Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 138. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.
Bevor wir mit der Tagesordnung beginnen, darf ich noch Herrn Kollegen Florian Hölzl zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren. Ich wünsche ihm im Namen des gesamten Hauses und persönlich alles Gute und weiterhin viel Erfolg für seine parlamentarischen Aufgaben. Ich gehe davon aus, dass ihm das berichtet wird.
Bevor ich Tagesordnungspunkt 36 aufrufe, möchte ich Folgendes mitteilen: Die SPD-Fraktion hat zu ihrem Dringlichkeitsantrag betreffend "Keine Entlassung von Lehrkräften zu Beginn der Sommerferien", Drucksache 17/23225, namentliche Abstimmung beantragt.
Ich informiere Sie vorsorglich auch noch über den nächsten Antrag, über den namentlich abgestimmt werden soll. Das ist der SPD-Dringlichkeitsantrag betreffend "Seenotrettung verstärken, Seenotretter unterstützen und auszeichnen!", Drucksache 17/23247. Auch dazu ist von der SPD namentliche Abstimmung beantragt worden.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Stefan Schuster, Martin Güll u. a. und Fraktion (SPD) Keine Entlassung von Lehrkräften zu Beginn der Sommerferien (Drs. 17/23225)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Prof. Dr. Michael Piazolo u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Befristungsunwesen für Lehrkräfte endlich beenden - keine Entlassung zu Beginn der Sommerferien! (Drs. 17/23244)
ginnen und Kollegen! In gut zwei Wochen verabschieden sich unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler in die wohl schönste Zeit des Jahres für sie, in ihre wohlverdienten Sommerferien. Diese Freude hat aber einen verdammt bitteren Beigeschmack; denn viele derjenigen, die diese Schülerinnen und Schüler über ein Jahr betreut und ihnen eine Menge beigebracht haben, die ihnen auf ihrem Lebensweg mehr als nur Wissen mitgeben, können nicht in eine Erholungsphase gehen. Warum? – Weil der Arbeitsvertrag vieler bayerischer Lehrerinnen und Lehrer endet. Sie gehören zu den vielen befristeten Lehrkräften, für die der Beginn der Sommerferien nichts anderes als Arbeitslosigkeit heißt. Ihnen bleibt nichts anderes als der Weg zur Arbeitsagentur. Millionen Menschen in unserem Land fahren in den nächsten Wochen in Urlaub, mit ihren Freunden, ihren Familien. Diese Lehrerinnen und Lehrer können das aber nicht. Sie können noch nicht einmal planen, wie ihre Zukunft weitergeht, und zwar weder im Beruf noch familiär. Sie hängen völlig in der Schwebe. Oder lassen Sie es mich so ausdrücken wie der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer Jürgen Böhm, der aus Bayern stammt. Er veröffentlichte gestern folgenden Begriff: Er nannte die Realität an unseren Schulen: "hire and fire".
Wir sagen Ihnen, wie die Realität an den Schulen seit Jahren aussieht: Die Zahl der befristet Beschäftigten an unseren Schulen steigt und steigt und steigt. An den Grund- und Mittelschulen stieg die Zahl von 2012 bis 2016 um knapp 50 % auf 1.480 Lehrkräfte. An den Realschulen waren sogar 69 % Steigerung feststellbar, und zwar von 790 auf 1.332. Insgesamt waren im Jahr 2016 fast 7.000 Lehrkräfte in Bayern nur mit befristeten Verträgen angestellt. Aktuellere Zahlen hat Ihr Kultusministerium uns leider nicht zur Verfügung stellen können. Ich frage Sie: Welcher junge Mensch will mit so einer Perspektive Lehrer werden? Wer will sich so einer Einstellungspolitik nach Gutsherrenart aus dem letzten Jahrtausend ausliefern?
(Tobias Reiß (CSU): Die in der zweiten Qualifizierungsmaßnahme befristet sind, die haben dann auch eine Perspektive!)
Ich würde nicht so laut dazwischenplärren. Wissen Sie, von wem der Satz mit der Gutsherrenart stammt?
