Die Volksbefragung war als unverbindlich angelegt und hätte nur von der Regierung und der Mehrheit des Landtags initiiert werden können. Sie lag unterhalb der Wahrnehmungsschwelle, weil sie in der Verfassung nicht verankert war. So etwas nenne ich "Anscheinsdemokratie"; denn es gibt den Anschein einer direkten Demokratie, aber keine echte Demokratie. Im Grunde genommen herrschte beinahe das Prinzip: noch mehr Macht dem Ministerpräsidenten und weniger Macht der Bevölkerung. Das ist nicht der Ansatz der FREIEN WÄHLER.
Wir wollen die Demokratie auf ihre Wurzeln zurückführen. Das bedeutet mehr direkte Demokratie. Wir waren deshalb dankbar und fanden es gut, dass das Urteil des Verfassungsgerichtshofs – der Verfassungsgerichtshof wurde von SPD und GRÜNEN angerufen – diesen Erfolg gezeigt hat. Wir müssen den Bürger ernst nehmen. Deshalb sind wir für eine Volksbefragung bzw. -abstimmung. Deswegen waren wir die Ersten, die hierzu einen Entwurf vorgelegt haben.
Aber dies kann nur unter den drei folgenden Bedingungen funktionieren: Erstens. Wenn man das Volk befragt, muss das Ergebnis verbindlich sein. Etwas anderes ist der Bevölkerung nicht vermittelbar.
Zweitens muss die Bevölkerung ähnlich wie beim Volksbegehren und beim Volksentscheid selbst ein Initiativrecht haben. Eine Volksbefragung ohne Initiativrecht der Bevölkerung ist ein Witz.
Drittens muss ein solches Instrument in der Verfassung verankert werden. Daher ist heute unser Aufruf
an die Staatsregierung und an die Kollegen der CSUFraktion: Denken Sie über dieses Mittel nochmals nach! Gestalten Sie es anders! Geben Sie es aber nicht auf! Das Schlimmste, was jetzt passieren könnte, ist, dass es in der Schublade verschwindet, dass Sie bis zum Ende der Legislaturperiode gar nichts machen und die im Grundsatz gute Idee verschwinden lassen. Wir werden uns diesem Thema stellen. Wir werden wieder entsprechende Gesetzesanträge stellen und sagen Ihnen schon jetzt: Werdet selber aktiv! Macht es besser! Eine Ohrfeige, eine Watsch‘n muss genügen. Diesmal war es das Gericht, das nächste Mal, spätestens 2018, wird es die Bevölkerung sein.
Vielen Dank. – Nächste Wortmeldung für die CSU-Fraktion: Herr Kollege Zellmeier. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Der Respekt vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof gebietet uns eine genaue Prüfung des Urteils in allen seinen Details; denn schließlich handelt es sich bei der Einführung der Volksbefragung um Neuland. Diese Volksbefragung war von Anfang an juristisch umstritten. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat uns klar gesagt, unter welchen Bedingungen – Änderung der Verfassung, Beachtung gewisser Grundsätze – man Volksbefragungen einführen kann. Wir werden das genau prüfen und uns darüber Gedanken machen, wie wir in diesem Zusammenhang die Volksbefragungen weiter vorantreiben können. Staatsminister Herrmann hat übrigens für die Staatsregierung etwas Ähnliches angekündigt. Auch Ministerpräsident Seehofer hat als weiteres Ziel ausgegeben – und das ist richtig –, die Bürgerbeteiligung im Land zu stärken und die Koalition mit dem Bürger fortzuführen.
Herr Piazolo, der Antrag der FREIEN WÄHLER geht allerdings wieder von etwas aus, was wir noch nicht genau erforscht haben. Sie fordern verbindliche Volksbefragungen und das Recht der Bürger, diese zu initiieren. Wir haben es als niederschwelligen Einstieg gesehen, kein großes Verfahren zu betreiben, sondern den Bürger bei strittigen Themen zu fragen und damit eine Befriedung herbeizuführen. Ich habe das Beispiel "Stuttgart 21" schon des Öfteren zitiert. In Baden-Württemberg haben die im Landtag vertretenen Parteien zur Klärung dieser langjährigen Streitfrage eine Art Volksbefragung durchgeführt. Dagegen hat niemand geklagt;
denn auch dort stellte sich zuerst die Frage, ob es im Rahmen der Verfassung zulässig ist. Da niemand geklagt hat, ist es nicht überprüft worden. Insofern ist dieses Thema damit natürlich abgearbeitet worden, und zwar erfolgreich. Damit sind der langjährige Parteienstreit und die großen Proteste zu Ende gegangen. Das heißt, Volksbefragungen, die man niederschwellig ansetzt und nicht mit großem Vorlauf betreiben muss, wären für uns eine gute Lösung. Allerdings ist uns auch klar, dass das, was Sie wollen, und das, was wir fordern, nicht das Gleiche ist. Deshalb stellt sich natürlich die Frage nach einer Zweidrittelmehrheit und gemeinsamen Lösungen in diesem Haus. Ich bezweifle dies. Herr Kollege Rinderspacher hat in einer ersten Stellungnahme gesagt, er glaube, dass damit das Thema vom Tisch sei. Ich befürchte es auch, weil ich in diesem Haus dafür weder eine Zweidrittelmehrheit noch eine konsensfähige Lösung sehe.
