Protocol of the Session on December 8, 2016

Änderungsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier: Art. 3 - Leitkult (Drs. 17/13416)

und

Änderungsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Josef Zellmeier, Markus Blume u. a. (CSU) hier: Nummer 2 (Drs. 17/13604)

Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt auch hier wieder 24 Minuten. Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist Herr Kollege Unterländer. Bitte sehr.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Artikel 3 umfasst den inhaltlichen Rahmen, die inhaltliche Zugrundelegung der Maßnahmen der Integrationsförderung. Dabei ist dies kein abschließendes Werk, und es ist erkennbar, dass die Integrationspolitik ein ständig fortschreitender Prozess ist.

In acht Absätzen ist ein Maßnahmenbündel dargestellt. Weil das zumindest in der Diskussion im federführenden sozialpolitischen Ausschuss eine Rolle gespielt hat, stelle ich gleich fest: Dies sind in erster Linie programmatisch zugrunde gelegte Sätze, die keine subjektiven, individuellen Rechte begründen.

Herr Kollege Dr. Hopp, in diesem Zusammenhang möchte ich einen meiner Fraktion eher kritisch gegenüberstehenden Jugendverband zitieren, der bei einem Gespräch in diesen Tagen von sich aus festgestellt hat, dass die Integrationsmaßnahmen, die im Freistaat Bayern geleistet werden, vorbildlich sind und der Freistaat Bayern hierbei eine führende Rolle einnimmt.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dies spiegelt sich auch in diesem Artikel 3 wider. Wir müssen auch feststellen, dass die Integrationsmaßnahmen, die in diesem Zusammenhang ergriffen worden sind, nicht nur seit 2015 ihresgleichen suchen. Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bundesländern schauen mit großen Augen nach Bayern. Dafür auch der Bayerischen Staatsregierung ein herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der CSU)

Eine zentrale Forderung ist in diesem Zusammenhang die Bildung als zentraler Schlüssel zur Integration. Bildung, nicht nur in Form des Spracherwerbs, sondern insgesamt, ist sowohl im frühkindlichen als auch im schulischen und im Hochschulbereich ganz zentral. Artikel 3 Absatz 1 ist eine wesentliche Grundlage zur Integrationsförderung.

Absatz 2 umfasst die Unterstützung der Migrantinnen und Migranten in dem abverlangten Bemühen, sich mit den in der heimischen Bevölkerung vorherrschenden Umgangsformen vertraut zu machen. Das ist

auch ein ganz wesentlicher Punkt. Da gibt es noch Nachholbedarf. Es gibt Beispiele, die zeigen, dass die Kultur und das Zusammenleben mit entsprechenden Angeboten weiter gestärkt werden müssen.

In Absatz 3 ist ein Leitsatz formuliert, der eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist. Aber ich möchte ihn wörtlich zitieren, weil er die Grundlage für ein Miteinander in einer auf Integration ausgelegten Gesellschaft ist:

Gelingende Integration bedarf der gegenseitigen Rücksichtnahme und Toleranz sowie des Respekts vor der Einzigartigkeit, der Lebensgeschichte und den Prägungen des jeweils anderen.

Wir müssen schon darauf achten, dass diese Werte als prägende Werte für das Miteinander in unserer Gesellschaft akzeptiert und unterstützt werden.

Darüber hinaus stellen wir fest, dass die Migrationsberatung neben der Asylsozialberatung für die Migrantinnen und Migranten unverzichtbar ist. Nach den Anerkennungsverfahren besteht für die Betroffenen mit Bleibeperspektive auch im Sinne des Artikels 2 dieses Gesetzes die Notwendigkeit, den Schwerpunkt von der Asylsozialberatung stärker in die Migrationsberatung zu verlagern.

Damit man heute auch etwas Versöhnendes sagen kann: Auf Initiative der Kollegin Rauscher haben wir gemeinsam mit ihr – Kollege Huber war noch dabei – in einem kleinen, informellen Fachgespräch mit den Wohlfahrtsverbänden über diese Weiterentwicklung gesprochen, und es findet sich in dem Haushalt, über den wir nächste Woche sprechen werden, schon eine Schwerpunktverlagerung. Ich sage: Voraussetzung für eine gelingende Integration ist diese Verlagerung der Beratungsangebote von der Asylsozialberatung hin zur Migrationsberatung.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Sehr gut!)

