Wir hatten über das Konzept noch nicht einmal im Plenum diskutiert, da hatte bereits jede Oppositionsfraktion eine Pressemeldung veröffentlicht, in der zu lesen war: Die Mittelstufe Plus ist eine Sackgasse, Murks, Note mangelhaft, Sitzenbleiber-Klasse, usw.
(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN: Das stimmt doch! – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das sind die Hellseher da drüben!)
Interessant ist, dass dieselben Oppositionsparteien, unter anderem auch die FREIEN WÄHLER, nicht sehr viel später forderten, den Pilotversuch auszuweiten. Plötzlich war man der Meinung, dass dies vielleicht doch eine gute Idee sei.
Kollege Gehring sagt, von uns nicht; da gebe ich ihm für diesen Antrag recht. Herr Kollege Gehring, als aber eine Petition eingereicht wurde, um eine weitere Schule, nämlich das Gymnasium Kronach, ins Pilotprojekt aufzunehmen, haben auch die GRÜNEN dafür gestimmt.
Im Jahr 2015 stellten die FREIEN WÄHLER den Antrag, 24 weitere Gymnasien ins Pilotprojekt aufzunehmen. Die SPD hat natürlich zugestimmt. Im Jahr 2015 hat das Gymnasium Kronach seine Petition eingereicht. Die Opposition hat geschlossen zugestimmt. Im Jahr 2016 forderten die FREIEN WÄHLER, das Pi
lotprojekt auch auf München auszuweiten. Herr Piazolo, es ist gar nicht lange her, da standen Sie hier und kämpften dafür, dass die Mittelstufe Plus auch auf Münchner Gymnasien ausgeweitet werde. Heute haben Sie dazu eine andere Meinung. Was hier vonstattengeht, ist sehr interessant.
Der Kollege Güll hat versucht, die Historie ein Stück weit aufzuzeignen. Der Kollege Piazolo hat ein bisschen dagegengehalten. Herr Kollege, Sie haben aber zwei wichtige Ideen vergessen, die die SPD in den vergangenen vier Jahren in puncto Gymnasium entwickelt hat. Ich bin auf ganze fünf Modelle gekommen.
Sie haben vergessen, dass es zuvor eine Gesetzesänderung zum G 9 gegeben hat. Hier wollte die SPD ein G 9 bei gleichbleibender Stundenzahl einführen. Dies hätte dazu geführt, dass in der Unterstufe teilweise nur 28 Wochenstunden möglich gewesen wären. Noch 2012 hat der bildungspolitische Sprecher der SPD, Kollege Güll, nach einer Expertenanhörung gesagt: Wir brauchen kein unsinniges zusätzliches Jahr am Gymnasium.
Das waren die Überlegungen noch vor wenigen Jahren. In der Vergangenheit hat sich aber sehr viel entwickelt. Ob das G 8 tatsächlich so gescheitert ist, wie es Kollege Güll gesagt hat, weiß ich nicht.
Die Übertrittsquoten sind gestiegen. Die Qualität unserer Abiturienten ist deutschlandweit anerkannt. Vor diesem Hintergrund meine ich, dass wir ganz offen und ehrlich diskutieren können. Herr Kollege Gehring, ich komme noch auf Sie zurück.
Zum Dringlichkeitsantrag der SPD "Jetzt G9 umsetzen – keine halben Sachen mehr": Wenn wir uns jetzt nach nicht einmal einem Schuljahr in der Pilotphase auf irgendetwas festlegen würden, wäre es aus meiner Sicht verfrüht. Wir sollten alle Beteiligten einbinden. Die Arbeit, die an den Pilotschulen gemacht wird, würden wir geringschätzen, wenn wir jetzt den Pilotversuch abbrechen würden. Wir sollten die Pilotphase abwarten und nach einer soliden Evaluierung entscheiden, in welche Richtung wir das Gymnasium weiterentwickeln wollen.
