Protocol of the Session on July 1, 2014

Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde gem. § 65 GeschO auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Versagen der Staatsregierung in der Flüchtlingspolitik: Verantwortung übernehmen statt wegducken. Für menschenwürdige Flüchtlingsunterkünfte"

Für die heutige Sitzung ist die Faktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt. Auf die Einzelheiten der Regeln für die Aktuelle Stunde weise ich nur generell hin und nicht im Detail. Erste Rednerin ist Frau Kollegin Christine Kamm vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, von der vorschlagsberechtigten Fraktion. Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Verantwortung übernehmen – dazu gibt es zwar schöne Zitate der Bayerischen Staatsregierung, so zum Beispiel vom Innenminister, der im März sagte, die Aufnahme syrischer Flüchtlinge sei ein Gebot der Menschlichkeit, man wolle besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufnehmen und der dramatischen Lage in Syrien Rechnung tragen. Auch Ministerpräsident Seehofer gibt sich gerne als Außenpolitiker. Fluchtursachen und Asyl interessieren ihn jedoch, wie man heute sieht, eher wenig.

Die Zahl der Flüchtlinge aus den Bürgerkriegsregionen steigt an. Deutschland hat drei Kontingente für Flüchtlinge aus Syrien beschlossen. In Bayern ist aber bislang lediglich ein Drittel der auf Bayern entfallenden Flüchtlinge angekommen. Erschwerend kommt hinzu, dass ein Syrer, der mit oder ohne Bürgschaftserklärung einen Antrag auf Familiennachzug stellt, Monate ohne E-Mail, ohne Nachricht, ohne Information und ohne Telefonanruf wartet. Er weiß

nicht, ob und wann er seine engsten Familienangehörigen nachholen darf, während gleichzeitig die Schreckensnachrichten aus der Heimat zunehmen. Wie würden Sie, meine Damen und Herren, sich fühlen, wenn Sie in einem Land lebten, das Sie in einer so existenziellen Frage alleine lässt? In anderen Bundesländern bekommen die Antragsteller früher Antworten. Dort funktioniert offenbar die Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und den Ausländerbehörden anders. Tausende Menschen in Bayern bangen um das Leben ihrer Angehörigen. Sie verweigern ihnen schnelle Hilfe.

Andere Bundesländer haben zusätzlich zum Bundeskontingent ein Landesaufnahmeprogramm beschlossen. Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, haben das bisher abgelehnt. Wo ist Ihre menschliche Antwort auf diese Lage? Der deutsche Beitrag zur Linderung der Flüchtlingsprobleme nimmt sich ohnehin bescheiden aus. Das UN-Flüchtlingswerk spricht von 8 Millionen Menschen auf der Flucht. 2,8 Millionen haben in den Nachbarländern Zuflucht gefunden. Die, die bislang in Europa angekommen sind, sind eher ein kleiner Teil. Europa kann mehr leisten, Deutschland kann mehr leisten, Bayern sowieso, und es sollte dies auch tun, so zum Beispiel mit einem eigenen ergänzenden Aufnahmeprogramm.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Während des Bürgerkriegs in Bosnien konnte Bayern allein über 52.000 Menschen Schutz bieten. Bayern konnte einen Beitrag zur Linderung dieser Probleme leisten. Hier aber nehmen wir unsere Möglichkeiten nicht wahr. Weil es an legalen und sicheren Fluchtmöglichkeiten fehlt, kommen immer mehr Flüchtlinge trotz der großen Gefahren über das Mittelmeer zu uns. Gestern mussten wieder 30 Flüchtlinge im Mittelmeer bei der Flucht ihr Leben lassen. Zwar wird den allermeisten syrischen Flüchtlingen ein Schutzstatus zugestanden. Wenn sie aber das Pech hatten, über Italien zu uns zu kommen, und dort registriert wurden, schiebt man sie nach Italien wieder ab. Man schiebt sie aus Bayern in ein Land ab, in dem immer mehr Flüchtlinge über das Mittelmeer aus den Bürgerkriegsregionen ankommen, in ein Land, wo für Flüchtlinge immer chaotischere Zustände herrschen. So gab es zum Beispiel in Bayern kein Erbarmen und keine Hilfe für einen jungen syrischen Pharma-Studenten, der zu seiner Tante nach Berlin fliehen wollte. Er wurde in Bayern aufgegriffen und nach Italien abgeschoben. Er wurde auch gleich in Abschiebehaft genommen, weil er nicht nach Italien zurück wollte.

Meine Damen und Herren, hinter Dublin III dürfen wir uns nicht verstecken. Wir müssen uns unserer Verantwortung stellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Überhaupt Abschiebehaft: Etwa 150 Menschen befinden sich derzeit in Bayern in Abschiebehaft, weit mehr als in jedem anderen Bundesland. Bei Abschiebehaft ist Bayern spitze; bei der Unterbringung der Flüchtlinge tut sich Bayern dagegen schwer.

