Protocol of the Session on July 20, 2016

Nun kommen wir zum Dringlichkeitsantrag der SPD auf Drucksache 17/12626. Wer dem zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktion der SPD und die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Beratung folgender Dringlichkeitsanträge:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Martin Güll, Margit Wild u. a. und Fraktion (SPD) Jetzt G9 umsetzen - keine halben Sachen mehr (Drs. 17/12612)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Thomas Gehring u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) G9neu: Neunjähriges Gymnasium für Bayern einführen (Drs. 17/12614)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Günther Felbinger u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Schülerflucht stoppen - Wahlfreiheit zwischen G8 und G9 beschließen! (Drs. 17/12627)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist der Kollege Güll von der SPD. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit zwei Feststellungen beginnen. Der Bayerische Philologenverband schrieb kürzlich in seiner Verbandszeitschrift:

G 8 ist gescheitert. Die Erfahrungen, die die Betroffenen mit dem G 8 gemacht haben, sprechen für sich

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

und die Probleme, die sich aus der Schulzeitverkürzung ergeben haben, sind unterdessen offensichtlich: Hochschulen und Arbeitgeber klagen über sinkende Bildungsqualität und mangelnde Reife vieler... Abiturienten, gymnasialgeeignete... Schüler weichen auf die Realschule aus, um Pflichtnachmittagsunterricht zu vermeiden,

(Volkmar Halbleib (SPD): Hört, hört!)

notwendige Übungs- und Vertiefungszeiten fehlen,...

Die CSU-Fraktion, namentlich ihr Chef Thomas Kreuzer, ließ vor Kurzem im "Donaukurier" vermelden, eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium sei endgültig vom Tisch. Zitat: Ein reines G 9 "schließe ich vollkommen aus". – Dabei fühlt sich einer offensichtlich unwohl. Das ist der Herr Ministerpräsident. Er verkündet

nämlich, dass in der Kabinettsklausur nächste Woche in Sankt Quirin eine Entscheidung zu erwarten ist, wie es mit der Mittelstufe Plus nach dem zweijährigen Pilotversuch weitergehen soll. Das ist die momentane Gemengelage. – Der Vorsitzende des Bayerischen Philologenverbands Max Schmidt hat hier eine ganz klare Haltung. Er vertritt die Gymnasiallehrkräfte. In einer Pressemitteilung heißt es:

Die Mittelstufe PLUS ist für Schmidt allenfalls als Übergangslösung akzeptabel: ‚Dieses Modell kann nicht auf alle bayerischen Gymnasien übertragen werden. Denn weder wären die organisatorischen Herausforderungen dieses Modells für die Schulen noch die Kosten eines G8/G9-Parallelbetriebs für Staat und Kommunen dauerhaft zu stemmen.‘

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man die Fachleute fragt, dann ist das eindeutig. Sie haben die Schulpraxis im Blick und sagen ganz klar und deutlich: Jetzt muss man die Chance ergreifen für ein neues, und wie der Philologenverband sagt, geschlossenes G 9. Man muss sich aussprechen und hier umsteuern. Ich wiederhole angesichts der bevorstehenden Kabinettsklausur für die SPD-Fraktion unsere Forderung hier und heute laut und deutlich: Jetzt G 9 umsetzen! Keine halben Sachen mehr!

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion fordert die Bayerische Staatsregierung auf, die Hängepartie für viele Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrer und Lehrerinnen, Schulleiter und Schulleiterinnen, aber auch die Sachaufwandsträger in den Kommunen zu beenden und zu einem neunjährigen Gymnasium zurückzukehren. Zwölf Jahre Versuch und Irrtum sind genug. Das G 8 in der bayerischen Form ist klar gescheitert.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Lachhaft!)

Ich darf daran erinnern: 2003/2004 hatte die CSU angesichts ihrer damaligen Allmacht eine Entscheidung ohne jegliche pädagogische Begründung gefällt, die Schulzeit zu verkürzen.