Wir hätten natürlich auch noch die Möglichkeit, ein verfassungsänderndes Volksbegehren zu betreiben. Inwieweit ein solches Begehren erfolgversprechend ist, müssen wir politisch noch bewerten. Es ist Aufgabe einer politischen Partei, zu fragen: Werden wir die nötigen Stimmen und Unterschriften zusammenbekommen? – Das werden wir prüfen. Wir müssen schauen, ob wir damit zu einer Lösung kommen.
Herr Kollege Piazolo, ich weise den Begriff "Anscheinsdemokratie" zurück. Sie wissen, dass Bayern bei der direkten Demokratie Vorbild ist. Im Rahmen eines Mitgliederentscheids haben wir in der Partei mit Zweidrittelmehrheit beschlossen, die Volksentscheide auf Bundesebene voranzutreiben. Für uns ist die Bürgerbeteiligung nicht irgendein vages Vorhaben, um Stimmen in der Bevölkerung zu sammeln. Nein, der direkte Kontakt zu den Bürgern und die Einflussnahme der Bürger auf die Politik im Land und im Bund sind uns ein großes Anliegen. In den Kommunen haben wir das bereits.
Viele Fragen müssen noch geklärt werden. Heute werden wir zu keinem Ergebnis kommen. Wir werden Ihren Antrag, wie Sie ihn gestellt haben, ablehnen.
(Vom Redner nicht autori- siert) Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Piazolo, die Beispiele, die Sie im Hinblick auf das Auseinanderdriften der Lebenswelten in Bayern genannt haben, stimmen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass wir dieses
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 21. November hat mich überrascht, und zwar positiv. Das Gericht hat mit wenigen prägnanten Sätzen den von der CSU-Mehrheit auf Antrag der Staatsregierung beschlossenen neuen Artikel 88a des Landeswahlgesetzes für nichtig erklärt, wonach über Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung eine Volksbefragung durchgeführt wird, wenn dies der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung übereinstimmend beschließen. Nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs ist dies jedoch nicht mit Artikel 7 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung vereinbar. Deshalb ist der Antrag der FREIEN WÄHLER, aus dieser Entscheidung Schlüsse für den Erhalt des Elements der Volksbefragung zu ziehen, nicht sinnvoll. Diese Konstruktion der Staatsregierung ist nichtig; sie gibt es nicht mehr. Die Formulierung Ihres Dringlichkeitsantrags ist diesbezüglich etwas eigenartig.
Ich verhehle nicht, dass mir der Tenor der Entscheidung deutlich besser gefallen hat als die Begründung. Wie Sie alle wissen, hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Begründung ausgeführt, dass es sich auch bei einer nur konsultativen Volksbefragung um einen Akt der Staatswillensbildung handle. Das hat er ganz hoch angesiedelt. Ich erinnere daran, dass damals im Gesetzentwurf der Staatsregierung darauf hingewiesen worden ist, dass die konsultative Volksbefragung gerade kein Akt der Staatswillensbildung sei, deshalb bedürfe es auch keiner Verfassungsänderung. Ich gebe zu, dass der Gesetzentwurf der SPD auch auf eine Änderung der Verfassung verzichten wollte. Der Gesetzentwurf war zwar anders konstruiert, jedoch folgte er derselben Argumentation.
Auch ich bedaure die deutlichen Ausführungen des Verfassungsgerichtshofs, dass die Beteiligungsformen
des Volkes an der Staatswillensbildung in Artikel 7 Absatz 2 der Verfassung dem Grundsatz nach abschließend formuliert seien. Nach Ansicht des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs scheint es neben den in Artikel 7 Absatz 2 genannten plebiszitären Elementen nicht viel Spielraum zur Einführung neuer Instrumente zu geben.
Meine Damen und Herren, mich hat es überrascht, dass die konsultative Volksbefragung als Akt der Staatswillensbildung und nicht als Stufe vor der Staatswillensbildung bezeichnet worden ist. Außerdem stellen sich weitere verfassungsrechtlich problematische Fragen. Fraglich ist, ob durch die Konstruktion der Volksbefragung, wie sie die Staatsregierung vorgelegt hat, wonach eine Volksbefragung nur durch einen übereinstimmenden Beschluss des Landtags und der Staatsregierung durchgeführt werden kann – die Staatsregierung ist immer mit im Boot –, das Machtgefüge zwischen Landtag und Staatsregierung verschoben, die Stellung der Staatsregierung weiter gestärkt wird und die Möglichkeiten der Opposition beschnitten werden. Es ist bedauerlich, dass der Verfassungsgerichtshof auf diese Fragen nicht mehr deutlich eingegangen ist.
