Protocol of the Session on October 20, 2011

Vielen Dank, Kollege Rohde. - Jetzt kommt Frau Kollegin Weikert dran. Bitte schön.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Die Kolleginnen und Kollegen von CSU und FDP, die die Regierungskoalition in Bayern stel

len, reden drumherum, reden sich heraus, kommen aber nicht auf den Kern zu sprechen.

Es ist interessant - Kollege Beyer hat es schon erwähnt -, dass sich weder CSU noch FDP in den Ausschüssen oder in der Ersten und der Zweiten Lesung hier im Plenum wirklich inhaltlich mit diesen Vorschlägen auseinandergesetzt haben.

(Jörg Rohde (FDP): Widerspruch! Falsch!)

Sie behaupten, wir hätten keinen Handlungsbedarf. Ich sage Ihnen: Selbstverständlich haben wir Handlungsbedarf. Diese Gesetzesvorlage, die von uns entwickelt wurde, gibt sowohl dem Freistaat als auch den Kommunen klare Vorgaben, vor Vergabe ihrer Aufträge die Angebote anhand bestimmter Kriterien zu prüfen. Insbesondere geht es darum, ob die Standards eingehalten werden.

Kolleginnen und Kollegen, Sie können doch nicht ernsthaft jedes Jahr 4 bis 4,5 Milliarden Euro Steuergelder allein vom Freistaat Bayern investieren lassen wollen, sich aber nicht sicher sein - und auch keine gesetzliche Handhabe fordern -, ob diese Gelder tatsächlich nach sozialen und ökologischen Kriterien verwendet werden. Was ist denn das für eine Auffassung?

(Beifall bei der SPD)

Sie sagen - das ist der eigentliche Kern -, dass Sie den Mindestlohn nicht wollen. Die FDP steht dazu. Wenn aber von dem Kollegen der CSU argumentiert wird, das mache nichts, weil die Menschen dann durch Transferleistungen staatlich subventioniert würden, dann frage ich Sie: Wollen Sie das bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ernsthaft zulassen? Wollen Sie zweimal subventionieren? Nachdem schon einmal Steuergelder in Umlauf gekommen sind, sagen Sie, die Menschen würden zu gering bezahlt, sodass noch staatliche Transferleistungen draufgelegt werden müssen. Wir sollten allen Steuerzahlern in Bayern deutlich vermitteln, was hinter diesem Verständnis steckt.

(Beifall bei der SPD)

Den Vorwurf, wir wollten unnötige Bürokratie schaffen, kann ich gleich gar nicht hören. Dann schaffen wir doch die Gesetze ab! Was haben Sie eigentlich für ein Staatsverständnis? Selbstverständlich macht ein Gesetz Vorgaben. Wir wissen, dass nicht alle Menschen so gesetzestreu sind, dass sie jede Bestimmung von A bis Z einhalten. Also muss es Kontrollen geben. Jede Tempo-30-Regelung in Bayern wird von der Polizei kontrolliert. Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen geht es - ich betone es - um sehr viel

Geld, mit dem man sorgfältig umgehen muss. Man muss sich genau anschauen, welches Krankenhaus man subventioniert. Ebenso genau muss man den Lauf der Gelder prüfen, das heißt, bei wem sie letztlich ankommen. Zu behaupten, das sei Bürokratie, halte ich für völlig daneben. Sie müssen unbedingt Ihr Staatsverständnis überprüfen!

(Beifall bei der SPD)

Ich komme nun zu dem von den FREIEN WÄHLERN thematisierten Punkt der Frauenförderung. Ihr seid ja nun auch vom Netz.

(Allgemeine Heiterkeit)

- Na, hinterm Mond. - Sie haben es vielleicht mitbekommen: Wir diskutieren inzwischen über die gesetzlichen Vorgaben für eine Frauenquote in Aufsichtsräten bei DAX-Unternehmen, und nun kommen Sie mit Frauenförderungen, die wir vorgeben und im Tariftreuegesetz relativ sanft formuliert haben. Inzwischen erwarten wir alle - Frau Haderthauer als Familienministerin an erster Stelle - von den Unternehmen, dass diese auch Frauenförderung betreiben, gerade im Hinblick auf einen zukünftigen Fachkräftemangel. Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN, für ein wenig klüger hätte ich euch gehalten.

Frau Kollegin, Entschuldigung, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich habe es gemerkt, die rote Lampe ist aufgeleuchtet. Es waren neun Sekunden mehr, und ich danke für die Geduld.

(Beifall bei der SPD)

Das Ende war aber nicht absehbar, Frau Kollegin.