Die Debatte vom letzten Wochenende über die Zelte möchte ich nicht wiederholen; die findet man auch in keinem anderen Bundesland. In keinem anderen deutschen Bundesland diskutiert man so. Man diskutiert hier in Bayern so; man handelt wenig, man handelt vor allen Dingen auch überhaupt nicht vorausschauend, Frau Ministerin Haderthauer, sondern man wartet zu; man tut nichts. Anschließend sagt man: Es ist zu viel, und man gibt sich überfordert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die schlechten Zustände in einer Vielzahl von Bayerns Flüchtlingsunterkünften sind keine neue Erscheinung. Wir kennen die Zustände seit Jahren - auch aus der Zeit, in der es niedrige Flüchtlingszahlen gab. Sie waren Teil der Abschreckungsstrategie der bayerischen Flüchtlingspolitik. Die schlimmen Zustände sollten dafür sorgen, dass Asylbewerber das Land möglichst schnell und freiwillig verlassen, was sie aber mangels Alternativen selten getan haben.

Die Frage ist, warum die Situation so ist. Ist es Absicht oder Überforderung?- Wir meinen, Überforderung kann es nicht sein. Erinnern wir uns doch beispielsweise an die Flüchtlingszahlen vom Anfang der Neunzigerjahre. Damals kamen pro Jahr weit mehr als doppelt so viele Asylbewerber an, als es für heuer prognostiziert ist. Schon viel früher hätten wir weitere Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen müssen. Seit 2009 schreiben wir Anträge, dass man weitere Erstaufnahmeeinrichtungen schaffen soll, aber es wurde wenig gehandelt. Beispielsweise hat man im Münchener Süden erst mal die McGraw-Kaserne anvisiert; das Vorhaben wurde aber fallen gelassen, angeblich wegen Asbest. Jetzt wird das Anwesen für die Polizei genutzt; offenbar geht es doch. – Deggendorf soll in einem halben Jahr kommen. Das ist zu spät, zu wenig, zu langsam.

Durch Ihr Nicht-Handeln wachsen die Probleme. Die notwendige Verbesserung der medizinischen Versorgung der Flüchtlinge in Zirndorf wurde zum Beispiel durch einen Schachzug der CSU-Bürgermeisterin im Nachbarort blockiert, die der Regierung das hierfür vorgesehene Grundstück einfach vor der Nase wegkaufte. Anständige Lösungen sollten verhindert werden. Containerstapel sind nun das Mittel der Wahl. Die Erstaufnahmeeinrichtungen platzen aus allen Nähten, und die schwierige Lage wird dadurch ver

stärkt, dass auch die Anschlussunterbringung nicht funktioniert.

Die Probleme sind auch hier hausgemacht. Viel zu lange müssen die Flüchtlinge in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Man trifft in den Gemeinschaftsunterkünften Menschen, die seit zehn, ja seit vierzehn Jahren keine Auszugserlaubnis bekommen haben. Auch die vier bzw. zwei Jahre, die wir ihnen per Landtagsbeschluss als Mindestverweilzeit vorschreiben, sind viel zu lang. Viele Menschen verlieren viel von ihrer Eigeninitiative, wenn sie so lange zum Nichtstun und zum Leben in unwürdiger und teilweise unzumutbarer Umgebung verpflichtet sind. Hungerstreiks und Proteste mahnen zu Recht dringend notwendige Verbesserungen an.

Herr Kollege Neumeyer, Sie haben gestern die Gemeinschaftsunterkunft in der Ottostraße besucht. In dieser Gemeinschaftsunterkunft wurde dank des Bürgerprotestes das Verhältnis zwischen Sanitäreinrichtungen und Betten verbessert. Aufgrund des Bürgerprotestes wurde auch eine personelle Betreuung geschaffen. Aber Familienleben mit Gemeinschaftsküche am Gang und Essen in den Schlafräumen ist in den Großfamilien dort schwierig. Auch die Benutzung der sanitären Einrichtungen ist problematisch.

Mit dem Geld, das man in diese Gemeinschaftsunterkunft gesteckt hat, hätte man locker und viel besser einfache, abschließbare Wohnungen errichten können. Dann wäre auch die Privatsphäre geschützt; dann gäbe es Rückzugsmöglichkeiten und Möglichkeiten für die Kinder, ihre Hausaufgaben zu erledigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viele Flüchtlinge in Bayerns Unterkünften leben unter unzumutbaren Umständen. Nehmen wir mal die Calmbergstraße: Hier gibt es Vier- bis Sechs-BettZimmer, eine wirklich heruntergekommene Kaserne, schlechte Fenster, eine Uralt-Heizung. 160 Männer unterschiedlichsten Alters, unterschiedlichster Sprache und Kultur leben hier. Einige von ihnen sind schwer traumatisiert, einige sind suchtabhängig. Für keinen gibt es Privatsphäre, für keinen gibt es Schutz. – Der Stadtrat der Stadt Augsburg hat sich schon lange einstimmig für die Schließung dieser Einrichtung eingesetzt. Sie hier haben die Schließung aber leider abgelehnt.

