Antrag der Abgeordneten Florian von Brunn, Harry Scheuenstuhl, Klaus Adelt u. a. (SPD) Vollwertiges Widerrufsrecht für Apps und digitale Inhalte einführen (Drs. 17/4461)
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 13. Juni des vergangenen Jahres ist die neue EU-Verbraucherrechte-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt worden. Damit ist eigentlich auch ein Widerrufsrecht für sogenannte unkörperliche digitale Inhalte wie Apps, Software, E-Books, Musik und Filme geschaffen worden.
Der Gesetzgeber hat aber das Problem erkannt, dass beispielsweise bei Musik und Filmen die Verkäufer der Online-Shops Gefahr laufen, Verleihshops zu werden. Man sieht sich einen Film an oder hört Musik und gibt dann wieder alles zurück. Der Gesetzgeber hat deshalb für die Verkäufer die Möglichkeit geschaffen, einen Verkauf so zu gestalten, dass der Kunde mehr oder weniger gezwungen wird, auf sein Widerrufsrecht durch einen Download zu verzichten. Das heißt, faktisch gibt es bei Apps kein Widerrufsrecht mehr, allenfalls Widerrufsmöglichkeiten aufgrund Verkäuferkulanz.
Wenn man sich aber anschaut, wie das gehandhabt wird, dann stellt man Folgendes fest: Google bietet in seinem Play-Store offiziell zwei Stunden Widerrufsrecht an. Angeblich soll das informell manchmal auch anders gehandhabt werden. Zwei Stunden sind es aber offiziell. Apple bietet zwar ein 14-tägiges Widerrufsrecht an, Kunden, die davon häufiger Gebrauch machen, wird dieses Widerrufsrecht aber entzogen. Andere schließen es grundsätzlich aus. Das heißt, in der Praxis ist die neue Regelung weder transparent noch verbraucherfreundlich. Im Gegenteil, der Käufer ist vom guten Willen und von den Zugeständnissen des Verkäufers abhängig. Wir wollen deshalb ein vollwertiges Widerrufsrecht für diese digitalen Inhalte, vor allem aber für Apps.
Im federführenden Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen hat die CSU den Antrag mit der aus unserer Sicht völlig falschen Begründung abgelehnt, seit Juni 2014 bestünde dieses Widerrufsrecht, es gebe keinen Handlungsbedarf. Das Verbraucherschutzministerium hat allerdings in seiner Antwort auf meine Schriftliche Anfrage "Rückgaberecht für Apps auch nach dem Download" geschrieben:
Das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei digitalen Inhalten erlischt infolge der Umsetzung der Verbraucherrechte-Richtlinie... unter den dort genannten Voraussetzungen mit Beginn des Downloads. Der Verbraucher hat damit nicht die Möglichkeit zu prüfen, ob die digitalen Inhalte seinen Bedürfnissen und Erwartungen entsprechen.
Diese grundsätzliche Schlechterstellung des Verbrauchers im Verhältnis zu nicht-digitalen Leistungen ist kritisch zu sehen.
Was denn jetzt? – Die Staatsregierung sagt hü, die CSU sagt hott. – Sprechen Sie nicht miteinander? Bereiten Sie sich inhaltlich nicht vor, oder lehnen Sie die Anträge der Opposition doch nur reflexartig ab, Herr Heike, was wir ohnedies vermuten?
Sehr merkwürdig ist auch die Begründung der FREIEN WÄHLER für ihre Ablehnung im Ausschuss gewesen. Die Rückgabe beziehungsweise der Widerruf seien technisch nicht möglich. Natürlich ist eine Rückgabe beispielsweise über die Sperrung von Seriennummern und andere Techniken technisch möglich. Sie sind da nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Wirklich fragwürdig aber finde ich das Argument, es handle sich nur um Bagatellbeträge, damit müsse der Kunde leben. So steht es im Protokoll. Also erstens sind einzelne Apps deutlich teurer, denken Sie nur an Navigations-Software. Zweitens - und da lege ich Wert drauf -, was für einen Verbraucher ein Bagatellbetrag ist, das hängt doch sehr stark vom Geldbeutel und vom Einkommen ab. Wenn Sie das noch nicht juckt, dann gilt das noch lange nicht für Normal- und Geringverdiener.
Drittens. Verbraucherrechte müssen unabhängig vom Geldwert der jeweiligen Ware gelten. Wo wollen Sie denn sonst die Grenze ziehen?
Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben gerade bei kleineren Warenwerten Probleme, wenn der Gang zur Verbraucherzentrale oder zum Rechtsanwalt aufgrund des Warenwerts ausscheidet. Dann ist der Verbraucher einfach nur der Dumme, und der Verkäufer kann machen, was er will. Das halten wir nicht nur für moralisch fragwürdig, sondern auch für volkswirtschaftlich unsinnig, weil es letztendlich die Verbreitung von Murks fördert.
Deswegen fordern wir ein vollwertiges Widerrufsrecht auch für Apps. Man kann sich bei Problemwaren wie Filmen oder Musik, also bei Waren, die innerhalb der Widerrufsfrist schon erschöpfend genutzt werden können, Gedanken darüber machen, wie man damit umgeht. Aber grundsätzlich muss die Benachteiligung des Verbrauchers beim Erwerb von digitalen Inhalten, beim Kauf von Apps beseitigt werden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist richtig, wie der Kollege von Brunn gesagt hat, dass wir im Rechtsausschuss schon heftig darüber diskutiert haben. Es gibt dieses Recht bei Fernabsatzverträgen, das besagt, dass man innerhalb von 14 Tagen bei sogenannten Haustürgeschäften und Ähnlichem widerrufen kann. Das geht aus technischen Gründen bei den Apps in dieser Form nach unserer Meinung nicht. Sie haben gesagt, man könnte eine Sperrnummer einbringen oder irgendsowas. Das ist nicht das Entscheidende.
Ich muss sagen, Sie haben in Ihrer Pressemitteilung zumindest versucht, die Staatsregierung und die sie tragende Fraktion vorzuführen.
Es ist aber nicht korrekt zitiert worden; denn die Staatsregierung hat auch Folgendes gesagt, und das ist der ganze Satz: "Die Staatsregierung setzt sich deshalb für ein vollwertiges Widerrufsrecht für digitale Inhalte ein, das aber auch den berechtigten Interessen der Urheber Rechnung trägt." – Wir müssen also beides sehen.
Wenn Sie sagen, dass man beim Download in die Abhängigkeit kommt, sprich: dass ein Vertrag geschlossen ist, ist das ja richtig. Das Problem ist aber: Unsere gesetzlichen Grundlagen sind nicht nur das BGB, in dem Fall § 312 oder auch § 356 BGB, wonach das Widerrufsrecht bei einem "Vertrag über die Lieferung von nicht auf einem körperlichen Datenträger befindlichen digitalen Inhalten" erlischt, wenn der Unternehmer mit der Ausführung des Vertrags begonnen hat. Das ist es eben nicht. Das ist inzwischen europäisches Recht.
Wir müssen auch davon ausgehen: Wenn ich downloade, dann kann ich darüber verfügen. Wenn ich das Produkt zurückgebe, dann nützt das nichts, wenn ich zur gleichen Zeit trotzdem noch eine Kopie, die ich vorher ziehen kann, verwenden kann. Hier kommen wir also nicht weiter. Das ist ja wohl auch in der Verbraucherrechte-Richtlinie der EU am 13. Juni 2014 – Sie haben sie zitiert – geregelt. Aufgrund der vollharmonisierenden Natur – ein schöner Satz – ist den Mitgliedstaaten ein Abweichen sowohl nach unten als auch nach oben verwehrt. Auf gut Deutsch: Diese Verträge sind Punkt für Punkt einzuhalten und sind europäisches Recht.
Deswegen ist Ihr Antrag zwar gut gemeint, aber nach der heutigen Situation sehen wir keine Chance, in die
sem Falle eine Änderung vorzunehmen. Wir müssen einfach die weiteren Verhandlungen mit der EU führen. Das wird wahrscheinlich das Wichtigste sein, um dann das zu finden, was Sie und ich und was auch die Staatsregierung gesagt hat, nämlich dass man eine Möglichkeit hat, aus dieser vertraglichen Regelung hinsichtlich der Apps herauszukommen. Aber so einfach, Herr Kollege, wie Sie es gerne hätten und wogegen ich prinzipiell, wenn ich die rechtliche Seite ausschließe, gar nichts hätte, ist das leider eben nicht.
Deswegen können wir uns Ihrem Vorschlag nicht anschließen. Wir bitten die Staatsregierung weiterhin darum, dass sie die Möglichkeit gibt, diese Möglichkeiten auszuschöpfen, die uns bisher noch verwehrt sind. – Bitte.
Gut. Vielen Dank. Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück. – Aber jetzt erteilen wir dem Kollegen von Brunn das Wort für eine Zwischenbemerkung.
