Gesetzentwurf der Abgeordneten Margarete Bause, Ludwig Hartmann, Kerstin Celina u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Änderung des Bayerischen Blindengeldgesetzes (Drs. 17/3518) - Erste Lesung
Gesetzentwurf der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Angelika Weikert, Ruth Waldmann u. a. und Fraktion (SPD) zur Änderung des Bayerischen Blindengeldgesetzes (Drs. 17/3768) - Erste Lesung
Den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begründet nun Frau Celina. Später spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Waldmann. Bitte schön, Frau Celina.
W-A-T-E-R – Wasser – diese fünf Buchstaben, im Fingeralphabet auf Helen Kellers Hand geschrieben, öffneten dem im Jahr 1890 geborenen taubblinden Mädchen das Tor zur Welt. Als ihr kaltes Wasser über die Hand rann und ihre Lehrerin gleichzeitig Buchstaben in die Hand schrieb, entdeckte Helen, dass sie sich trotz ihrer Taubblindheit mit anderen Menschen verständigen und an der Welt teilhaben konnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wer von Ihnen das Buch von Helen Keller kennt. Ich kann Ihnen nur empfehlen, es zu lesen. Es zeigt nicht nur, wie ein Mädchen trotz ihrer durch eine Hirnhautentzündung im Alter von zwei Jahren verursachten Taubblindheit ein Tor zur Welt aufstößt, wie sie lernt, übrigens sogar Fremdsprachen, wie sie studiert und sich trotz ihrer Behinderung politisch engagiert. Es eröffnet auch uns gesunden Menschen ein Tor zu einer Welt, die wir kaum kennen, nämlich die Welt der taubblinden Menschen. Und es zeigt eines: Selbst mit einer derart schweren Behinderung kann man am Leben teilhaben.
Die Teilhabe ist, wie man heute sagen würde, personal- und kostenintensiv. Das gilt nicht nur für blinde und taubblinde Menschen, die jetzt schon mit dem
Bayerischen Blindengeld berücksichtigt werden, sondern auch für Menschen, die hochgradig sehbehindert sind und deren Sehschärfe nicht mehr als 5 % auf dem besseren Auge beträgt, wohlgemerkt. Auch sie benötigen persönliche Assistenz sowie technische Hilfsmittel zur Kommunikation. Auch sie benötigen Hilfe zur Mobilität und zur Bewältigung des Alltags. Der dauerhafte Hilfebedarf führt zu einer erheblichen finanziellen Belastung der betroffenen Personen. Sie sind deshalb auf eine Ausgleichsleistung angewiesen.
Deshalb fordern wir mit unserem Gesetzentwurf für hochgradig sehbehinderte Menschen ein abgestuftes Blindengeld in Höhe von 30 % des an blinde Menschen gewährten Blindengeldes. In anderen Bundesländern gibt es übrigens einen Nachteilsausgleich für hochgradig sehbehinderte Menschen. In Berlin erhalten hochgradig sehbehinderte Menschen zwischen 20 und 40 % der Hilfe für blinde Menschen. In Hessen haben sie einen Anspruch auf 30 % des Blindengeldes. In Mecklenburg-Vorpommern sind es 25 %. In Nordrhein-Westfalen gibt es einen monatlichen Festbetrag in Höhe von 77 Euro. In Sachsen liegt der Festbetrag bei 52 Euro, in Sachsen-Anhalt bei 41 Euro. Im Bundesversorgungsgesetz wird die besondere Situation hochgradig sehbehinderter Menschen berücksichtigt. Im Falle einer Schädigung während der Ausbildung für den militärischen Dienst haben sie einen Anspruch auf eine Pflegezulage in Höhe von 282 Euro monatlich. Ausgerechnet unser schönes Bayern soll hintanstehen? - Liebe Kollegen von der CSU-Fraktion, das kann ich einfach nicht glauben.
Sie sind doch gerade dabei, finanzielle Wohltaten im ganzen Land zu verteilen. Wären hochgradig sehbehinderte Bürger denn nicht auch eine geeignete Zielgruppe? Bayern war beim Blindengeld einmal bundesweit Vorreiter. Im Jahr 1949 – das ist lange her – hat Bayern als erstes Bundesland ein Landesblindengeld verabschiedet. Nun ist es an der Zeit, dass der Freistaat dem Vorbild anderer Bundesländer folgt und endlich die bestehende Versorgungslücke für hochgradig sehbehinderte Menschen schließt.