Der Vorschlag der SPD, ein neunjähriges Gymnasium mit 30 Wochenstunden einzuführen, würde weniger Lernzeit bedeuten, als es im G 9 vor 15 Jahren noch der Fall war. Wir hätten weniger Pflichtstunden als im Gymnasium von damals. Sie wollen aber mehr Lernzeit. Wie Sie das unter einen Hut bekommen, halte ich für sehr spannend. Spielräume für eine qualitative Weiterentwicklung des Gymnasiums sehe ich hier nur begrenzt gegeben.
Über andere Punkte kann man durchaus sprechen, über die Weiterentwicklung der Oberstufe oder über die Frage, wann der mittlere Schulabschluss zu erreichen ist. Da bin ich sehr offen. Darüber, wie wir das in Zukunft gestalten wollen, können wir wirklich diskutieren.
Dass plötzlich alle Verbände in Ihre Richtung gehen würden, Herr Kollege Güll, sehe ich so nicht. Sie haben den Philologenverband zitiert. Das ist richtig. Beim Direktorenverband ist die Meinung schon etwas differenzierter. Der Direktorenverband könnte sich auch ein G 8 vorstellen. Ganz interessant ist übrigens die Haltung der SPD in Nordrhein-Westfalen. Die kann sich nur ein G 8 vorstellen. Dort gab es meines Wissens im Dezember 2014 einen einstimmigen Parteitagsbeschluss zum G 8. Nordrhein-Westfalen hat das G 8 auch als die einzige Lösung klar festgelegt, obwohl auch dort mit über 100.000 Unterschriften das G 9 gefordert wurde.
Dann schauen wir uns den Antrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN an. Herr Gehring hat heute gesagt, die Schüler bräuchten unbedingt mehr Lernzeit. Beim letzten Gesetzentwurf, den Sie zu diesem Thema eingereicht haben – "Gymnasium im eigenen Takt", meine ich, hat er geheißen –, waren Sie noch der Meinung, dass man die Schwierigkeiten der Unterund der Mittelstufe nicht durch ein zusätzliches Jahr lösen könnte, sondern dass man dafür pädagogische oder andere Methoden bräuchte. Heute haben Sie hierzu eine andere Meinung. Ich finde es sehr interessant, wie Sie Ihre Meinung geändert haben; denn vor noch nicht langer Zeit hat man aus Ihrem Munde Forderungen gehört wie "kein Schnellschuss", "ja nicht
hopplahopp". Jetzt aber sagen Sie plötzlich, die Pilotphase für die Mittelstufe Plus solle nicht ausgeweitet werden, obwohl wir erst im ersten Jahr sind. Das ist eine ganz klare Änderung Ihrer Meinung; denn noch vor Kurzem haben Sie gefordert, dass wir eine gründliche wissenschaftliche Untersuchung dieses Pilotversuchs bräuchten.
Ich befürchte, hier haben sich innerhalb der GRÜNEN andere Kräfte als die Bildungspolitiker durchgesetzt. Vielleicht war es die Fraktionsvorsitzende, die vor einiger Zeit eine diesbezügliche Pressemeldung abgesetzt hat. Wenn man nämlich über die Grenzen Bayerns hinausschaut, beispielsweise in das Nachbarland, das Sie, Herr Kollege, vorhin angesprochen haben, nach Baden-Württemberg, dann stellt man fest: Ministerpräsident Kretschmann, bekanntlich von der Partei der GRÜNEN, lehnt die Rückkehr zum G 9 ab. Ich zitiere aus der Presse: "Ich bin der Überzeugung, dass das Gymnasium nur stark und leistungsfähig sein wird, wenn wir bei G 8 bleiben". – So also sind die Ansichten in anderen Bundesländern.
