an das Grundgesetz erinnern. In Artikel 3 heißt es:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache,

schon einmal gehört? –

seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.

Das wissen Sie wahrscheinlich gar nicht.

(Lachen des Abgeordneten Florian von Brunn (SPD))

Ja, es sieht ganz so aus, als würden führende CSUMitglieder existieren, die, wie es im Gesetzentwurf heißt, erkennen lassen, dass ihnen "die Rechts- und Werteordnung in ihren Grundsätzen unbekannt oder gleichgültig ist".

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Nur noch ein paar Beispiele, weil ich nicht viel Zeit habe. Die "Welt" hat am 23.03. des letzten Jahres geschrieben: "Ilse Aigner (CSU) kritisiert das KopftuchUrteil aus Karlsruhe scharf." Sie meint: "Wir leben nach wie vor in einem christlich geprägten Land." Und sie stellt ausdrücklich – demonstrativ, wie es im Gesetzentwurf heißt – das Recht auf Religionsfreiheit zur Disposition. Ein klarer Fall für die Leitkulturpolizei.

Noch ein Beispiel. Der "Bayernkurier" zitiert am 19. März des letzten Jahres den CSU-Generalsekretär Scheuer:

Die CSU werde "in Bayern alle gesetzlichen Möglichkeiten ausschöpfen, damit das Christentum bei uns in Bayern privilegiert bleibt …"

Auch da, fürchte ich, wird die Leitkultpolizei kommen müssen. Aber Scheuer hat ja nur das Kabinett und den Beschluss des Kabinetts verteidigt und keine Ahnung, wer aus dem Kabinett in den Grundkurs muss. Das könnt ihr unter euch ausmachen. Ein bisschen Nachhilfe, glaube ich, kann allen nicht schaden.

Sie alle können dann lernen, dass auch die Forderung nach einer Deutsch-Pflicht für Migranten, dass man daheim Deutsch reden muss und dass man überhaupt Deutsch reden muss, und die bevorzugte Behandlung christlicher Zuwanderer eine Missachtung unserer Rechts- und Werteordnung darstellen.

Wer Menschenrechte und Minderheitenrechte missachtet, zerstört unsere Demokratie und unser Zusammenleben, und wir haben alle nötigen rechtlichen Voraussetzungen, um unsere Demokratie zu verteidigen. Dazu brauchen wir euer g‘lumpads Gesetz wirklich nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dieses Pfuschgesetz wird nämlich genau das Gegenteil von dem bewirken, was Sie angeblich wollen, nämlich Zerstörung und Streit statt Zusammenhalt und Heimat. Das haben wir heute schon erlebt. Wer ausgrenzt, der spaltet. Wer spaltet, der schwächt unser Land. Zusammenhalt dagegen macht uns stark. Gemeinsam gewinnen wir, und ich glaube, es gibt auch ein paar CSUler, die das packen könnten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Dr. Dürr. Bleiben Sie bitte am Rednerpult. Der Kollege Scheuenstuhl hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege.

Ich sage gleich Ja und gebe ihm recht.

(Natascha Kohnen (SPD): Er ist Franke!)

Herr Kollege Dürr, den Artikel 13 bezeichne ich als Spitzelparagraf in dem Gesetz, weil er die Menschen auffordert, sich gegenseitig anzuzeigen, ob das jetzt Ausländer sind oder nicht. Der Artikel gilt für alle Menschen; das ist wieder so ein Allgemeinartikel.

Den Kommunen werden im Rahmen der Konnexität weitere Aufgaben ohne Erstattung zugewiesen, insbesondere das Beschulen von Menschen, die dauernd gegen irgendetwas verstoßen. Ich habe mir einmal vorgestellt, was so ein armer Bürgermeister, ein armer Landrat oder eine arme Landrätin macht, wenn eine Schulungsaktion stattfindet und sich da einer in den Schulungsraum lümmelt. Der arme Bürgermeister hat etwas vorbereitet, weil er Kosten sparen will und weil er von der Staatsregierung nicht so gut bedient wird, dass er sich einen Lehrer leisten könnte. Also macht er es selber.