(Zuruf von der SPD)

- Danke schön. Ich wollte sie nicht darin begrenzen, aber ich wollte es vorher sagen. Dann hätte sie ja weitermachen dürfen. - Meine Damen und Herren, wir haben noch eine Wortmeldung des Kollegen Runge. Bitte schön.

Kolleginnen und Kollegen! Kollege Rohde hat nach Beispielen gefragt, und ich habe mich schon gewundert, ob Kollege Rohde überhaupt keine Zeitung liest, weil monatlich solche Beispiele zu finden sind. Gerade habe ich ein Beispiel öffentlicher Altenheimbetreiber oder einer Kommune selbst im Kopf. Dort wird nicht ansatzweise Mindestlohn gezahlt, und über Monate wird überhaupt kein Lohn gezahlt. Herr Kollege Rohde, wir haben hier im

Landtag betroffene Arbeitnehmer gehabt sowie den Chef der Arbeitsgruppe "Schwarzarbeit" vom Zoll, René Matschke, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das gibt es trotz der Mindestlohnbestimmung im Arbeitnehmerentsendegesetz leider reihenweise, bedauerlicherweise auch immer wieder in der Landeshauptstadt München, und man muss ganz klar sagen: Ein weiteres Instrument würde hier schon Zähne zeigen, denn wenn sie eine Bürgschaft hinterlegen müssen, die dann abgegriffen werden kann, ist das für den GU oder GÜ - Generalunternehmer oder Generalübernehmer - schon ein weitaus größeres Hindernis, als alles auf den Subunternehmer zu schieben, der dann sein Unternehmen sehr schnell auflöst und nicht mehr zu belangen ist. Das ist die Praxis, deshalb sagen wir: Dann würde der Mindestlohn nicht mehr so häufig unterlaufen werden.

Wenn Sie sich einmal anschauen, Kollege Muthmann: Es gibt im Innenministerium eine Liste, auf der immer sieben bis acht Baufirmen und die gleiche Menge an Planungsunternehmen stehen. Aber diese Liste zu bekommen, ist schon etwas schwierig, und die Kommunen, die nicht nachfragen, bekommen so oder so nichts. Dort funktioniert das staatliche Handeln zurzeit überhaupt nicht, sodass man tatsächlich etwas tun müsste.

Herr Muthmann, zur Wirtschaftsbehinderung rate ich Ihnen einmal, aus der Landratsseite zu wechseln und mit Unternehmern zu sprechen, die sich um öffentliche Aufträge bewerben. Lieber bekomme ich doch hin und wieder einmal einen öffentlichen Auftrag und muss dafür zwar einige Rubriken mehr ausfüllen, aber ich bekomme wenigstens den Auftrag, den ich ansonsten nie bekommen könnte, weil kein fairer Wettbewerb herrscht.

Genau über die Frage, welcher Tarif gezahlt wird, ging die Auseinandersetzung; das waren die Punkte, mit denen sich die Exekutive im allgemeinen ÖPNV und im schienengebundenen Personennahverkehr auseinandersetzen musste. Dabei gab es die skurrile Situation: Das gleiche Haus, das Wirtschaftsministerium, empfiehlt den Kommunen als Aufgabenträgern, im allgemeinen ÖPNV doch die Tariftreue abzufragen, und der Bayerischen Eisenbahngesellschaft ist dies beim schienengebundenen SPNV verwehrt.

Ein weiteres Beispiel aus der reellen Praxis, da Sie, Herr Kollege Rotter, sagen, das dürfe alles sein und es passiere auch alles: Eine ganz aktuelle Anfrage von diesem Jahr an das bayerische Umweltministerium: Wie vergebt ihr, das LfU, eure Druckaufträge, gerade wenn es um umweltspezifische Broschüren geht? Dazu habe ich dann abgefragt: Wird so etwas wie EMAS oder die ISO 14.000 ff. abgefragt? Die Ant

wort darauf war: Die Validierung/Zertifizierung eines Druckereibetriebes ist kein zulässiges Vergabekriterium, da sie die Art und Weise der Betriebsführung des Bieters betrifft und keinen Bezug zum Auftragsgegenstand hat. Auftragsgegenstand sind Broschüren, in denen für umweltfreundliches Wirtschaften und Produzieren geworben wird.

Im Übrigen waren solche Abfragen seit der Einheitlichen Europäischen Akte, also seit mehreren Jahrzehnten, zulässig. Es waren hierfür nur eine rechtliche Grundlage und Transparenz sowie Diskriminierungsfreiheit notwendig. Spätestens in § 97 Absatz 4 GWB ist diese rechtliche Grundlage jetzt vorhanden, ich habe es vorhin bereits ausgeführt. Ökologische und soziale Kriterien dürfen jetzt abgefragt werden - auf der gleichen Stufe wie die bisherigen Eignungskriterien, als da wären: Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit. Aber das eigene Haus weiß und praktiziert so etwas nicht. Das ist ein Armutszeugnis, und es widerlegt ganz klar Ihre Ausführungen, Herr Kollege Rotter.

