Deshalb muss es uns darum gehen, das Prinzip "Leben und leben lassen", Liberalitas Bavariae, aufrechtzuerhalten. Dafür steht die bayerische Sozialdemokratie mit ihrer Landesvorsitzenden Natascha Kohnen: Freiheit statt Orbánismus, sozialdemokratischer Freistaat statt christsozialer Autoritätsstaat.
Kolleginnen und Kollegen, die Regierungserklärung von Dr. Söder am 18. April sollte ein farbenfrohes Feuerwerk mit vielen bunten Raketen sein. Es gab Wahlkampfversprechungen ohne Unterlass. Heute zeigt der zweite Nachtragshaushalt, wir haben es jetzt schwarz auf weiß, das Allermeiste davon war Blendwerk und Schall und Rauch. Den Ankündigungen von Herrn Dr. Söder folgen in vielen Bereichen eben keine Taten und keine Konsequenzen. Wir, die SPD-Fraktion, vermissen im Nachtragshaushalt klare Prioritäten statt eines Wahlkampf-Geldregens mit der Gießkanne in Zeiten prasselnder Steuereinnahmen. Vor allem vermissen wir Investitionen in zentralen Themenfeldern wie der sozialen Gerechtigkeit. Wir vermissen Investitionen in kostenfreie Kitas mit besserer Qualität. Wir vermissen Investitionen in bezahlbaren Wohnraum und in besseren Personennahverkehr mit Maßnahmen für die Mobilitätswende, die jetzt anstehen muss.
Klar stellt sich auch die Frage der Glaubwürdigkeit von Dr. Söder selbst. Der Spitzenkandidat verspricht im Wahlkampf jede Menge Päckchen nach dem Prinzip: Hurra im Himmel ist Jahrmarkt, aber die Lieferung der Päckchen bleibt dann aus. Einige der Versprechungen überlebten nicht einmal 48 Tage von der Regierungserklärung bis zur Einbringung des Nachtragshaushalts. Heute steht mehr denn je fest: Je größer die Überschrift, die Herr Dr. Söder produziert, umso mehr Vorsicht ist geboten, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte nur einige Beispiele nennen: Vor 48 Tagen hat Herr Dr. Söder an diesem Mikrofon mit stolzgeschwellter Brust ein bayerisches Raumfahrtprogramm mit dem Namen "Bavaria One" angekündigt. Es sollte ein staatliches Programm werden, das sich gewaschen hat. Der CSU-Spitzenkandidat möchte den Freistaat Bayern zum Weltraum Bayern machen. Sputnik war vorgestern. Apollo, Challenger, Discovery waren gestern. Jetzt kommt "Bavaria One". Sie ist gedacht als Trägerrakete für die absolute Mehrheit. Mit der Einbringung des Nachtragshaushalts wissen wir, Dr. Söders Regierungserklärung war nichts als Science-Fiction. Es gibt keinen einzigen Cent für ein Raumfahrtprogramm. Es gibt noch nicht mal ein spezifisches Mittelchen dafür, dass sich Herr Dr. Söder in
einer Hochglanzbroschüre ablichten lassen kann. Das Raumfahrtprogramm "Bavaria One" ist bei genauem Hinsehen das Märchen "Söderchens Mondfahrt", liebe Kolleginnen und Kollegen.
Kein Cent für ein Gutachten, für eine Kommission, für neue Personalstellen, kein Lehrstuhl, nichts, eine einzige Nullstelle im Nachtragshaushalt. Wie gesagt: Noch nicht mal ein paar Euro sind eingestellt für bunte Hochglanzbroschüren, in denen sich Dr. Söder als "Spaceman Came Travelling" mit seinem Hund Laika vor einem weiß-blauen Space Shuttle fürs Poesiealbum mit dem Kreuz in der Hand auf bayern.de abbilden lassen kann. Die Mission Söder ist schon jetzt zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat, meine sehr verehrten Damen und Herren.