Sehr geehrter Kollege Heike, ich möchte schon darauf hinweisen: Ich wüsste technisch nicht, wie man eine App auf einem Smartphone kopiert. Ich weiß allerdings, dass es sehr wohl möglich ist, sie zum Beispiel über den Store zu deinstallieren oder zu deaktivieren, dass sie natürlich auch außer Funktion gesetzt werden kann mit Seriennummern – das wird tatsächlich schon so praktiziert von den großen Anbietern wie Google, Microsoft oder Apple, denen ist das eigentlich egal, ob die App verkauft worden ist oder nicht – bzw. sie lassen es sogar weiterlaufen beim Kunden, der Kunde erhält den Geldbetrag erstattet. Es gibt also sehr wohl Lösungen. Deswegen kann ich das nicht nachvollziehen, was Sie in diesem Punkt argumentieren.
Das ist durchaus eine Meinung, die ich auch akzeptiere. Aber es ist halt eine Meinung. Ich muss aber danach gehen, was Recht und Gesetz ist. Die EU-Richtlinie sagt hier leider eindeutig, dass diese Ideen leider nicht machbar sind. Wir brauchen die EU dabei. Wir müssen darauf hinwirken, dass wir dort auf den Weg kommen.
Ansonsten: Die Kopie kann ich machen. Ich kann es selber nicht, ich bin da kein Fachmann, aber ich habe in meiner Verwandtschaft jemanden, der das sehr gut kann, weil er es beruflich macht; der hat mir das mal gezeigt und geschildert. Es geht. Das Urheberrecht ist auch ein Recht, das uns sehr wichtig sein sollte, für meine Fraktion auf alle Fälle.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Ein vollwertiges Widerrufsrecht für Apps? – Wir sind da skeptisch; denn es ist im Grunde bei uns im BGB – Kollege Heike hat es gesagt – in § 312 geregelt, dass das Widerrufsrecht erlischt, wenn die Sache von ihrer Beschaffenheit her nicht zurückgegeben werden kann. Ich denke, bei Apps und elektronischen Dingen ist die Gefahr eigentlich sehr groß, dass man sie nicht mehr zurückgeben kann. Ich glaube, dass hier der Verbraucher durch die Richtlinie nicht schlechtergestellt worden ist, sondern eigentlich besser. Im Grunde muss man sagen, dass vielleicht der Antragsteller den Sinn und Zweck von Widerrufsrechten nicht ganz kapiert hat; denn bei Rückgabe elektronischer Waren ist die Möglichkeit des Missbrauchs gegeben. Der Widerruf soll nicht unbedingt das Risiko eines Fehlkaufs ausschließen; denn wenn ich in einen Laden gehe und etwas kaufe, habe ich auch kein Widerrufsrecht. Ich habe allenfalls die Rechte einer Mängelgewährleistung bis zum Rücktritt vom Vertrag. Das sind die Rechte, die mir dann zustehen. Widerrufsrechte habe ich nur in einem ganz eng begrenzten juristischen Rahmen, wenn es anders nicht geht oder wenn ich irgendwie unter Druck gesetzt worden bin, etwas zu kaufen, wie an der Haustüre. Von daher kann man das nicht 1 : 1 übertragen.
Wir sind hier, wie gesagt, sehr skeptisch und glauben, dass die anderen Rechte eigentlich ausreichen, den Verbraucher zu schützen, und dass man dem Verbraucher eher Steine statt Brot gibt. Von daher werden wir den Antrag kurzum ablehnen.
Herr Kollege Streibl, ich will Sie da schon etwas fragen. Was macht denn ein Verbraucher oder eine Verbraucherin Ihrer Meinung nach, wenn er oder sie eine Navigations-Software für 20 oder 30 Euro kauft und diese dann nicht funktioniert? Sie wollen ihm oder ihr offensichtlich kein Widerrufsrecht geben. Er oder sie hat auf dem Smartphone eine Anwendung, die nicht funktioniert. Das ist dann ein Bagatellbetrag, mit dessen Verlust er oder
Er hat zivilrechtliche Ansprüche. Das Widerrufsrecht ist ja auch ein zivilrechtlicher Anspruch. Die Ansprüche, die er nach dem Gesetz hat, muss er wahrnehmen und sagen: Ich möchte eine Software haben, die funktioniert. Diesen Anspruch hat er, und er kann ihn auch durchsetzen.
(Florian von Brunn (SPD): Das war ein Zwischenruf! – Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Ich habe zurückgerufen!)