Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gemeinsame Auftritt des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán mit Herrn Seehofer ausgerechnet im Senatssaal des Bayerischen Landtags ist für die SPD-Fraktion Anlass, die Europapolitik der Staatsregierung und der sie tragenden Fraktion infrage zu stellen. Dieser Auftritt von Herrn Orbán hat mehrere Komponenten: Unser Selbstverständnis als Parlamentarier des Hohen Hauses ist betroffen. Es gibt selbstverständlich die europapolitische Komponente, die es zu bewerten gilt. Es gibt auch eine innenpolitische – bayerische – Sicht auf diese enge Freundschaft mit dem ungarischen Autokraten und Europa-Zerstörer.
Vorab, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir, die SPDFraktion, sind verwundert und irritiert, dass ausgerechnet dem ungarischen Autokraten und Europa-Zerstörer im bayerischen Herzen von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten, im bayerischen Parlament, am kommenden Montag ein Forum geboten werden soll.
Wir, die SPD Landtagsfraktion, hatten uns beschwert. Die Antwort der Landtagspräsidentin stellt uns alles andere als zufrieden. Darin heißt es, der Bayerische Landtag sei ein offenes Haus. Natürlich stehe es auch Generalkonsulaten offen, Veranstalter im Bayerischen Landtag zu sein.
Nun könnte man Kurt Tucholsky zitieren oder Edmund Stoiber oder Franz Josef Strauß, die der Auffassung waren – –
Er wurde auch von zwei CSU-Politikern zitiert. – Wenn von "offenem Landtag" die Rede ist, dann muss man schon die Frage stellen, ob in diesem Zusammenhang nicht das zutrifft, was Tucholsky einst gesagt haben soll: "Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein."
Sollen nach dem Prinzip der unkritischen Offenheit künftig womöglich auch Staatschefs aus Weißrussland, Usbekistan und Simbabwe im Landtag auftreten
Sollen nach dem Prinzip der unkritischen Offenheit künftig auch rechtsnationale, rechtsextreme Gruppierungen aus Bayern und ganz Deutschland, etwa die AfD oder ein ihr nahestehender Verein, den Landtag für ihre Zwecke missbrauchen dürfen?
Ich habe den Eindruck, hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Aus dem Büro der Landtagspräsidentin erhalten die Oppositionsfraktionen nämlich Anrufe, wenn eine gemeinsame Pressekonferenz mit Vertretern der Linkspartei zum Bayerischen Integrationsgesetz geplant ist. Dann heißt es, deren Vertreter seien hier nicht erwünscht; schließlich sei diese Partei außerparlamentarisch. Vor solche Versuche müsse man ein Stoppschild setzen; das gehe gar nicht. Aber bei Europas im Moment schlimmstem Autokraten sagt man: Herzlich willkommen! Der Bayerische Ministerpräsident und Herr Orbán wollen gemeinsam eine Veranstaltung durchführen. – Was ist das für ein Maßstab, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU? Ist das Ihr Selbstverständnis?
Wir sagen, der Bayerische Landtag ist für die demokratische Öffentlichkeit natürlich offen. So soll das sein. Aber er ist keine politische Event-Agentur und keine Agentur politischer Beliebigkeit. Wenn es heißt, man dürfe im Landtag sogar heiraten, Hochzeitsaktivitäten veranstalten, dann weiß ich nicht, ob ich Herrn Orbán und Herrn Seehofer bedauern oder ihnen gratulieren soll. Das, was hier stattfinden soll, ist für uns jedenfalls keine Traumhochzeit.
Die SPD-Fraktion legt Wert auf die Feststellung, dass unser Parlament nicht der Schauplatz einer überaus fragwürdigen nationalkonservativ-autoritären Europapolitik sein darf. Unsere Fraktion legt deshalb gegen die geplante Veranstaltung Protest ein. Die Putinisierung Ungarns, die Orbánisierung Europas im Bayerischen Landtag zu feiern, entbehrt jeglicher geschichtlicher Sensibilität, liebe Kolleginnen und Kollegen!
So sehr der 60. Jahrestag des Ungarnaufstandes 1956 für Demokraten in Europa Anlass zur Erinnerung ist, so sehr verbietet es sich, ausgerechnet den Mann in das Parlament des demokratischen – liberalen! – Freistaates Bayern einzuladen, der dabei ist, Ungarn in eine "illiberale Demokratie" umzubauen. So formuliert es Orbán in seinen Reden selbst. Er redet von "illiberaler Demokratie", in der Freiheit also keine Rolle spielt. Es ist völlig unverständlich, dass ausgerechnet er nun im Bayerischen Landtag auftreten soll.
Bei dem Besuch des Fraktionsvorstands der SPD in Budapest in der vergangenen Woche waren wir im Dialog mit NGOs, kritischen Journalisten und Vertretern der Zivilgesellschaft. Uns wurde dabei mehrfach dargestellt, dass sich Viktor Orbán und sein Familienclan den ungarischen Staat regelrecht zur Beute machen. Wenn wir Herrn Orbán im Bayerischen Landtag einen roten Teppich ausrollen, fallen wir genau jenen in den Rücken, die sich im Moment in Ungarn für Freiheit, für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Dafür sollten wir den Bayerischen Landtag nicht hergeben.