Nun erklärt er einem völlig unwilligen Mitbürger den Staat und wie er funktioniert. Aus meiner Sicht ist es eine Blamage für die Demokratie, wenn man den Landrat oder den Bürgermeister demütigen kann, wenn sich da einer reinlümmelt. Die Damen und Herren Kollegen der CSU haben nämlich nicht bedacht, dass einer im Schulungsraum sitzt, den überhaupt nicht interessiert, was der da vorne von Kultur, egal, ob mit oder ohne Leitkultur, sagt und was er über den Rechtsstaat sagt. Der arme Bürgermeister oder die arme Bürgermeisterin muss dann eine Dreiviertelstunde lang dem unwilligen Menschen etwas beibringen. Vielleicht raucht der auch noch, oder er kommt alkoholisiert. Ich finde, das kann man den Menschen vor Ort nicht zumuten. Das ist eine Blamage für die Demokratie, ein Armutszeugnis.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Herr Kollege Dr. Dürr, Sie haben das Wort.

Vorher hätte ich gesagt: Sie haben recht. Jetzt aber sage ich: Ich glaube, Sie haben recht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der nächste Redner ist Herr Kollege Arnold von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ein paar grundsätzliche Bemerkungen an Sie von der CSU: Sie sagen selbst, dass das Gesetz mit Leben zu erfüllen ist. Was heißt das? – Das Gesetz wird erlassen, es wird angewendet, und gegebenenfalls wird auch damit gerichtet. Gerade in einer kompetenten Rechtsprechung, wie sie in Bayern gegeben ist, besteht bei einer gewissenhaften Anwendung häufig Auslegungsbedarf. Es gibt unterschiedliche Methoden der Auslegung, die historische oder teleologische. Was heißt das? – Der Auslegende erforscht den Willen des Gesetzgebers.

Bei großen, wichtigen Entscheidungen wird daher auch auf die Beratungsprotokolle des Gesetzgebers zurückgegriffen, und der Gesetzgeber ist das Parlament, der Landtag. Wenn Sie also die Mitberatung nicht führen wollen, dann entziehen Sie damit eine Grundlage der Rechtskultur, nämlich die Möglichkeit für die Rechtsprechung, zumindest auszulegen, was Sie denn überhaupt mit diesem Gesetz wollten.

(Beifall bei der SPD)

Ich kann Sie deshalb nur auffordern: Zur Sicherung der Rechtskultur ist es wichtig, dass der Wille des Gesetzgebers, auch im Disput mit der Opposition, sei es angenehm oder unangenehm, manifestiert wird. Das geht nur dann, wenn Sie sich dazu äußern. Ihre Verweigerungshaltung entzieht leider einer zukünftigen rechtsmethodischen Auslegung die Grundlage. Deshalb bitte ich Sie: Reden Sie weiter! Als Parlamentarier macht es mich betroffen, von Ihnen dazu nichts zu hören. Das macht mich auch deswegen betroffen, weil die Anwendung des Gesetzes 16 Jahre lang mein Beruf war.

Damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt in Artikel 14. Hier handelt es sich um ein Gesetz mit Gebotsnormen und Sanktionsmöglichkeiten. Hier stellt sich zunächst einmal die grundsätzliche Frage nach der Gesetzgebungskompetenz. Wir alle wissen, dass

die konkurrierende Gesetzgebung eine Gesetzgebung durch den Landesgesetzgeber ausschließt, wenn der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz in vollem Umfang Gebrauch gemacht hat. Wir gehen mit gewichtigen Stimmen der Rechtswissenschaft bereits jetzt davon aus, dass der Bundesgesetzgeber, der in seinem Aufenthaltsgesetz Integrationskurse erwähnt, abschließend davon Gebrauch gemacht hat. Er öffnet zwar die Ausgestaltung. Aus unserer Sicht sind Regelungen unzulässig, die eigenständige Integrationspflichten aufstellen und folglich auch sanktionieren. Das ist unser erstes großes Bedenken, dass der bayerische Landesgesetzgeber hier nicht zuständig ist.