Das Thema ist nicht neu. Im November 2012 haben wir bereits gemeinsam mit der SPD einen Gesetzentwurf zur Einführung eines Taubblindengeldes und eines abgestuften Blindengeldes für hochgradig sehbehinderte Menschen vorgelegt. Damals haben CSU und FDP diesen Gesetzentwurf aus rein fiskalischen Gründen abgelehnt. Im Februar 2013 haben CSU und FDP endlich einen eigenen Gesetzentwurf zur Ände
rung des Bayerischen Blindengeldgesetzes eingereicht und für die derzeit in Bayern lebenden 114 taubblinden Menschen ein erhöhtes Taubblindengeld eingeführt. In den damaligen Landtagsdebatten hat Joachim Unterländer – heute sehe ich ihn nicht – das Taubblindengeld als ersten Schritt im Rahmen eines Mehrstufenmodells dargestellt. Als zweiter Schritt wurde schließlich im Doppelhaushalt 2013/14 das Taubblindengeld eingestellt. Als dritter Schritt sollte damals – Zitat Herr Unterländer – anlässlich des Nachtragshaushalts 2014 der Einstieg in ein Schwerstsehbehindertengeld geschaffen werden. Leider ist die angekündigte Umsetzung der neuen Leistung nicht, wie versprochen, mit dem Nachtragshaushalt 2014 erfolgt. Es ist also höchste Zeit, das Versäumnis im Doppelhaushalt 2015/16 auszugleichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gar nicht so teuer, wie Sie befürchten. Anlässlich unseres aktuellen Gesetzentwurfs haben wir noch einmal genau nachgerechnet. Insgesamt summieren sich die Kosten für das abgestufte Blindengeld lediglich auf 8,82 Millionen Euro. Diese zusätzlichen Kosten liegen aber deutlich unter den jährlichen Einsparungen durch die rückläufige Zahl der Blindengeldempfänger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, war Ihnen eigentlich bewusst, dass in Bayern seit Jahren eine Haushaltskonsolidierung zulasten blinder Menschen erfolgt? In den vergangenen 20 Jahren ist nämlich die Zahl der Blindengeldempfänger in Bayern aufgrund der erheblichen medizinischen Fortschritte bei der Behandlung von Augenkrankheiten um fast 4.000 zurückgegangen. Das ergibt jährlich 20 Millionen Euro Einsparungen. Doch die Kürzung des Blindengeldes um 15 % auf 85 % der im SGB XII vorgesehenen Blindenhilfe ergibt noch einmal eine jährliche Einsparung von rund 12 Millionen Euro. Diese Einsparungen summieren sich auf eine jährliche Summe von ungefähr 32 Millionen Euro bei weiter steigender Tendenz. Einer sozialen Partei stünde es gut an, wenigstens einen Teil des Geldes nicht in die Stammstrecke in München oder in ein Heimatministerium zu investieren, sondern in die besonders benachteiligten Menschen dieses Landes, nämlich die hochgradig sehbehinderten Menschen.
Sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen im Hohen Haus! Ich denke, ich kann meinen Beitrag zur Aussprache relativ kurz halten; denn wir verfolgen mit diesem Gesetzentwurf ein ähnliches Ziel wie die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Diesem Ziel müsste das ganze Haus folgen können. Das müsste jedem einleuchten. Mit unserem Änderungsantrag geht es um eine Ergänzung und die Schließung einer Versorgungslücke.
Eine ganze Menge ist schon passiert. Wir haben insgesamt eine Verbesserung der Leistung beim Blindengeld erreicht. Außerdem haben wir bei den Taubblinden schon Versorgungslücken bereinigt. Jetzt fehlen noch die Leistungen für die hochgradig sehbehinderten Menschen und für die Menschen, die zusätzlich von Taubheit oder an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit betroffen sind. Wir reden von einer Sehbehinderung durch ein minimales Sehvermögen von 2 bis 5 % auf dem besseren Auge. Das heißt, es geht um einen wirklich eingeschränkten Personenkreis, der jedoch sehr stark auf Hilfsmittel angewiesen ist, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. Sie haben – das leuchtet sicher ein – praktisch die gleichen Probleme wie blinde Menschen. Deswegen müssen ihnen die entsprechenden Hilfen zur Verfügung gestellt werden. Sie erhalten aber derzeit in Bayern keine Sozialleistungen zur Finanzierung von Assistenz- oder Hilfskräften für den Haushalt, zum Einkaufen, beim Besuch von Veranstaltungen oder für sonstige Aktivitäten. Ein Großteil der Sehhilfen, wie vergrößernde Sehhilfen, die denjenigen, die wenigstens ein bisschen sehen können, helfen würden, selbstständig zu lesen und sich zu bewegen, werden in einem erheblichen Umfang nicht von den Krankenkassen finanziert und übernommen. Deswegen besteht ein entsprechender Hilfebedarf. Aus den Erfahrungen mit dem Blindengeld wissen wir auch, dass dieses Geld ein geeignetes Instrument zur Teilhabe ist.
