Protocol of the Session on July 16, 2014

Man kann sagen: Die CSU stand mit ihrer Landtagsfraktion, mit der Bayerischen Staatsregierung und auf allen weiteren politischen Ebenen in den vergangenen Jahrzehnten wie keine andere Gruppierung an der Seite der Vertriebenen. Wir nehmen die Schirmherrschaft Bayerns über die Sudetendeutsche Volksgruppe nach wie vor ernst. Deswegen war es die CSU – das kann man schon sagen –, die bereits seit 2003 auf Landes- und auch auf Bundesebene Initiativen für Gedenktage ergriffen hat, von denen für die Versöhnung, für den Austausch und auch für die Erinnerung positive Akzente ausgehen sollen. Deswegen haben wir die Unterstützung der Fraktion der FREIEN WÄHLER für unsere Anträge in den vergangenen Jahren stets begrüßt und unterstützt.

(Zuruf von den FREIEN WÄHLERN)

Daher hat meine Fraktion in den vergangenen Jahren immer wieder auch Ihren Anträgen zugestimmt, obwohl die Zuständigkeit für einen nationalen Gedenktag auf Bundesebene liegt.

100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, 25 Jahre nach der Grenzöffnung zu Tschechien und 10 Jahre nach der EU-Osterweiterung war es unser Ministerpräsident Horst Seehofer, der in diesen Tagen gemeinsam mit seinem tschechischen Amtskollegen

die Tür noch ein Stück weiter geöffnet hat. Gerade als Abgeordneter aus dem Grenzlandkreis Cham schätze ich es sehr, Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten und auch Unrecht, Flucht und Vertreibung gemeinsam mit Tschechien zu gedenken.

Herr Dr. Fahn, in Ihrem Antrag – Sie haben es gerade angesprochen – fordern Sie zwei verschiedene Dinge: einen Bericht über den aktuellen Stand zum Gedenktag auf Bundesebene und zum anderen die Einbindung aller Parteien – Sie haben es jetzt umformuliert: aller Fraktionen – bei der Gestaltung des bayerischen Gedenktags am 14. September, in weniger als zwei Monaten.

Ich komme zum ersten Punkt. Was den bundesweiten Gedenktag angeht, sind wir zwar einmal mehr die falsche Ebene und der falsche Ansprechpartner, aber genau wie im Sozialausschuss informiere ich gerne auch jetzt kurz über den aktuellen Stand. Man kann sagen, da ist auf Bundesebene einiges in Bewegung. Die Schaffung des Gedenktages wurde auch auf Betreiben der CSU im Koalitionsvertrag vereinbart. Der vertriebenenpolitische Sprecher der CSU, Stephan Mayer, ist momentan in Abstimmungsgesprächen zum Proklamationstext und eben auch zum konkreten Datum, das Sie angesprochen haben. Ergebnisse – das hat er mir gestern Abend wieder bestätigt – sind bis Ende August, zum zentralen Tag der Heimat zu erwarten. Deswegen wäre ein Bericht im Landtag danach eigentlich überholt. Um aber zu verdeutlichen, dass wir uns als CSU-Fraktion nach wie vor ganz besonders für das Thema Vertreibung einsetzen, wollen wir Ihnen entgegenkommen und einem Bericht im Herbst zustimmen, bei dem dann über die konkreten Ergebnisse der Verhandlungen berichtet werden kann.

(Volkmar Halbleib (SPD): Im Herbst zustimmen? Oder jetzt zustimmen?)

Jetzt zustimmen, für einen Bericht im Herbst.

Auf Landesebene sind wir schon einen ganz großen Schritt weiter, deswegen können wir heute schon über den 14. September diskutieren. Der Gedenktag findet mit einem Festakt in der Bayerischen Staatskanzlei statt, in Abstimmung mit dem Sozialministerium und mit Sozialministerin Emilia Müller, die das auch im Benehmen mit den Vertriebenenvertretern vorgeschlagen hat. Selbstverständlich – das hat der Herr Ministerpräsident sicherlich auch so gemeint – werden hierzu Vertreter aller Parteien und aller Fraktionen eingeladen und eingebunden.

(Volkmar Halbleib (SPD): Aha, eingeladen! Immerhin! Tolle Leistung! Tolle Anerkennung – eingeladen werden!)

Die Organisation des Gedenktags liegt richtigerweise bei der Staatskanzlei in Abstimmung mit den Vertriebenen - um die es ja eigentlich gehen soll, und um die sollte es auch Ihnen gehen - und nicht bei den Parteien. Gerade bei diesem historisch wichtigen und sensiblen Thema sollte es eben nicht um Parteien und Fraktionen gehen,

(Volkmar Halbleib (SPD): Nur um die CSU!)

sondern um einen überparteilichen Ansatz, den wir verfolgen und der auch für die CSU gelten wird.