Viktor Orbán selbst nennt Herrn Erdogan und Herrn Putin als politische Vorbilder für sich selbst in seinem Leben. In Europa ist er vor allem in klassischen Diktaturen zu Gast, in Kasachstan und anderswo. Dort begrüßte er auf dem Flughafen die Journalisten mit den Worten: Hier fühle er sich viel wohler als in Brüssel; Brüssel sei das Moskau des 21. Jahrhunderts. Er stellte die Kommunisten der Sowjetunion im 20. Jahrhundert mit der Brüsseler EU-Verwaltung auf eine Stufe.
Im Parlament in Budapest gibt es keine einzige Europafahne mehr, weil die rechtsextreme Partei Jobbik im Jahr 2014 die Fahnen abgenommen und aus dem Budapester Parlament geworfen hat. Als die Saaldiener die Europafahne draußen von dem Asphalt aufgehoben haben, kamen die Abgeordneten der rechtsextremen Partei und haben diese Fahne dann im Budapester Parlament in der Toilette versenkt. Aus Ihrer Sicht mögen das nur symbolpolitische Petitessen sein.
Das hat sehr viel mit Herrn Orbán zu tun, weil er mit dieser Partei koaliert und jetzt mithilfe der Rechtsextremen eine Zweidrittelmehrheit für eine Verfassungsänderung in Ungarn erreichen will, die den symbolischen Titel trägt: Ausländer sind bei uns nicht willkommen. Das ist das Problem. Die CSU pflegt ihre Freundschaft mit Herrn Orbán bereits seit vielen Jahren.
Herr Seehofer hat mit keinem anderen Regierungschef in Europa oder in der Welt so häufige, freundschaftliche und intensive Kontakte gepflegt wie mit ausgerechnet diesem Autokraten. Uns ist bekannt, dass die CSU den ungarischen Ministerpräsidenten trotz seiner Verstöße gegen den EU-Vertrag und gegen die Presse-, Meinungs- und Demonstrationsfreiheit regelrecht hofiert hat, zum Beispiel bei Empfängen im frühklassizistischen Prinz-Carl-Palais, in Wildbad Kreuth, im Kloster Banz, beim CSU-Parteitag, beim Geburtstag von Edmund Stoiber und bei anderen Gelegenheiten.
Dieser Viktor Orbán, der im Moment gegen Freiheit, gegen Demokratie und gegen Europa vorgeht, ist Träger des Franz-Josef-Strauß-Preises, der von der Hanns-Seidel-Stiftung Persönlichkeiten verliehen wird, die sich in herausragender Weise für Frieden, Freiheit, Recht, Demokratie und internationale Verständigung einsetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bedauern es sehr, dass Sie sich aus schnöden innenpolitischen Erwägungen heraus dafür hergeben, der Kanzlerin wieder eins auszuwischen; denn Viktor Orbán ist ihr größter Widersacher im europäischen Gefüge. Sie wollen sich wieder als Daueropposition gegen die Bundesregierung stellen, der Sie eigentlich selbst angehören. Sie schaden damit Bayern, Deutschland und dem europäischen Gedanken.
Ich greife jetzt gerne den Einwurf aus der CSU-Fraktion auf: Herr Rinderspacher, wir müssen doch auf internationaler Ebene in einem permanenten Gedankenaustausch sein. Das Prinzip "Wandel durch Annäherung" stammt doch von der SPD. Wir erinnern uns an Egon Bahr und Willy Brandt. Sie werden uns vorhalten, Bundesaußenminister Steinmeier und Vizekanzler Gabriel waren doch auch bei Putin, im Iran und in Saudi-Arabien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier gibt es einen maßgeblichen Unterschied: Die SPD führt einen kritischen Dialog. Die SPD spricht Meinungsverschiedenheiten und die Notwendigkeit von Änderungen und des Wandels offensiv an. Bei Ihnen kann jedoch von einem Wandel durch Annäherung überhaupt keine Rede sein, insbesondere nicht mit Blick auf Herrn Orbán. Bei Ihnen handelt es sich um eine Kumpanei durch Anbiederung. Ihnen geht es um europäische Anleihen bei falschen Freunden.
Damit komme ich zum letzten Punkt meiner Einlassung, nämlich zur innenpolitischen Bedeutung. Es ist schlimm genug, dass Sie diesen Autokraten immer wieder hofieren. Noch schlimmer aber ist, dass Sie seine Politik in Bayern übernehmen. Kurz nachdem Ungarn einen Schutzwall gegen Migration aufbaute, forderte Herr Söder, einen Zaun um Bayern zu ziehen. Ungarn führte vor eineinhalb Wochen ein Referendum gegen Migration in Europa und gegen die Migration im eigenen Land durch. Dieses Referendum ist übrigens gescheitert. Herr Söder will nun auch in Deutschland Volksabstimmungen über die Flüchtlingspolitik durchführen. Herr Orbán sagt, in seinem Land dürfe es allenfalls nur noch christliche Zuwanderung geben. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in einem Positionspapier auf einer CSU-Klausurtagung stehen, in Bayern dürfe es nur noch christliche Zuwanderung geben.
