Protocol of the Session on December 8, 2016

Als mehr als ungut empfinden wir, dass Sie hier Gruppen aufzählen wie beispielsweise Menschen, die schon lange hier leben, möglicherweise schon seit 1960, oder die hier geboren sind, die aber beispielsweise einen Eltern- oder Großelternteil haben, der nach 1955 zugewandert ist.

Welchen Sinn hat das in einem Integrationsgesetz, Menschen danach zu sortieren, ob ein Großelternteil nach 1955 zugewandert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wäre es nicht sinnvoller, schlicht und einfach Sprachkurse nach Sprachförderbedarf zu gewähren und nicht danach, wann der Großvater hierhergekommen ist? Das wäre sicherlich sinnvoller und besser.

Vielleicht wäre es auch gut, insgesamt darüber nachzudenken, wie man Erwachsene besser fördern kann, die nicht in gleichem Maße an unserer Gesellschaft teilhaben können, zum Beispiel, weil sie Analphabeten sind; davon gibt es ja relativ viele bei uns. Wieso klammern Sie sich im Integrationsgesetz an den speziellen aufenthaltsrechtlichen Status und orientieren sich nicht am Integrationsbedarf?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Besonders komisch an Ihren Begriffsbestimmungen ist, dass Sie eine Gruppe, die klar erkennbar einen Integrationsbedarf hat, vergessen haben. Sie haben Menschen, die geduldet sind, komplett vergessen. Menschen, die geduldet sind, sind nicht Gegenstand Ihres Bayerischen Integrationsgesetzes. Eine solche Logik muss man erst einmal verstehen. Menschen, die geduldet sind, bleiben häufig bei uns, zumindest für eine gewisse Zeit, wenn nicht sogar für längere Zeit, je nach der persönlichen Situation. Wie kann es sein, dass solche Menschen von fairen Angeboten wie Sprachkursen ausgeschlossen werden? Das hat keinen Sinn.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bitte Sie: Überarbeiten Sie das Ganze noch einmal, und bringen Sie eine sinnvolle Definition, wer Ihrer Meinung nach förderbedürftig ist und wer Ihrer Meinung nach unter die einzelnen Artikel des Integrationsgesetzes fallen soll. Wir haben uns in allen Ausschüssen ziemlich schwer damit getan, zu begreifen, was Sie wollen. Letzten Endes haben wir erkannt, dass es so, wie Sie es anpacken, unsinnig ist.

Dieses Gesetz braucht einen anderen Artikel 2. Im Grunde brauchen wir ein anderes Integrationsgesetz. Bitte stimmen Sie diesem Artikel nicht zu. Stimmen Sie gegen eine solche Unterscheidung der unterschiedlichen Gruppen unserer Bevölkerung. Stimmen Sie unserem Integrationsgesetz zu. Gemeinsam werden wir gewinnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke, Frau Kollegin. – Für die FREIEN WÄHLER erteile ich Herrn Kollegen Pohl das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das mit 1955 ist relativ leicht aufgeklärt, Kollegin Kamm. Die Staatsregierung verwendet in ihrem Gesetzentwurf einen etwas anderen Begriff des Migranten, als er allgemein gültig ist. Unter "Migrant" fällt normalerweise nicht nur der Ausländer, sondern auch der Deutsche, der im Ausland geboren ist und erst nach 1955 zugewandert ist, respektive seine Eltern.

Begriffsdefinitionen sind das eine. Aber in Artikel 2 fehlt natürlich eine ganz zentrale Begriffsbestimmung, nämlich die der Leitkultur, die dieses Gesetz prägt. In der Präambel wird zwar beschrieben, was die Staatsregierung damit meint, aber eine echte Definition findet sich nicht. Es ist auch klar, warum diese Definition dort nicht steht.

Herr Kollege Goppel hat vorhin zu Recht darauf hingewiesen, welche großartige Leistung Bayern bei der Integration von Menschen in den vergangenen Jahrzehnten vollbracht hat. Dabei musste er nicht nur die Norddeutschen nennen, sondern auch Menschen, die aus fremden Ländern zugewandert sind.

Diese hervorragende Integrationsaufgabe ist ohne ein Integrationsgesetz gelungen. Das sollte uns zu denken geben. Ich würde jetzt auch angesichts der Bedeutung, die dieser Debatte zugemessen wird, die Prognose wagen: Egal, welcher Gesetzentwurf in Kraft tritt, ob der der Staatsregierung, der der GRÜNEN oder der der FREIEN WÄHLER, das wird Bayern nicht fundamental verändern, um es einmal ganz vorsichtig zu sagen.

