Protocol of the Session on July 11, 2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen! Haben Sie diese Geste verstanden? –

(Hans Herold (CSU): Keine Aussprache!)

Soll ich Sie noch einmal machen? – Haben Sie sie jetzt besser verstanden? – Oder soll ich es so sagen? – Immer noch nicht verstanden? – So geht es gehörlosen Menschen Tag für Tag. Sich verständigen zu können ist die Grundvoraussetzung dafür, teilhaben zu können. Aber jeden Tag erleben gehörlose Menschen viele Situationen, bei denen sie nicht mitmachen können, im ganz normalen Alltag immer wieder. Manches lässt sich bewerkstelligen, indem man etwas aufschreibt. Aber immer wieder gibt es Situationen, in denen gehörlose Menschen Kommunikationshilfen oder einen Dolmetscher brauchen. Zum Beispiel soll

ten sie, wenn sie eine Waschmaschine kaufen wollen, die Möglichkeit haben, sich mithilfe eines Dolmetschers beraten zu lassen. Wenn sie einen Computerkurs machen oder an der Volkshochschule einen Kurs machen wollen, brauchen sie einen Dolmetscher.

Das alles sind behinderungsbedingte Mehraufwendungen. Menschen, die blind sind oder sehr wenig sehen, bekommen Blindengeld. Menschen, die gehörlos sind, haben ähnliche Probleme, bekommen in Bayern aber nichts. All dies ist auch nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe zu bekommen. Wir wollen ein Zeichen setzen, ein Zeichen, dass es uns ernst ist mit Teilhabe. Und Sie, liebe Kollegen von der CSU, zahlen lieber für Pferde bei der Polizei als für gehörlose Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Gehörlose Menschen brauchen dieses Geld, um frei bestimmen zu können, welche Hilfsmittel und welche Hilfe sie sich beschaffen. Von dem Geld würde übrigens einiges in die sowieso schon prall gefüllten Steuertöpfe zurückfließen; denn damit werden Dienstleistungen finanziert und Geräte gekauft, die das Alltagsleben der Gehörlosen erleichtern. Wenn ich mir den Haushalt so ansehe, den wir heute hier verabschiedet haben, stelle ich fest, dass da so mancher Unsinn dabei war, auf den ich lieber zugunsten eines Gehörlosengeldes verzichtet hätte.

Eines möchte ich Ihnen noch sagen. Ich hatte in den letzten Wochen einige Termine mit gehörlosen Menschen, und ich hatte einen Praktikanten dabei. Nach dem Praktikum habe ich ihn gefragt, was in seinem Praktikum am spannendsten war. Die eindeutige Antwort war: die Termine mit den gehörlosen Menschen; deren Welt kannte ich nicht. Wie sollte er denn auch? Die Verständigung ist oft mühsam, teuer und oft zu teuer für die Gehörlosen.

Wenn Sie heute unserem Gesetzentwurf zustimmen würden, würden Sie den betroffenen gehörlosen Menschen etwas mehr Freiraum geben, teilzuhaben. Dann würden Sie auch endlich zugeben, dass es sinnvoll ist, Geld für gehörlose Menschen auszugeben. Vielleicht sollten Sie auch einmal Kontakt mit gehörlosen Menschen suchen und rechnen; denn von diesem Geld kommt, wie gesagt, viel Geld über Steuern wieder an den bayerischen Staat zurück. Deshalb kann ich erst recht nicht verstehen, warum Sie den Gesetzentwurf ablehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir jedenfalls befürworten ein Gehörlosengeld, und es wäre gut gewesen, wenn wir uns hier parteiüber

greifend hätten einigen können. Schade, dass Sie es heute wieder ablehnen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön. – Nächster Redner ist der Kollege Huber.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Frau Celina! Eingangs gleich eines. Ich finde die Vergleiche, die Sie gerade angestellt haben, mehr als unpassend. Ich sage es ganz ehrlich: Ich spiele nicht den einen Politik- oder Gesellschaftsbereich gegen den anderen aus. Jeder hat für sich seine Berechtigung.