Die Leistungen für Menschen, die zusätzlich von hochgradiger Schwerhörigkeit oder von Taubheit betroffen sind, fallen ebenfalls in die Versorgungslücke. Die Zahl dieser betroffenen Personen ist zwar relativ gering, aber Sie können sich vorstellen, wie dringend hier der Hilfebedarf ist. Sinnesbehinderungen addieren sich nämlich nicht einfach, sondern sie potenzieren sich in ihren Auswirkungen für die betroffenen Personen dramatisch. Menschen, die fast nicht sehen können und nicht oder fast nicht hören können, leben sehr oft isoliert. Auch ihre nahen Angehörigen sind enorm belastet. Sie sind praktisch völlig aus der Welt der Sehenden und der Hörenden ausgegrenzt. Sie brauchen Assistenz, oft praktisch rund um die Uhr.
Wir rechnen damit, dass es auch in Berlin zu Entscheidungen kommen wird, die Verbesserungen vorsehen. Die Versorgungslücke besteht aber jetzt. Es gibt keinen Grund, weiter zu zögern. Ich bitte Sie, mit uns zusammen diese Versorgungslücke zu schließen. Das erklärt sich von alleine.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! In Bayern leben derzeit über eine Million Menschen mit schweren Behinderungen. Zu ihnen zählt man aktuell knapp 14.500 blinde Menschen und circa 7.000 Menschen, deren Augenlicht schwer beschädigt ist und die mit diesem Leid umgehen müssen.
In den beiden eingereichten Gesetzentwürfen der GRÜNEN und der SPD wird eine Ausweitung der Leistungen für hochgradig sehbehinderte Menschen gefordert. Mir erscheint es sehr wichtig, zunächst einige bedeutsame Fakten zum Thema Blindengeld zu erläutern; denn in beiden Gesetzentwürfen wurde unserer Auffassung nach eine Forderung des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes einfach eins zu eins übernommen, ohne dass dabei, wie es unerlässlich ist, die Gesamtsituation berücksichtigt wurde.
Gestatten Sie mir, dass ich kurz auf die Rahmenbedingungen der bayerischen Behindertenpolitik eingehe, wie sie der Haushalt des Sozialministeriums vorgibt. Wie Ihnen bekannt, wurde dieser in den vergangenen Jahren deutlich und sehr stark erhöht. So wurde im Nachtragshaushalt 2010 erstmals die Schallmauer von 2,5 Milliarden Euro durchbrochen, bereits 2012 die Schallmauer von 3 Milliarden Euro. Nun stellen wir im neuen Doppelhaushalt jährlich rund 4,4 Milliarden Euro für die Aufgaben des Sozialministeriums zur Verfügung. Das ist, wie ich finde, eine enorme Summe.
Selbstverständlich legen wir bei all den Aufgaben auf diesem Gebiet ein ganz besonderes Augenmerk auf unsere Mitmenschen mit Behinderung. Um ihnen das Leben Schritt für Schritt weiter zu erleichtern, haben
wir uns das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2023 die komplette Barrierefreiheit im öffentlichen Ram zu sichern. Auch hierfür müssen wir die Weichen stellen und die nötigen finanziellen Mittel bereitstellen.
Nach aktueller Rechtslage in Bayern bilden blinde Menschen die einzige Gruppe von Menschen mit Behinderung, die erstens altersunabhängig das Blindengeld von derzeit 544 Euro monatlich erhalten und denen als einziger Gruppe der Behinderten diese Sozialleistung ohne Berücksichtigung ihres Einkommens und Vermögens gewährt wird. Zur Realität gehört auch, dass das in Bayern ausgezahlte Blindengeld in Höhe von derzeit 544 Euro monatlich – ich weiß, das hören Sie nicht gerne – der höchste Blindengeldbetrag aller Bundesländer ist.
