Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber prüfen (Drs. 17/8100)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Kreuzer, Kerstin Schreyer-Stäblein, Josef Zellmeier u. a. und Fraktion (CSU) Flüchtlingszustrom eindämmen Schutzbedürftigen helfen! (Drs. 17/8088)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Angelika Weikert, Dr. Linus Förster u. a. und Fraktion (SPD) Auf das Willkommen folgt die Integration: Für eine humane, verantwortungsvolle und vorausschauende Flüchtlingspolitik! (Drs. 17/8101)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Thomas Gehring u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schutzbedürftigen helfen, Herausforderungen entschlossen angehen (Drs. 17/8106)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. (Univ. Lima) Dr. Peter Bauer u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Asyl: Geltendes Recht anwenden - Keine weitere Überforderung des Systems (Drs. 17/8090)
Ich eröffne die allgemeine Aussprache und darf als Erster Frau Kollegin Bause für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen. Bitte schön, Frau Kollegin.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern hier alle miteinander den 25. Jahrestag der Wiedervereinigung gefeiert. Wir haben gefeiert, dass in Europa vor 25 Jahren die Mauer und der Eiserne Vorhang niedergerissen wurden. Wir haben uns alle miteinander sehr darüber gefreut. Es war auch gut, dass wir hier gefeiert haben. Heute, einen Tag nach dieser Feier, sollten Sie sich nicht dafür stark machen, dass wir an unseren Grenzen, dass wir an den europäischen Grenzen wieder neue Zäune und neue Mauern errichten.
Stacheldraht, Zäune und Mauern können nicht die Antwort auf die Wanderungsbewegungen in unserer globalen Welt im 21. Jahrhundert sein. Wir sehen es doch: Menschen, die alles verloren haben, die vor Krieg fliehen, die vor Terror fliehen, die vor Folter fliehen, lassen sich auch nicht durch Stacheldraht und Militär davon abhalten, für sich und ihre Familien bei uns, im sicheren Europa, Schutz zu suchen.
Mit all den Abschottungsmaßnahmen, die im Moment in der Diskussion sind und in Ungarn zum Teil praktiziert werden, verschärfen und vergrößern wir nur die elende Situation der Menschen, die auf der Suche nach Schutz und Sicherheit sind. Wir helfen den Schleppern und Schleusern sogar noch dabei, ihr schmutziges Geschäft mit der Not der Flüchtlinge zu machen. Es gilt: Je höher die Zäune, desto höher die Preise der Schleuser, desto gefährlicher die Fluchtrouten, und desto mehr Menschen werden auf der Flucht ihr Leben lassen. Die Lösung liegt also nicht in einer weiteren Abschottung, in der Bekämpfung oder Kriminalisierung der Flüchtlinge. Die Lösung muss anders aussehen. Viktor Orbán kann und darf kein Vorbild für unsere Politik in Bayern, in Deutschland und in Europa sein.
Wir wollen keine "Orbanisierung" der deutschen und der europäischen Flüchtlingspolitik. Im Mittelpunkt unserer Politik müssen Menschlichkeit und Pragmatismus stehen.
Was brauchen wir also? Ich will einmal auf der obersten Ebene anfangen, um dann dazu zu kommen, was wir in Bayern vor Ort jetzt sofort tun müssen.
Selbstverständlich brauchen wir endlich eine internationale Friedensdiplomatie und eine internationale Krisendiplomatie. Der schreckliche Krieg in Syrien wütet
seit mehr als viereinhalb Jahren. Er war fast schon aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit geraten. Es gab keine Friedensinitiativen mehr. Kaum jemand mehr hat sich um dieses schreckliche Thema gekümmert. Erst jetzt, da das Elend der Flüchtlinge mitten in Europa ankommt, da es mit den Flüchtlingen sozusagen vor unserer Haustür steht, erst jetzt merken Europa und auch die UN, dass wir nicht einfach so weitermachen können, dass wir nicht weiter so zusehen können. Deshalb muss auch von Deutschland und Europa aus verstärkt Druck auf eine internationale Friedensdiplomatie gemacht werden, damit wir zumindest zu einem Waffenstillstand in Syrien kommen.