So ist es auch mit den anderen Projekten, die er angesprochen hat. So hat Dr. Söder hier am Mikrofon einen bayerischen Hyperloop angekündigt. Die wenigsten Bürger wissen, was das ist: Eine bis zu 1.200 Stundenkilometer schnelle Rohrpost für Personen soll das sein. Der CSU-Spitzenkandidat hat die Produktion des Flugtaxis in Bayern angekündigt. Irgendwo zwischen Hof und Garmisch soll das Flugtaxi in Bayern eine Heimat bekommen. Wir haben bereits erste Erkenntnisse. Es ist schon etwas bekannt: die ersten fünf Hyperloops und die ersten fünf Flugtaxis, die in Bayern produziert werden. Wir kennen nicht das Baujahr, und wir wissen auch nicht, wie das zustande kommen soll. Es gibt da keinen einzigen Cent im Nachtragshaushalt für die Entwicklung. Aber die Namen der fünf Prototypen sind bereits klar: Söder I, Söder II, Söder III, Söder IV und Söder V. Aber damit ist niemandem geholfen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das ist Augenwischerei. Damit führen Sie die Menschen in Bayern in die Irre, und das ist nicht in Ordnung.
Wir brauchen mehr Bodenhaftung und mehr Bodenständigkeit. Ja, Visionen sind erlaubt. Aber es war doch Dr. Söder selbst, der an diesem Mikrofon gesagt hat, dass Ankündigungen, die am Ende keinerlei Tatkraft und Konsequenzen nach sich ziehen, zu einer verdoppelten Politikverdrossenheit führen. Dies fällt nun auf den Ministerpräsidenten selbst zurück. Schauen wir uns doch die Realitäten an, bevor wir von "Spaceman Came Travelling" träumen.
Jede vierte staatliche Brücke in Bayern ist marode, 1.407 von 5000. Die Zahl der maroden Brücken wächst in Ihrer Amtszeit. Sie wird nicht geringer, sondern sie wächst. Der Sanierungsstau wird kontinuierlich größer, und wir sind erstaunt darüber, dass die Baubehörden offensichtlich mit der Planung und
Durchführung bei den Brückensanierungen nicht nachkommen; denn wir im Landtag haben einmal 160 Millionen Euro für fünf Jahre freigemacht. Ausgegeben wurden gerade einmal 100 Millionen Euro, also 37 % weniger, als wir im Landtag eigentlich bereitgestellt haben. Das heißt, die staatlichen Bauämter sind offensichtlich so auf Kante genäht, dass sie die notwendigen Arbeiten gar nicht vornehmen können. Das ist klassisches Staatsversagen, und Sie haben das zu verantworten, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist schlechtes Regieren.
2.000 neue Busse hat Dr. Söder vor 48 Tagen angekündigt. 100 neue zusätzliche Trambahnen hat Dr. Söder für Bayern angekündigt.
Gemessen an den Bedarfen, liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem großen Freistaat Bayern war schon das vergleichsweise wenig. Was ist davon übrig geblieben? Null Busse statt 2.000, null Trambahnen statt 100 und null U-Bahnen statt 50 U-Bahnen. Wer eine solche Verkehrspolitik macht, darf sich nicht wundern, wenn der Stau in Bayern immer länger wird und die Luft in den Städten immer schmutziger. Sie haben es zu verantworten.
Ein Umweltbildungszentrum am Riedberger Horn hat Dr. Söder mit mindestens 15 Journalisten im Schlepptau angekündigt. Kein einziger Cent bildet sich dafür im Nachtragshaushalt ab.
1.000 stationäre und 500 ambulante Pflegeplätze wurden vor 48 Tagen hier angekündigt. Keinen einzigen Cent machen Sie im Nachtragshaushalt dafür frei; und vor 48 Tagen hat Dr. Söder an diesem Mikrofon eine nie dagewesene Qualitätsoffensive in der Kinderbetreuung mit 30.000 neuen Plätzen in der Kinderbetreuung bis 2020 – 2020 ist bereits in eineinhalb Jahren –, 10.000 Tagespflegepersonen für die Kinderbetreuung und 10.000 Hortplätzen bis 2025 versprochen. Am nächsten Tag wurde er umjubelt: Was dieser Mann alles leistet.