Das Thema Flucht und Vertreibung ist so wichtig, dass ein einzelner Gedenktag im Übrigen viel zu wenig wäre, Herr Dr. Fahn. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Veranstaltungen, sei es im Haus des Deutschen Ostens oder seitens des Kultusministeriums, das auch an die Schulen gehen wird, oder der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit. Es steht im Übrigen allen Fraktionen offen, selbst Veranstaltungen in diesem Bereich anzubieten. Meine Fraktion lehnt diesen Antrag ab, weil er unserer Meinung nach die falsche Zielrichtung verfolgt.

Für Ihre Initiative jedoch, Herr Dr. Fahn, danke ich Ihnen stellvertretend für meine Fraktion. Das Thema Flucht und Vertreibung ist und bleibt ganz wichtig, sei es für die CSU-Fraktion, sei es für die Bayerische Staatsregierung. Wir werden dem ersten Teil des Antrags, dem Berichtsantrag, zustimmen, den zweiten Teil des Antrags werden wir ablehnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CSU)

Danke schön, Kollege Dr. Hopp. - Für die SPD-Fraktion hat sich Kollege Halbleib gemeldet. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Hopp, das, was Sie zu Beginn Ihrer Rede gesagt haben, wäre natürlich wesentlich glaubwürdiger, wenn Sie dem Antrag insgesamt zustimmen würden.

(Beifall bei der SPD, den FREIEN WÄHLERN und den GRÜNEN)

Denn wenn wahr ist, dass das Gedenken an das Leiden der Vertriebenen und das Widmen dem dieser Geschichte zugrunde liegenden Erbe sozusagen Aufgabe der gesamten Gesellschaft sein soll, dann muss auch die Vertretung dieser Gesellschaft, die Vertretung des Volkes, eine maßgebliche Rolle bei diesem Gedenktag spielen.

Ich finde es schon sehr bemerkenswert, dass Sie zunächst die große Bedeutung der CSU bei diesem Thema herausstellen, um anschließend zu sagen: Eine Beteiligung der anderen Parteien kommt nicht infrage, weil das parteipolitische Färbung wäre. Das ist Ihr Verständnis einer parteipolitischen Instrumentalisierung. Dem setzen wir den Anspruch des Parlaments entgegen; das ist ein Thema für die gesamte Gesellschaft und für das gesamte Parlament.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Ich darf zur Orientierung noch Folgendes hinzufügen: Auch die Sozialdemokraten sind stolz auf die lange Reihe derjenigen, die sich auch in diesem Hause intensiv diesem Thema gewidmet haben. Ich will an dieser Stelle Wilhelm Hoegner erwähnen, ebenso Volkmar Gabert, den früheren Fraktionsvorsitzenden der SPD, und nicht zuletzt Franz Maget, die alle ganz maßgeblich dazu beigetragen haben, dass wir das, was wir im Zusammenhang mit dem Gedenktag noch diskutieren, bei der "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" schon erreicht haben. Es geht nämlich um ein Signal, das die Lehren der Geschichte aufnimmt, das in die Zukunft gerichtet ist, Richtung Aussöhnung mit unseren süd- und südosteuropäischen Nachbarn.

Das ist die Leistung, die die Sozialdemokratie in diesem Bereich eingebracht hat. Das will ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der SPD)

Der Dringlichkeitsantrag ist aus unserer Sicht in beiden Teilen nicht nur zustimmungsfähig, sondern eigentlich auch zustimmungspflichtig, weil er im ersten Teil eine Forderung aufgreift, die auch ich beim diesjährigen Pfingsttreffen der Sudetendeutschen öffentlich erhoben habe, nämlich der positiven Vereinbarung im Koalitionsvertrag nun einen konkreten Vorschlag folgen zu lassen.

Kollege Dr. Fahn hat es vorhin schon angesprochen: Im aktuellen Parlamentsbrief findet sich der wirklich sehr lesenswerte Vortrag von Professor Dr. Kittel, der sich genau mit dieser Frage auseinandersetzt: "Vertriebenengedenktag: ja, aber wann?" Dieser Artikel ist wirklich lesenswert, weil darin viele gute Vorschläge zu einem solchen Gedenktag gemacht werden.

Ich möchte noch sagen: Für uns ist wichtig, dass dieser Gedenktag an die bitteren Erfahrungen der deutschen Vertriebenen erinnert, ohne die von den Nationalsozialisten schuldhaft verantwortete Vorgeschichte und das dadurch verursachte Leid unserer europäischen Nachbarn zu relativieren oder gar auszublenden. Darin liegt die Herausforderung dieses Gedenk

tags. Deswegen ist es wichtig, dass sich das ganze Parlament an dieser Herausforderung beteiligt.

Nicht minder soll dieser Gedenktag auch den vielen Opfern von Flucht und Vertreibung in heutiger Zeit Rechnung tragen. Es geht auch darum, was die Menschheit gelernt hat und worin die heutigen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Vertreibung liegen, denn leider findet Flucht und Vertreibung gerade in unseren Tagen massenhaft statt. Das darf und kann uns nicht kalt lassen, gerade bei einem solchen Gedenktag. Wir müssen auch das aktuelle Zeitgeschehen in diesem Bereich mit einbeziehen, sonst ist der Gedenktag rückwärts gewandt. Wir wollen jedoch einen Gedenktag, der vorwärts gewandt ist.