Was ist denn momentan weltweit los? - Wir hören die Nachrichten aus Afghanistan, aus Kundus. Wir bekommen mit, dass auch die Nachbarländer Syriens extrem belastet sind und instabil zu werden drohen. Deswegen müssen wir auf internationaler Ebene alles tun, um die Krisenherde zu stabilisieren, statt möglicherweise mit Waffenlieferungen dazu beizutragen, dass es noch mehr Instabilität und noch mehr Krisen gibt.
Selbstverständlich müssen wir die Situation in den Flüchtlingscamps in den Krisengebieten und den Nachbarländern verbessern. Darin stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Kreuzer, zu diesem Punkt Ihres Antrags. Wir müssen die Nachbarländer Syriens stabilisieren. Wenn wir es nicht schaffen, dass die Menschen in den dortigen Lagern überleben können, weiß ich nicht, was dann noch alles passieren wird. Die Summen, über die momentan diskutiert wird, reichen hinten und vorne nicht aus. Sie sind, ehrlich gesagt, lächerlich. Deshalb braucht es eine Initiative der Bundesregierung zu viel deutlicheren und kraftvolleren Anstrengungen. Diese Regionen zu unterstützen, ist eine herausragende und wichtige Aufgabe. Auch dabei werden Deutschland und Europa ihrer Verantwortung noch nicht gerecht.
Die Lösung liegt in mehr Solidarität und nicht in weniger Solidarität. Wir brauchen mehr Solidarität auf europäischer Ebene, auf deutscher Ebene und auch auf der Alltagsebene in den Kommunen. Wir stehen vor einer riesigen Aufgabe, die wir lösen können, wenn alle Ebenen von der EU über den Bund und die Länder bis hin zu den Kommunen diese Aufgabe endlich als gemeinsame Aufgabe annehmen und sich nicht den Schwarzen Peter gegenseitig zuschieben.
Alleingänge, wie wir sie im Moment insbesondere von Herrn Seehofer und der CSU hören, lösen die Probleme nicht; sie schaffen in der derzeitigen Situation nur zusätzliche Probleme. Zusätzliche Probleme können wir im Moment am allerwenigsten brauchen.
Bei allen Problemen und Herausforderungen, die wir haben, sollten wir nie vergessen: Die wirklichen Probleme, die existenziellen Probleme haben nicht wir, haben die Flüchtlinge.
In Bayern sollten wir uns darauf konzentrieren, was wir hier und jetzt tun können und was wir sofort unternehmen müssen. Die erste und wichtigste Aufgabe besteht darin, die Unterkünfte winterfest zu machen. Die Zelte, die nicht beheizbar sind, können nur noch ein paar Tage genutzt werden. Deshalb müssen wir alles tun, um sofort winterfeste Unterkünfte zu bekommen. Ich frage mich schon, wieso es bis heute kein Leerstandskataster für ganz Bayern gibt. Wieso liegt uns das noch nicht vor? - Es müsste sofort auf dem Tisch liegen, damit wir alle verfügbaren leerstehenden Gebäude nutzen können.
(Thomas Kreuzer (CSU): Damit wir dann noch mehr einweisen können? – Zuruf von der CSU: Das haben wir schon!)
- Wenn Sie das haben, ist es wunderbar. Wir, die Opposition, haben es nicht. Bisher liegen der Öffentlichkeit und uns, der Opposition, kein Liegenschafts- und kein Leerstandskataster vor. Legen Sie das sofort auf den Tisch!
- Damit wir alle wissen, wo es Möglichkeiten gibt. Es gibt Baumärkte, die leer stehen, es gibt Unterkünfte, die leer stehen, und es gibt Hallen, die leer stehen; ein solches Kataster ist eine wichtige Information, damit vor Ort Unterkünfte geschaffen werden können und Flüchtlinge im Winter nicht in unbeheizbaren Zelten leben müssen.
Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage. Sie können am Ende meiner Rede etwas sagen. - Zweitens müssen wir diejenigen stärken, die vor Ort, zum Teil rund um die Uhr, alles tun, um die Flüchtlinge zu unterstützen und ihnen zu helfen, ihre Situation zu bewältigen. Die Leistungen der
Hilfsorganisationen, der Kommunen und aller Ehrenamtlichen – Sie alle wissen das ? können wir nicht hoch genug einschätzen. Wenn die aus Frust und Überforderung aufgeben, haben wir ein echtes Problem. Deswegen müssen wir alles tun, um die Hilfskräfte vor Ort zu unterstützen.
Drittens müssen wir ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen zur Bewältigung der Situation vor Ort zur Verfügung stellen. Deswegen fordere ich Sie auf, die Pauschale, die jetzt der Bund den Ländern zur Verfügung stellt, zum großen Teil an die Kommunen weiterzuleiten, weil sich auf kommunaler Ebene entscheidet, wie mit der Situation umgegangen wird. Deswegen müssen wir die Kommunen vor Ort stärken und ihnen die finanziellen und personellen Ressourcen dafür zur Verfügung stellen.
Viertens. Wir müssen die Integrationsmaßnahmen sofort auf den Weg bringen. Wir haben in diesem Sommer eine wunderbare Willkommenskultur in unserem Land erlebt. Wir alle können stolz darauf sein, dass so viele Menschen sich engagieren, dass sie die Menschen willkommen heißen, dass sie ihre Kraft und Zeit zur Verfügung stellen und dass sie selber etwas tun, um den Flüchtlingen zu helfen. Diese Willkommenskultur ist ein wunderbares Aushängeschild für unser Land; und darauf können wir stolz sein.
Aber auf diese Willkommenskultur muss jetzt die Integrationskultur folgen. Doch wir merken: Wir sind mit unseren Systemen längst noch nicht fit für die Integration. Das fängt beim Gesundheitssystem an – Stichwort Gesundheitskarte; dazu wird nachher mein Kollege etwas sagen. Es geht weiter über das Bildungssystem und über die Teilhabe. Das heißt, wir müssen jetzt endlich eine Integrationskultur in allen gesellschaftlichen Bereichen verankern. Damit müssen wir sofort beginnen. Schon häufig wurde gesagt: Wir dürfen die Fehler der Vergangenheit in diesem Bereich nicht fortsetzen. Deswegen brauchen wir als Allererstes eine entsprechende Anzahl von Integrations- und Deutschkursen, von Sprachangeboten, von Schulbildung und Ausbildung. All diese Angebote müssen sofort zur Verfügung gestellt werden.
Zum Schluss ein Appell an Sie: Ständig ist die Rede von Massen, Wellen und Strömen. Ich bitte Sie: Es geht um Menschen. Es geht um Kinder, es geht um Frauen, und es geht um Männer. Jeder Einzelne hat ein Gesicht, und jeder Einzelne hat Rechte und hat Würde. Das sollten wir in dieser Debatte niemals vergessen.
Frau Kollegin Bause, die Zwischenfrage vom Kollegen Steiner geht in eine Zwischenbemerkung über. Bitte schön, Herr Kollege Steiner.
Frau Kollegin Bause, ich weiß nicht, ob Sie sich jemals die Zeit genommen haben, zum Beispiel einmal nach Südostbayern zu fahren, in die Landkreise Berchtesgadener Land und Traunstein. Wenn Sie dorthin gefahren sind, müssten Sie wissen, dass alles Nötige getan wird. Die Kommunen und die Ehrenamtlichen tun alles. Es steht genügend Personal zur Verfügung; aber die Menschen im Einsatz können nicht mehr, und wir können auch nicht mehr. Ich weiß nicht, ob Sie die Aussagen Ihres Parteifreundes Rezak kennen, des Miesbacher Landrats.