Warum fehlt die Begriffsbestimmung der Leitkultur? – Ich kann es Ihnen sagen. Stellen Sie sich einmal vor, eine Gruppe von Migranten, frisch nach Deutschland gekommen, kommt in den Bayerischen Landtag und lässt sich zunächst einmal eine Viertelstunde lang vom Kollegen Kreuzer die Leitkultur erklären, dann geht sie zum Kollegen Rinderspacher, dann geht sie zu Hubert Aiwanger und am Schluss zu Herrn Hart

mann. Diese Gruppe wird hinausgehen und sich fragen: Ja, was jetzt? Wir haben doch noch nicht einmal hier in diesem Hause einen Konsens,

(Unruhe)

was Leitkultur ist, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Beifall bei den GRÜNEN)

so wünschenswert dies wäre. Das sage ich auch aus voller Überzeugung. Ich glaube, die Diskussion darüber, was eine Leitkultur ist oder wie immer wir es auch nennen, müssen wir schon selber führen. Wenn ich mir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vor zwei Wochen zum Karfreitag ansehe, das der Bund für Geistesfreiheit erzwungen hat, muss ich Ihnen ganz offen sagen: Das stimmt mit dem, was ich unter einer Leitkultur verstehe, einem Grundkonsens oder wie auch immer Sie das nennen wollen, nicht überein. Das stimmt nicht mit dem überein, was ich mir in Deutschland und in Bayern wünsche.

Deswegen ist meine Meinung: Wir müssten wesentlich intensiver und durchaus auch streitig darüber debattieren.

Was macht denn eine Leitkultur oder was auch immer aus? Stellen Sie sich einmal vor, Herr Kollege Kreuzer, die Leitkultur wird Gesetz und wir hätten lauter Lehrerinnen und Lehrer, die wie Frau Bause denken, aber die Leitkultur verkünden, die die CSU ins Gesetz hineingeschrieben hat. Glauben Sie, dass Sie damit glücklich werden? – Ich bin hier sehr skeptisch.

(Thomas Kreuzer (CSU): Wir wären insgesamt nicht glücklich, wenn wir lauter solche Lehrer hätten!)

Deswegen sage ich: In Artikel 2 dieses Gesetzes gehörte eine Leitkultur definiert, wenn Sie den Begriff haben wollen, die dem Konsens der gesellschaftlichen Gruppen, aber vielleicht auch zumindest dem Minimalkonsens in diesem Haus entspricht. Leider fehlt dies in Artikel 2. Deswegen ist Artikel 2 unzureichend geregelt.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Kollege Pohl. – Jetzt Kollege Arnold für die SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Bayerische Staatsregierung will also integrieren. In Artikel 2 bestimmt sie, wer denn integriert werden soll. Es geht auch darum, dass das auch die Adressaten begreifen. Zum einen geht es um die Mi

grantinnen und Migranten oder was auch immer darunter zu verstehen ist, aber hauptsächlich um diejenigen, die im öffentlichen Dienst die Verwaltung darstellen, die diese Angebote geben müssen, die darauf reagieren müssen. Artikel 2 beschreibt mit Zerfaserung, Relativierung und Einschränkung eine Vorbehaltskultur, die in dem Zusammenhang beim ersten Lesen nicht nachvollziehbar ist und beim dritten Lesen auch nicht.

Bei der Diskussion im Sozialausschuss hat der Vertreter des Staatsministeriums, Dr. Gruber, gemeint, im Gesetz fänden sich keine abschließenden Regelungen des Adressatenkreises in dem Sinne, dass für einen einmal festgelegten Adressatenkreis jede Vorschrift gilt. In der Tat wird man sich einzelne Vorschriften ansehen und jeweils bestimmen müssen, für wen diese gelten. Meine Damen und Herren! Für wen gilt denn das? Wollen Sie integrieren oder wollen Sie subsumieren, einen Wettbewerb ausloben, wer welche Lösung für welchen Fall anstrebt?

In der Diskussion ist insbesondere die Feststellung zu Tage getreten, dass die Geduldeten gar nicht vom Förderzweck Ihrer Integration erfasst werden. In der Enquete-Kommission ist die Frau Präsidentin, Frau Stamm, als Vertreterin der CSU dabei. Sie hat in diesem Zusammenhang ganz andere Äußerungen dahin gehend getätigt, dass diese Integrationsleistungen auch denjenigen zuteilwerden sollen, die frisch ankommen: Von Anfang an integrieren und nicht erst warten, bis sie geduldet sind. Sie sind also selber offenbar noch nicht so ganz geschlossen, als dass Sie diese Begriffsbestimmung zum Maßstab eines Gesetzes nehmen könnten.

