Herr Innenminister, Sie beklagen, dass es Ihrer Meinung nach zu keiner europäischen Lösung kommen kann. Ich habe in den letz
ten Monaten aufmerksam verfolgt, was die Bayerische Staatsregierung tut. Ich habe keine einzige Maßnahme erkennen können, die zu einer europäischen Lösung geführt hätte.
Mit der ständigen Forderung, die Grenzen zu schließen, kommt man zu keiner europäischen Lösung. Vielmehr zerfällt Europa, man teilt Europa damit.
Und nun noch zur Ihrer Bemerkung zum Familiennachzug. Manchmal denke ich mir, ein guter Flüchtling ist Ihrer Meinung nach ein toter Flüchtling.
Wir haben die Situation, dass seit der Diskussion um den Familiennachzug eine Vielzahl von Frauen und Kindern versucht hat, über das jetzt doch sehr gefährliche Meer zu kommen. Vorvorgestern gab es bei einem Fluchtversuch wieder elf tote Kinder. Solche Situationen werden natürlich auch durch die Debatten um das Ende des Familiennachzuges befördert. Ich denke, es wäre allemal sinnvoller, für die Flüchtlinge, die eine Anerkennung erwarten können, den Nachzug der minderjährigen Kinder und der Frauen zu gestatten.
Herr Minister, einen Moment bitte. Ich bitte um etwas Ruhe und um eine Wortwahl, die dem Hohen Hause angemessen ist. Das gilt jetzt nicht für den Herrn Minister, aber Frau Kamm, es gilt für Sie.
Als Erstes möchte ich, Frau Kamm, in aller Ruhe Folgendes sagen. Bei allem Verständnis, das ich immer auch für emotional geführte Debatten habe – Sie kennen mich, Frau Kollegin –, halte ich einen Satz wie "Nur ein toter Flüchtling ist ein guter Flüchtling" für absolut unsäglich und unerträglich. Er hat in diesem Hohen Hause nichts verloren.
(Lebhafter Beifall bei der CSU – Beifall bei Abge- ordneten der SPD und der FREIEN WÄHLER – Zuruf von der CSU: Unterirdisch!)
Zweite Bemerkung. Wenn Sie auf die bisher noch nicht zustande gekommene europäische Lösung abheben, wollen Sie doch nicht allen Ernstes erklären, dass die mangelnde Bereitschaft nahezu aller europäischen Länder, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen, auf die Position zurückgeht, die die CSU hier im Bayerischen Landtag vertritt. Das wäre zwar ein respektabler Einfluss, den Sie uns für ganz Europa zumessen, aber da scheint mir dann doch die Definition von Ursache und Wirkung sehr weit hergeholt.
Ich kann Ihnen nur sagen: Egal mit wem ich im Rahmen meiner Zuständigkeit als Innenminister in Kontakt komme, sei es der Innenminister von Tschechien – kein Konservativer –, ob es in der vergangenen Woche die Innenminister aus Bosnien oder aus Bulgarien waren oder auch aus Ungarn, alle sagen: Diese große Zahl von Flüchtlingen ist nicht zu verkraften. Ich denke, wir müssen das ganz offensichtlich als eine Wahrnehmung nahezu aller politisch verantwortlichen Kräfte in ganz Europa zur Kenntnis nehmen. Es ist eben illusionär, liebe Frau Kollegin Kamm, wenn man sich darüber einfach hinwegsetzt.
Die letzte Bemerkung ist mir besonders wichtig. Da kann ich Ihnen nur sagen, Frau Kollegin Kamm: Bei nahezu jeder Gelegenheit, wenn ich mit Kollegen aus der Bundespolitik, und zwar unterschiedlichster Couleur, auch in der Bundeshauptstadt zusammenkomme, stelle ich fest: Der große Beitrag, den zunächst einmal Bayern geleistet hat, dass in diesem kalten Winter überhaupt so viele Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben, sie ordentlich verpflegt werden, sie alle ein Bett haben, wird überall anerkannt. Kein anderes Bundesland hat einen solchen Beitrag geleistet; in keinem anderen Bundesland haben die Menschen so viele Beiträge dazu geleistet wie in Bayern.
Es gibt nicht einmal in der GRÜNEN-Bundestagsfraktion einen, der sich trauen würde zu behaupten, dass in irgendeinem rot-grün-regierten Bundesland die Situation für die Flüchtlinge heute besser ist als in Bayern. Nicht einmal in der GRÜNEN-Bundestagsfraktion wagt das irgendeiner zu behaupten. Das ist die Realität.
Wir nehmen die Verantwortung für die Menschen, die jetzt da sind, ernst. Wir sagen zweitens klar, dass wir diejenigen, die kein Recht haben, hier zu bleiben, konsequent in die Heimat zurückführen. Und wir sagen drittens genauso klar: In der Größenordnung, wie das im letzten Jahr gelaufen ist, ist das für unser
Land nicht weiter tragbar. Wir wollen nicht, dass ein Chaos entsteht, und darum müssen wir dem Chaos vorbeugen, indem in Zukunft weniger Menschen in unser Land kommen. Das ist unsere klare Linie, und für diese treten wir weiter ein.