Eine solche Ankündigung produziert Hoffnung. Sie weckt Sehnsüchte in der Bevölkerung nach der Verwirklichung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn nach den größten Problemen im Be
reich der Betreuung ihrer Kinder gefragt, geben laut aktuellem Sozialbericht 71 % der Eltern an, es sei kein geeigneter Betreuungsplatz in Bayern verfügbar, und 66 % nennen die unpassenden Öffnungszeiten in den Einrichtungen. Noch immer hat der Freistaat einen deutlichen Nachholbedarf gerade bei den Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren. Da sind wir in Bayern im Bundesländervergleich mit einer Betreuungsquote von unter 30 % nur auf Platz 14.
Nun die nackte Wahrheit: Dr. Söders vor 48 Tagen angekündigte Kita-Offensive mit 30.000 neuen Plätzen bis in eineinhalb Jahren, 10.000 Tagespflegepersonen und 10.000 Hortplätzen findet sich im Nachtragshaushalt – ich verstehe nicht, dass Ihnen das nicht peinlich ist, liebe Kolleginnen und Kollegen –
nicht mit einem einzigen Prozent. Der neue Ministerpräsident führt die Kita-Beschäftigten und die Familien in Bayern mit Wahlkampfversprechungen hinters Licht, die schon vor dem Wahltermin gebrochen werden. Für die vielen Eltern, die sich eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie wünschen, ist diese Söder-Lücke zwischen Ankündigung und Realisierung ein echtes Ärgernis. Aber wir können Ihnen sagen: Wir werden Ihnen diesen Wahlbetrug bis zum 14. Oktober, bis zum Wahltermin, nicht durchgehen lassen. Das können Sie uns glauben.
Mit Interesse und Wohlwollen haben wir wahrgenommen, dass Dr. Söder Invest in Bavaria modernisieren möchte; denn die Ansiedlungspolitik der Staatsregierung für neue Arbeitsplätze in Bayern ist alles andere als in Balance. Wir haben das in der Opposition gemeinschaftlich immer wieder kritisiert. Er hat eine neue Agentur angekündigt, und er hat angekündigt, dass diese Agentur 50 Millionen Euro Startkapital bekommen soll. Wir haben die 50 Millionen Euro Startkapital gesucht. Sie sind nicht etatisiert. Das heißt, bei Invest in Bavaria bleibt alles genau so, wie es ist, alles fauler Zauber. Und die Regierungsbezirke im Norden und im Osten Bayerns werden auch in den Jahren 2018, 2019 und 2020 vergeblich auf Unterstützung der staatlichen Ansiedlungsagentur warten müssen – ein Untätigkeitsnachweis des Ministerpräsidenten. Ich verstehe nicht, dass Ihre Haushaltspolitiker nicht auch wenigstens das, was vor 48 Tagen hier am
Mikrofon gesagt wurde, mit dem abgleichen, was jetzt im Haushalt steht, so wie ich mir die Mühe gemacht habe, und das in so zentralen Bereichen wie bezahlbares Wohnen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf und künftige Mobilitätspolitik.
Ich wundere mich sehr. DJ Söder, meine Damen und Herren, hat ein großes Wunschkonzert angekündigt, und jetzt hören wir die Unvollendete, die Symphonie der enttäuschten Erwartungen – ein weiteres Zeichen dafür, dass diese CSU-Alleinregierung am 14. Oktober keine absolute Mehrheit mehr erhalten darf.
