Protocol of the Session on July 16, 2015

Lieber Kollege Rinderspacher, vorab der Hinweis, dass heute von uns niemand von Grexit gesprochen hat, und das ganz bewusst. Sie haben mit einem nochmaligen, auch von uns für richtig gehaltenen flammenden Appell für ein geeintes Europa als Zusammenschluss von Völkern mit auf der Grundlage einer freien Entscheidung demokratisch gewählten Regierungen abgeschlossen. In Bezug auf das Spardiktat, das wir derzeit in diesem Zusammenhang erleben, gibt es aber schon eine Frage. Sie kennen ja die einzelnen Vorgaben. Eine Mehrwertsteuererhöhung mit dem Ziel einer Konjunkturbelebung erscheint volkswirtschaftlich eher absurd. Weiter sind Rentenkürzungen durchzuführen, und es gibt die von mir schon angesprochene Vorgabe, dass die haushaltswirksamen Gesetze in Brüssel vorzulegen sind, und vieles andere mehr. Glauben Sie denn, dass das der richtige Weg ist, um den Zusammenschluss freier Völker in Europa auf eine tragfähige Grundlage und ein gutes Fundament zu stellen, oder sollten wir nicht wieder mehr auf Freiwilligkeit und Überzeugung setzen?

Eine zweite Bemerkung als Hinweis. Ihre Einschätzung, dass bei einer Ablehnung des dritten Hilfspakets gerade der Teil der Bevölkerung, der ohnehin schon wenig hat, noch notleidender werden würde, macht doch einen Blick auf die bisherigen Entwicklungen notwendig. Wir dürfen nicht so tun, als würden die beiden bisherigen Hilfspakete sowie das dritte, das jetzt ansteht, insbesondere den Menschen in Griechenland mit wenig Geld helfen. Es geht ganz im Gegenteil darum, dass die Griechen weiterhin ihre

Verbindlichkeiten gegenüber den Banken bedienen können. Das aber wollen wir gerade nicht. Ich glaube, dass eher unser Weg Ihrem Ziel näherkommen würde.

Ich wollte nur noch diese Anmerkungen machen und die Frage stellen, ob das Paket wirklich der Weg zu einem geeinten Europa auf guter und freiwilliger Basis sein kann.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Herr Kollege Muthmann, Sie haben gesagt, in Ihrem Antrag sei von einem Grexit nicht die Rede und Sie hätten das auch mit keiner Silbe hier am Rednerpult erwähnt. Sie haben recht. Aber im Ergebnis bedeutet Ihr Antrag natürlich: Griechenland heraus aus der Eurozone. Was denn sonst?

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Eine Zweitwährung!)

Von einer Zweitwährung ist in Ihrem Antrag überhaupt nicht die Rede. Sie sagen, es soll keine Verhandlungen geben.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie dürfen uns nichts unterstellen, was wir nicht gesagt haben!)

Sie sagen, es soll kein Rettungspaket geben. Das bedeutet: Alle Bürgschaften und Garantien werden fällig, Griechenland geht insolvent, und der deutsche Steuerzahler schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Das ist die Folge Ihres Antrags, auch wenn Sie das Wort "Grexit" tunlichst vermeiden.

(Beifall bei der SPD)

Dennoch, Herr Muthmann, sind wir in der Analyse durchaus einig, dass das Rettungspaket, dessen Eckpunkte bereits bekannt sind, möglicherweise nicht ausreichen wird, Griechenland wirklich zu helfen. Uns fehlen wirtschaftliche Impulse. Wo ist das Investitionspaket? Es ist nicht erkennbar. - Im Gegenteil scheint an der einen oder anderen Stelle der Würgegriff mit Blick auf die griechische Nation eher noch etwas härter zu sein, und das hilft niemandem.

Was macht eine Sparkasse, die plötzlich vor der Problematik steht, dass ein Schuldner arbeitslos wird und sein Immobiliendarlehen nicht zurückzahlen kann? Sie bemüht sich natürlich zunächst einmal um Gespräche, wie sie dem Schuldner helfen kann. Sie möchte definitiv keinen Totalausfall; aber so etwas bedeutet ihr Antrag im Kern.

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

Ein Totalausfall würde niemandem nützen, sondern im Gegenteil erheblichen Schaden für Griechenland selbst, für Europa, aber auch für die deutschen Steuerbürger bedeuten. Deshalb kommen Sie zu einer falschen conclusio, auch wenn Sie in der Analyse, dass das Paket nicht hinreichend ist, durchaus richtige Ansätze haben.

(Beifall bei der SPD)

Eine weitere Zwischenbemerkung, Herr Kollege Huber.