Die Staatsregierung übernimmt die Sprache des europäischen Rechtspopulismus und ihres besten Freundes Viktor Orbán. Die Zuwanderung soll nur noch Christen erlaubt sein. In Ihrem jüngsten Papier heißt es in bester Orbán’scher Manier: Asyl ist kein Freibrief, um in Deutschland kriminell zu werden. Damit bringen Sie zum Ausdruck, Asylanten stünden immer ein wenig unter dem Generalverdacht, Kriminelle zu sein. Sie schreiben in bester Orbán’scher Manier: In Deutschland gilt das Grundgesetz und nicht die Scharia. Damit deuten Sie an, dies sei keine pure politische Selbstverständlichkeit, sondern es gebe politische Gruppierungen bis hin zur Kanzlerin, die die Scharia gegebenenfalls in Deutschland dulden würden. Warum sonst würden Sie so etwas schreiben?
Sie attackieren den öffentlich-rechtlichen Rundfunkjournalismus, wie das auch in anderen Ländern in Europa der Fall ist. Es gibt eine neue Sprache des Vonoben-herab gegenüber Andersdenkenden und Minderheiten. Soziale Missstände und Kriminalität werden durch ethnische oder kulturelle Besonderheiten zu erklären versucht. Das kennen wir aus Frankreich von Frau Le Pen, das kennen wir von Herrn Wilders in Holland, das kennen wir von Herrn Kaczynski in Polen, und das kennen wir insbesondere auch von Herrn Orbán in Ungarn. Und er ist Ihr bester Freund.
Meine Damen und Herren, ich sagen Ihnen, aus einem liberalen, weltoffenen Bayern der guten Nachbarschaft wollen Sie ein Stück weit ein anderes Land machen, nämlich einen nationalistischen Bevormundungsstaat der Angst, des Misstrauens und der Missgunst. Offensichtlich ist das Ihr Vorbild für Europa und Bayern. Warum hofieren Sie sonst ausgerechnet diesen Mann immer und immer wieder?
Ich denke, Sie sollten sich eher ein Beispiel an unserem ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler nehmen, der in seiner bemerkenswerten Rede im Sommer 2009 vor dem ungarischen Parlament dargestellt hat, was Europa eigentlich für uns bedeuten sollte: Die EU ist aufgebaut "auf Mündigkeit statt Bevormundung, auf Selbstverantwortung statt Gängelei und auf Solidarität statt nationalem Egoismus". Und er fügte hinzu: "Widerstehen wir der Versuchung, Europa als Sündenbock zu missbrauchen...?" Das sollte eigentlich die Politik sein, die wir hier im Bayerischen Landtag gemeinsam vertreten. Nehmen Sie Abstand von diesen falschen Freundschaften zu den Autokraten Europas.
Danke schön, Herr Kollege Rinderspacher. – Der nächste Redner ist Herr Kollege Dr. Rieger. Bitte schön, Herr Dr. Rieger.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rinderspacher, eingangs möchte ich Ihnen ganz direkt etwas sagen. Ich finde diese Empörung, die Sie hier und heute zur Schau tragen, erstaunlich und vor allem heuchlerisch.
Sie gerieren sich hier völlig unnötig als letztes Bollwerk einer bedrohten europäischen Demokratie, wo es doch gerade um eine Veranstaltung zu Ehren des demokratischen Freiheitskampfes des ungarischen Volkes geht.
(Volkmar Halbleib (SPD): Was ist Orbán? Wie soll das demokratisch sein? – Weitere Zurufe von der SPD und den FREIEN WÄHLERN – Unruhe – Glocke der Präsidentin)
Herr Kollege Rinderspacher, wir haben Sie doch auch reden lassen. Lassen Sie mich doch meine Erklärung abgeben. Sie instrumentalisieren diese Veranstaltung, um das Hohe Haus zu kritisieren.
Gleichzeitig finden Sie kein kritisches Wort – ich habe zumindest keins gehört –, wenn Ihr eigener Vorsitzender, der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Gabriel den ägyptischen Putschdiktator as-Sisi, der die Menschenrechte mit Füßen tritt, einen beeindruckenden Präsidenten nennt.
(Markus Rinderspacher (SPD): Ich dachte, der Unterschied zwischen ihm und as-Sisi wäre Ihnen bekannt!)
Herr Rinderspacher, das möchte ich Ihnen gerne in Erinnerung rufen. Wenn Sie sich der demokratischen Idee so sehr verpflichtet fühlen, hätte ich zumindest erwartet, dass Sie sich über diese Aussage Ihres eigenen SPD-Vorsitzenden in gleicher Weise empören.
(Volkmar Halbleib (SPD): Was sagen Sie denn nun zu Orbán? Das möchte ich gerne wissen! – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke der Präsidentin)