Protocol of the Session on July 7, 2016

wie Sie sagen, aus verfassungsrechtlichen Gründen – dagegen entschieden.

Zum Glück hat der bayerische Professor Dr. Burgi der Antidiskriminierungsstelle unlängst ein beachtenswertes Gutachten vorgelegt, in dem eindeutig festgestellt wird, dass die Rehabilitationsansprüche und die Entschädigungsansprüche sehr wohl auf dem Grundgesetz fußen. Also hatten nicht Sie recht, Herr Kollege, sondern die vielen denunzierten und in Haft genommenen Männer hatten recht mit ihrer Forderung nach Entschädigung und Rehabilitation.

(Beifall bei der SPD)

Insofern danke ich ausdrücklich der Antidiskriminierungsstelle, die dieses Gutachten in Auftrag gegeben hat. Ich danke allen Justizministerinnen und Justizministern in der Bundesrepublik Deutschland, die einstimmig für ein Aufhebungsgesetz sind. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir die Entschädigung über einen Fonds oder eine Stiftung klären.

Lieber Herr Kollege Bausback, ich erwarte von Ihnen heute ein klares Bekenntnis, wie sich die CSU im Bundestag als Koalitionspartner dazu stellt. Erkennen Sie das Gutachten von Professor Dr. Martin Burgi an! Unterstützen Sie das Aufhebungsgesetz unseres Kollegen im Bund! Ich erwarte, dass Bayern dieses Gesetzesvorhaben unterstützt.

Im Übrigen möchten wir – wie in unserem Antrag unter dem zweiten Spiegelstrich zu lesen ist – gerne wissen, wie viele Männer nach 1945 bis 1994 von diesem Straftatbestand betroffen waren.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Frau Kollegin Stamm das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! "Denn ich bin zwar schwul, aber nicht schuldig" – nicht schuldig, darum geht es; darauf warten die Opfer des § 175. Ihr einziges Vergehen war es, dass die einvernehmliche Liebe zwischen zwei Männern als Schuld bezeichnet wurde.

Mit dem Satz "Denn ich bin zwar schwul, aber nicht schuldig" endet ein sehr eindrucksvoller Film der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Die Kollegin Zacharias hat gerade davon gesprochen. Ich würde Ihnen sehr empfehlen, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Film anzusehen. Sie können den Film auch auf Facebook sehen; die meisten Kolleginnen und Kollegen, auch der CSU und der FREIEN WÄH

LER, sind ja auch in den Social Media unterwegs. Der Film ist wirklich sehr eindrucksvoll. Man versteht danach sicherlich einiges.

Die Antidiskriminierungsstelle hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Auch das ist bereits genannt worden. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle sagte: Dieses Gutachten arbeitet erstmals ausdrücklich heraus, dass der Gastgeber die Opfer der Strafverfolgung nicht nur rehabilitieren kann, sondern sogar muss. – Wichtig ist jetzt, die Opfer von damals nicht noch einmal zum Opfer zu machen und zu zwingen, ihre Geschichte noch einmal zu erzählen. Deswegen ist dieses allgemeine Gesetz, das von Kollegin Zacharias eben genannt wurde, von besonderer Bedeutung. Das Gutachten von Professor Dr. Burgi empfiehlt eine kollektive Rehabilitierung durch ein Aufhebungsgesetz. Das wäre seiner Ansicht nach wegen des schweren Verstoßes gegen das Grundrecht verfassungsrechtlich legitim. Außerdem spricht sich Professor Dr. Burgi für eine allgemeine, kollektive Entschädigung in Form eines Fonds aus. Dieser könnte bei der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld verwaltet werden. Die Stiftung könnte sich dann auch für Aufklärungsprojekte, Erinnerungsarbeit – das ist auch sehr wichtig – und Bildungsangebote einsetzen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir diskutieren heute hier im Hohen Hause nicht zum ersten Mal über § 175. Eine Initiative zur Rehabilitierung haben die GRÜNEN einmal im Anschluss an ein Fachgespräch mit einem Zeitzeugen bzw. einem Verurteilten nach § 175 gestartet. Es ist doch genau das Ungeheuerliche, dass zwei Menschen einfach dafür, dass sie sich lieben, verurteilt wurden. Das macht alles so unfassbar. Dieser verurteilte Zeitzeuge Erich Haas ist sehr alt. Deswegen ist es Zeit, an Tempo zuzulegen und sofort einen Gesetzentwurf vorzulegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe CSU, deswegen kann der Antrag nicht angenommen werden. Ich erkenne es an, dass Sie sozusagen schon allein durch das Wort "Rehabilitierung" und so weiter einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Aber es ist genug geprüft worden. Es gibt das Gutachten von Professor Dr. Burgi, der eindeutig sagt, es müsse rehabilitiert werden. Er sagt nicht, es könne, sondern es müsse rehabilitiert werden. Auch ich möchte, dass die Betroffenen das noch erleben; denn sie sind bereits sehr alt.

Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie heute diesen Dringlichkeitsantrag eingebracht hat. Aber es ist vonseiten der SPD – um meinen Bundestagskollegen Volker Beck zu zitieren – "hoffentlich mehr als eine Ankündigung zum CSD"; ich rede von der Bundes

SPD. Der Bundesjustizminister lässt die Öffentlichkeit nämlich bislang völlig im Unklaren darüber, ob bzw. wann die Bundesregierung einen Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen wird. Ich weiß nicht, ob das wiederum an der Blockadehaltung der CSU innerhalb der Bundesregierung liegt. Schließen Sie sich deswegen bitte Ihren Kollegen von der Union an, die sehr wohl heftig dafür werben, die Opfer endlich zu rehabilitieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eigentlich kommt man bei dem Gutachten von Professor Dr. Burgi nicht aus. Die Worte "Ich bin zwar schwul, aber nicht schuldig" müssen in diesem Landtag jeder Demokratin und jedem Demokraten so nahegehen, dass es jetzt in unser aller Sinne sein muss, durch das gemeinsame Annehmen unseres Antrags und des Antrags der SPD endlich als "Unrecht" zu kennzeichnen, was infolge des § 175 passiert ist. Setzen Sie gemeinsam mit uns dieses Zeichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die CSU-Fraktion erteile ich Herrn Dr. Rieger das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Legt man unsere heutigen Wertmaßstäbe und moralischen Anschauungen zugrunde, so ist es aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar, dass es in der jungen Bundesrepublik Deutschland einen Straftatbestand gegeben hat, der freiwillige sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellte, weswegen bis 1969 Zigtausende von Männern verurteilt wurden. Noch schwerer tun wir uns mit der historischen Tatsache, wenn man sich vor Augen führt, dass der Deutsche Bundestag die diesbezüglichen Urteile vor 1945, also die im Dritten Reich gefällten Urteile, aufgehoben hat, dass aber die nach 1945 gefällten Urteile Bestand haben. Das heißt, die vor 1945 Verurteilten haben damit eine gewisse Rehabilitation erfahren, die nach 1945 Verurteilten gelten bis heute als Straftäter.

Wir haben immer betont, dass diese Situation beschämend ist und unseren heutigen Vorstellungen nicht entspricht. Dies ist auch unsere moralische Sicht der Dinge. Darüber, glaube ich, besteht in diesem Haus Einvernehmen. Allerdings müssen wir uns gerade als Vertreter der Legislative die Frage stellen, ob wir juristische Sachverhalte und Verurteilungen, die vor 60, 70 Jahren geschehen sind, mit der Brille von damals betrachten oder gar abändern können. Wir müssen uns insbesondere auch fragen, ob dies vor dem Hintergrund der Gewaltenteilung rechtlich zulässig ist.

Die Antwort auf diese Frage haben uns bisher zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits im Jahre 1957 festgestellt, dass § 175 des Strafgesetzbuches, alte Fassung, verfassungsgemäß ist und dass die darauf beruhenden Urteile rechtmäßig sind. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahre 2006 entschieden, dass Urteile, die bundesdeutsche Gerichte auf der Grundlage unseres Grundgesetzes nach 1945 gefällt haben, nicht aufgehoben werden können. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich ausgeführt, dass nur solche Urteile aufgehoben werden können, die – ich zitiere –

zur Förderung eines Unrechtsregimes gegen die elementaren Grundgedanken der Gerechtigkeit verstoßen … sowie Urteile von Institutionen, die wie der Volksgerichtshof zwar als Gerichte bezeichnet, aber aufgrund ihrer Stellung und Aufgabe keine Organe einer unabhängigen rechtsprechenden Gewalt waren, ….