Wenn Sie, Herr Kollege Gehring, dann in Ihrer Begründung anführen, dass die Kinder die Möglichkeit zurückerhalten sollen, neben der Schule auch ihren Neigungen und Interessen nachzugehen, beispielsweise in der Gemeinde, im Verein, in der Musikschule oder auch bei anderen Aktivitäten, suggerieren Sie damit, dass das die Schülerinnen und Schüler im G 8 nicht tun. Da verweise ich Sie auf wissenschaftliche Untersuchungen der Universitäten Tübingen und Bamberg, ich verweise auf Untersuchungen von Wissenschaftlern aus Hannover und Magdeburg. Ich verweise auch auf Untersuchungen der doppelten Jahrgänge in Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Sie beweisen zum Teil das Gegenteil. Diese Untersuchungen kennen Sie, das weiß ich. Ich wollte das heute hier nur einmal anführen.
Zum Schluss noch ganz kurz zum Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER. Die FREIEN WÄHLER haben nach wie vor noch nicht verstanden, dass die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 tatsächlich gescheitert ist. Ich dachte, damals waren es, wenn ich es richtig im Kopf habe, 2,9 %, die dieses Modell wollten. Als damals der Antrag bei uns im Plenum beraten wurde, war die Schar derer, die ihm zugestimmt haben, relativ klein. Vor diesem Hintergrund denke ich nicht, dass dies der richtige Weg wäre. Ich denke vielmehr, wir sollten die Pilotphase zu Ende führen. Wir sollten eine solide Evaluation machen und die Arbeit,
die jetzt in den Pilotschulen gemacht wird, wertschätzen und in unsere Überlegungen einbringen. Dann sollten wir in einen Dialog eintreten – in dieser Frage bin ich ganz d’accord – mit den verschiedenen Verbänden der Schulfamilie. So sollten wir versuchen, gemeinsam eine Lösung zu erwirken. Am Ende sollten wir eine Entscheidung treffen, aber nicht heute.
Herr Kollege Lederer, bitte bleiben Sie noch am Rednerpult. Bevor ich Herrn Professor Dr. Piazolo das Wort zu einer Zwischenbemerkung erteile, darf ich Sie davon in Kenntnis setzten, dass die CSU-Fraktion zum SPDDringlichkeitsantrag eine namentliche Abstimmung beantragt hat. So, jetzt hat Herr Professor Dr. Piazolo das Wort.
Ich bedauere, dass Sie in Sankt Quirin nicht dabei sind. Ich wusste nicht, dass Ihnen die Teilnahme versagt ist.
Ich möchte noch eine Erklärung abgeben, weil Sie gefragt haben, warum wir gesagt haben: Wir wollen, dass mehr Schulen die Möglichkeit haben, an dem Pilotversuch teilzunehmen. Ich möchte das, weil es mit anderen Beispielen nicht funktioniert hat, mit einem Essensbeispiel probieren: Wenn Sie darben, wenn Sie nach vielen, vielen Jahren G 8 sehr hungrig sind, weil Sie etwas Neues wollen,
dann wollen Sie die Wahlfreiheit – ich erkläre es einmal so – zwischen einem saftigen Schweinebraten und einem Zanderfilet. Es kommt aber nichts, Sie sind also weiter hungrig. Dann aber wird Ihnen ein Beilagensalat präsentiert in Form der Mittelstufe Plus. Dann essen Sie den erst einmal. Wenn dann immer noch nichts kommt, dann sagen Sie: Ich nehme noch einen zweiten Beilagensalat. So ist das bei uns mit der Mittelstufe Plus gewesen. Wenn nichts anderes kommt, dann sagen wir: Weitet dieses Modell aus, damit die anderen Schulen zumindest den ersten Schritt machen können, damit sie wenigstens diesen Beilagensalat haben.
Wir warten aber weiter auf die Wahlfreiheit zwischen Schweinebraten und Zanderfilet. Wir stehen also für Wahlfreiheit.
Wenn dem so ist, Herr Kollege, weshalb haben Sie die Mittelstufe Plus dann anfangs so vehement bekämpft?