Protocol of the Session on November 12, 2014

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Die Abstimmungszeit beträgt drei Minuten.

(Namentliche Abstimmung von 18.40 bis 18.43 Uhr)

Meine Damen und Herren, ich schließe die Abstimmung. Ich bitte, beide Ergebnisse außerhalb des Saales zu ermitteln. Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen.

Zur gemeinsamen Beratung rufe ich auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Hans Jürgen Fahn u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Bayern sagt Nein zum Investorenschutz: Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) ablehnen! (Drs. 17/4175)

und

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Dr. Linus Förster, Susann Biedefeld u. a. und Fraktion (SPD) Nachverhandlungen der neuen EU-Kommission zu CETA-Vertragsentwurf (Drs. 17/4189)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist Kollege Aiwanger. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Leider ist die Stunde schon fortgeschritten. Wir haben ein sehr wichtiges Thema auf der Tagesordnung. Wir hoffen als FREIE WÄHLER, trotzdem dafür noch Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen und die Sensibilität für dieses Thema erneut zu schärfen.

Vor ziemlich genau einem Jahr war die Regierungserklärung von Ministerpräsident Seehofer. Damals haben wir FREIEN WÄHLER gesagt: Passt auf, mit den Freihandelsabkommen TTIP und CETA kommen Dinge auf uns zu, die vielleicht ein Gefahrenpotenzial bergen. Das war damals noch kein Thema. Heute in aller Munde: Europäische Bürgerinitiative gegen CETA, ein Freihandelsabkommen mit Kanada. Parallel laufen Verhandlungen zum TTIP, Freihandelsabkommen mit Amerika.

Zunächst könnte man sagen, Handel ist was Gutes, und wenn Zölle und Schranken abgebaut werden, ist das in der Regel ebenso. Aber, meine Damen und Herren, in diesen Abkommen schlummern einige Bomben, die nicht nur wir sehen, sondern die sehr viele sehen, die der Mittelstand sieht, die die kommunalen Spitzenverbände sehen, die der politisch interessierte Bürger sieht und die, so glaube ich, wir alle im Hause sehen, und zwar ganz konkret das Thema des Investorenschutzes. Das ist eine Klausel in diesen Handelsverträgen, die Konzernen das Recht zubilligen soll, gegen Staaten zu klagen, wenn sie ihre Gewinnerwartungsaussichten durch Gesetzgebung, durch Reglementierungen und dergleichen gefährdet sehen.

Aktuelles Beispiel, aufgrund eines Investorenschutzparagrafen: Klage des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland auf Zahlung von mehreren Milliarden Euro aufgrund des Atomenergieausstiegs. Die Bundesre

publik hat vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe in Fukushima gesagt, Atomenergie ist nicht mehr verantwortbar, wir müssen da raus. Daraufhin sagt ein Konzern: Liebe Freunde, ich habe da investiert; darum müsst ihr mich in Milliardenhöhe entschädigen.

Meine Damen und Herren, weitere Beispiele gibt es zuhauf. Eine kanadische Goldgräberfirma klagt gegen Rumänien, weil sie in einem rumänischen Dorf nach Gold graben will und die Enteignung dieser Bürger nicht vorwärtsgeht. Zigarettenkonzerne klagen gegen Staaten, weil eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes dazu führt, dass sie nicht mehr so viele Zigaretten verkaufen können. Sie klagen wegen Geschäftsschädigung.

Diesen Paragrafen sollen wir jetzt wieder drin haben in einem CETA, sollen wir wieder drin haben in einem TTIP? - Nein, das wollen wir nicht.

Ich erinnere an einen Antrag, den CSU und SPD im Bayerischen Landtag eingereicht und verabschiedet haben. Wir haben uns damals enthalten. Wir wollten die Formulierung damals schärfer. Aber immerhin kam von Ihnen die Aussage zur Teilnahme des Landtags an der Online-Konsultation der EU-Kommission zum TTIP: Der Landtag bringt klar zum Ausdruck, dass ein Investor-Staats-Schiedsverfahren im Hinblick auf die hochentwickelten Rechtssysteme in Deutschland und in den USA nicht in das Abkommen aufgenommen werden soll. Der Bayerische Landtag lehnt die geplante Vereinbarung von Schiedsverfahren ab. Er lehnt grundsätzlich das Investitionsschutzabkommen ab.