Bekanntermaßen haben wir Sozialdemokraten einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht, der leider nicht Gesetz geworden ist. Deshalb ist er nicht vom Verfassungsgerichtshof beurteilt worden. Aus diesem Grund wissen wir nicht, wie die Prüfung unseres Gesetzentwurfs vor dem Verfassungsgerichtshof ausgegangen wäre.
Meine Damen und Herren, immerhin ist es gut, dass der Verfassungsgerichtshof ausgeführt hat, dass Artikel 75 Absatz 1 Satz 2 der Verfassung einer Verankerung konsultativer Volksbefragungen in der Bayerischen Verfassung grundsätzlich nicht entgegenstehen würde. Die verfassungsrechtlich abgesicherte Einführung von Volksbefragungen widerspreche – das sagt der Verfassungsgerichtshof – nicht der Ewigkeitsklausel in Artikel 75 Absatz 1 Satz 2, wonach Anträge auf Verfassungsänderungen, die dem demokratischen Grundgedanken der Verfassung widersprechen, unzulässig sind. Zwar würde die Beteiligung des Volkes an der Staatswillensbildung durch Volksbefragungen erweitert, aber die Funktionsfähigkeit der repräsentativen Demokratie würde nicht maßgeblich beeinträchtigt. Das ist ein wichtiger Satz. Jetzt ist es offen, wie man das weiterhin handhabt.
Wir Sozialdemokraten stehen immer bereit, wenn es darum geht, die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auszubauen und zu verbessern. Wir sprechen uns dafür aus, die vorhandenen plebiszitären Elemente um ein neues Element der Volksbe
fragung zu ergänzen. Wir sind auch bereit, an einer entsprechenden Änderung der Verfassung mitzuwirken.
Das Ansinnen im Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER, die Staatsregierung jetzt aufzufordern, die entsprechenden Voraussetzungen für eine Verankerung des Elements der Volksbefragung in der Verfassung zeitnah zu schaffen, können wir aber nicht unterstützen. Die Staatsregierung kann die entsprechenden Voraussetzungen nämlich gar nicht schaffen, weil die Verfassung nur mit einer Zweidrittelmehrheit und noch dazu nur mit Zustimmung des Volkes geändert werden kann. Der Appell an die Staatsregierung in Ihrem Dringlichkeitsantrag ist meiner Meinung nach völlig falsch.
Auch sind wir offen dafür, Volksbefragungen auf Initiative des Volkes zuzulassen. Wir wissen aber, dass es hierzu einmal eine Initiative gegeben hat, zu der eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vorliegt. Die Initiative wurde damals, im Jahr 2000, abgelehnt. Ich weiß nicht, wie er reagieren würde, wenn es ihm morgen erneut vorgetragen würde.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund möchte ich Folgendes zum Ausdruck bringen: Herr Kollege Piazolo, Ihrem Grundanliegen im Dringlichkeitsantrag stimmen wir zu. Ich bitte Sie jedoch um Verständnis, dass wir der Formulierung nicht zustimmen können, weil sie sehr flapsig, der Sache unangemessen und falsch ist. Deshalb werden wir uns bei dem Dringlichkeitsantrag der Stimme enthalten, ohne Ihnen in der Sache widersprechen zu wollen.
Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau Kollegin Schulze das Wort. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich immer noch; denn letzte Woche hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof unsere Kritik an der unverbindlichen Volksbefragung bestätigt.
Schon im Jahr 2014 haben wir GRÜNE gesagt, dass die Volksbefragung im Sinne der CSU verfassungswidrig ist. Das Gericht hat die gleichen Argumente vorgebracht. Somit stellen wir fest: Die CSU hat damals ein verfassungswidriges Gesetz beschlossen. Das oberste Gericht hat klargemacht, dass diese Form der Volksbefragung ein reines Machtinstrument wäre, um die CSU-Regierung zu stärken. Der CSU
geht es somit nur um den Anschein der Mitwirkung, und zwar nur da, wo es ihr passt. Außer der CSU braucht wirklich kein Mensch ein solches Beteiligungsplacebo.
Die SPD spielt bei diesem Thema ebenfalls eine seltsame Rolle. Sie hat von Anfang an gesagt, dass sie sich eine unverbindliche Volksbefragung vorstellen könne. Sie hat sogar einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht. Die SPD wollte ebenfalls nur das Landeswahlgesetz ändern und das Element nicht in der Verfassung verankern. Trotzdem hat sie anschließend vor dem Verfassungsgerichtshof geklagt, weil sie die Rechte der Opposition als nicht ausreichend gewahrt angesehen hat. – Na ja, wie heißt es so schön: Ein reuiger Sünder ist besser als 99 Gerechte.
(Markus Rinderspacher (SPD): Aber die haben uns recht gegeben! Wir waren in einem Boot, Frau Schulze!)
Bei dem Thema Oppositionsrechte. Sie hätten das aber auch außerhalb der Verfassung geregelt. Wir GRÜNE haben von Anfang an gesagt, dass das nicht der richtige Weg sein kann. Diese Auffassung hat der Verfassungsgerichtshof eindeutig bestätigt. So war es, ich sage das nur, damit sich hinterher nicht irgendwelche Legenden oder Mythen entwickeln.