Sagen Sie das auch Ihren Kollegen! Ich frage Sie, wer in diesem Saal würde so mit sich umgehen lassen, Herr Reiß? – Niemand! Dann frage ich die dafür Verantwortlichen in Bayern, und das sind alle Abgeordneten der CSU, zumindest die, die da sind: Wenn Ihre Kinder oder Enkel den Lehrerberuf ergreifen, wollen Sie, dass Ihre Kinder von einem befristeten Vertrag in den nächsten hineinstolpern und damit abgespeist werden? Wollen Sie, dass sie jedes Jahr im Juli und im August darauf hoffen, dass der Staat sie nach den Sommerferien vielleicht wieder einstellt und dann irgendwann vielleicht in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernimmt? – Ich sage Ihnen, wie Ihre Antwort lautet: Nein. Das wollen Sie nämlich nicht für Ihre Kinder und Enkel. Sie wollen, dass Ihre Kinder und Enkelkinder anständig behandelt werden.
(Lebhafter Beifall bei der SPD – Tobias Reiß (CSU): Beste Bezahlung und am wenigsten Befristungen unter allen Bundesländern!)
"Beste Bezahlung"? – Wissen Sie was, reden wir doch einmal wirklich über Mathematik. Lernen Sie doch einmal aus den Statistiken, die können Sie sich von den Mathematiklehrern erklären lassen! Das ist doch nicht so schwer. Die Geburtenrate und der Zuzug in unserem Freistaat steigen. Die Zahl der Studierenden in Lehramtsstudiengängen sinkt. Die Pensionsreife von aktiven Lehrern ist demografisch klar, oder etwa nicht? – Dann nehmen Sie noch die Klassengrößen hinzu; die Klassen sind immer noch viel zu groß. Die Unterrichtsausfälle an den bayerischen Schulen sind eklatant hoch.
Mit diesen Daten können Sie ganz einfach ausrechnen, welchen Bedarf an Lehrkräften wir haben. Sie können überlegen, wie wir diesen Beruf endlich attraktiver gestalten können. Vielleicht setzen Sie dann noch Ihren gesunden Menschenverstand ein und schauen, was seit Jahren jedes Jahr aufs Neue passiert. Nehmen wir das Beispiel der Mobilen Reserve, eines Pools von Lehrkräften, die bei Mutterschutz, Elternzeit und Krankheit eingesetzt werden. Dieser Pool funktioniert am ersten Schultag. Komischerweise wird es aber schon am zweiten Schultag schwierig. Wissen Sie, was passiert, wenn die erste Grippewelle im Herbst kommt? – Dann sind Chaos und Unterrichtsausfall an unseren bayerischen Schulen perfekt. So schaut’s aus!
Lernt doch endlich mal aus den Fehlern der Vergangenheit! Lernt von den Fachleuten, was die nackten Zahlen sagen! Das ist doch keine Hexerei. Wenn ein Unternehmen so arbeiten würde, dann müsste es schlichtweg seine Produktion stilllegen. Sollen wir denn unsere Bildungseinrichtungen wegen Lehrermangels stilllegen? – Wir brauchen junge Lehrer!
Wenn Sie ganz ehrlich sind, müssen Sie eingestehen, dass der Umgang mit den Befristungen der Lehrer schlichtweg unanständig ist; denn alle Lehrer, die Sie im August kündigen, stellen Sie – –
(Tobias Reiß (CSU): Wie viele sind es denn? Wie viele kündigen sie denn? – Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Viele, Tausende! – Tobias Reiß (CSU): Wie viele? – Unruhe – Glocke des Präsidenten)
Können Sie mal aufhören? Das nervt. Einfach mal zuhören! – Sie stellen diese Befristeten im September wieder ein.
Damit es aber nicht zu Kettenverträgen kommt, tauschen Sie fröhlich einen Befristeten gegen den nächsten Befristeten aus.
Ich sage Ihnen was: Das ist zutiefst unanständig. Das gehört sich nicht. So gehen wir auch nicht mit Bildung um.
(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Falsch! – Tobias Reiß (CSU): Wie viele sind es? Eine Zahl, bitte! )