Würde man mit den Urteilen nach 1945 ebenso verfahren wie mit denjenigen der nationalsozialistischen Justiz, so würde man unterstellen, dass auch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, also unsere Gerichte, bis zur endgültigen Aufhebung des § 175 StGB im Jahre 1994 Teil eines Unrechtsregimes oder zumindest diesem gleichwertig wären. Nach dieser Rechtsansicht, die bisher als vorherrschend bezeichnet werden kann, würde die Aufhebung gerichtlicher Entscheidungen, die in der Bundesrepublik Deutschland gefällt wurden, gegen das Gewaltenteilungsprinzip und gegen die Unabhängigkeit der Gerichte verstoßen. Das neue Gutachten des anerkannten Verfassungsrechtlers Professor Dr. Burgi könnte hier allerdings Möglichkeiten aufzeigen – wie die Kollegen ausgeführt haben –, diese Urteile aufzuheben, ohne gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze zu verstoßen.

Wir verschließen uns diesen Argumenten nicht, wollen ihnen aber auch nicht blind folgen. Deshalb muss zunächst der allein zuständige Bundesjustizminister, nicht unsere Bayerische Staatsregierung, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Frau Kollegin Stamm hat es ausgeführt. Dazu hat die Justizministerkonferenz Herrn Maas bereits aufgefordert. Das heißt, allein Herr Maas muss tätig werden.

Frau Stamm, die CSU blockiert Herrn Maas nicht. Ich habe noch nie gehört, dass jemand blockiert wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen. Es liegt also an unserem Bundesjustizminister, und der gehört der SPD an.

(Zuruf der Abgeordneten Claudia Stamm (GRÜNE))

Wir werden diesen Gesetzentwurf zunächst verfassungsrechtlich gründlich prüfen; ich hoffe, auch Sie. Bei alledem müssen wir aber auch bedenken, dass wir einen Präzedenzfall schaffen würden, wenn wir Urteile aufheben, die nach 1945 von unseren Gerichten gefällt und durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt wurden. Damit würden wir nämlich die heutigen Wertmaßstäbe an die Vergangenheit anlegen und die Frage aufwerfen, inwieweit wir dies auch in anderen Bereichen tun müssen. Müssen wir dann auch die Menschen rehabilitieren, die früher wegen Kuppelei oder Ehebruch verurteilt wurden? Oder noch problematischer, in die Zukunft gedacht: Was tun wir mit unseren heute gefällten Urteilen, wenn in 10, 20, 30 oder 40 Jahren andere Moral- und Wertvorstellungen gelten? Müssen wir dann in Zukunft diese Urteile ebenfalls aufheben? Wie wird zum Beispiel von der nächsten Generation unsere gesetzliche Regelung zum Schwangerschaftsabbruch beurteilt? – Allein diese Fragen zeigen uns, welches Tor wir damit aufstoßen.

Aus diesen Gründen tat sich bisher auch der Bundestag sehr schwer, zu einer Lösung zu kommen. Er hat keine Patentlösung präsentiert, obwohl er sich fast zwei Jahrzehnte mit dieser Frage intensiv beschäftigt hat. Der Bundestag hat bereits im Jahre 2000 einstimmig einen Beschluss gefasst, in dem die Fortgeltung der betreffenden Tatbestände bedauert und ausdrücklich anerkannt wurde, dass hierdurch homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind. Wie schon erwähnt, hat der Deutsche Bundestag die vor 1945 gefällten Urteile aufgehoben, und zwar im Jahre 2002. Darüber hinaus hat sich das deutsche Parlament immer wieder intensiv mit der Frage der Rehabilitation befasst, und zwar in den Jahren 2008, 2009 und 2012. Im Jahre 2013 fand im Rechtsausschuss sogar eine Sachverständigenanhörung statt. In Bezug auf die Aufhebung von Urteilen ist aber nichts geschehen. Ergebnis war stets, dass keine weiteren Maßnahmen zur Rehabilitierung beschlossen wurden, gerade auch wegen der aufgezeigten begrenzten rechtlichen Möglichkeiten.

Weil in den Oppositionsanträgen das Ergebnis der rechtlichen Prüfung bereits vorweggenommen wird, können wir ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zustimmen. Dem SPD-Antrag kann zudem nicht zugestimmt werden, weil die Daten seit 1945 nicht gesondert, insbesondere auch nicht elektronisch erfasst wurden. Unser Antrag dagegen übereilt nichts, sondern geht in verantwortungsvoller Weise mit den komplexen Rechtsfragen, die sich hierbei stellen, um.

Meine Damen und Herren, wir werden die Letzten sein, die sich dagegen aussprechen, wenn sich eine Möglichkeit zeigt, in verfassungsgemäßer Weise die alten Urteile zu korrigieren. Wir werden das unterstützen, aber dafür brauchen wir erst den Gesetzentwurf. Da ist jetzt der Bundesjustizminister gefordert. Es liegt also nicht an uns, sondern an Herrn Maas, und ich appelliere an die Kollegen der SPD, ihrem Justizminister ein wenig Feuer unter den Füßen zu machen, damit wir die Sache weiter vorantreiben können. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER darf ich Herrn Kollegen Streibl das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns, glaube ich, alle einig, dass hier eine Ungerechtigkeit herrscht. Allerdings existiert ein Spannungsverhältnis zwischen der Staatsräson gegenüber dem Grundgesetz, nämlich gegenüber dem Rechtsstaatsprinzip und der Gewaltenteilung, und dem Bedürfnis, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wir müssen uns aber klarmachen: Die Urteile wurden nach 1945 in der jungen Bundesrepublik Deutschland von unabhängigen Richtern gefällt. Diese Richter waren und sind bis heute Recht und Gesetz verpflichtet, nichts anderem. Sie haben nur die Gesetze angewandt, die der Deutsche Bundestag als Legislative in Kraft gesetzt hat, darunter auch den Paragrafen 175. Es waren die Vorgänger aus der Unionsfraktion, aber auch aus SPD und FDP, die dieses Gesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet haben. Auf dieser Rechtsgrundlage haben die Richter entschieden. Daher müssen wir schauen, wie wir damit umgehen. Es war kein Unrechtssystem, sondern es war letztlich unser Rechtsstaat, unsere Bundesrepublik Deutschland. Diese Urteile wurden im Namen des Volkes gesprochen. Das ist natürlich eine offene Wunde in unserem Rechtsstaat. Man merkt auch an den Reden, wie darum gerungen wird, diese Wunde wieder zu schließen. Man muss aber einen Weg finden, sie zu schließen, ohne die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Gewaltenteilung, auf denen unser Grundgesetz und unsere ganze Gesellschaft aufbauen, zu verletzen. Wenn wir einen Weg finden, wie wir es schaffen können, dass wir rehabilitieren, ohne unsere Grundsätze zu verletzen, sind wir gern dabei und unterstützen das. Aber dazu muss erst einmal ein Weg aufgezeigt werden.

Auch ich habe mir das Gutachten von Professor Burgi durchgelesen. Es ist hochinteressant, aber es zeigt noch keinen Weg auf, der zum Ziel führt. Daher stim

men wir dem Antrag der CSU zu, zuerst zu prüfen; wir müssen einen Weg finden, der uns nicht in die Bredouille führt. Den Anträgen der GRÜNEN und der SPD können wir nicht zustimmen, weil darin das Ergebnis schon vorweggenommen wird. Wir meinen, dass es Aufgabe des Bundesjustizministers ist, einen Weg aufzuzeigen und ein Gesetz vorzulegen, bei dem man sagen kann: Ja, das funktioniert, die Rechtsstaatlichkeit ist gewahrt. – Das muss aber genau geprüft werden.

Der andere Punkt ist – Kollege Dr. Rieger hat es angesprochen –, dass wir uns einer gewissen Gefahr aussetzen, wenn wir unsere heutigen Wert- und Moralvorstellungen auf die Vergangenheit anwenden. Da muss man vorsichtig sein. Man hat nach dem damaligen Wissen und den damaligen Moralvorstellungen gehandelt, und da gibt es viele Beispiele, nicht nur das, worüber wir heute sprechen und was heutzutage vielfach auf Unverständnis stößt. Viele Menschen wurden in ihren Gefühlen und aufgrund ihrer Art, zu leben, verletzt. Wenn wir das alles rückwirkend glattbügeln wollten, wären wir sehr gut beschäftigt, aber wir würden uns gleichzeitig der Gefahr aussetzen, dass unsere Enkel in Zukunft mit unseren Wertvorstellungen aneinandergeraten und uns fragen, wie konntet ihr nur?, obwohl wir heute nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Mir ist wichtig, dass man den damaligen Richtern nicht unterstellt, nicht nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt zu haben. Sie haben das geltende Recht angewandt, so wie es sich für einen Richter gehört. Daher müssen wir sehr vorsichtig sein, wie wir damit umgehen. Wir dürfen durch so eine Aktion unsere Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Gerichte letztlich nicht infrage stellen und nach politisch-moralischen Vorstellungen die Rechtsprechung dominieren wollen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN und Abge- ordneten der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Staatsregierung hat jetzt Staatsminister Professor Dr. Bausback ums Wort gebeten. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Niemand zweifelt heute ernsthaft daran, dass diejenigen, die bis in die Neunzigerjahre wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen von deutschen Strafgerichten verurteilt wurden, Anspruch auf volle politische, gesellschaftliche und sozialethische Rehabilitierung und Anerkennung haben.