Ich darf Sie an Ihre Redezeit erinnern, Herr Kollege.

Herzlichen Dank, aber ich sehe das an den roten Zahlen, Herr Präsident, und ich spüre es auch an Ihrem Atem.

(Heiterkeit bei der CSU und der SPD)

Sie sollten zumindest Ihrer Staatsregierung auf die Beine helfen und sie in Schwung bringen, damit das, was bisher gesetzlich möglich ist, auch eingehalten wird.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich wusste nicht, dass ich so einen heißen Atem habe. - Wir haben eine weitere Wortmeldung vor dem Staatsminister. Herr Kollege Muthmann, bitte schön.

FREIE WÄHLER und Frauen - das passt gut zusammen, aber wo ist die Kollegin Weikert? Ich möchte Ihnen noch zwei praktische Beispiele nennen, damit wir nicht im Glashaus sitzen, sondern auch von praktischen Bezügen zum tatsächlichen Wirtschaftsleben draußen sprechen. Ich habe zwei Beispiele aus meinem Bereich zu Hause vor Augen, die ich Ihnen nennen möchte: Das ist einmal ein Elektriker, der mit seinem Bruder und drei weiteren Arbeitnehmern zusammen sehr erfolgreich Aufträge akquiriert und für viele Kommunen erfolgreich arbeitet.

Die einschlägige Klausel in Ihrem Gesetzentwurf lautet - ich zitiere -: "Aufträge über 50.000 Euro dürfen nur an Unternehmen vergeben werden, die nachweisen können, dass sie Maßnahmen zur Frauenförderung … durchführen": Er führt angesichts der Zusammensetzung seiner Mitarbeiter keine Maßnahmen zur Frauenförderung durch, und ich bitte um Verständnis, aber ich möchte an keinem Gesetz mitwirken, das ausschließt, dass er auch weiterhin öffentliche Aufträge bekommt - bei allem Wohlwollen für die grundsätzliche Idee.

Zum anderen kenne ich einen Tiefbau-Unternehmer ebenfalls ein kleines Unternehmen -, der sehr gern und sehr viel auch für Gemeinden Straßen teert, asphaltiert und unterhält und der auch nur Männer in seiner Mitarbeiterschaft hat.

(Markus Rinderspacher (SPD): Das gibt es doch nicht!)

- Ja, natürlich. Lesen Sie doch Ihren eigenen Gesetzentwurf. Er würde an dieser Stelle auch die Vergabe ausschließen. Das geht nicht, und es sollte noch einmal gesagt werden: Man muss die Dinge nicht nur schnell stricken, sondern auch auf Praxistauglichkeit untersuchen.

(Jörg Rohde (FDP): Richtig so!)

Das haben wir kritisiert, und nichts anderes.

Stopp, Herr Kollege Muthmann. Sie haben mit irgendeiner Bemerkung eine Zwischenbemerkung der Frau Weikert provoziert.

Wer lesen kann, ist im Vorteil. Herr Muthmann, in unserem Gesetzentwurf steht ausdrücklich: "… gilt nicht für Betriebe, die in der Regel weniger als zehn Beschäftigte haben". Ihr Beispiel mit drei Mitarbeitern fällt schon mal nicht darunter. Wer lesen kann, ist im Vorteil.

(Beifall bei der SPD)

Das Beispiel des Tiefbau-Unternehmens umfasst aber diese Konstellation. Insofern gilt mein Einwand fort.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. Nun wollen wir einmal anhören, was die Staatsregierung dazu zu sagen hat. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, dass aufseiten des Hauses die wesentlichen

Argumente ausgetauscht sind. Ich möchte noch einmal grundsätzlich sagen: Es geht letztlich auch immer um die Frage: Was soll das Vergaberecht eigentlich leisten? Grundgedanke des Vergaberechts ist es, dass man als Treuhänder der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerade im öffentlichen Vergabewesen die Mittel gezielt und wirtschaftlich in einem transparenten Verfahren vergibt und damit natürlich auch Wirtschaftlichkeitsreserven hebt. Das ist der Grundgedanke des Vergaberechts. In dem Maße, wie wir diesen Gedanken erweitern und sagen, das Vergaberecht soll auch zur Lohnfindung beitragen, soll Mindestlöhne festlegen, soll sonstige soziale und ökologische Gesichtspunkte leisten, verwässern wir diesen Grundgedanken und beschädigen den Gedanken der Treuhandschaft, was die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Mittel angeht, meine sehr verehrten Damen und Herren.