Ich habe nur einige Haushaltsbereiche aufgezählt, bei denen Dr. Söder die Umsetzung seiner Versprechen schuldig bleibt. Es gibt aber auch Bereiche, für die Geld ausgegeben wird, aber nicht zielgerichtet, zum Beispiel für die innere Sicherheit. Wir brauchen keine bayerische Grenzbehörde; denn es gibt eine deutsche Grenzpolizei. Wir brauchen mehr Polizisten auf der Straße und nicht in neuen Söder-Amtsstuben. Söders Doppelstruktur mit der Bundespolizei schafft zusätzliche Bürokratie statt zusätzlichen Bürgerschutz. Deshalb fordert die SPD im Landtag eine effiziente Schleierfahndung, mobile, kurzfristige Grenzraumkontrollen statt die christ-soziale Rückkehr zum Schlagbaum des 20. Jahrhunderts. Die Anordnung neuer Behördennamen und Dienstuniformen durch den neuen Ministerpräsidenten ersetzt nicht die notwendige bessere länderübergreifende Zusammenarbeit von Polizei und Justiz. Wir teilen auch nicht die Ansicht des Ministerpräsidenten, dass eine bayerische Kavallerie hoch zu Ross einen Durchbruch für die innere Sicherheit in Bayern darstellt. Ich sage: lieber mehr Zweibeiner in Polizeiuniform auf bayerischen Straßen und Plätzen als Söders neue Vierbeiner. Diese brauchen wir nämlich in dieser Form ganz gewiss nicht.
Der Freistaat Bayern wird bis 2030 nicht schuldenfrei sein. Der angekündigte Schuldenabbau bis 2030 ist nichts anderes als politische Propaganda und Schönrednerei.
Hinzu kommt: Allein die Kürzungen der Pensionsvorsorge, die Sie 2010 vorgenommen haben – da sollte ja mal einbezahlt werden, wie Stoiber das vorgesehen hat, damit künftige Generationen nicht die Pensionen unserer Staatsdiener zu bezahlen haben –, allein die Kürzungen bei der Pensionsvorsorge haben in den letzten acht Jahren eine Lücke von fast 2,9 Milliarden
Euro in den Pensionsfonds gerissen. Die Tendenz steigt von Jahr zu Jahr. Das ist eine aufwachsende Summe, für die unsere Kinder und Enkel eines Tages werden aufkommen müssen. Sie nehmen künftige Generationen in Haftung. Mit Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit hat das in Ihrem Staatshaushalt nichts, aber auch gar nichts zu tun, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Die Sozialdemokratie im Hohen Hause setzt sich mit ihrem Antragspaket zum Nachtragshaushalt – ein herzliches Dankeschön an die Kollegen unseres Haushaltsarbeitskreises unter der Führung von Harald Güller – für mehr soziale Gerechtigkeit in Bayern ein; denn 1,5 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze in Bayern sind eine hohe Zahl, vor deren Hintergrund sich politische Selbstgerechtigkeit und Selbstzufriedenheit verbieten. Auch wenn die CSU alle unsere Anträge zur Armutsbekämpfung, zur Stärkung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bayern mit einem Tariftreuegesetz und mit einem Weiterbildungsgesetz, für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Entlastung der Familien in Bayern und für eine moderne Gleichstellungspolitik im Allgemeinen abgelehnt hat, bleiben wir als SPD dran: für eine solidarische Gesellschaft, für das soziale Miteinander. In diesem Zeichen steht auch unser Antragspaket für den Nachtragshaushalt.
Ich kann als Fazit nur sagen: Angesichts nachweisbar leerer Versprechungen und falscher Prioritäten wird es allerhöchste Zeit, dass die Arroganz der Macht der absoluten Herrschaft endlich ein Ende findet. Dr. Beckstein hat die absolute Mehrheit vor zehn Jahren verloren. Dr. Söder wird die absolute Mehrheit verlieren. Menschlichkeit und Modernität in Bayern: Das gibt es mit der SPD. – Vielen Dank fürs Zuhören.
Danke schön, Kollege Rinderspacher. – Für die CSU-Fraktion erteile ich jetzt dem Kollegen Winter das Wort. Bitte sehr.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wie schwer sich die SPD tut, habe ich an den teilweise unterirdischen Ausführungen des Kollegen Rinderspacher gespürt.