Wer ist denn eigentlich verantwortlich für diese Zustände in Bayerns Gemeinschaftsunterkünften, fragt man sich immer wieder. Da wird ein alter Landgasthof in prekärem Zustand angemietet und mit 60 Flüchtlingen belegt, obwohl die Abwasserentsorgung dieser Immobilie nicht funktioniert, und dies seit Monaten. Es stinkt entsetzlich.

Sie sagen immer, Sie bräuchten Gemeinschaftsunterkünfte, damit die Betreuung besser funktioniert. Aber wir können Ihnen Gemeinschaftsunterkünfte zeigen, in denen seit Monaten Flüchtlinge wohnen, die noch nie einen Asylsozialberater gesehen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt Fälle von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen, ohne dass die Opfer zumindest nachher verlegt werden.

Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?

Ich muss Ihnen leider sagen: Ich habe am Anfang auf die Uhr geguckt – da wurden hier sieben Minuten angezeigt. Ich habe aber zehn Minuten.

Sie hatten zehn Minuten.

Ja, eben. Die Uhr hat aber bei sieben Minuten zu zählen angefangen.

Die zehn Minuten sind jetzt vorbei.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sie haben jetzt 11 Minuten und 4 Sekunden geredet!) )

Fragen Sie Frau Bause; sie kann es bestätigen. Sie hat nämlich auch so einen Zähler.

Ich hab am Anfang geguckt; da standen sieben Minuten. Das muss ich Ihnen wirklich sagen. – Ich möchte die Vielzahl der unzumutbaren Unterkünfte nicht weiter erwähnen. Ich möchte vielmehr aufzeigen, wie Sie eine Lösung aus der jetzigen Situation entwickeln können. Dazu gehört als Erstes die Abschaffung der Pflicht zum Wohnen in Lagern. Das machen auch andere Bundesländer. Sie fahren gut damit; sie lösen die Probleme besser. Sie kennen das Leverkusener Modell; setzen Sie es um! Wir wollen weiterhin die Landkreise und Kommunen wesentlich besser in die Planungen einbeziehen; denn sie kennen die Situation vor Ort am besten.

Ich will diese Rede hier nicht beenden, ohne mich bei den vielen Ehrenamtlichen und Freiwilligen zu bedanken, die Bayerns Flüchtlingspolitik ein menschliches Gesicht geben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bürgerinnen und Bürger wollen helfen, aber es wird ihnen oft schwer gemacht. Ihnen fehlt es an Zu

gang zu ausreichenden Informationen, an Netzaustausch mit den Behörden, an -

Frau Kollegin, Sie haben jetzt über zwei Minuten überzogen. Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.

(Beifall bei der CSU - Zurufe von der CSU: Ja- wohl!)

Ein letzter Satz, Herr Präsident: Gerade die Initiativen der Ehrenamtlichen und die bayerischen Flüchtlinge können Ihnen aufzeigen, wie wir bessere Flüchtlingspolitik für Bayern machen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin. – Ich möchte noch bemerken: Wir sind hier großzügig. Aber mehr als zwei Minuten zu überziehen, ist unfair gegenüber allen anderen Kollegen. Als Nächster hat der Vorsitzende der CSUFraktion Thomas Kreuzer das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Frau Kollegin Kamm: Der Herr Ministerpräsident hat sich entschuldigt; er ist auf dem Weg nach Tschechien. Dies ist öffentlich angekündigt worden, aber bei Ihnen vielleicht nicht angekommen. Er war vorher hier im Plenum.

(Christine Kamm (GRÜNE): Schön!)

Wir haben bei diesen Debatten immer das gleiche Muster: Sie versuchen der Staatsregierung und der CSU vorzuwerfen, dass sie ihren Aufgaben bezüglich Asylbewerbern und Flüchtlingen nicht gerecht werden, und dann unterstellen Sie, dass dies auch noch absichtlich geschieht, weil man dies nicht anders wolle.

(Jürgen W. Heike (CSU): Das ist einfach widerlich!)

Ich weise dies im Namen der CSU-Fraktion mit aller Entschiedenheit zurück, Frau Kollegin Kamm.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben hier in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen. Ich will nur einige Punkte aufzählen; Frau Müller spricht auch noch. So haben wir die Mittel für die Asylsozialberatung mehr als verdreifacht; wir haben die Auszugsmöglichkeiten verbessert, die Residenzpflicht gelockert. Bayern hat als erstes Bundesland Deutschkurse für Asylbewerber