Protocol of the Session on October 12, 2017

Danke schön, Herr Kollege Mütze. – Jetzt hat Herr Kollege Muthmann das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es sehr erfreulich, dass der Bürokratieabbau hier wieder auf die Tagesordnung genommen worden ist; denn in allen Debatten muss man sich auch die Bedeutung dieses Themas vor Augen führen. Je komplizierter die Rechtslage insgesamt ist, desto größer wird der taktische Nachteil kleiner und mittlerer Unternehmen gegenüber großen Konzernen, die sich mit ihren BackOffice-Arbeiten leichter tun, all den gesetzlichen Anforderungen zu genügen.

Bei der Durchsicht der Anträge von CSU und SPD fällt – natürlich mit Ausnahme des Themas Mindestlohn – große Übereinstimmung auf. Dabei drängt sich

die Frage auf, warum all die von CSU und SPD für richtig gehaltenen Vereinfachungen in der vorangegangenen Bundesregierung nicht längst umgesetzt wurden. Da gibt es offenbar Übereinstimmungen; da wäre Zeit gewesen. Trotzdem wurde auf diesem Gebiet nichts getan. Allerdings liegen uns jetzt wiederum Anträge der CSU zu diesem Thema vor. Der Dringlichkeitsantrag der CSU liest sich streckenweise wie ein Teil der Vorverhandlungen zum neuen Koalitionsvertrag.

Der Dringlichkeitsantrag der SPD liest sich wie eine Rechtfertigung dafür, dass einiges zwar beschlossen, aber nicht umgesetzt wurde. Die FDP unterstützt dieses Anliegen jedenfalls. Aber es darf nicht bei diesen Ankündigungen bleiben. Wir werden darauf achten, dass den Ankündigungen die notwendige Umsetzung folgt.

Ergänzend darf ich mit Blick auf die kleinen und mittleren Unternehmen insbesondere im ländlichen Raum folgenden Aspekt nennen, der heute noch nicht angesprochen wurde: die Vereinfachung durch Digitalisierung. Sie setzt aber vonseiten der Behörden und in Bezug auf die Glasfaserverkabelung in den einzelnen Betrieben voraus, dass eine dynamische Entwicklung nicht nur in ein paar privilegierten Regionen erfolgt, sondern dass in ganz Bayern die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Auch darauf werden wir Wert legen.

Ich begrüße die Anträge zum Bürokratieabbau sehr, erwarte aber, dass sich alle Beteiligten nicht nur in diesen Anträgen sonnen, sondern für eine entsprechende Umsetzung sorgen.

Danke schön, Herr Kollege Muthmann. – Bevor ich dem Herrn Staatsminister das Wort erteile, darf ich bekannt geben, dass die CSU zu ihrem Antrag namentliche Abstimmung beantragt hat.

Herr Staatsminister, ich will Sie jetzt nicht ermuntern, die 24 Minuten, die Sie noch haben, auszunutzen; aber ob wir dann noch zu der Abstimmung kommen, hängt davon ab, ob die 15 Minuten erfüllt sind oder nicht.

(Dr. Christian Magerl (GRÜNE): Das ist wenigstens ein Beitrag zum Bürokratieabbau!)

Herr Präsident, ich versuche, mich knapp zu fassen. Erlauben Sie mir trotzdem, zunächst etwas Grundsätzliches zu sagen, nachdem nicht nur über Bürokratieabbau, sondern auch über Breitbandverkabelung und Flüchtlingsbeschäftigung gesprochen worden ist.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn man in einer politischen Veranstaltung von Bürokratismus spricht, sind die Wallungen der Zuhörer garantiert. Das funktioniert immer. Ich finde das ungerecht; denn Tausende von Beamten müssten sich angesprochen fühlen, die Tag für Tag gut ausgebildet und hoch motiviert in diesem Land eine hoch effiziente Verwaltung sicherstellen. Sie sorgen sich in ihrer Arbeit um unsere Sicherheit und Gerechtigkeit und versuchen, die Standards einzuhalten, die politische Ebenen bis hin zu Brüssel gesetzt haben. Sie können manchmal selber nichts dafür, dass manche Dinge so gesetzt worden sind.

Es stellt sich die Frage, warum Weltfirmen nicht die Gelegenheit zur Gründung ihrer Konzernzentrale in Zentralafrika oder sonst wo auf der Welt nutzen, wo keine weiteren Ressourcen notwendig und die Kosten sehr viel niedriger sind. Warum gehen diese Firmen angesichts der hohen Preise und der fürchterlichen Gängelung durch die hiesige Bürokratie nach Deutschland, etwa nach München? – Ich sage Ihnen, warum: Weil es hier verlässliche Regelungen gibt und weil hier jemand die Einhaltung dieser Regelungen überprüft.

