Protocol of the Session on February 11, 2015

Meine Damen und Herren, die Gesetze, die heute und hier beschlossen werden, haben weitreichende Auswirkungen. Ich befürchte, dass ein Gesetzentwurf die Mehrheit erhält und sie sich alle nicht bewusst gemacht haben, was sie heute verabschieden. Mit Ihrem Gesetz, das Sie umsetzen wollen, entfernen Sie sich ein Stück vom Bürger. Das ist nicht die Koalition mit dem Bürger, die der Ministerpräsident immer anführt. Das ist genau das Gegenteil. Es handelt sich nicht um ein Anhören des Bürgers, sondern um ein Befragen und letztlich um ein Ausfragen des Bürgers. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Bitte überlegen Sie sich das noch einmal.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege. – Als Letzter hat Staatsminister Joachim Herrmann das Wort. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Herr Präsident, Hohes Haus! Heute behandeln wir in Zweiter Lesung insgesamt fünf Gesetzentwürfe, die sich mit der Frage befassen, wie in Bayern neue Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes geschaffen bzw. Regelungen zum Volksbegehren und zum Volksentscheid modifiziert werden können. Die Bayerische Verfassung betrachtet direkt-demokratische Elemente als eine sinnvolle Ergänzung repräsentativer Demokratie. Damit haben wir in all den Jahren in Bayern sehr gute Erfahrungen gemacht. Im bundesweiten Vergleich sind wir das Land mit den meisten Volksund Bürgerbegehren sowie Volks- und Bürgerentscheiden. In keinem anderen deutschen Bundesland findet so viel direkte Demokratie statt wie im Freistaat Bayern.

Unser Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung vom 12. November 2013 erklärt, dass Bayerns Bürger nicht Adressat, sondern Partner der Politik seien. Der Freistaat Bayern soll Vorbild für einen modernen Bürgerstaat des 21. Jahrhunderts sein. Mit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung soll erstmals innerhalb Deutschlands die Möglichkeit geschaffen

werden, das Volk im Wege einer Befragung an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zu landesweit bedeutsamen Vorhaben des Staates zu beteiligen. Damit werden die in der Bayerischen Verfassung vorhandenen Elemente direkt-demokratischer Mitwirkung, die neben den Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene bisher nur im Bereich der Gesetzgebung existieren, im Interesse einer stärkeren Beteiligung des Volkes erweitert. Durch die Volksbefragung wird bei Vorhaben des Staates mit landesweiter Bedeutung erstmals eine Mitwirkung im Bereich des Regierungshandelns ermöglicht. Das Ergebnis der Volksbefragung soll keine rechtliche Verbindlichkeit besitzen. Das nimmt ihr jedoch nicht die Bedeutung für den weiteren Willensbildungsprozess. Wenn Landtag und Staatsregierung übereinstimmend die Durchführung einer Volksbefragung beschlossen haben, werden sie sich mit der auf diesem Weg geäußerten Volksmeinung sicherlich intensiv auseinandersetzen.

(Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Na ja!)

Herr Kollege Streibl, was daran absolutistisch sein soll, kann ich auch nach Ihren Ausführungen wahrlich nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der CSU – Bernhard Pohl (FREIE WÄHLER): Weil das Volk nicht verbindlich entscheiden darf, ganz einfach!)

Wie man überhaupt von unserer Lebenswirklichkeit her gesehen zu der Betrachtung kommen kann, dass man sich von jemandem entfernt, wenn man ihn befragt, ist nur ein Gedankengang, der für viele in diesem Haus nicht ganz nachvollziehbar ist. Ich messe damit allen Fragen, die Sie regelmäßig an mich stellen, eine ganz neue Bedeutung bei, lieber Herr Kollege Streibl.

(Florian Streibl (FREIE WÄHLER): Da stimmt das Verhältnis zwischen Legislative und Exekutive!)

Schauen wir mal, wie sich das in Zukunft weiterentwickelt.