(Beifall bei der SPD)

Damals war die Zeit, in der ökonomische Grundsätze im Vordergrund standen. Schule war ein Kostenfaktor. Damals hatte die Finanzministerkonferenz errechnet, man könne durch eine einjährige Schulzeitverkürzung ungefähr eine Milliarde DM sparen. Das war der Grund dafür, die Schulzeit zu verkürzen. Die Verkürzung hatte keinen pädagogischen Grund. Aus diesem

Grund haben wir in der SPD-Fraktion uns damals vehement dagegen ausgesprochen, im Übrigen in guter Einheit mit den Lehrer- und Elternverbänden, die ebenfalls ganz klar gesagt haben: Es gibt keine pädagogischen, keine schulpraktischen und vor allem keine die Bildungsqualität betreffenden Gründe, die Schulzeit zu verkürzen.

Wie wir wissen, hat es nichts geholfen. Die CSU hat sich über Nacht durchgesetzt und, wie ich finde, das G 8 planlos und organisatorisch wie pädagogisch grenzwertig eingeführt. Dies war der Hauptfehler. Man kann natürlich auch die Hauruck-Aktion bemängeln; aber der Hauptfehler damals war diese pädagogische Planlosigkeit. Daran knabbern wir bis heute. Das ist der Grund, warum wir heute feststellen müssen, dass das G 8 trotz – das sage ich ausdrücklich – aller Bemühungen vor Ort gescheitert ist; denn alle, Schulleiter und Schulleiterinnen, Lehrer, Schüler und Eltern haben sich bemüht, aus dem achtjährigen Gymnasium das Beste herauszuholen. Aber das wurde kein Erfolgsmodell, wie wir alle wissen.

Es wurde auch kein Erfolgsmodell, als Sie, liebe CSUFraktion, gemeinsam mit dem Kultusministerium begannen, hier "Verschlimmbesserungen" einzuführen und die Lehrpläne zu verkürzen. Sie haben das dreimal versucht. Die Belastung aber wurde nicht geringer. Sie haben versucht, die Pflichtstundenzahl zu reduzieren. Auch das half nichts. Sie wissen, dass dieses Korsett, in dem wir mit der Vorgabe der Kultusministerkonferenz von 265 Jahreswochenstunden stecken, an bis zu drei Tagen pro Woche zum Pflichtunterricht am Nachmittag führt. Damit fehlt vielen leider Gottes auch weitgehend die Zeit für Aktivitäten, die für Schüler ganz wichtig sind, nämlich die musischen, sportlichen und andere Aktivitäten. Das haben wir immer schon bei der Umsetzung bekrittelt.

Auch Ihr Flexijahr ist ein Rohrkrepierer. Es hat nichts geholfen, da es keiner wollte. Dann kam die Mittelstufe Plus. Sie sagen, das sei eine gute Idee. Die Mittelstufe Plus bedeutet, dass die Mittelstufe dazu dient, den Schülern mehr Zeit zu geben. Obwohl die Eltern das Modell angenommen haben, hätten wir die Mittelstufe Plus gar nicht gebraucht. Das Turbogymnasium lehnen ungefähr 60 % der bayerischen Bürger ab. Jetzt, nachdem die zweite Einschreibung in den Pilotschulen vorgenommen worden ist, wissen wir, dass Eltern sich bei Wahlfreiheit zwischen längerer oder kürzerer Schulzeit klar und deutlich für mehr Bildungszeit entscheiden. Die Zustimmungsraten betragen vor Ort zum Teil 80 %. Das sollte uns zu denken geben.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich daran erinnern, dass der Herr Finanzminister gestern, auch wenn er heute nicht da ist, anlässlich der Diskussion über das Riedberger Horn gesagt hat, man müsse die Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und einbeziehen und die CSU wolle das bei diesem Thema auch tun. Ich frage Sie ernsthaft: Brauchen Sie noch mehr Beweise, dass die Bürgerinnen und Bürger, Ihr Koalitionspartner, eine klare Ansage dahingehend gemacht haben, dass Sie heute ein klares Signal geben müssen, um das neunjährige Modell zu steuern? – Wir glauben, jetzt ist die Zeit dafür.