Die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements ist etwas, was man nicht vorschreiben kann, was man aber als programmatischen Ansatz mit zu unterstützen hat und was wichtig ist. Im sportlichen Bereich funktioniert dieser Ansatz sehr gut. Ich meine, wir müssen, was die Wertigkeit des Gesetzentwurfs angeht, auch einmal feststellen, dass sich dieser zwar vorrangig an die Migranten richtet, aber natürlich auch an die einheimische Bevölkerung. Bei der ehrenamtlichen Förderung wird sich dieses Miteinander, diese Integration in besonderer Weise zeigen. Deshalb ist es notwendig, die bereits zugrunde gelegten und eingeführten Unterstützungen weiterzuführen. Dies drückt sich in Artikel 3 Absatz 5 sehr gut aus.

Die Rückkehrberatung ist ebenfalls zu benennen. Es ist wichtig, jenen, die keine Bleibeperspektive und eine Rückkehrabsicht haben, Möglichkeiten für eine Weiterentwicklung in ihren Herkunftsregionen zu geben.

Schließlich ist es eine Zielsetzung des Integrationsgesetzes, dass die Behörden den integrativen Ansatz in ihrer täglichen Arbeit in besonderer Weise mit berücksichtigen.

Die CSU-Fraktion hat in einem Änderungsantrag die Forderung eingebracht, die Gleichberechtigung stärker zu unterstützen, weil hier großer Handlungsbedarf besteht; denn die Werte der Gesellschaft, die zu integrieren hat, sind häufig andere als jene, die in den Familien mit Migrationshintergrund praktisch gelebt werden.

Kollege Unterländer, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Aber Sie bekommen noch zwei Minuten; denn es gibt ohnehin eine Zwischenbemerkung.

Ich darf trotzdem abrundend feststellen, dass dieser Änderungsantrag im Sinne der Verwirklichung des Ziels der Gleichberechtigung eine Notwendigkeit ist. Ich bitte deshalb, um meinen Teil erstmal abzuschließen, um Unterstützung zu dem Artikel 3 in der im federführenden Ausschuss so beratenen Form.

(Beifall bei der CSU)

Jetzt bekommen Sie zwei Minuten mehr. Aber erst darf der Kollege Arnold etwas dazu sagen. Bitte schön.

Herr Kollege Unterländer, ich hebe auf den Artikel 3 Absatz 7 ab. Dort steht drin: "Migrationsbedingte Erwägungen können im Rahmen von Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden, …". – Das ist der Satz 1. Ich verstehe das nicht und habe es auch sonst nicht erschlossen. Vielleicht sagt die Staatsregierung mal, was migrationsbedingte Erwägungen sind. Das ist ja offensichtlich ein Verwaltungsvorgang. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, dass das dann auch berücksichtigt werden müsste. Aber genau das steht nicht drin. Da steht drin: "können im Rahmen … berücksichtigt werden, …". – Das heißt, sie müssen nicht berücksichtigt werden. Wenn Sie es wirklich so wollten, wäre der richtige Wortlaut: "Migrationsbedingte Erwägungen müssen im Rahmen von Ermessensentscheidungen berücksichtigt werden." – Warum wollen Sie das nicht? Ist es Ihnen zu klar und deutlich? Oder ist es in diesem Zusammenhang nicht das, was Sie von entsprechenden Ermessensentscheidungen erwarten?

Ich spreche hier auch als Rechtsanwender zu Ihnen; denn wenn zum Beispiel ein Gericht eine Ermessensentscheidung kontrolliert, dann muss es verschiedene Rechtsgüter in die Rechtsfolge einstellen. Wenn dann "migrationsbedingt" drinsteht, was das auch immer ist, muss es nicht berücksichtigt werden und kann es nicht berücksichtigt werden. Also ist Satz 1 in der Rechtsanwendung, wenn man ihn so sieht, wie er geschrieben steht, praktisch vollkommen überflüssig und im Sinne der Paragrafenbremse sowieso abzuschaffen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Bestimmung soll die Möglichkeit eröffnen, die subjektive Situation in den Einzelfallentscheidungen mit zu berücksichtigen. Ich glaube, es ist bei diesen Fragestellungen generell notwendig, dass die Förderungen und die einzelnen in diesem Artikel 3 definierten Maßnahmen auf den Einzelfall, auf die subjektivierbare Situation des Einzelnen mit abgestellt werden. So ist diese Bestimmung meines Erachtens zu verstehen. So ist auch im federführenden Ausschuss beraten worden.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Kollege Unterländer. – Für BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN darf ich jetzt Kollegen Hartmann ans Mikrofon bitten. – Entschuldigung, Herr Hartmann, kleinen Moment bitte. Ich muss noch darauf hinweisen, dass die SPD-Fraktion namentliche Abstimmung zum Artikel 3 beantragt hat. – Entschuldigung. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Wo ist der Schal?)