(Christine Kamm (GRÜNE): Das sagen mir aber manche Unternehmer anders!)

Das gilt vom Grundbuch bis zum Brandschutz und von der Steuer bis zum Umweltschutz.

Jetzt kommt das Aber, das die Parteien heute veranlasst hat, diese Anträge zu stellen: Wir Deutsche sind Perfektionisten. Da gibt es irgendeinen Unfall oder einen Brand aus einem ganz seltenen Grund. Was machen wir? Wir sagen, das darf nie wieder passieren, wir verschärfen die Regeln im Brandschutz. Die Brandschützer finden das gut. Im Steuerrecht gibt es manchmal ungerechte Konstellationen. In irgendeinem Ausnahmefall muss jemand ungerechterweise zu viel Steuer zahlen, oder er bekommt zu wenig zurückerstattet. Was machen wir? Wir nehmen diesen seltenen Fall zum Anlass für eine spezifische Regel, für einen Ausnahmetatbestand. Bis ins kleinste Detail, bis sich keiner mehr im Steuerrecht auskennt, werden Regeln geschaffen. Wir entdecken, dass irgendwo ein Käfer oder ein Pflänzchen durch den Menschen beeinträchtigt wird. Was machen wir? Wir schaffen ein besonderes Schutzregime für diese besondere Situation. Das alles machen wir so intensiv, dass in summa aus unserer funktionierenden Verwaltung ein Schreckgespenst für die Bürger geworden ist, die sich darüber beklagen, dass sie flächendeckend von der Bürokratie schikaniert werden.

Genau deshalb ist es jetzt an der Zeit, sich ein bisschen zurückzunehmen und wieder das Ziel einer geordneten Verwaltung in den Blick zu nehmen. Wir müssen eine vernünftige Balance zwischen einer nützlichen und effizienten Verwaltung einerseits und einer wirklich überbordenden Bürokratie andererseits suchen, die den Menschen schadet. Die Bayerische Staatsregierung hat sich dieses Themas schon länger angenommen. Seit 2003 sind 40 % aller bayerischen Gesetze und Verordnungen gestrichen worden. Wir sind im Bund nachweislich das Land – Frau Karl, das kann ich Ihnen nicht ersparen – mit den wenigsten Gesetzen. Die Zahlen, die Sie heute wieder zitiert haben, hat Herr Rinderspacher schon falsch vorgetragen. Ich empfehle der SPD, in die Staatskanzlei zu kommen;

(Volkmar Halbleib (SPD): Nach der nächsten Landtagswahl kommen wir in die Staatskanzlei!)

wir erklären es Ihnen dann einmal. Es ist ganz einfach, aber es wird nicht richtiger, wenn Sie die Zahlen von Parlamentssitzung zu Parlamentssitzung wiederholen.

(Beifall bei der CSU)

Seit wir 2013 die Paragrafenbremse eingeführt haben – one in, one out und dieses schöne Wort Sunset –, haben wir 20 % weniger Gesetze und Verwaltungsvorschriften. Das ist nachweisbar, und das kann ich Ihnen auch zeigen.

2016 haben wir uns eine Nische herausgesucht. Wir haben heute Früh vom Ehrenamt gesprochen. Viele Ehrenamtler würden gerne etwas machen, wenn es nicht so schwierig wäre, wenn es nicht so viel Bürokratie gäbe. Wir haben uns die Organisation von Brauchtums- und Vereinsfeiern angeschaut. Wir stärken damit das Ehrenamt. Oliver Jörg hat heute freundlicherweise auch das gut funktionierende Sorgentelefon angesprochen, das wirklich angenommen wird und mit dem auch wirklich geholfen wird. Das läuft seit 2016.

Seit Februar 2017 haben wir einen unabhängigen Beauftragten für Bürokratieabbau. Der Kollege Walter Nussel, der heute schon gesprochen hat, nimmt sich der Deregulierung ganz intensiv an. Er arbeitet mit hohem Engagement und großem Erfolg. Er sammelt die Fälle, in denen die Bürger meinen, sie seien von der Bürokratie ungerecht behandelt worden. Ich gratuliere ihm nicht nur zu seinem heutigen Geburtstag, sondern auch zum Erfolg seiner Arbeit, die er hier leistet.