(Beifall bei der SPD)

Ich will aber auch klar sagen: Wir von der SPD-Fraktion reden dem alten G 9 nicht das Wort. Auch das muss klar sein. Wir wollen ein modernes neunjähriges Gymnasium, und wir wollen das Gymnasium pädagogisch weiterentwickeln, allerdings basierend auf einer neunjährigen Grundstruktur. Es ist auch notwendig, dies später in das Gesetz zu schreiben. Weil wir wissen, dass Schulzeitverkürzungen für leistungsstarke Schüler durchaus sinnvoll sein können, haben wir in unseren Dringlichkeitsantrag die Forderung aufgenommen, dass attraktive Überholspuren einzubauen sind. Das bedeutet aber, anders als es die FREIEN WÄHLER in ihrem Antrag fordern, nicht ein generelles Wahlrecht, sondern wir wollen die neunjährige Grundstruktur mit einer Überholspur für leistungsstarke Schüler ergänzen. Auf keinen Fall – ich denke, darin sind sich alle Schulpraktiker einig – darf das Modell der Mittelstufe Plus flächendeckend ausgebaut werden. Das wäre auf keinen Fall sinnvoll und zielführend, und zwar aus organisatorischen Gründen – ich habe es vorhin schon erwähnt –, aber auch, weil es weder die Unterstufe noch die Oberstufe in irgendeiner Form entlastet.

(Beifall bei der SPD)

Man muss an dieser Stelle an die Kommunen denken, die mit dieser Form des Modells überhaupt nicht zurechtkommen, weil sie keine Planungssicherheit haben. Sie müssen auch an die Sachaufwandsträger denken, die klare Planungsstrukturen brauchen.

Ich denke, dass wir mit diesem grundständigen neunjährigen Gymnasium sowohl für Schüler als auch für Lehrkräfte wieder eine vernünftige Grundstruktur haben, indem wir die Unter-, Mittel- und Oberstufe in etwa 30 Pflichtwochenstunden unterteilen. Wir kommen dann auf 270 Stunden. Ein bisschen mehr schadet nicht; denn wir können dann die Kürzung wieder zurückholen. Wir vermeiden aber vor allem den Pflichtnachmittagsunterricht. Das ist der Hauptgrund, warum Schülerinnen und Schüler und deren Eltern

das Gymnasium meiden und zur Realschule abwandern. Das kann es nicht sein. Die Umsetzung hätte die zusätzliche Folge, dass der mittlere Schulabschluss wieder nach der 10. Klasse vergeben werden könnte, wie es eigentlich in Deutschland üblich ist. Es gibt also viele Gründe, das Modell der Mittelstufe Plus nicht fortzusetzen, sondern ein vernünftiges Konzept zu machen.

Wir müssen im Zusammenhang mit dem Gymnasium über vieles nachdenken, vor allem über die Oberstufe. Wir wissen, dass viele Eltern, Lehrer und Schüler eine Veränderung wünschen, nämlich, dass die Schüler Vertiefungsmöglichkeiten erhalten. Das lässt sich in einer dreijährigen Oberstufe besser machen, als in einer Turbooberstufe mit den zwei Jahren. Auch hier gibt es pädagogische Gründe.

Zusammengefasst: Wir sollen jetzt entscheiden, uns die Zeit zu nehmen, das moderne G 9 vernünftig auszustatten und vernünftig zu planen. Das ist selbstverständlich eine politische Entscheidung, die hier und heute im Landtag gefällt werden muss. Die Entscheidung muss in Richtung auf das neunjährige Gymnasium getroffen werden. Wir bitten deshalb darum, dem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will noch zwei Sätze zu den anderen Dringlichkeitsanträgen sagen: Wir stimmen dem Antrag der GRÜNEN zu. Ich finde, er ist fast inhaltsgleich; er weist in der Begründung ein paar andere Gedanken auf, aber inhaltlich haben wir weitgehend gleiche Positionen. Das ist zustimmungsfähig.

