Herr Kollege, bitte bleiben Sie noch kurz am Redepult. Frau Kollegin Sonnenholzner erteile ich das Wort für eine Zwischenbemerkung.
zur Ungerechtigkeit der Praxisgebühr wiederholt. Das höre ich gern, und man kann es auch gar nicht oft genug sagen; denn das ist so, und das war schon immer so. Allerdings scheint mir, das ist nicht die reine Lehre der FDP. An dieser Stelle frage ich Sie deshalb: Wenn Sie die Praxisgebühr ungerecht finden, wie stehen Sie dann zu der Möglichkeit, nach oben ungedeckelte Zusatzbeiträge von genau denselben Versicherten zu verlangen, wie das in dem Gesetz steht, das Ihr Parteifreund und damaliger Bundesgesundheitsminister Rösler zu verantworten hat? Ich frage: Was haben Sie dagegen getan, oder was haben Sie dafür getan, dass die Zusatzbeiträge verhindert worden sind? Was werden Sie in Zukunft tun?
Noch einmal zu der Frage nach der Finanznot. Wenn Sie feststellen, dass Finanznot gegeben ist, dann frage ich Sie: Wo soll das Geld denn herkommen, wenn nicht aus Beiträgen? Wenn Sie sagen, wir hätten eine Finanznot, dann frage ich Sie: Warum wollen Sie ausgerechnet in diesen Zeiten eine kapitalgedeckte Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die weder hier noch an einer anderen Stelle funktioniert hat?
Warum fordern Sie in Berlin jetzt auch zum Beispiel eine Beitragssatzsenkung, welche die Situation der gesetzlichen Krankenversicherung gewiss nicht verbessern wird? Für mich bleibt als Schluss nur, dass bei 2 % alles versucht werden muss, um die Leute mit populistischen Aussagen noch auf die eigene Seite zu ziehen. Eine seriöse Gesundheitspolitik scheint mir das aber nicht zu sein.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Ich glaube sehr wohl, dass ich Argumente glaubhaft und sachlich dargestellt und nicht populistisch argumentiert habe. Das will ich einmal klarstellen.
Ich habe in der Diskussion im Gegensatz zu Ihnen massive Angriffe und einen Blick in die Vergangenheit vermieden. Ich könnte das aber sehr wohl tun, und, nachdem ich Ihr ganzes Sündenregister dargelegt hätte, könnte ich immer noch eine halbe Stunde reden.
Zu Ihren konkreten Fragen: Das Thema ist zu wichtig, als dass wir den Bürgern Sand in die Augen streuen dürfen. Wir müssen bei der Wahrheit bleiben, und die Wahrheit ist: Die Gesundheitspolitik ist nun einmal im Moment so gut, dass wir keine Zusatzbeiträge erhö
hen müssen. Welche Krankenkasse in Deutschland erhöht Zusatzbeiträge? - Wenn Sie mir das sagen können, bekommen Sie von mir eine Flasche Champagner auf den Tisch gestellt.
Keine Krankenkasse erhöht Zusatzbeiträge. Unser gegenwärtiges System ist so gut, dass wir die Menschen nicht mehr belasten müssen. Das spricht für den Erfolg dieses Systems. Das können Sie doch nicht anzweifeln.
Vielen Dank. Die nächste Zwischenbemerkung kommt von Herr Dr. Karl Vetter von den FREIEN WÄHLERN. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Kollege Dr. Bertermann, Sie haben von Populismus der FREIEN WÄHLER und von Wahrheit gesprochen. Der Antrag ist doch ganz einfach. Mit einem Plus von ungefähr 20 Milliarden in der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine andere Situation eingetreten. Wir haben ein sinnloses Instrument in Deutschland, nämlich die Praxisgebühr. Deshalb kann ich das Herumgeeiere der CSU - von Ihnen, Frau Stewens, und auch von Ihnen, Herr Bertermann - nicht verstehen. Nehmen wir das Heft einfach in die Hand und beeinflussen den Bund über Bayern, damit wir sinnvolle Lösungen finden! Wo ist denn überhaupt das Problem?
(Vom Redner nicht auto- risiert) Lieber Herr Vetter, genau das tun wir. Im Moment verhandeln wir mit dem Finanzminister über drei Möglichkeiten. Eine Möglichkeit besteht darin, die Praxisgebühr ganz abzuschaffen. Die anderen beiden Möglichkeiten habe ich Ihnen schon aufgezählt. Das löst aber prinzipiell das Problem nicht, dass wir in ganz Deutschland einen zentralen Beitragssatz haben und die Krankenkassen nicht mehr selbst den Beitrag bestimmen. Krankenkassen bekommen Geld, obwohl sie es gar nicht benötigen. Deshalb gibt es Überschüsse. Wenn jede Krankenkasse ihren Beitrag selbst festsetzen könnte, dann wären diese Überschüsse gar nicht vorhanden. Also muss der Gesundheitsfonds weg; es muss der zentrale Krankenkassendachverband weg, und die Leute müssen wieder vor Ort entscheiden, damit das Geld der bayerischen Bürger hier in Bayern bleibt und nicht nach Berlin geschickt wird.
Vielen Dank, Herr Kollege. Mir werden keine weiteren Zwischenbemerkungen angezeigt. Deswegen rufe ich den nächsten Redner auf. Für die Staatsregierung darf ich Herrn Staatsminister Dr. Marcel Huber das Wort geben, bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Diskussion, die unter einem großen Dachthema viele Unterebenen anspricht. Wir haben eine Diskussion über Versicherungssysteme; wir haben eine Diskussion zur Bürokratie und Lenkungsfunktion, zu sozialen Aspekten und zur Menschenwürde einer Praxisgebühr, und wir führen - das ist der Anlass, darin sind wir uns doch einig - eine Diskussion darüber, was wir mit den Überschüssen von heuer machen.
Ich fange mit diesem letzten Aspekt an. Die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen gestaltete sich im Jahr 2011 sehr, sehr günstig. Ein Überschuss von 4 Milliarden Euro ist erwirtschaftet worden, und die Finanzreserven liegen bei 10 Milliarden Euro. Das klingt zunächst einmal sehr gut; das sind stattliche Summen. In meinen Augen ist das wirklich eine erfreuliche Nachricht, die man jetzt nicht schmälern sollte. Aber die Debatte, die daraus resultiert - wie werden wir dieses Geld so schnell wie möglich wieder los? -, halte ich für falsch.
Die Forderung, dass wir mit diesem Geld die Bürger entlasten, hört sich natürlich zunächst einmal gut an. Wir sollten aber einen Blick darauf werfen, wie sich unser Gesundheitssystem finanziell insgesamt darstellt. Die Gesundheitsausgaben in Deutschland belaufen sich im Jahr - so das Statistische Bundesamt für 2009 - auf fast 280 Milliarden Euro insgesamt. 280 Milliarden Euro! Für die gesetzlichen Krankenkassen bedeutet das 180 Milliarden. Das heißt, dass sie monatlich 15 Milliarden Euro auszugeben haben. Der Überschuss von 4 Milliarden, den sie jetzt erwirtschaftet haben, ist in Relation zu dem, was allein im Monat fällig wird, eigentlich marginal. Eine Soll-Bestimmung sieht vor, dass Mittel bis zu einer Monatsausgabe auf Reserve zu legen sind. 4 Milliarden sind also nicht üppig.
Wir müssen in den nächsten Jahren mit einer jährlichen Ausgabensteigerung rechnen, die in den kommenden Jahren mit jährlicher Sicherheit einiges von den Überschüssen auffressen wird. Ich erinnere nur daran, dass die Steigerung in den Jahren von 2000 bis 2008 2,7 % betrug, in den Jahren 2008 auf 2009
Leider besagen die Prognosen, dass es im Jahr 2012 keine nennenswerten Überschüsse geben wird. Im Jahr 2014, das nicht ganz so weit weg ist, werden wir 10 Milliarden Euro Defizit haben, und für 2016 ist ein Defizit von 20 Milliarden Euro zu erwarten. Ich halte es bei dieser Konstellation nicht für angebracht, heute darüber nachzudenken, wie man das Geld schnell unter die Leute bringen kann. Eine kurzfristige Entlastung heuer, so nachvollziehbar dieser Wunsch auch ist, wird mit einer höheren Belastung verbunden sein: heuer 40 Euro weniger, nächstes Jahr einen Zusatzbeitrag, übernächstes Jahr eine Beitragserhöhung. Das kann nicht unser Ziel sein. Das ist keine nachhaltige Politik, sondern das ist kurzsichtig. Aus diesem Grund würde ich davon genauso dringend abraten, wie es die FPD empfiehlt.
Die Bürger sehen das übrigens auch so. 53 % der Deutschen wollen die Überschüsse bei den Krankenkassen belassen. Die Abschaffung der Praxisgebühr findet bei den Bürgern keine Mehrheit. Union und SPD wissen: 57 % ihrer befragten Anhänger würden das lassen. Im Interesse der Nachhaltigkeit, einer dauerhaften Finanzierung des Gesundheitswesens und im Interesse der Beitragsstabilität für die Versicherten sollten wir nicht zu freigebig mit diesen Überschüssen umgehen.
Die Praxisgebühr erbringt für das Gesundheitssystem jährlich zwei Milliarden Euro. Zwei Milliarden Euro sind im Vergleich zu 280 Milliarden nicht viel, aber es sind immerhin zwei Milliarden Euro. Heuer könnten wir vielleicht noch darauf verzichten, aber schon im nächsten Jahr würde uns dieser Betrag abgehen, noch mehr im übernächsten Jahr usw. Wer einmal die Praxisgebühr aufgibt, wird diesen Betrag niemals wieder erheben können.
Wir müssen uns heute sehr wohl die Frage stellen: Können wir tatsächlich leichtfertig auf eine solche Einnahmequelle verzichten? Wer heute die Praxisgebühr in Frage stellt, muss auch die Frage beantworten, wie diese 2 Milliarden Euro in den nächsten Jahren gegenfinanziert werden sollen. Dazu höre ich nichts.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir reden jetzt über die Praxisgebühr in ihrer Unvollkommenheit.
Sie haben heute dargelegt, dass die - nicht von uns eingeführte - Praxisgebühr retrospektiv ihren Zweck nicht erfüllt. Die Bürokratie sei mehr, als sie es sein müsste. Die Lenkungswirkung stelle sich nicht so ein, wie man es sich erhofft habe. Sie sprechen von sozialer Ungerechtigkeit. Ich würde Ihnen empfehlen, die Fakten einmal genauer anzuschauen. Wir haben die soziale Belastung eingegrenzt. Für chronisch Kranke gibt es eine klare Begrenzung, und für sozial Schwache gibt es die Möglichkeit, sich von der Gebühr befreien zu lassen. Von sozialer Ungerechtigkeit kann man nur sprechen, wenn man die Fakten nicht genau anschaut.
Union und FDP haben im Koalitionsvertrag, auf dessen Einhaltung Sie immer Wert legen, vereinbart, das Verfahren zur Erhebung der Praxisgebühr unbürokratischer zu gestalten. Daran haben wir noch zu arbeiten. So wie es jetzt ist, ist es nichts. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Die Staatsregierung fordert die Bundesregierung deshalb dringend auf, das endlich zu machen. Darin sind wir uns wahrscheinlich einig.
Auch mit der Lenkungsfunktion sind wir noch nicht am Ziel. Auch hier müssen wir schauen, wie wir die Praxisgebühr so gestalten, dass sie in die Richtung wirkt, dass die Deutschen nicht mehr so oft zum Arzt gehen. Die Effekte, die Sie beschrieben haben, kann ich mir durchaus vorstellen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die kurzsichtige Forderung, die Praxisgebühr abzuschaffen, ist für mich kein Weg in die Zukunft. Wir sollten uns vielmehr gemeinsam darum bemühen, die Effizienz der derzeitigen Regelung zu verbessern. Wir sollten weniger Bürokratie anstreben, und wir sollten gemeinsam daran arbeiten, die Lenkungsfunktion besser auszuprägen, damit unser Gesundheitswesen wieder besser finanziert werden kann. Auf diese Summe ist heuer, aber auch in Zukunft nicht zu verzichten. Aus diesem Grund empfehlen wir, die beiden Anträge abzulehnen, obwohl die Spiegelstriche zwei und drei des Antrags der SPD mit unserer Position vollkommen übereinstimmen.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung, die Anträge werden dazu wieder getrennt.
Da für den Antrag der FREIEN WÄHLER eine namentliche Abstimmung beantragt wurde, ziehe ich den Antrag der SPD vor. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/11877, dem Antrag der SPDFraktion, seine Zustimmung geben will, den bitte ich
um das Handzeichen. - Ich sehe die Stimmen der Oppositionsfraktionen und die Stimme von Frau Dr. Pauli.
- Entschuldigung, dann nur SPD und FREIE WÄHLER. Das habe ich wirklich nicht gesehen. Die Gegenprobe. - Die Fraktionen der CSU und der FDP. Enthaltungen? - Die GRÜNEN. Danke schön. Bitte entschuldigen Sie das Versehen.
Nun kommen wir zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der FREIEN WÄHLER. Das ist der Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/11863. Sie haben die Stimmkarten. Die Urnen stehen an den üblichen Stellen. Ich eröffne die Abstimmung. Sie dauert fünf Minuten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die fünf Minuten Abstimmungszeit sind um. Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, die Stimmkarten außerhalb des Saales auszuzählen. Wir fahren in der Tagesordnung fort.