(Beifall bei der CSU)

Wir nehmen uns bestimmte Fachzirkel vor. In diesem Fall haben wir uns kleine und mittlere Betriebe des Handwerks vorgenommen. Zunächst haben wir schon im Dezember letzten Jahres einen großen Runden Tisch mit dem Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei gebildet. Damit haben wir schon vor deiner Zeit, Walter, ein Projekt Bürokratieabbau im Handwerk gestartet. Zunächst einmal sind wir so vorgegangen, wie wir es üblicherweise machen. Wir haben die Handwerker gefragt, was sie belastet. Die Handwerker haben geantwortet und gesagt, was sie belastet. Sie haben uns über 50 Sachverhalte geschildert, bei denen sie unzufrieden waren. Diese Sachverhalte haben wir exakt analysiert. Herr Häusler, ich danke Ihnen, dass Sie auf die Analyse so viel Wert legen. Wir haben die Sachverhalte sortiert und gesagt: Die und die Sachverhalte können wir schnell auf dem Verwaltungsweg in der eigenen Verwaltung regeln; das macht Bayern selber. Das ist auch die Vorgehensweise von Herrn Nussel. Er redet mit den Landratsämtern. Das können wir leicht machen.

In der Analyse ist allerdings auch herausgekommen, dass viele Regeln aus Berlin und auch aus Brüssel kommen. Wenn wir diese Probleme lösen wollen, müssen wir einen anderen Weg gehen. Die Probleme, die im Bundes- oder Europarecht verortet sind, können abgestellt werden, wenn wir diese Themen bei den Koalitionsverhandlungen in ein Regierungsprogramm oder in eine Koalitionsvereinbarung aufnehmen, damit die betreffenden Regeln in der nächsten Legislaturperiode im Interesse der Handwerker angepasst werden. Nachdem wir uns die Sachverhalte danach angeschaut haben, ob man etwas machen kann oder nicht, haben wir die Regeln herausgenommen, bei denen ein eklatanter Missstand besteht und die geändert werden müssen, sowie die Regeln, bei denen ein echtes Potenzial besteht sie zu ändern. Damit haben wir eine echte Chance, voranzukommen.

Zu den Schwellenwerten für Kleinbetriebe – ich mache es ganz kurz: Wir wollen einheitliche Schwellenwerte, weil sich kein Betrieb mehr auskennt, welcher Schwellenwert im Arbeitsrecht, im Sozialrecht oder im Verbraucherschutzrecht gilt.

Ein weiteres Thema ist die Aufzeichnungspflicht für Lenk- und Ruhezeiten. Wer weiß, welche Handwerker im Großraum München arbeiten, der weiß auch, dass die 100-Kilometer-Grenze für das Handwerk nicht tolerabel ist. Wir haben Dokumentationspflichten beim Mindestlohn. Frau Karl, das kann ich Ihnen auch nicht ersparen. Ich empfehle Ihnen, nicht nur mit den kleinen Gastronomiebetrieben, sondern auch so wie Walter Nussel mit dem Servicepersonal zu sprechen. Eine Bedienung würde zum Beispiel lieber zehn Stun

den arbeiten, damit sie am nächsten Tag bei ihrem Kind zu Hause bleiben kann. Das wird aber durch die Dokumentationspflichten so schwer gemacht, dass wir hier dringend etwas ändern müssen.

(Horst Arnold (SPD): Das ist doch falsch! – Annette Karl (SPD): Damit sie am nächsten Morgen unausgeschlafen ihr Kind betreuen kann! – Volkmar Halbleib (SPD): 14 bis 16 Stunden Arbeit am Tag!)

Wir tragen diese Regelung mit, die Frau Nahles im Arbeitszeitrecht eingeführt hat, aber diese überbordenden Dokumentationspflichten überlasten kleine Gastronomiebetriebe völlig, und deshalb müssen wir an der Stelle etwas tun.

(Volkmar Halbleib (SPD): Das ist längst widerlegt!)

Handwerker müssen steuerlich relevante Unterlagen zehn Jahre lang aufbewahren. Wir haben schon seit über zehn Jahren EDV. Jeder einzelne soll sich einmal überlegen, welchen Rechner er vor zehn Jahren zu Hause gehabt hat. Wir hatten damals noch Windows XP. Welches Datenbanksystem hatten wir damals? Ich müsste heute dieses Gerät und dieses Programm von vor zehn Jahren noch gangbar halten. Das ist nicht praxisgerecht. Wir brauchen andere Zyklen bei der Buchführungspflicht und bei der Belegaufbewahrung.

Zu den Beratungsleistungen der Handwerkskammer nach der De-minimis-Regel: Die Kleinen sollten ganz herausfallen. Dass kleine und mittlere Unternehmen gut beraten werden, liegt in unser aller Interesse.

Herr Häusler, zur Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge: Da haben Sie etwas übersehen. Dafür gibt es inzwischen eine Regelung; Frau Karl hat sie angesprochen. Das Bürokratieentlastungsgesetz ist im Bund noch beschlossen worden, dies übrigens unter großem Einsatz der Bayerischen Staatsregierung. Damit ist eine Lösung gefunden worden, damit nicht die 28 Milliarden, die im Raum standen, sofort auf den Tisch gelegt werden müssen. Es ist eine Lösung gefunden worden, mit der eine große Entlastung bei der Beitragsberechnung erzielt wird, ohne die Liquidität der Sozialversicherungskassen zu gefährden.

Meine Damen und Herren, unsere Handwerker wollen arbeiten. Sie sind bereit, sich zu plagen. Wir wollen es ihnen aber ersparen, nach zwölf Stunden Arbeit und Autofahrt nach Hause zu kommen und Vorgänge aufschreiben zu müssen, die nicht zwingend notwendig aufgeschrieben werden müssten. Deswegen sind wir mit dem Antrag der CSU-Fraktion, aber auch mit den Bemühungen, diese neun Punkte tatsächlich umzu

setzen, auf dem richtigen Weg, diesen teilweise überbordenden Bürokratieansprüchen Lösungen entgegenzusetzen, die ausreichend Sicherheit und ausreichend Gerechtigkeit sowie die Einhaltung von Standards ermöglichen, ohne die Handwerksbetriebe mit zu viel Schreibarbeit und Bürokratie zu plagen.

(Beifall bei der CSU)

Einen Moment, bitte, Herr Staatsminister. Kollegin Karl hat sich zu einer Zwischenbemerkung angemeldet. – Bitte schön.

Herr Staatsminister, ich habe es immer gern konkret, wie auch Kollege Nussel. Ich nenne einmal folgendes Beispiel: Eine junge Mutter, alleinstehend, in der Gastronomie tätig, arbeitet in der Nacht zum Samstag. Sie arbeitet nicht 10 Stunden, sondern vielleicht 14 Stunden, geht danach nach Hause, kann aber nicht schlafen, weil sie ihr Kind betreuen muss, und geht am nächsten Abend wieder zur Arbeit. In dieser Situation möchte ich von Ihnen hören: Was möchten Sie als Höchstarbeitszeit? Sind es 12 Stunden, 14 Stunden oder 16 Stunden? Oder wollen Sie sich auch hier wieder der Verantwortung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entziehen und sagen: Wir wollen eine Wochenhöchstarbeitszeit, und dann ist es uns eigentlich egal, was an den einzelnen Tagen passiert?

(Beifall bei der SPD)

Frau Karl, erstens haben wir heute eine Debatte über Bürokratieabbau geführt. Ich habe, was das angeht, in erster Linie die Aufzeichnungspflichten angesprochen.

(Annette Karl (SPD): Bitte Antworten!)

Zweitens. Wir haben in der gesamten Gesellschaft eine Debatte bezüglich der modernen Berufe. Was ist denn mit jemandem, der in der New-Technology-Branche tätig ist, gern mal einen Tag Segeln geht und am anderen Tag 18 Stunden arbeiten möchte?

(Annette Karl (SPD): Konkret bleiben! – Weitere Zurufe der SPD)

Also, diese Diskussion geht quer durch die Gesellschaft. Wir sind noch nicht am Ende der Diskussion. Bei der Diskussion über die Höchstarbeitszeit und das Abbilden moderner Berufe und moderner Herangehensweisen ans Leben, wie sie junge Leute teilweise einfordern, muss man etwas finden, das die Menschen vor Ausbeutung schützt.

(Annette Karl (SPD): Konkrete Beispiele! – Zuruf des Abgeordneten Volkmar Halbleib (SPD) – Weitere Zurufe von der SPD – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich kann in diesem Beispiel keine Höchstgrenze festsetzen, das ist doch absurd. Wir müssen eine Lösung finden, die auf der einen Seite die moderne Arbeitswelt abbildet und auf der anderen Seite die Menschen vor Ausbeutung schützt. In dieser Diskussion sind wir mittendrin.

(Beifall bei der CSU – Annette Karl (SPD): Arbeiten bis zum Umfallen! – Volkmar Halbleib (SPD): Das heißt, keine Höchstgrenze!)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung. Dazu werden die Anträge wieder getrennt bzw. wir machen erst die einfachen Abstimmungen und danach die namentliche Abstimmung.