Auch hier ist die Parallele CETA/TTIP da. Sie warnen davor, dass mit Schiedsgerichten der Enteignungsbegriff zuungunsten der Staaten ausgespielt werden kann.

Am 1. Juli ist im Landtag hier beschlossen worden: Wir wollen diese Dinge nicht in den Gesetzen haben. Das ist bis vor wenigen Wochen auch draußen so diskutiert worden. Keiner will das. Die SPD hat einen Parteitagsbeschluss. Sie wollen das nicht in diesen Verträgen haben.

Vor zwei Tagen war EU-Außenhandelskommissarin Malmström in Berlin und hat uns gesagt, das Abkommen werde nur noch marginal geändert; diese Dinge würden aber nicht mehr angetastet. Ein Herr Gabriel musste einräumen, dass er sich hier wohl nicht mehr wird durchsetzen können. Deutschland signalisiert aber trotz dieser Situation Zustimmung zu diesem Vertrag.

Meine Damen und Herren, ich will nur zeigen, wie politische Prozesse ablaufen. Vor genau einem Jahr

wurde das hier diskutiert. Keiner hat genau gewusst, worum es geht. In den letzten Monaten heißt es: Um Gottes willen, bitte keinen Investorenschutz und bitte kein Schiedsgericht, das dann außerhalb der nationalen Gerichte entscheidet. Drei Leute sitzen irgendwo am anderen Ende des Atlantiks und sagen: So wird hier entschieden.

Dem sollen wir uns unterwerfen? Wir haben die Beispiele von Vattenfall und anderen. Trotzdem deutet alles darauf hin, dass im nächsten Jahr CETA verabschiedet wird. Dann wird man sagen, das habe man eben nicht verhindern können. Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulassen, dass TTIP im Gefolge kommen wird.

Deshalb haben wir heute erneut einen Antrag gestellt mit dem Appell an die Staatsregierung, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, hier nicht zuzustimmen. Sollte Deutschland in Form eines gemischten Abkommens überhaupt hinzugezogen werden und der Bundesrat die Gelegenheit haben, hierüber abzustimmen, dann sollten wir als Bayern im Bundesrat ein klares Nein aussprechen, und die Staatsregierung sollte auf alle Fälle alles tun, um diese Entwicklung zu verhindern.

Meine Damen und Herren, wenn wir hier zuschauen, dann bestätigen wir den Bankrott der deutschen Politik. Wir wollen das nicht.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Weder Sie noch die SPD noch GRÜNE noch die FREIEN WÄHLER wollen diesen Investorenschutz in einem Vertrag haben. Keiner will die Schiedsgerichte. Trotzdem schauen wir offiziell zu, wenn diese Verträge am Ende unterzeichnet werden und Rechtskraft erlangen. Welche Rolle spielt eine deutsche Politik noch in der EU, wenn sich ein Herr Gabriel Diktaten fügen muss und Dinge akzeptieren muss, die er nicht will?

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Wie kann eine EU-Außenhandelskommissarin sagen, wir ändern daran nichts mehr? Meine Damen und Herren, wenn wir da Gefahr in Verzug sehen – und diese Gefahr ist in Verzug –, dann dürfen wir so etwas nicht unterschreiben. Dann mögen eben einige Zölle und andere Dinge, die vielleicht ganz gut abgeschafft wären, noch einige Zeit weiter existieren.

Wir haben in der Vergangenheit mit Kanada Handel betrieben und mit Amerika Handel betrieben und werden das auch künftig tun.