Ein weiteres Bedenken betrifft die Bestimmtheit. Die Bestimmtheit zwingt den Gesetzgeber dazu, dass allen staatlichen Aktionen ein Minimum an Messbarkeit und Vorhersehbarkeit innewohnen muss. Für den Einzelnen muss anhand des Gesetzestextes erkennbar sein, was rechtens ist. Das gilt sowohl für den Tatbestand als auch für die Rechtsfolge. Die staatliche Reaktion auf Handlungen muss vorhersehbar sein; andernfalls wäre der Bürger der Willkür des Staates ausgesetzt.

Nun haben Sie in Ihrem Gesetzentwurf einige Formulierungen, die aufgrund des Wunsches des Herrn Kollegen König durch ein Schreiben des Innenministeriums konkretisiert wurden. Ich bin mit diesen Ausführungen nicht einverstanden, da ich, wenn ich jemals über diese Regelungen zu Gericht sitzen müsste, nicht wüsste, welchen Maßstab ich anlegen müsste. Auf der einen Seite sprechen Sie davon, dass das Grundgesetz zu achten ist. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Auf der anderen Seite erklären Sie insbesondere Mann und Frau als gleichberechtigt. Darüber hinaus sollen die Ehe und in diesem Zusammenhang das Eherecht auch eine Rolle spielen. Wenn das so nicht der Fall sein sollte, befugen Sie Kreisverwaltungsbehörden als Sicherheitsbehörden dazu, Grundkurse abzuhalten.

Zunächst einmal lautet die Frage: Welche Nachhilfe soll denn die Verwaltungsbehörde im Ehe- und Familienrecht geben? Soll das das Jugendamt leisten? Soll das an das Familiengericht gegeben werden? Sollen da Fachanwälte auftreten? Die Leistbarkeit ist doch hier gar nicht gegeben. So zieht sich die Unbestimmtheit durch diesen Gesetzentwurf, sodass man sagen muss: Man weiß nicht, woran man ist. Deswegen kann ich Sie nur auffordern, den Artikel 13 ganz zu streichen.

(Beifall bei der SPD)

Sie behaupten, dass eine Person in gleicher Weise bestraft werden könne, der die Verfassung gleichgültig ist und die dies offen zeigt. Wie zeigt man denn Gleichgültigkeit? – Indem man dasitzt, sein Rederecht nicht wahrnimmt und in keiner Weise auf die parlamentarischen Grundfunktionen rekurriert? Ist das Gleichgültigkeit? – Ich glaube es nicht. Ich würde das auch nicht sanktionieren. Bei Ihrem Verhalten und bei dem Verhalten, das möglich ist, drängt sich jedoch diese Fallgestaltung auf. Aus unserer Sicht fehlt es bei diesem Artikel an Bestimmtheit. Deshalb ist dieser Artikel nicht zielführend und grundsätzlich abzulehnen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist damit geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.

Vorweg ist über die einschlägigen Änderungsanträge der Fraktionen abzustimmen. Es sind dies die Nummer 15 des Änderungsantrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/13211 und der Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 17/13420. Beide Änderungsanträge fordern die Aufhebung des Artikels 13.

Der endberatende Ausschuss empfiehlt die Ablehnung beider Änderungsanträge. Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 15 des Änderungsantrags der SPD zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die CSU-Fraktion. Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist die Nummer 15 des Antrags abgelehnt.

Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Änderungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zustimmen möchte, den bitte ich nun wiederum um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Damit ist auch dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Zum Artikel 13 empfiehlt der federführende Ausschuss Zustimmung. Ich lasse also jetzt über den Artikel 13 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die CSU-Fraktion. Gegenstimmen! – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Keine. Dann ist das so beschlossen.

Bevor ich in der Tagesordnung fortfahre, teile ich Ihnen das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zu Artikel 10, "Rundfunk und Medien", der zum neuen Artikel 11 geworden ist, mit. Mit Ja haben 95, mit Nein 63 Kolleginnen und Kollegen gestimmt. Es gab eine Stimmenthaltung. Damit ist dieser Artikel angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 7)

Wir haben jetzt zwei Minuten vor 24.00 Uhr. Ich weise darauf hin, dass ab 0.00 Uhr eine neue Unterschriftenliste aufliegt, weil ein neuer Tag begonnen hat. Ich bitte Sie alle, sich in diese Unterschriftenliste einzutragen, damit Sie keine Verluste erleiden.

Ich rufe auf: