Mit den Kritikpunkten, die von den Experten und Expertinnen bisher schon geäußert wurden und die uns auch als Stellungnahme für die Ausschussanhörung am nächsten Dienstag vorliegen, könnte ich hier 20 Minuten füllen. Jetzt kann ich aber leider nicht mehr sagen; wir werden das im Ausschuss diskutieren.
Ich sage nur noch eines: Es kann jeden Menschen treffen. Sie alle haben wahrscheinlich dieses Beispiel von Herrn Dr. Kallert zur Wochenbettdepression gelesen. Eine junge Frau befindet sich nach der Entbindung in einer Ausnahmesituation und wird gegen ihren Mann tätlich, der sich nicht anders wehren kann, als die Polizei zu rufen. Sie wird untergebracht und endet dann in dieser Datei. Besprechen Sie das mit der Wissenschaftsministerin. Als Gynäkologin weiß sie, wie sich jemand fühlt, wie jemand stigmatisiert ist und welche Auswirkungen das auf die ganze Familie hat, wenn man die Menschen zusätzlich zu dieser schwierigen Diagnose noch mit solchen Knüppeln belastet.
Ich sage es noch einmal: Sie alle – Sie, ich, wir, unsere Bekannten und unsere Freunde – können in so eine Ausnahmesituation kommen, und ich möchte nicht, dass dann so etwas passiert. Dieser Gesetzentwurf ist nicht nur kein Fortschritt, sondern er ist ein extremer Rückschritt in finstere Zeiten der Psychiatrie.
Die SPD steht nach wie vor für die Arbeit an Verbesserungen bereit. Eines kann ich Ihnen aber heute schon sagen: Es gibt zwei Conditiones sine quibus non – zum einen den ersatzlosen Wegfall der Unterbringungsdatei und zum anderen den Wegfall dieser Analogien zur Sicherungsverwahrung. Wir werden mit allen Beteiligten für ein gutes Gesetz kämpfen, aber diese Bedingungen müssen wir am Anfang stellen, weil ohne sie aus diesem vorgelegten Entwurf kein gutes Gesetz werden kann.
Danke schön, Frau Sonnenholzner. – Nächster Redner ist Herr Kollege Seidenath. Bitte schön, Herr Seidenath.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dies ist die Erste Lesung des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes. Vor vier Jahren, beim Start in diese Legislaturperiode, war dieses Gesetz eines der wichtigsten gesetzgeberischen Vorhaben. Das ist es bis heute. Unser Ziel war es, und das ist es auch weiterhin, die Hilfen für psychisch kranke Menschen in einem Gesetz zu kodifizieren. Wir wollten und wir wollen Hilfen aus einem Guss. Wir wollten und wir wollen dafür ein eigenes, ein eigenständiges Gesetz; denn psychische Erkrankungen sind in den letzten Jahren zu Recht mehr und mehr in den Fokus gerückt. Sie sind aus einer Tabu-Ecke herausgeholt worden. Das sehen Sie beispielsweise daran, dass die Vorbeugung vor psychischen Erkrankungen eine wichtige Säule sowohl des Präventionsgesetzes auf Bundesebene als auch des Präventionsplans des Freistaates Bayern ist. Wie auch dem Präventionsgesetz eine jahrelange Vorbereitung vorausgegangen ist, war das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ein jahrelanges Ziel, auf das wir Gesundheitspolitiker hingearbeitet haben. Ich bin deshalb zunächst einmal froh, dass wir uns nun im parlamentarischen Verfahren befinden und die Staatsregierung diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Wir können die so wichtigen Hilfen für psychisch Kranke also noch in dieser Legislaturperiode beschließen. Das Gesetz soll nämlich Mitte dieses Jahres 2018 in Kraft treten. Das geht in der aktuellen Diskussion leider unter.
Das Gesetz setzt mit seinen Hilfen für psychisch Kranke einen Meilenstein in der bayerischen Gesundheitspolitik. Liebe Frau Sonnenholzner, heute ist in der Tat ein großer Tag, weil wir dieses Gesetz in der Ersten Lesung in den Landtag einbringen und diskutieren können. Erst das konstruktive Zusammenwirken und die Einigung von Staat und Bezirken hat das möglich gemacht. Sie haben den gordischen Knoten durchschlagen. Ich bin deshalb den Bezirken und namentlich dem Präsidenten des Bayerischen Bezirketages Josef Mederer und seinem Team für die Offenheit überaus dankbar.