Wenn Sie genau hineinschauen, was dort alles drinsteht, etwa dass Kanada künftig ohne jede Mengenbe

grenzung und Zölle mit Milchprodukten freien Zugang auf den europäischen Markt hat, dann werden Sie feststellen, dass das nicht unser Hurra verdient. In einer Situation, in der wir aufgrund der RusslandSanktionen selber nicht wissen, wohin mit der Ware, in der der Milchpreis in den Keller fällt und die SPD mit Recht einen weiteren Dringlichkeitsantrag auf der Tagesordnung stehen hat, wie man den Milchpreisverfall stoppt, sagen wir: Okay, das schlucken wir alles, Kanada wird Tür und Tor geöffnet, über 80.000 Tonnen Schweinefleisch nach Europa zu liefern? Sie wissen alle, dass wir in Deutschland alle selber eine Überversorgung haben, holen aber diese Ware dazu. Wir wissen selber nicht, wohin mit der Ware. So dringend sind diese Probleme für uns also nicht, um diese Abkommen unbedingt unterzeichnen zu müssen.

Kanada will Forstprodukte wie Holz nach Europa karren. Natürlich haben wir als Deutsche Interesse, Maschinen, Autos und dergleichen nach Kanada zu exportieren. Genauso wollen aber Kanada und die USA zu uns Maschinen exportieren. Es wurde das Beispiel mit den Blinkern von Autos gebracht und die Blinkerfarben Gelb und Orange als großes Problem dargestellt. Weil diese Blinkerfarben in dem einen Land so und in dem anderen Land anders seien, sollte das einheitlich zertifiziert werden. Das mag alles berechtigt sein. Aber für solche Ziele unterschreibe ich keinen Vertrag, womit ich Konzerne in die Lage versetze, an den nationalen Gerichten vorbei den Staat bei jeder Gelegenheit zu verklagen, wenn er meint, seine Geschäftstätigkeit sei negativ beeinflusst.

Ich denke ein wenig voraus: Was kommt mit Gentechnik auf uns zu? Was kommt mit Fracking auf uns zu? Eine englische Firma erkundet in der Oberpfalz, ob hier sinnvollerweise gefrackt werden kann. Fracking ist auf Bundesebene noch nicht verboten. Selbst wenn man sagt, okay, in Trinkwasserschutzgebieten darf man es nicht, wird es eben außerhalb gemacht. Verbieten wir es ihnen trotzdem, laufen wir vielleicht Gefahr, morgen Schadenersatz zahlen zu müssen. Diese Dinge stehen im Raum. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie erneut, die Brisanz dieses Themas zu erkennen, alle Hebel in Bewegung zu setzen und zu retten, was zu retten ist. Solange diese Schiedsgerichte und dieser Investorenschutz drinstehen, ist dieses Abkommen nicht unterschriftsreif. Dann wird es eben abgelehnt, oder wir machen ohne dieses Abkommen weiter. Das ist klar zu sagen. So wie CETA und TTIP heute aussehen, dürfen wir sie als gute Demokraten heute nicht unterschreiben.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Sind Sie fertig? – Nein.

Noch eine kurze Runde. Ich habe es gleich. - Wir sehen hier auch eine Betroffenheit im Handwerk. Das wird nachher Herr Kollege Häusler noch ausführen. Die Betroffenheit in der Landwirtschaft habe ich kurz angerissen; aber das ist bei Weitem nicht alles.

Wir sehen auf alle Fälle Gefahren im Verbraucherschutz und in der Absenkung von Standards. Wir werden uns rechtfertigen müssen, warum wir gewisse Lebensmittel – Gen-Hormone usw. – nicht haben wollen.