Die auch nach 1945 fortgesetzte Kriminalisierung und Stigmatisierung Homosexueller und ihre drastische

Behinderung in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit verstößt aus heutiger Sicht – da sind wir uns alle einig – klar gegen das freiheitliche Menschenbild des Grundgesetzes. Es ist ein großer, aber leider zu spät erzielter Fortschritt, dass dieser Abschnitt der deutschen Strafrechtsgeschichte überwunden und die einschlägigen Strafvorschriften aufgehoben wurden. Die sozialethische Rehabilitierung der Betroffenen ist unbestreitbar ein wichtiges und berechtigtes gesellschaftliches Anliegen. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass die seit Langem geführte politische Debatte durch das Gutachten von Herrn Professor Burgi wieder Fahrt aufgenommen hat. Mit Blick auf das fortgeschrittene Alter vieler Betroffener – das ist schon angeklungen – darf das Thema nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Meine Damen und Herren, klar ist aber auch, dass die rechtliche Rehabilitierung der Betroffenen mit komplexen verfassungsrechtlichen Fragen verknüpft ist. Ich kann hier sowohl an die Ausführungen des Kollegen Rieger wie auch des Kollegen Streibl anschließen. Wer darüber leichtfertig hinwegsieht, erweist sowohl unserem Rechtsstaat als auch den Betroffenen einen Bärendienst. Hier geht es zum einen um die Gewährleistung der Rechtssicherheit als Kernelement des Rechtsstaatsprinzips. Zum anderen muss gründlich geprüft werden, inwieweit eine rechtliche Rehabilitierung durch pauschale Aufhebung der formell fortbestehenden Strafurteile durch den Gesetzgeber mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz vereinbar ist. Nach Artikel 92 des Grundgesetzes ist die Rechtsprechung allein den Gerichten zugewiesen. Eine Aufhebung von Strafurteilen durch den Gesetzgeber bedarf einer besonderen Rechtfertigung und kann nur in Ausnahmefällen zulässig sein. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht derartige Generalkassationen nur im Hinblick auf Urteile gebilligt, die während der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft oder im Unrechtsstaat der SED, also in der DDR, ergangen sind. Auch wenn die in Rede stehenden Urteile unserem heutigen Rechtsstaatsverständnis klar widersprechen, kann man sie als Urteile innerhalb des Rechtsstaats der Bundesrepublik Deutschland nicht mit Urteilen aus Unrechtsregimen gleichsetzen. Schließlich haben die Gerichte damals – das ist schon angeklungen – Recht angewandt, das der demokratisch gewählte Deutsche Bundestag bis 1969 bzw. bis 1994 bewusst in Geltung belassen hat und dessen Gültigkeit das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1957 bzw. im Jahr 1973 bekräftigt hatte. Mit einer Aufhebung der Urteile würde folglich verfassungsrechtliches Neuland betreten. Dies will wohlüberlegt sein. Gründlichkeit muss hier vor Schnelligkeit gehen.

Anknüpfend an das Gutachten von Professor Burgi hat Bundesjustizminister Maas ein Eckpunktepapier

zur rechtlichen Rehabilitierung der Betroffenen vorgelegt, welches Grundlage für die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs sein soll. Ich stehe diesem Vorhaben angesichts der Zielrichtung durchaus aufgeschlossen gegenüber. Nach Vorlage des angekündigten Gesetzentwurfs wird aber sorgfältig zu prüfen sein, ob er dem Ziel der rechtlichen Rehabilitierung in verfassungskonformer Weise Rechnung trägt. Bis dahin müssen wir abwarten, was vorgelegt wird. Wie so oft heiligt auch hier der Zweck nicht die Mittel. So berechtigt das Anliegen auch ist, der Gewaltenteilungsgrundsatz als Grundpfeiler unserer demokratischen Rechtsordnung muss hinreichend berücksichtigt werden. Nur eine Lösung, die sorgfältiger verfassungsrechtlicher Prüfung standhält – das kann man erst beurteilen, wenn eine solche Lösung auf den Tisch gelegt wird –, kann und wird von der Staatsregierung mitgetragen werden.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/12336 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD und Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – CSU und die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 17/12338 – das ist der Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD und Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Die Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – CSU und Fraktion der FREIEN WÄHLER. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist auch dieser Dringlichkeitsantrag abgelehnt.