Ohne die Verhandlungspartner auf der anderen Seite, ohne unsere Gesundheitsministerin Melanie Huml und ohne den zuständigen Referatsleiter Dr. Georg Walzel, der hier auch namentlich erwähnt gehört, weil er enorm viel Herzblut in diesen Gesetzentwurf gelegt hat, wäre der Gesetzentwurf nicht zustande gekommen. An dieser Stelle möchte ich deshalb auch den involvierten Beamtinnen und Beamten der Staatsregierung, aber insbesondere denen des Gesundheitsministeriums ein herzliches Dankeschön sagen.
Wegweisend und insgesamt beispielgebend für ein modernes Gesetzgebungsverfahren war auch die lange und intensive Vorbereitung des Gesetzes unter Einbeziehung aller Akteure, insbesondere auch der Betroffenen und der Psychiatrieerfahrenen. Das hat Maßstäbe gesetzt. Meine Vorrednerinnen sind darauf eingegangen. Wir haben uns zu mehreren Runden Tischen getroffen, um zunächst die Eckpunkte des Gesetzes zu erarbeiten, ehe sich die Ministerien darangemacht haben, diese Punkte auszufüllen und auszuformulieren.
Ich möchte noch einmal betonen: Ziel dieses Gesetzes ist es, die Prävention von psychischen Krisen zu stärken und Menschen in psychischen Krisen noch stärker als bislang wirksam zu unterstützen. Auch sollten Unterbringungen und Zwangsmaßnahmen so weit wie irgend möglich vermieden werden. Das sind gute, hehre und wichtige Ziele dieses Gesetzes. Ich bedauere es sehr, dass die aktuelle öffentliche Diskussion von diesen guten und wichtigen Neuerungen etwas ablenkt. Die Diskussion über den Unterbringungsteil überlagert derzeit vieles. Mit diesem Teil des Gesetzes, dem Unterbringungsteil, werden wir uns am kommenden Dienstag noch in der Landtagsanhörung befassen. Beim vorliegenden Entwurf wird es im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens sicher noch Änderungen geben. So viel kann man jetzt schon sagen.
Umso mehr möchte ich Ihr Augenmerk heute auf den Teil betreffend die Hilfen für psychisch Kranke lenken. Das ist wesensprägend für dieses Gesetz; denn es heißt Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz. Das Gesetz bringt ein ganzes Bündel von Maßnahmen, mit denen die psychiatrische, die psychotherapeutische, die psychosomatische und auch die psychosoziale Versorgung in Bayern nachhaltig gestärkt werden. Zentraler Baustein hierbei ist die landesweite Einführung von Krisendiensten. Mit den Krisendiensten für Menschen in akuten psychischen Krisen wird eine lange bestehende Versorgungslücke endlich geschlossen. Während die überwiegend auf somatische Notfälle spezialisierten Rettungsdienste – Frau Staatsministerin Huml hat das dargestellt – seit Jahrzehnten rund um die Uhr im Notfall verfügbar sind, konnten Menschen mit akuten psychischen Krisen bisher nur in wenigen Regionen Bayerns auf spezialisierte Dienste zurückgreifen. Die Krisendienste werden von den Bezirken aufgebaut und betrieben. Der Freistaat gibt hierfür 7,7 Millionen Euro pro Jahr aus. Das ist ehrenwert und wichtig. Sie sollen Hilfebedürftige und auch die Angehörigen akut psychisch gestörter Menschen beraten, frühzeitig auffangen und, soweit erforderlich, freiwillige weitere Versorgungsangebote vermitteln. Dadurch sollen auch stationäre psychiatrische Einweisungen, insbesondere sogenannte Zwangseinweisungen, auf das absolute Mindestmaß verringert werden.
Eine weitere wichtige Neuerung ist die Stärkung der organisierten psychiatrischen Selbsthilfe der Psychiatrieerfahrenen und der Angehörigen psychisch Kranker. Sie werden künftig in angemessener Weise an allen Planungen zur Versorgung von Menschen mit psychischen Störungen sowie bei der Weiterentwicklung der Therapiekonzepte beteiligt.
Erstmals wird es eine Psychiatrieberichterstattung geben. Alle drei Jahre werden die für die Versorgung relevanten Daten erfasst und ausgewertet. Sie bilden die Grundlage für die Weiterentwicklung der Versorgung. Damit leistet das Gesetz einen wichtigen Beitrag zur Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen. Ihre Rechtsstellung, ihre Teilhabe an der Gesellschaft und ihre selbstständige Lebensführung werden gestärkt. Daneben sieht das Gesetz die Neuregelung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung vor.
Insgesamt wird das Gesetz einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Belangen psychisch kranker Menschen und den Interessen des Staates herstellen, der die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten und seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen hat. Es geht also um Gefahrenabwehr, gleichrangig geht es aber um die Heilung der psychisch Kranken. Damit soll ein leichter zu handhabender Einsatz und ein Ersatz für die zivilrechtliche Betreuung gefunden wer
den. Sie war für die Betroffenen nämlich oftmals viel einschneidender, weil sie die Betreuung nicht mehr losgeworden sind.
Deshalb war es von vornherein ein Ziel, das Recht der öffentlichen Unterbringung praktikabler zu machen, damit dieses für die Betroffenen weniger einschneidende Folgen hat. Auch das ist eine echte Hilfe für psychisch Kranke.
Ich fasse zusammen: Das neue BayPsychKHG soll die psychiatrische, psychotherapeutische, psychosoziale und psychosomatische Versorgung in Bayern weiter stärken und die öffentlich-rechtliche Unterbringung von Menschen mit psychischen Störungen auf verfassungsrechtlich sichere Füße stellen. Es ist ein Gesetz, das seinen Namen zu Recht trägt: PsychischKranken-Hilfe-Gesetz. Wir freuen uns auf die Beratung im Ausschuss.
Danke schön, Herr Kollege Seidenath. Bitte bleiben Sie noch. Es gibt eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Celina.
Herr Seidenath, Sie waren dabei, als der Landtag den Beschluss für ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz gefasst hat. Sie wissen, was wir beabsichtigt haben, nämlich ein echtes Hilfegesetz. Umso mehr erstaunt mich Ihre – ich sage es einmal so – schönfärberische Beurteilung des Gesetzes, das uns hier zur Ersten Lesung vorliegt. Ich möchte dazu zwei konkrete Fragen stellen:
Erstens. Wenn es um Hilfe für psychisch kranke Menschen geht, wie kann es dann sein, dass die Daten in der Unterbringungsdatei unter anderem dafür vorgesehen sind, sie dem Bewährungshelfer zu geben? Wir reden hier über kranke Menschen, nicht über Straftäter. Wenn die CSU-Staatsregierung hier eine saubere Unterscheidung machen wollte, dann dürfte sie solche Artikel nicht in das Gesetz schreiben.
Die zweite Frage, die ich Ihnen stellen möchte, betrifft das Problem, wie unbescholtene Bürger in den Sicherheitswahn der CSU-Staatsregierung kommen können. Dazu möchte ich Ihnen ein Beispiel geben: Nehmen wir an, Sie haben einen zuckerkranken Menschen, der aufgrund eines Zuckerschocks auffälliges Verhalten zeigt. Die Umgebung weiß sich nicht zu helfen und lässt ihn einliefern. Dort wird dann festgestellt, dass er aufgrund der Zuckererkrankung einen Schock hatte, eine Ausfallerscheinung. Er wird danach inner
halb weniger Stunden oder Tage entlassen. Nach diesem Vorfall ist er aber registriert, mit allen Daten. Wozu das denn?
Werte Frau Kollegin Celina, ich bin doch nicht schönfärberisch, nur weil ich nicht in Ihre laute Kritik an diesem Gesetzentwurf einstimme. Ich weise vielmehr darauf hin, welche guten, wichtigen und vorteilhaften Ziele er verfolgt und umsetzen will.
Ich möchte an dieser Stelle daran erinnern, dass Sie es waren, die mit Ihrer Fraktion aus der Reihe getanzt sind, indem Sie unser wichtiges Ziel, diesen Gesetzentwurf gemeinsam zu erarbeiten, konterkariert haben, indem Sie einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt haben.
Die Fragen, die Sie jetzt gestellt haben, betreffen Dinge, die wir in der kommenden Woche in der Anhörung erörtern werden. Im Übrigen möchte ich nochmal darauf hinweisen, was ich eben in meiner Rede schon gesagt habe, dass wir sicherlich auch zu Änderungen in dem einen oder anderen Fall kommen werden. Ich denke gerade an das Thema Datenspeicherung. Das werden wir in der Anhörung auch noch beraten.
Im Übrigen werden Sie die Fragen, die Sie eben gestellt haben, sicherlich noch an anderer Stelle vorbringen, dafür schon jetzt vielen Dank. Aber, wie gesagt, schönfärberisch ist das nicht. Es ist berechtigt, diesen Gesetzentwurf zu loben; denn er ist ein Meilenstein für die gesundheitliche Versorgung der psychisch kranken Menschen in unserem Lande. Es ist dies ein großer Tag für die Menschen in unserem Lande, die psychisch krank sind. Wir kodifizieren nun erstmals die Hilfen in einem Guss in diesem Gesetzentwurf. Das hätte Ihren Beifall verdient.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz heißt es eigentlich. Es war für mich aber symptomatisch – Herr Seidenath, Sie haben es vielleicht nicht so sagen wollen –, dass Sie sagten, dieses Gesetz diene der Gefahrenabwehr und gleichrangig der Hilfe. Daran erkennt man, welche Prioritäten in diesem Gesetzentwurf von der Denke her enthalten sind. Wenn Sie nun die Bezirke als Kronzeugen dafür he
Wir haben alle vor zwei, drei Tagen noch von Herrn Mederer, der diese Sache federführend bearbeitet, diesen Brief erhalten, indem er eine vernichtende Kritik an diesem Gesetzentwurf übt. Das, was Sie jetzt hier gesagt haben, Herr Seidenath, stimmt einfach nicht.
Kolleginnen und Kollegen, es hat lange gedauert. Die Einbeziehung der Verbände hat eine lange Zeitspanne in Anspruch genommen. Das war vorbildlich, Frau Ministerin. Alle Beteiligten waren beim Runden Tisch dabei. Sie haben sich mit großem Einsatz und mit viel Engagement in den einzelnen Arbeitsgruppen eingebracht und konstruktive Vorschläge und Ergebnisse erarbeitet. Umso erschreckender ist es nun, dass sich so wenige Vorschläge der Experten und Betroffenen im Gesetzentwurf wiederfinden.
Ja, eigentlich fast keiner. Man muss sich fragen, ob das Ziel eines modernen Psychisch-Kranken-HilfeGesetzes – es ist kein Unterbringungsgesetz, sondern es ist ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz – überhaupt erfüllt wird, wenn statt Hilfe – ich habe es schon gesagt – strikte Gefahr im Vordergrund steht und Menschen in psychischen Krisen immer wieder mit psychisch kranken Straftätern in einen Topf geworfen werden. So geht das gar nicht.
Frau Ministerin Huml, ich kenne Sie: das ist sicherlich nicht Ihr Gesetzentwurf. Mich würde schon interessieren, wie die Abläufe innerhalb der CSU und der Staatsregierung vor sich gehen. Wer hat hier eingegriffen? Hat Herr Herrmann eingegriffen oder sogar Herr Söder? Wer war das? Vielleicht könnten wir das einmal unter vier Augen besprechen. Ihr Gesetzentwurf ist das sicherlich nicht.
Wir FREIE WÄHLER haben folgende Erwartungen an ein modernes Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz: Im Vordergrund muss in der heutigen Zeit immer noch die Entstigmatisierung psychisch kranker Menschen stehen.
Frau Schreyer, Sie haben gesagt, Sie wollten nicht mehr Einweisungen. Wissen Sie eigentlich, wie viele Einweisungen wir in Bayern haben? Es sind 61.000 im Jahr. Das sind 2,5-mal so viele wie in Baden-Württemberg, und es sind 13.500 Einweisungen mehr als zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Und da sagen
Sie, der Gesetzentwurf diene dazu, nicht mehr Einweisungen zu bekommen. Wir wollen weniger Einweisungen in unsere psychiatrischen Kliniken, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Zwangsbehandlungen sind nur die Ultima Ratio; darin sind wir uns einig. Außerdem brauchen wir rechtsverbindliche Regelungen zur Kontrolle und zur Sicherung der Rechte der Betroffenen.
Dieser Gesetzentwurf kann nur an einer einzigen Stelle den Anforderungen gerecht werden, nämlich der Schaffung und Finanzierung eines flächendeckenden Krisendienstes an 24 Stunden an sieben Tagen der Woche. Einverstanden! In allen anderen Bereichen weist der Gesetzentwurf deutliche Defizite auf. Die Hilfeangebote, also Leistungen, die den Menschen in einer psychischen Krise befähigen sollen, eigenverantwortlich und selbstbestimmt zu leben, muss man regelrecht suchen.