Wir sehen bei den Kommunen einen Privatisierungsdruck, auch mit der Überschrift: Einmal privatisiert, immer privatisiert. Was einmal privatisiert worden ist, kann kaum mehr rekommunalisiert werden. Wir sehen heute bereits in der Energiepolitik, dass die Privatisierung in vielen Bereichen ein Fehler gewesen ist, dass sich der Staat die Handlungsfähigkeit nimmt und wir bei der Energiewende politisch nicht mehr das tun können, was wir gerne täten, weil wir mittlerweile Private an einer zu starken Stelle sitzen haben. Ich appelliere an Sie, Selbiges auf anderen Politikfeldern nicht zu wiederholen. Dringender Appell: CETA und TTIP nicht zu unterschreiben und an der Stelle die Demokratie zu retten.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön, Herr Kollege Aiwanger. Ich muss mich entschuldigen, aber Ihre Pause war länger als gewöhnlich. Deswegen habe ich gedacht, Sie seien fertig.

Die nächste Wortmeldung ist vom Kollegen Dr. Förster für die SPD. Bitte schön.

(Vom Redner nicht autori- siert): Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Aiwanger hat natürlich bei ein paar Punkten recht, sieht aber leider ab und zu drüber hinweg und vermischt manche Dinge, die in dieser Ausführung nicht ganz richtig sind. Das wird diesem wirklich sehr wichtigen Thema nicht richtig gerecht. Da haben Sie vollkommen recht.

Wir werden als SPD-Fraktion dem Dringlichkeitsantrag der FREIEN WÄHLER auf Drucksache 17/4175 nicht zustimmen, auch wenn die Sache richtig und die Begründung des Dringlichkeitsantrags bis auf den letzten Satz wirklich gut und vorbehaltlos richtig ist. Aber wir beschließen nicht den Begründungstext, sondern den Antragstext. Hier haben wir von der SPD eine andere Meinung als die FREIEN WÄHLER; denn die in Ziffer 1 formulierte Aufforderung an die Staats

regierung, sich ohne Wenn und Aber, ohne Differenzierung und ohne Blick auf den exakten Text oder eine Positionierung für eventuelle Nachbesserungen für eine Ablehnung der Unterzeichnung im Rat der Europäischen Union einzusetzen, kommt einer Ablehnung von Freihandelsabkommen per se gleich. Das ist nicht unsere Meinung. Eigentlich hat Herr Kollege Aiwanger gesagt, Freihandelsabkommen seien nicht grundsätzlich schlecht. Freihandelsabkommen können sehr wohl einen positiven Beitrag zu nachhaltigem Wachstum und zur Beschäftigung in Europa leisten. Manche der Punkte, die er genannt hat, haben in unseren Augen auch einen sehr positiven Effekt. In CETA werden auch Qualitätsregelungen genannt, die dafür sorgen, dass wir nicht mit irgendwelchem Schund überschwemmt werden. Da muss man den Text genau anschauen.

Auch wenn Sie ein reflektierender Globalisierungsgegner sind, auch wenn Sie qualitatives Wachstum und quantitatives Wachstum einander gegenüberstellen wollen, müssen Sie doch zugeben, dass Globalisierung im positiven Sinne weitestgehend auch über Handelsabkommen vorangebracht und nachhaltig positioniert werden kann. Ein Freihandelsabkommen ist also an sich nichts Negatives.

Herr Kollege Aiwanger, seit dem Vertrag von Lissabon ist das nicht mehr Sache von Nationalstaaten, die weiterhin mit Kanada Handel treiben, sondern eine klare EU-Aufgabe. Auch das müssen Sie endlich verstehen. Es kommt auf jeden Fall auf den Inhalt an.

Wir Sozialdemokraten haben immer auch klargemacht, dass wir Investoren-Staats-Schiedsstellen zwischen zwei Staaten mit entwickelten Rechtssystemen nicht für notwendig halten. Unsere Genossen in Brüssel haben das in einem Brief an Kommissar de Gucht klar und deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Kommission sollte CETA durch diese unnötigen Klauseln nicht gefährden. ISDS muss aus diesem Vertrag heraus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, in diesem Sinne sind wir der Auffassung, dass CETA, genau wie Sie sagen, in dieser Fassung nicht zustimmungsfähig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden aber ein Freihandelsabkommen mit Kanada sicher nicht per se ablehnen, wie es im Antrag der FREIEN WÄHLER gefordert ist.