Gesetzt den Fall, dass diese Ausnahmeregelung auf die rund 7.000 Sehbehinderten in Bayern erweitert werden würde, führte dies zu einer Beanspruchung von 12,4 Millionen Euro zusätzlich in der Kostenrechnung auf der Basis unserer Daten. Sobald wir dieser Forderung nachgeben, könnten auch andere Behindertengruppen Forderungen nach einkommens- und vermögensunabhängigen Landesleistungen erheben. Das wäre völlig nachvollziehbar und berechtigt. Diese Gruppen könnten somit Folgeforderungen auslösen, die letztlich derzeit unerfüllbar sind.
Zum finanziellen Aspekt kommt hinzu, dass derzeit auf Bundesebene über die Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes beraten wird. Dieses ist insofern aus unserer Sicht sehr wichtig, weil das Blindengeld, eine der Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderung, eine nach dem Sozialgesetzbuch XII vorgelagerte Leistung des Landes ist. Dabei soll es teilweise zu einer Neuordnung der Eingliederungshilfe kommen. Diese Eingliederungshilfeleistungen wären künftig auch ein Bestandteil des sogenannten Bundesteilhabegesetzes. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir von der CSU sind der Auffassung, dass wir die mit diesem Gesetz verbundenen Änderungen in der Ausgestaltung der behindertenpolitischen Leistungen abwarten sollten, da der Bund beispielsweise auch Änderungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung vornehmen könnte.
Ohne den demnächst anstehenden weiteren Beratungen im Sozialausschuss vorgreifen zu wollen, kann ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, versichern, dass auch die CSU-Landtagsfraktion dieses Thema auf der politischen Agenda hat. Auch wir wollen dieser Gruppe von Menschen mit Behinderung die bestmögliche Unterstützung und Förderung zukommen lassen. Doch wir sollten alle im Hinterkopf behalten, dass wir
in Bayern in den vergangenen Jahren enorme Steigerungsraten beim Haushalt des Sozialministeriums zu verzeichnen hatten. Obwohl wir derzeit so viel Geld für Soziales ausgeben wie noch nie, ist es leider auch hier trotzdem nicht immer möglich, auch nicht in diesem Doppelhaushalt, alles Wünschenswerte und Dringende zu finanzieren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich bin mir sicher, wir werden dieses sehr sensible Thema im Sozialausschuss mit Ihnen gemeinsam und wohlwollend diskutieren. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Herzlichen Dank. Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Frau Kollegin Celina hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.
Sehr geehrte Kollegin, zum einem verwehre ich mich gegen den Vorwurf, dass wir nicht alles Erforderliche berücksichtigt hätten. Ich habe in meiner Rede explizit darauf hingewiesen, dass wir uns auf Pläne beziehen, die es schon in der vergangenen Legislaturperiode gab und die von der CSU so gefördert wurden, jetzt aber ohne Grund und ohne Not verschoben werden.
Zum anderen finde ich die Begründung, alle weiteren Behindertengruppen könnten Ansprüche erheben, wenn wir dieser Forderung nachgeben, für ein Mitglied einer Partei, die das Wort "sozial" im Namen trägt, ziemlich hanebüchen. Vor einem Jahr wurde uns gesagt: Wir leben hier im Paradies, und unsere Steuereinnahmen sprudeln am stärksten. – Nun behaupten Sie, nach einer Zustimmung würden alle weiteren Betroffenen Ansprüche stellen. Das finde ich nicht in Ordnung.
Liebe Frau Celina, ich bin mir sicher, dass die CSU-Fraktion das, was sie versprochen hat, einhalten wird und die benannten begleitenden Maßnahmen unseres Vorgehens auch in Zukunft durchführen wird. Vorhin mussten wir uns den Vorwurf des fiskalischen Verschiebens anhören. So ist es nun einmal: Es liegt nicht am Wollen, sondern am Können.
Sehr geehrte Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Blindengeld beziehungsweise diese Beihilfe gab es meiner Meinung nach schon einmal in erhöhter Form. Es geht darum, den Lebensmehraufwand von Menschen mit hochgradiger Sehbehinderung oder Taubblindheit auszugleichen.