Bei dem Antrag der FREIEN WÄHLER tun wir uns ehrlich gesagt, ein bisschen hart. Er sieht ein klassisches Wahlrecht zwischen G 8 und G 9 vor. Wie ich ausgeführt habe, sehen wir das so nicht. Der Antrag besteht aus zwei Teilen, und dem zweiten Teil kann man durchaus nähertreten. Wenn die FREIEN WÄHLER sich dazu entschließen würden, über die beiden Teile getrennt abstimmen zu lassen, würden wir den ersten Teil ablehnen, aber dem zweiten Teil zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Nächster hat der Herr Kollege Gehring vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege Gehring.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich mit dem Thema Gymnasium in Bayern beschäftigt, stellt man fest, dass es viele Ge

rüchte, Spekulationen und diffuse Aussagen von Verantwortlichen sowie Machtworte gibt, bei denen man nicht weiß, wie lange sie halten. Man spekuliert darüber, wie sich letztendlich irgendwann der Ministerpräsident entscheiden wird, indem er dann vielleicht ein tatsächliches Machtwort spricht, obwohl niemand weiß, was herauskommt. Man hat ein bisschen Sorge, dass etwas kommt, was man nicht so richtig kontrollieren kann. Oft erzählen mir Lehrerinnen und Lehrer, die auf Fortbildung waren, es sei klar, das G 9 komme wieder. Wir haben aber ein Machtwort des Fraktionsvorsitzenden der CSU, Herrn Kreuzer, gehört. Er hat am 12. Juli gesagt, das G 9 sei vom Tisch, und das G 8 werde erhalten. Man weiß aber nicht, was der Ministerpräsident sagt. Vielleicht kommt bei der Tagung in Sankt Quirin etwas heraus, was heute keiner erwartet.

Wir stellen gleichzeitig eine Sprachlosigkeit der Bildungspolitiker in der CSU-Fraktion zu diesem Thema fest. Dass sie gut über die Vergangenheit reden können, sei ihnen zugestanden, aber hinsichtlich der Zukunftsperspektive und der Frage, wie es weitergeht, hört man von ihnen nichts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben einen Kultusminister, der offensichtlich bei seinen Auftritten im Bildungsausschuss bezüglich der Zukunft des Gymnasiums keinen Plan hat. Man muss sogar sagen: Der Spaenle hat nicht einmal ein Plänle zu diesem Thema.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Sache mit der Mittelstufe Plus ist strategisch auch schlecht eingetütet worden. Man testet die Mittelstufe Plus in einer zweijährigen Pilotphase. Diese Pilotphase endet ein Jahr vor der Landtagswahl. Es ist zu erwarten, dass bei einer größeren Nachfrage der Eltern nach der längeren Bildungszeit ein Jahr vor der Landtagswahl wieder eine G 8-/G 9-Diskussion entsteht. Ich weiß, dass ein guter Wahlkämpfer wie Herr Seehofer so etwas meidet wie der Teufel das Weihwasser. Er will das Thema vorher abräumen, aber es läuft alles darauf hinaus, dass wir noch ein Jahr Mittelstufe Plus haben und dann nächstes Jahr die Diskussion führen müssen.

Die Mittelstufe Plus ist ein Modell, das nicht in der Fläche ausdehnbar ist. Es funktioniert vor Ort nicht, erfordert einen hohen Organisationaufwand und bringt Mehrkosten, die man in eine bessere Pädagogik stecken könnte. Die Mittelstufe Plus führt auch nicht zu einer inhaltlichen Verbesserung der pädagogischen Arbeit an den Schulen. Die Mittelstufe Plus wird nachgefragt, und die Nachfragequoten der Schülerinnen und Schüler und der Eltern liegen bei 60 % und höher.