(Ingrid Heckner (CSU): Sehr gut!)

Letztendlich haben wir heute auch mit Mehrheiten abgestimmt. Ich lasse es einfach nicht zu, dass man einen Bereich gegen den anderen ausspielt.

Ich habe bereits in meiner Rede am 26. April zu der von Ihnen geforderten Einführung eines Gehörlosengeldes betont – ich habe das auch sehr ernsthaft betont –, dass wir uns bei der grundsätzlichen Zielsetzung dieses Antrags, einig sind. Da es sich um eine Barriere für einen bestimmten Personenkreis mit einer Einschränkung handelt, wollen wir, weil wir die Barrierefreiheit in allen Bereichen erreichen wollen, die Barrierefreiheit natürlich auch für gehörlose Menschen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir deswegen auch das Ziel, das der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer vorgegeben hat, gut finden. Allerdings wird es auch immer wieder falsch zitiert. Horst Seehofer hat damals als Ministerpräsident gesagt, sein großes Ziel ist, bis 2023 im Freistaat die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu erreichen. Der öffentliche Raum ist etwas anderes. Wir sollten versuchen, dass wir die komplette Barrierefreiheit auch in anderen Bereichen hinbekommen, was allerdings zugegebenermaßen schwierig wird.

Um die Situation der gehörlosen Menschen im Freistaat nachhaltig verbessern zu können, müssen wir – das habe ich beim letzten Mal angesprochen, und ich sage es heute etwas deutlicher – doch zuerst einmal prüfen, wo und wie wir als Freistaat Bayern helfen können und wo und wie wir eine gemeinsame Lösung – darauf habe ich beim letzten Mal auch großen Wert gelegt – mit dem Bund und den anderen Bundesländern anstreben können. Bislang gibt es in der Mehrzahl der Bundesländer noch kein Gehörlosengeld. Genauer gesagt: Es sind neun Bundesländer, in denen es keines gibt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb hat die CSU-Landtagsfraktion – auch deswegen, weil wir uns in der grundsätzlichen Zielsetzung einig sind – zu diesem wichtigen Thema, wie bereits im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend, Familie und Integration von mir angekündigt, eine eigene Initiative gestartet und dazu auch einen entsprechenden eigenen Antrag eingebracht.

Wir fordern in diesem Antrag, der auch vorliegen müsste, die Staatsregierung auf, unter Einbeziehung der Interessenvertretungen gehörloser Menschen und der weiteren zuständigen Stellen, deren Expertise und deren Beteiligung uns sehr wichtig sind, zu überprüfen, wie die Lebenssituation von Gehörlosen und von von Gehörlosigkeit bedrohten Menschen weiter verbessert werden kann. Grundlagen dabei sind das Bayerische Teilhabegesetz I, das Bundesteilhabegesetz und auch die UN-Behindertenrechtskonvention.

Dabei sind insbesondere folgende Schwerpunkte einzubeziehen: Erstens. Bei der Umsetzung des Ziels der Barrierefreiheit 2023 sind besonders – das ist jetzt eben der Unterschied zu meiner Einleitung – die Belange gehörloser Menschen zu berücksichtigen.

Zweitens. Die Belange gehörloser Menschen sind bei sämtlichen dafür infrage kommenden Ausbildungs- und Arbeitsmarktmaßnahmen besonders zu berücksichtigen. Insbesondere sollte das Beratungsangebot, das derzeit auch im Rahmen eines Modellprojekts erprobt wird, für Menschen mit Hörbehinderung bei den Integrationsfachdiensten im Erfolgsfall verstetigt und ausbaut werden.

Drittens. Es gilt, die Finanzierung notwendiger Assistenzleistungen, insbesondere der Gebärdensprachdolmetscher, zu überprüfen. Frau Kollegin Celina, ich glaube, das ist einer der Punkte, der auch Ihnen sehr wichtig ist. Dabei ist insbesondere zu überprüfen, ob auch die Ausgleichsabgabe zur Finanzierung herangezogen werden kann.