(Beifall bei der SPD)

Aus diesem Grund spricht auch vieles dafür, dass der Weltflüchtlingstag bei den vielen möglichen Tagen eine Rolle spielt. Er ist, glaube ich, ein Tag, der diese beiden Ansprüche miteinander verbinden könnte. Einiges ist schon auf einem guten Weg, aber das Parlament sollte dabei mitgenommen werden.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Wie auch immer, wir sind der festen Überzeugung, dass auch der zweite Teil dieses Antrags ein ganz wichtiger Punkt ist. Es ist klar, und ich darf es unterstreichen: Ein solcher Gedenktag macht nur Sinn, wenn er nicht nur ein Gedenktag der Exekutive - also der Staatsregierung - ist, sondern wenn er ein Gedenktag des Bayerischen Landtags, der gesamten Volksvertretung und der gesamten Gesellschaft wird.

Als Parlamentarier kann ich es, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen, dass man bei einem solchen Thema die Beteiligung des Landtags – damit meine ich nicht eine Einladung, sondern eine aktive Beteiligung des Landtags – ablehnt. Das ist für mich unverständlich vom Parlamentsverständnis her, aber auch vom Verständnis dieses Gedenktages her, der gerade ein Gedenktag der gesamten Gesellschaft sein soll.

(Beifall bei der SPD)

Insofern verstehen wir das Verhalten der CSU nicht. Wir appellieren an Sie, noch einmal darüber nachzudenken und dieses ablehnende Votum in eine Zustimmung umzuwandeln, weil alles andere auch in der Bevölkerung nicht nachvollziehbar wäre. - Danke schön für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Kollege Halbleib, vielen Dank. Bleiben Sie bitte, der Kollege Dr. Hopp hat eine Zwischenbemerkung. Bitte schön.

(Vom Redner nicht autori- siert) Kollege Halbleib, ich würde gern auf Ihren Redebeitrag Bezug nehmen. Sie haben eine Änderung angesprochen. Im Antrag war ursprünglich von "Parteien" die Rede, darauf habe ich mich auch bezogen; jetzt soll es "Fraktionen" heißen. Nach Rücksprache mit den Kollegen haben wir eine Entscheidung getroffen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass es bei dem Thema Flucht und Vertreibung nicht zu einem Parteienstreit kommen soll, sondern wir sollten es gemeinsam angehen; denn es handelt sich um ein gesellschaftliches Thema. Wenn es in der endgültigen Formulierung bei "Fraktionen" bleibt, dann können wir als Fraktion dem Antrag ebenfalls zustimmen.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)

Ich bedanke mich bei Ihnen, bei der CSU-Fraktion. Das war jetzt ein wichtiges Signal. Insofern hat sich diese Plenardebatte gerade für dieses Thema besonders gelohnt. Ich glaube, dass es sehr wichtig war, dass dieses Signal gekommen ist. Es kommt zwar sehr spät – das darf ich an dieser Stelle bemerken -, aber es kommt noch rechtzeitig. Danke schön für diese klare Positionierung jetzt zum Schluss!

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄHLERN – Kerstin Schreyer-Stäblein (CSU): Einfach mal freuen!)

Danke schön, Kollege Halbleib. Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Kollegin Kamm für BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Berichtsantrag der FREIEN WÄHLER stimmen wir zu. Nicht zustimmen werden wir dagegen der Proklamation zum Bayerischen Gedenktag vom Mai 2013, in der ausdrücklich Bezug genommen wird auf die sogenannte "Charta der Heimatvertriebenen" vom 05.08.1950.

In dieser Charta wird das Leid der Vertriebenen über das Leid anderer Betroffener gestellt. Wir stellen uns gegen die dort getroffene Relativierung des Holocausts, gegen die Relativierung des Unrechts und des vielfachen Mords an Sinti und Roma, gegen die Rela

tivierung der Verbrechen an der polnischen und russischen Zivilbevölkerung sowie gegen die Relativierung des Leids von zig Millionen Kriegstoten.

Uns ärgert außerordentlich, dass in der Vereinbarung des hessischen und des bayerischen Ministerpräsidenten vom Mai 2013 genau auf diese Charta Bezug genommen wird. Wenn wir einen Gedenktag haben wollen, der wirklich zur Versöhnung beiträgt, dann dürfen wir uns nicht auf diese Charta beziehen, und da muss dieser Text geändert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir erkennen das Leid und das furchtbare Drama der über 15 Millionen Heimatvertriebenen an. Wir wissen, dass mehr als 450.000 Menschen hierbei zu Tode kamen. Wir wissen, dass furchtbare Gräueltaten geschehen sind. Wir stellen uns aber gegen die angedachte Relativierung des Leids der anderen in dieser Charta, die im Übrigen auch unter Mitwirkung von SAund SS-Angehörigen und von Beteiligten des ungarischen Holocaust entstanden ist. Diese Charta ist kein Versöhnungsdokument. Auf einem solchen Dokument können wir keine Völkerverständigung gründen.