Herr Kollege Rinderspacher, ich nehme an, dass die Union und die SPD morgen gemeinsam dem Start weiterer Verhandlungen zustimmen werden. Dennoch möchte ich einen deutlichen Widerspruch gegenüber Ihren Ausführungen anbringen. Sie haben nämlich jetzt im Grunde eine Position eingenommen, die sehr an Eurobonds, das heißt an eine gemeinsame Schuldenteilung in Europa, erinnert.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die kommt so oder so!)

Das ist nicht unsere Position, um das deutlich zu sagen.

(Beifall bei der CSU)

Es kann nicht sein, dass sich eine Nation über Gebühr verschuldet und ohne Rücksicht auf die eigene Leistungsfähigkeit Geld ausgibt, um dann den übrigen Ländern im Eurobereich die Rechnung zu präsentieren.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Ihr gebt noch einmal 80 Milliarden hinterher!)

Das kann nicht solidarisch sein, meine Damen und Herren.

Als Drittes haben Sie gesagt, dass Sie einen eigenen Sparbeitrag der griechischen Austeritypolitik zumindest in dieser Form ablehnen. Dazu muss ich Folgendes sagen. Wenn Sie die Ausgabendynamik in Griechenland in verschiedenen Bereichen nicht brechen, wird jedes Hilfsprogramm in kurzer Zeit von der Dynamik der Ausgaben überrollt sein. Griechenland muss seinen Haushalt selbst auf eine solche Basis stellen, dass er eine dauerhafte Stabilität ermöglicht. Das aber geht nur, wenn man die Dynamik im Ausgabenbereich reduziert. Was Sie als Austeritypolitik bezeichnen, ist Liederlichkeit bei der Gewährung von Kredi

ten. Wir können nicht einfach Griechenland Kredite ohne Bedingungen geben. Solidarität setzt eine Eigenleistung Griechenlands voraus. Andernfalls kann der Rest der Europäischen Gemeinschaft keine Solidarität leisten. Wir müssen Griechenland, der griechischen Regierung, aber auch den Menschen dort klarmachen: Hilfe gibt es nur für den, der selber etwas leistet.

(Beifall bei der CSU)

Kein Widerspruch, Herr Huber. Die SPD hat immer gesagt: Neue Kredite kann es nur gegen entsprechende Reformen geben. Wir halten es für ausgesprochen bedenklich, dass die griechische Regierung nicht bereit ist, beispielsweise den Verteidigungshaushalt ein Stück weit zu kürzen. Griechenland hat innerhalb der Europäischen Union nach Großbritannien die zweithöchsten Verteidigungsausgaben, und das als Nato-Mitglied, das auf die Beistandspflicht der anderen bauen könnte, auch wenn es auf 400 oder 500 Millionen Euro verzichten würde.

Selbstverständlich muss es den Beitrag der Griechen geben. Aber, Herr Huber, wir sollten auch in der differenzierten Debatte ein Stück weit ehrlich sein. Sie sprechen von Eurobonds und lehnen die Vergemeinschaftung von Schulden ab. Aber was sind denn die fast 300 Milliarden Euro Schulden der Griechen? Erleben wir da etwas anderes als die Vergemeinschaftung von Schulden? Was hat die EZB gemacht? - Sie hat in erheblichem Maße Schulden vergemeinschaftet, und da stecken wir nun einmal mit drin. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wie wir da wieder herauskommen und welcher der beste Weg ist. Es geht nur darum, was der beste Weg ist. Es geht nicht darum, sich gegenseitig rhetorisch zu überflügeln, wer die Griechen härter an die Kandare nimmt und wer nicht.

(Beifall bei der SPD)

Es geht auch nicht darum, in Wahrheit das zu organisieren, was Sie in Ihrer Rhetorik ablehnen; denn das, was die Kanzlerin jetzt vorhat, ist nichts anderes als die Dynamisierung der Transferunion. Wenn Kredite gestreckt bzw. prolongiert und Zinsen gestundet werden, dann entsteht ein Kreditkreislauf, in dem alte Kredite von neuen Krediten abgelöst werden. Das kann doch wirklich in niemandes Interesse sein – nicht in Ihrem, nicht in unserem, nicht im griechischen Interesse. Das wäre erst recht nicht im Sinne der deutschen Steuerbürger. Deshalb erwarte ich jenseits der Wahlkampfrhetorik ein Stück weit mehr Ehrlichkeit in dieser Debatte.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, verbleiben Sie bitte noch hier vorn. – Für eine weitere Zwischenbemerkung Frau Kollegin Kamm, bitte.

Herr Kollege Rinderspacher, könnten Sie auch angesichts der Frage des Kollegen Huber noch einmal darauf hinweisen, dass Deutschland der Schuldenschnitt von 1954 sehr geholfen hat und dass wir ohne diesen Schuldenschnitt nicht die wirtschaftliche Entwicklung hätten nehmen können, die wir genommen haben?

(Unruhe bei der CSU)

Das ist tatsächlich so, wobei historische Vergleiche immer schwierig sind, Frau Kollegin Kamm.