Viertens. Die bewährte Förderung durch die offene Behindertenarbeit ist weiterhin sicherzustellen.

Fünftens. Zu überprüfen ist auch, wie die Teilhabebedingungen für gehörlose Menschen auch im gesellschaftlichen Bereich – da sind wir sozusagen wieder im privaten Bereich – weiterentwickelt werden können.

Sechstens. Hier sind wir jetzt im Schul- und Kindergartenbereich. Der Bildungs- und Erziehungsplan der Kindertagesstätten und die schulischen Lehrpläne sind daraufhin zu überprüfen, wie die inklusiven Zielsetzungen für gehörlose Menschen am besten weiter berücksichtigt werden können und wie die Zusam

menarbeit mit anderen Stellen weiter gestärkt werden kann.

Der letzte Punkt: Gemeinsam mit den bayerischen Bezirken wirkt die Staatsregierung darauf hin, dass Leistungen der Eingliederungshilfe den spezifischen behindertenbedingten Bedarf von Gehörlosen und von von Gehörlosigkeit bedrohten Menschen berücksichtigen, gerade auch im Bereich der Teilhabe an der Gesellschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch bitte auf Basis dieser sieben Punkte erst einmal in einem ersten Schritt gründlich und ohne Zeitdruck prüfen, wie wir das Leben und vor allem auch die gesellschaftliche Teilhabe von Gehörlosen und von von Gehörlosigkeit bedrohten Menschen nachhaltig verbessern können. Lassen Sie uns dann in einem zweiten Schritt auf der Basis der dabei gewonnenen Erkenntnis entscheiden, ob und, wenn ja, welche neuen Maßnahmen der Freistaat Bayern zu treffen hat. – Wir lehnen aus diesem Grunde Ihren vorliegenden Antrag ab.

Bitte bleiben Sie am Rednerpult. Die Kollegin Celina hat eine Zwischenbemerkung.

(Zuruf: Nicht schon wieder!)

Sehr geehrter Herr Kollege! Eine gemeinsame Lösung mit den anderen Ländern und dem Bund hat ja nicht geklappt. Da ging es ja um das Bundesteilhabegesetz. Da ist ja nichts passiert.

(Thomas Huber (CSU): Leider!)

Leider, genau, da sind wir uns einig. Gerade deshalb ist heute der Tag, um zu sagen: Wollen wir in Bayern ein Gehörlosengeld oder nicht? Wir haben jahrelang im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes darüber diskutiert und sind zu keinem Ergebnis gekommen. Man muss deshalb doch zugeben, dass das Thema nicht neu ist, sodass wir jetzt nicht anfangen müssen, langsam zu prüfen. Was passiert, wenn erst mal der Entschluss gekommen ist – wir wollen es prinzipiell –, sehe ich doch am Blindengeld für Schwerstsehbehinderte.

2013, oder war es schon 2011, hat Ihr Kollege Unterländer erklärt, dass es das Blindengeld für Schwerstsehbehinderte geben soll.

(Zuruf von der CSU: Gibt es ja auch!)

2018 ist es eingeführt worden. Wenn wir das mit dem Gehörlosengeld auch so machen, kommen wir 2023 oder 2025 dazu.

Liebe Frau Kollegin, ich glaube, ich habe es sehr deutlich erklärt, dass wir erst Schritt eins und dann Schritt zwei machen wollen und dass wir in der grundsätzlichen Zielsetzung einig sind und die Situation des betroffenen Personenkreises verbessern wollen. – Punkt eins.

Die Ablehnung basiert, wie auch beim letzten Mal, unter anderem – ich habe es beim letzten Mal, glaube ich, auch gesagt – auf der Höhe des Betrags, den Sie in Ihren Antrag geschrieben haben. Die Höhe ist aus unserer Sicht willkürlich gewählt. Das haben wir aber auch beim letzten Mal schon besprochen. Wie erklären Sie sich sonst, dass in allen sechs Bundesländern, wo dieses Geld bereits bezahlt wird, im Durchschnitt 92 Euro bezahlt werden, während Sie in Ihrem Entwurf 352 Euro vorschlagen?