Ich habe der Rede von Herrn Kreuzer – vielleicht kann er ganz kurz zuhören – zugehört. Es ist mir nicht leichtgefallen. Es war manchmal nicht leicht.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sie müssen zu Artikel 3 sprechen, Herr Kollege!)

Ich komme gleich zum Artikel. – Ich habe auch den Kollegen der CSU-Fraktion zugehört, auch dem Herrn Zellmeier. Bei allen Ihren Redebeiträgen haben Sie sich ganz groß vorne hingestellt – da komme ich zum Artikel 3 – und gesagt: Fördern und Fordern. Dagegen wäre gar nichts zu sagen, wenn es auf der gleichen Ebene stünde. Aber wir haben gerade vom Kollegen Arnold ganz genau gehört, dass dem nicht so ist. Sie führen eine ganze Reihe auf, aber ohne ir

gendwelche Verbindlichkeiten. Das ist das Problem daran. Wenn wir etwas fordern, dann schreiben Sie doch rein, dass einem die Förderung zusteht, dass man einen Anspruch darauf hat, an Integration teilnehmen kann und damit Teil der Gesellschaft werden kann. Das haben Sie alles nicht mit drin. Das ist das Problem, das sich durch das gesamte Gesetz, durch Ihr Spaltungsgesetz, wie ein roter Faden zieht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist unstrittig – ich glaube, da sind wir uns trotz der hitzigen Debatte vorher alle einig –, dass Integration eine langfristige Aufgabe ist und nicht von heute auf morgen zu meistern ist. Aber auch dabei zeigt sich immer wieder, wie wichtig es ist, eine Verbindlichkeit zu haben. Eine Verbindlichkeit herzustellen, das heißt für mich ganz zentral, die Verlässlichkeit beim Thema Integrationsarbeit herzustellen, eine politische, eine rechtliche und auch eine finanzielle Verbindlichkeit herzustellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir brauchen das für die Menschen mit Migrationshintergrund, aber genauso für diejenigen Menschen, die sich darum bemühen und daran arbeiten, dass Integration gelingt. Wir brauchen das für beide Seiten. Auch das finden wir so nicht in Artikel 3. Das fehlt mir komplett.

Ein weiterer Bereich – ich kann es kurz machen, weil ich mich bei diesem Artikel auf das Inhaltliche beschränken möchte – zieht sich wie ein roter Faden durch. Herr Unterländer, ich nehme Ihnen wirklich ab, dass Sie von vielen Sachen überzeugt sind und davon, dass man etwas auch besser machen kann. Sie sind ein guter Sozialpolitiker. Das ist überhaupt keine Frage. Sie haben vollkommen recht, wenn Sie sagen, dass Bildung der Schlüssel zur Integration ist. Das war Ihre Wortwahl hier. Bildung ist der Schlüssel zur Integration. Dann sorgen wir doch als Allererstes dafür, dass jeder einen Zugang dazu hat,

(Joachim Unterländer (CSU): Das tun wir ja!)

unabhängig vom ausländerrechtlichen Status zum jeweiligen Zeitpunkt. Dann machen wir das doch!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Machen wir das nicht erst nach drei Monaten und nicht in irgendwelchen Einrichtungen außerhalb des Schulbetriebes. Dann machen wir das doch, und zwar auch während des Verfahrens in der Schule, damit das funktionieren kann. Das fehlt mir in diesem Gesetz. Das macht dieses Gesetz zu einem Spaltungsgesetz. Man muss es so deutlich sagen: Wer aus

grenzt, der spaltet. Wer spaltet, der schwächt unser Land. Zusammenhalt macht uns stark.

(Gudrun Brendel-Fischer (CSU): Das ist schwach!)

Gemeinsam gewinnen wir.