Meine Damen und Herren, Volksbefragungen bedürfen in der nach dem Gesetzentwurf der Staatsregierung vorgeschlagenen Ausgestaltung keiner Verankerung in der Verfassung, weil die verfassungsmäßigen Kompetenzen und Befugnisse von Landtag und Staatsregierung dabei gewahrt werden. Volksbefragungen können nur auf übereinstimmenden Beschluss beider Staatsorgane hin durchgeführt werden. Ihr Ergebnis ist rechtlich unverbindlich. Die Gesetzgebung ist dabei ausgenommen. Damit bleiben die in der Verfassung geregelten Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten unberührt.

Erfreulicherweise stimmen CSU-Fraktion, SPD-Fraktion und Staatsregierung wenigstens in dem Punkt überein, dass Volksbefragungen aufgrund ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit keiner Verankerung in der Verfassung bedürfen. Soweit jedoch von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Auffassung vertreten wird, dass mit dem vorliegenden Regelungskonzept der Staatsregierung Oppositionsrechte verletzt werden, kann ich dies wiederum nicht nachvollziehen; denn der Opposition wird nichts genommen, was ihr nach der Verfassung zustehen würde. Aus Artikel 16a der Bayerischen Verfassung folgt nicht, dass auch einer Minderheit das Recht auf Durchführung einer Volksbefragung eingeräumt werden muss.

Auch der vorgetragene Einwand, dass die Mitwirkungsmöglichkeiten der Opposition eingeschränkt werden, ist unbegründet, weil es diese Möglichkeit bisher nicht gegeben hat. Die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten werden im Gegenteil sogar gestärkt. Entscheiden sich Landtag und Staatsregierung für eine Volksbefragung, sehen sie nämlich zunächst von einer Entscheidung in der Sache ab. Stattdessen eröffnen sie damit dem Volk die Möglichkeit, sich zu einem geplanten Vorhaben des Staats zu äußern. Damit wird ein weiterer, politischer Willensbildungsund Entscheidungsprozess in Gang gesetzt, bei dem sich auch die Opposition mit ihren Positionen werbend einbringen kann.

Auch die Vorstellung, das Volk würde zur bloßen Akklamation angerufen, scheint mir dem Volk allzu wenig zuzutrauen. Nicht obrigkeitsstaatliches Denken, sondern Selbstbewusstsein und eigene Meinungsbildung prägen unsere aufgeklärte Demokratie. Auch die Praxis zeigt, dass Abstimmungen keineswegs nur der Mehrheit in den Vertretungskörperschaften folgen.

Meine Damen und Herren, vor 2.500 Jahren haben Könige, Feldherren und andere das Orakel von Delphi befragt und mehr oder minder kluge Antworten bekommen. Es entspricht im 21. Jahrhundert unserem demokratischen Verständnis, nicht Orakel zu befragen,

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Da hat sich schon etwas weiterentwickelt!)

auch nicht Orakel vom Bodensee, sondern das Volk, die Bevölkerung, die Menschen in Bayern.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das Orakel Horst, nichts anderes! – Hubert Aiwanger (FREIE WÄH- LER): Immer noch das Orakel wie vor 2.000 Jahren!)

Das ist richtungweisend. Das ist im 21. Jahrhundert der Maßstab. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Herr Staatsminister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Dazu werden die Tagesordnungspunkte wieder getrennt.

Ich lasse zunächst über den Tagesordnungspunkt 1 abstimmen. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/403 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen empfiehlt die Ablehnung. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der CSU, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? - Ich sehe keine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 2. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion der FREIEN WÄHLER auf Drucksache 17/790 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der CSU, der SPD und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Ich lasse nun über den Initiativgesetzentwurf der Fraktion der FREIEN WÄHLER auf Drucksache 17/1028, Tagesordnungspunkt 3, abstimmen. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Die Fraktion der SPD. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 4. Der Abstimmung liegt der Initiativgesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 17/1600 zugrunde. Der federführende Ausschuss für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen empfiehlt die Ablehnung des Gesetzentwurfs. Wer dagegen dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die

Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Die Fraktionen der CSU und der SPD. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion der FREIEN WÄHLER. Damit ist auch dieser Gesetzentwurf abgelehnt.