(Zuruf der Abgeordneten Kerstin Celina (GRÜNE))

Lassen Sie mich ganz kurz ausführen: Die Höhe – ich weiß, Sie haben dargelegt – entspricht einem bestimmten Prozentanteil, entspricht 60 % des Blindengeldes. Wenn ich aber sehe, dass in den sechs Bundesländern, in denen es gezahlt wird, im Durchschnitt 92 Euro bezahlt werden, während wir hier nach Ihrem Vorschlag über 300 Euro zahlen sollen, sorry, dann stufe ich das in diesem Punkt wirklich als Wahlkampfaktion ein.

Letzter Punkt. Der Gesetzentwurf – das habe ich beim letzten Mal schon gesagt – beinhaltet Ungereimtheiten, die beim späteren Vollzug zu Schwierigkeiten führen können. Die Begründung habe ich letztes Mal gegeben. Bislang wird im Bayerischen Blindengesetz nicht zwischen Schwerhörigkeit und Gehörlosigkeit differenziert. Wenn man es so machen würde, wie Sie es vorschlagen, wäre das zum Nachteil von Beziehern von Taubblindengeld. Das wollen wir nicht. Wir wollen nicht eine Neuregelung einführen, mit der wir einen heute begünstigten Personenkreis benachteiligen. Das sind die zwei Hauptargumente zu Ihren Fragen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Deckwerth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen hier im Parlament! Wir haben heute zum wiederholten Male einen Ge

setzentwurf vorliegen, der sich mit der Thematik der Inklusion beschäftigt. Ich erlaube mir, kurz noch mal auf den Punkt Inklusion zurückzukommen, damit man den Hintergrund und auch die Bedeutung einschätzen kann. Inklusion wird hier im Sinne von Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt und an der man teilhaben möchte, verstanden. In diesem Sinne ist Inklusion ein Grundrecht. Sie ist kein Gnadenakt und keine Mildtätigkeit. Sie ist keiner Willkür unterworfen, je nachdem, ob wir jetzt mal Geld haben oder nicht. Stattdessen ist Inklusion ein Grundrecht, unabhängig von Herkunft, Alter, Geschlecht oder Vermögen. Inklusion ist ein Grundrecht, das in unserem Grundgesetz und unserer Bayerischen Verfassung begründet ist. Es ist natürlich auch durch die UN-Behindertenrechtskonvention noch einmal klar in Erinnerung gebracht und angemahnt. Weil Inklusion ein so wichtiges und zentrales Grundrecht ist, ist es Aufgabe und Verantwortung des Staates, dieses Recht zu realisieren und umzusetzen. Hieraus ergibt sich für den Staat die Pflicht zu handeln.

Heute wurde schon darauf eingegangen, dass vieles in Bewegung geraten ist: Teilhabegesetz, Bundesteilhabegesetz, Bayerisches Teilhabegesetz I. In diesem Prozess fehlt aber ein wichtiger Baustein, und das ist eben der Baustein des Teilhabegeldes, das einen generellen Nachteilsausgleich darstellen soll. Das ist leider nicht geschaffen worden. Wir haben es gerade gehört.

Man darf aber auch das Blindengeld in diesem Kontext betrachten. Das Blindengeld ist für Menschen, die eine Sehbehinderung haben, ebenso eine spezielle Form des Teilhabegeldes. Dieser Gesetzentwurf, der heute eingebracht wurde, könnte einen weiteren Baustein zur Umsetzung eines generellen Nachteilsausgleichs in Form eines Teilhabegeldes darstellen – könnte ihn darstellen, wenn man es denn zuließe.

Wir sind uns doch eigentlich einig, dass wir solch einen allgemeinen Nachteilsausgleich brauchen, sprich: das Teilhabegeld. Jetzt hätte man hier die Möglichkeit, zumindest für einen Teil der Betroffenen den Berechtigtenkreis zu erweitern, nämlich für die gehörlosen und schwerhörigen Menschen.

(Beifall bei der SPD und den FREIEN WÄH- LERN)