Der Internationale Währungsfonds sieht die Schuldentragfähigkeit von Griechenland in keiner Weise als gegeben an. Die Schuldensituation wird sich bis 2020 noch einmal verschlechtern; dann wird der Schuldenstand auf über 200 % des Bruttoinlandsprodukts gestiegen sein. Es hat keinen Sinn, nach einer nüchternen Analyse dieser Zahlen von einer Streckung der Kredite über 30, 40 oder gar 60 Jahre zu reden. Das wäre nur insofern gut und schön, als man damit das Problem innenpolitisch ein Stück weit weggedrückt hätte. Nachfolgende politische Generationen müssten sich damit umso intensiver beschäftigen.

Was wir definitiv benötigen, ist eine ehrlichere Analyse, auch jenseits von Wahlkampfgetöse. Deshalb war der Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER zwar eine gute Initialzündung für eine Debatte hier im Landtag. Aber die Art und Weise, in der hier dann doch wieder diskutiert worden ist, zeigt, dass offensichtlich auch bei uns innenpolitische Überlegungen das Anerkennen volkswirtschaftlicher Realitäten und der Bedeutung eines an europäischen bzw. internationalen Erfordernissen ausgerichteten Handelns ein Stück weit überlagern.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Kollege Gehring hat sich noch gemeldet. Bitte schön.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wichtig, dass von dieser Debatte ein Signal aller Fraktionen für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone und für eine europäische Vision ausgeht. Deswegen begrüße ich die Beiträge der Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, der SPD und des Kollegen Weidenbusch von der CSU. Sie, Herr Weidenbusch, haben hier eine sehr überlegte, besonnene Rede gehalten. Sie haben ge

sagt, Sie könnten unserem Antrag zustimmen, wenn wir die Begründung ändern oder streichen würden. Die Begründung gehört eigentlich nicht zum Antrag dazu. Wir haben über Umformulierungen und die Streichung nachgedacht. Dennoch ist es Ihnen angesichts der Kürze der Zeit offensichtlich nicht möglich, dem zuzustimmen. Deshalb halten wir unseren Antrag in der ursprünglichen Fassung aufrecht.

Ich halte es dennoch für notwendig, dass wir über die Fraktionen hinweg die Gemeinsamkeiten bei diesem Thema betonen. Wir wollen deutlich machen, dass der Weg, den wir mit Griechenland gehen müssen und gehen werden, Verhandlungen auf Augenhöhe beinhaltet. Wir müssen Möglichkeiten finden, die griechische Gesellschaft und die griechische Wirtschaft angemessen zu unterstützen. Insoweit sollten wir möglichst Einigkeit zeigen. Wenn wir einen gemeinsamen Antrag hätten einbringen können, wäre es schön gewesen. Wir werden, wie gesagt, unseren Antrag in der ursprünglichen Fassung zur Abstimmung stellen. Sie können ihm gern zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. – Für die Staatsregierung hat Frau Staatsministerin Dr. Merk um das Wort gebeten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Wie soll es mit Griechenland weitergehen? - Das ist eine Frage, die sich immer noch zunächst einmal die Griechen selbst stellen müssen; sie müssen sie auch selbst beantworten. Wenn Griechenland als entwickelte Demokratie dauerhaft zu Europa gehören und wieder den europäischen Lebensstandard genießen möchte, muss das Land selbst die hierfür notwendigen stabilen Institutionen und Strukturen schaffen und diesen Wohlstand erwirtschaften.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Dass Athen dies in den langen Jahrzehnten der EUMitgliedschaft noch nicht geschafft hat, hat es allein selbst zu verantworten. Das ist mehr als ernüchternd.

Wie soll es mit Griechenland weitergehen? - Das ist auch zu einer innenpolitischen Frage geworden. Sollen wir Griechenland trotz allem immer noch dabei helfen, bei europäischen Standards anzukommen? Diese Frage zu beantworten fällt nicht leicht. Denn natürlich hat Griechenland, hat die linksradikale Regierung in Athen, haben Premier Tsipras und sein außer Rand und Band agierender Ex-Finanzminister Varoufakis das nötige Vertrauen erst einmal zerstört. Natürlich sind die Kennzahlen der griechischen Wirt

schaft gerade in den vergangenen Wochen wegen des Kamikaze-Kurses von Tsipras und Co. noch einmal dramatisch schlechter geworden. Natürlich machen die begleitenden Äußerungen von Tsipras und seinen Leuten von gestern Abend im griechischen Parlament nicht allzu viel Hoffnung auf einen wirklich nachhaltigen Sinneswandel in Athen.

Aber – jetzt kommt das ganz große Aber – wir dürfen uns bei unseren Entscheidungen darüber, wie es weitergehen soll, nicht von Emotionen leiten lassen. Wir müssen in unserem ureigenen Interesse nüchtern entscheiden und uns von der Vernunft leiten lassen.