Wenn schon bei der Begriffsbestimmung – das sage ich jetzt salopp; das mag man mir nachsehen – geschlampt oder geschludert wird, die eine oder andere Möglichkeit von der Verwaltung erst geprüft werden muss, braucht man sich doch nicht zu wundern, wenn die Praxis das Gesetz nicht oder nur schwer anwendet und sich im günstigsten Fall mit Kopfschütteln über die Qualität der Gesetzgebungskunst des Gesetzgebers äußert. Dies ist in diesem Zusammenhang doch schon ein richtiger Kaltstart, wenn die Leute gar nicht wissen – wenn das Gesetz in Kraft treten soll –, wer wo wann wie gefördert wird, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, ob jemand 1955 oder 1954 geboren ist. Meine Damen und Herren! So kann man doch nicht integrieren. So kann man zerfasern und Kleinkunst machen. Diese Kleinkunst ist hier aber nicht angebracht.

(Beifall bei der SPD)

Welche Chancen geben Sie denn der Praxis mit dieser Definition? Die Bürokratie ist überfordert mit diesen entsprechenden Absätzen. Bei diesen Absätzen zu prüfen, wird schwierig. Sie belasten die Gemeinden, die Sicherheitsbehörden, die Ausländerbehörden, die Justizvollzugsanstalten und die Sicherungsverwahrungsanstalten. Auch im Untersuchungshaftbereich wird mit dieser Bestimmung etwas geändert. Sie können doch nicht ernsthaft verlangen, dass es der zukünftige Maßstab der Integration wird, an dieser Begriffsbestimmung herumzudoktern. Sie treiben nicht die Wähler in die Verzweiflung, sondern Ihre eigene, unsere eigene Staatsverwaltung und auch die Kommunalverwaltung, weil dieses Gesetz von der Definition her nicht anwendbar bzw. sehr schwer anwendbar ist, relativiert werden wird und damit zumindest am Anfang immer mit Unsicherheit angewendet werden wird.

Ich habe Ihnen deswegen den Vorschlag meiner Fraktion, eine andere Definition von Migrantinnen und Migranten zu unterbreiten, nämlich unseren Änderungsantrag zu Artikel 2. Darin geht es um einen weiten Migrantenbegriff. Neben Ausländern, die sich dauerhaft in Bayern aufhalten, fallen hierunter zusätzlich auch Deutsche mit Migrationshintergrund bis hin zu den Kindern von Deutschen mit zumindest einem zugewanderten Elternteil. Warum ist das so? – Das kann ich Ihnen sagen. Die tägliche Praxis, teilweise auch vor Gericht – das wird Kollege Reichhart bestätigen können –, ist, dass wir gerade mit der zweiten, mit der dritten Generation Schwierigkeiten haben – ob das Deutschrussen sind, ob das Leute aus der Türkei oder sonst wo her sind –, weil sich diese genau im Windschatten der Akzeptanz bewegen. Wenn diese aufgrund des Integrationsgesetzes gefördert werden, wenn von diesem Gesetz die Defizite, die wir alle kennen, schon in der Begriffsbestimmung aufgegriffen und beseitigt werden, wäre dies für alle, aber auch für die Verwaltung zielführend, weil es dann einfach ist, und diejenigen, die es angeht, nämlich die Bürgerinnen und Bürger, wissen dann auch, wer gemeint ist, nämlich genau diejenigen, die mit Migrationshintergrund versuchen, in diesem Staat Fuß zu fassen. Dies wollen wir ja auch.

Deswegen die dringende Anregung, unserem Änderungsantrag zuzustimmen und Ihrer Kultur der Relativierung, der Einschränkung und des Vorbehalts eine Absage zu erteilen und klare und deutliche Worte zu sprechen. Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege Arnold.

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung.

Vorweg ist über die Nummer 3 des Änderungsantrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/13211 abzustimmen. Mit der Nummer 3 des SPD-Antrags soll Artikel 2 neugefasst werden. Inhaltlich verweise ich auf die Drucksache. Der federführende Ausschuss empfiehlt die Ablehnung. Wer entgegen dem Ausschussvotum der Nummer 3 des SPD-Änderungsantrags zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, FREIE WÄHLER und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen! – CSU-Fraktion. Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist die Nummer 3 des Änderungsantrags abgelehnt.

Zu Artikel 2 empfiehlt der federführende Ausschuss Zustimmung. Wer Artikel 2 zustimmen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das ist die CSUFraktion. Die Gegenstimmen, bitte! – Das sind die SPD, die FREIEN WÄHLER und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Gibt es keine. Damit ist Artikel 2 so beschlossen.

Ich gebe jetzt das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zur Präambel – Drucksache 17/11362 – bekannt: Mit Ja haben 93 gestimmt, mit Nein 53 bei 15 Stimmenthaltungen. Damit ist die Präambel angenommen.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3 – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, bitte etwas mehr Konzentration!

Ich rufe nun auf:

Artikel 3 "Allgemeine Integrationsförderung"

hierzu:

Änderungsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Doris Rauscher, Hans-Ulrich Pfaffmann u. a. und Fraktion (SPD) hier: Nummer 4 (Drs. 17/13211)

und

Änderungsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Christine Kamm u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hier: Art. 3 - Leitkult (Drs. 17/13416)