Moment bitte! Bleiben Sie noch am Rednerpult. Ich bitte einen kurzen Moment um Ihre Aufmerksamkeit. Jetzt sind noch zwei Zwischenbemerkungen angekündigt: zunächst der Kollege Kreuzer und dann der Kollege Rinderspacher. Frau Kamm hat gebeten, danach Ihre Ausführungen berichtigen zu dürfen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Minister! Ich gehöre diesem Haus seit über 22 Jahren an. Was Sie ausgeführt haben, Frau Kollegin Kamm, war der Tiefpunkt der politischen Diskussion in diesen 22 Jahren.
Sie haben ziemlich wörtlich gesagt: Für eine Seite des Hauses sei klar, dass nur ein toter Flüchtling ein guter Flüchtling ist. Ich weise dies mit Entschiedenheit zurück, Frau Kollegin Kamm. Dies ist eine Unverschämtheit, eine beleidigende Äußerung.
Damit unterstellen Sie Kolleginnen und Kollegen, dass es ihnen lieber sei, dass Menschen zu Tode kommen, bevor sie hier aufgenommen werden können. Dies ist sachlich unzutreffend, und dies ist eine ganz böswillige Unterstellung.
Ich fordere Sie auf, dies zurückzunehmen und sich zu entschuldigen, und ich fordere die GRÜNE-Fraktionsführung dazu auf, sich davon zu distanzieren. Sonst müssten wir davon ausgehen, dass dies die Meinung der Fraktion ist.
Möchten Sie erst darauf antworten, Herr Minister? – Dann nehmen wir den Kollegen Rinderspacher, bitte.
Herr Staatsminister, bei aller Emotionalität der Debatte möchte ich doch eine Nachfrage noch stellen. Sie haben juristisch ausgeführt, dass die Sicherung der bayerischen Außengrenze eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Jetzt sind Sie aber gar nicht unbedingt für die juristische Expertise zuständig, sondern die Frage an Sie ist: Wie geht denn das eigentlich? Da hatten wir Sie aufgefordert, einmal ein paar Daten und Fakten, ein Konzept vorzulegen. Sie haben die Presse damit behelligt, die Bundeswehr solle auch bei der Außengrenze nach Möglichkeit mit anpacken. Das wäre zumindest eine Idee. Sie standen damit in der Presse, die Landespolizei solle mit anpacken.
Wir wissen, es hat 60 Übergänge vor Schengen gegeben. Wir wissen, es kommt nicht auf Tschechien an, sondern auf die 816 km inklusive grüne Grenze zwischen Bayern und Österreich. Wie viel Personal brauchen wir dafür? Wie wird dieses eingesetzt? Welches Konzept haben Sie in der Schublade? Denn es hat natürlich keinen Sinn, eine Klage anzudrohen, ohne zu wissen: Mit welchem Konzept setzen wir denn das um, was Sie hier im bayerischen Parlament heute dargestellt haben? – Wären Sie dazu in der Lage, das ein Stück weit zu konkretisieren, wie Sie sich die Sicherung der bayerischen Außengrenze vorstellen? Denn es könnte zu Missverständnissen kommen. Sie haben gesagt, vorbildlich sei das, was die Ungarn tun. Die machen es mit Wasserwerfern, die machen es mit Tränengas, wie wir wissen. – Sie haben sich davon distanziert. – Nicht nur, auch mit anderen Mitteln: mit Stacheldraht, mit Zäunen. Wie funktioniert das in Bayern?
Erstens. Wir hatten im vergangenen Jahr im Mai/Juni anlässlich des G-7-Gipfels schon einmal die Situation,
dass in dieser Zeit die Bundesregierung vorübergehend wieder die Grenzkontrollen eingeführt hat. In dem damaligen Zeitraum ist in engem Zusammenwirken der Bundespolizei mit den Polizeien der Länder die gesamte Grenze geschützt worden. Es sind jedenfalls wesentlich mehr Grenzübergänge kontrolliert worden als zum gegenwärtigen Zeitpunkt.
Zweitens. Wir sind uns auch auf der fachlichen Ebene mit den Kollegen der Bundespolizei und mit dem Bundesinnenministerium einig, dass die Grenze – wenn man es will – geschützt werden kann, natürlich in der vorrangigen Verantwortung der Bundespolizei, gegebenenfalls in bestimmten Einsatzlagen mit Unterstützung auch von Länderpolizei.
- Was heißt "wie"? Soll ich Ihnen jetzt ein Einzelkonzept vorlegen, wie viele Beamte wann und an welchen Stellen eingesetzt werden? – Schauen Sie sich einmal die Einsatzpläne an, schauen Sie einmal nach, wie das im Juni letzten Jahres war. Das kann man alles noch verstärken. Wir hatten im Juni letzten Jahres den größten Polizeieinsatz, den es in Bayern jemals gegeben hat, mit massiver Unterstützung der Bundespolizei und der anderen Länderpolizeien. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir sind uns auch mit dem Bund einig. Wenn man es will, dann kann man es auch.