Nun kommen wir zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 5. Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf der Staatsregierung auf der Drucksache 17/1745, der Änderungsantrag auf der Drucksache 17/4077 und die Beschlussempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses für Verfassung, Recht und Parlamentsfragen auf der Drucksache 17/5145 zugrunde. Vorweg lasse ich über den vom federführenden Ausschuss zur Ablehnung vorgeschlagenen Änderungsantrag von Abgeordneten der SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/4077 abstimmen. Wer entgegen dem Ausschussvotum dem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der SPD. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der CSU, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Der federführende und endberatende Ausschuss empfiehlt die Zustimmung zum Gesetzentwurf mit der Maßgabe, dass in § 2 Absatz 1 als Zeitpunkt des Inkrafttretens der "1. März 2015"

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Der 1. April!)

und in Absatz 2 als Datum des Außerkrafttretens der "28. Februar 2015" eingefügt wird. Wer dem Gesetzentwurf mit diesen Ergänzungen zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CSU. Gegenstimmen? – Das sind die Fraktionen der SPD, der FREIEN WÄHLER und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist das Gesetz beschlossen.

Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, führen wir gemäß § 56 der Geschäftsordnung sofort die Schlussabstimmung durch. Diese Schlussabstimmung wird auf Antrag der CSU-Fraktion in namentlicher Form durchgeführt. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Dafür sind fünf Minuten vorgesehen. Die Abstimmung ist eröffnet.

(Namentliche Abstimmung von 14.39 bis 14.44 Uhr)

Die Zeit ist um. Ich schließe die Abstimmung. Das Ergebnis wird außerhalb des Saales ausgezählt. Wegen der Bedeutung des Gesetzes warte ich mit der Verkündung des Ergebnisses, bis ausgezählt ist. Mir ist versichert worden, dass das Ergebnis in wenigen Mi

nuten vorliegen wird. Ich hoffe, Sie stimmen dieser Entscheidung zu.

(Unterbrechung von 14.45 bis 14.47 Uhr)

Bevor wir in der Tagesordnung fortfahren,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

gebe ich das Ergebnis der vorher durchgeführten namentlichen Schlussabstimmung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung auf Drucksache 17/1745, Tagesordnungspunkt 5, bekannt. Ich bedanke mich gleichzeitig bei der Verwaltung, dass sie so schnell ausgezählt hat. Mit Ja haben 82 gestimmt, mit Nein haben 69 gestimmt. Stimmenthaltungen: keine. Damit ist das Gesetz angenommen.

(Beifall der Abgeordneten Ingrid Heckner (CSU))

Es hat den Titel: "Gesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes".

(Abstimmungsliste siehe Anlage 1)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Franz Schindler, Dr. Paul Wengert u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Landeswahlgesetzes und des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes (Aufhebung der Vorschriften über den Ausschluss vom Stimmrecht nach Art. 2 Nrn. 2 und 3 LWG und vom Wahlrecht nach Art. 2 Nrn. 2 und 3 GLKrWG) (Drs. 17/1576) - Zweite Lesung

Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt entsprechend der Vereinbarung im Ältestenrat 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion; das sind acht Minuten. Erster Redner ist Kollege Arnold von der SPD. – Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Macht geht vom Volke aus. –

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Vielleicht können wir bitte die Plätze wieder einnehmen.

Alle Macht geht vom Volke aus, und die Kardinalmacht ist das Wahlrecht. Sie gestaltet den Staat; über Wohl und Wehe wird entschieden. Die Gewählten entscheiden repräsentativ. Sie repräsentieren das Volk und tragen Verantwortung auch für

diejenigen, die nicht wählen oder nicht wählen dürfen. Der Wahlausschluss von Personen muss gerade wegen dieser Verantwortung und wegen der Legitimationsnotwendigkeit sorgsam erwogen werden. Es gibt Gründe dafür, die unstrittig sind, teilweise auch diskutabel: Wahlalter, geistiger Zustand. Hier steht aber der sogenannte Wahlausschluss von Vollbetreuten, also von Menschen, die unter Vollbetreuung stehen, und strafrechtlich wegen Schuldunfähigkeit Sicherungsverwahrten im Mittelpunkt. Diese sind derzeit automatisch von Wahlen ausgeschlossen.