kämpfen und die vor über einem Jahrzehnt den Atomausstieg organisiert und die Weichen in Richtung erneuerbare Energien gestellt haben. Wir freuen uns darüber, dass jetzt acht Atomkraftwerke in Deutschland endgültig stillgelegt werden. Doch, Herr Ministerpräsident, das ist gewiss nicht Ihr Verdienst, auch wenn Sie heute diesen Anschein erwecken wollten, sondern das ist das Verdienst einer unermüdlichen Protestbewegung der vergangenen Jahrzehnte, der letzten Jahre und auch der vergangenen Monate.
Eines sei richtig gestellt, ohne dass es kleinkariert herüberkommen soll: Nicht wir treten Ihrem, sondern Sie treten dem von uns organisierten Gesellschaftsvertrag für eine Energiewende bei. Sie sind uns als Nachzügler herzlich willkommen!
Nicht wir müssen uns auf Sie zubewegen, sondern Sie haben sich in einer beispiellosen, spektakulären 180-Grad-Kehrtwende auf uns zubewegt. Herr Ministerpräsident, es dürfte auch Ihnen in Erinnerung sein, dass wir für genau die gleiche Politik, die Sie heute verkündet haben, von Ihnen und Ihren Parteifreunden über drei Jahrzehnte hinweg - noch bis vor einem halben Jahr! - mit aggressiver Polemik verspottet und beschimpft wurden,
etwa als "Totengräber der bayerischen Industrie", "energiepolitische Blindgänger", "Illusionisten" und "Ideologen".
Fakt ist: Die Landtags-SPD hat - wie die beiden anderen Oppositionsfraktionen - in den vergangenen Jahren unzählige Anträge gestellt, den Pfad in Richtung Vollversorgung durch erneuerbare Energien einzuschlagen, um die Energiewende zügig vorantreiben zu können. Unsere Anträge wurden allesamt von CSU und FDP geradezu niedergebügelt, teilweise mit Argumenten, die Ihnen in der Rückschau regelrecht peinlich erscheinen müssen.
Diese Abwehrhaltung rächt sich nun; denn wir könnten beim Umstieg auf erneuerbare Energien schon sehr viel weiter sein, als wir es heute sind. Heute wissen auch Sie: Der von Rot-Grün vor elf Jahren beschlossene Atomausstieg war richtig und weitsichtig. Diese Politik findet nun auch Ihre Unterstützung. Deshalb werden wir heute nicht kleinkariert und krampf
haft nach Gründen für die Ablehnung einer Politik suchen, die wir selbst organisiert und gefordert haben.
Deshalb unterstützen wir den gestuften, schrittweisen Ausstieg mit Abschaltdaten für jedes AKW und ohne Revisionsklausel. Für die Revisionsklausel hatte sich die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt noch im Mai stark gemacht.
Dennoch bleiben einige Fragen offen. Es beginnt mit der Frage nach der Glaubwürdigkeit. Nach einer Umfrage von Sat.1 aus dem Juni hält die Mehrheit der Bürger in Bayern den abrupten Kurswechsel der CSU für unglaubwürdig. Und tatsächlich: Wie glaubwürdig ist ausgerechnet jener bayerische Ministerpräsident, der sich noch im vergangenen Sommer für eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke stark machte? In der "Frankfurter Rundschau" vom 31. Juli 2010 hieß es:
Der bayerische Ministerpräsident Seehofer unterstützt eine Forderung des Deutschen Atomforums. Die Meiler sollten so lange laufen, wie sie sicher seien. Die CSU werde nicht mit konkreten Jahreszahlen in die Verhandlungen der Berliner Koalition über eine Verlängerung der Laufzeiten gehen, so Seehofer. Gegen ein vorzeitiges Abschalten kündigt er Widerstand an. Die Koalition solle sich auf das Vereinbarte konzentrieren.
(Alexander König (CSU): Jetzt wird es lächerlich! - Harald Güller (SPD): Ach, jetzt ist es lächerlich was der Ministerpräsident gesagt hat? - Gegenruf des Abgeordneten Alexander König (CSU))
Ich darf daran erinnern, in welchem Zusammenhang der Ministerpräsident das damals formuliert hat: Bundesumweltminister Norbert Röttgen ließ im vergangenen Sommer vier Varianten mit einer Laufzeitverlängerung zwischen vier und 28 Jahren durchrechnen. Statt der unter Rot-Grün vereinbarten 32 Jahre Laufzeit sollten die Reaktoren dann bis zu 60 Jahre lang laufen. Selbst diese 60 Jahre waren Ihnen, Herr Ministerpräsident, im vergangenen Jahr nicht genug. Selbst das Abschaltdatum 2050 war Ihnen noch nicht weitreichend genug. Auf Deutsch: Sie wollten nach diesem Plan mindestens bis zu ihrem 101. Geburtstag warten, bis der letzte Meiler - 2050! - vom Netz geht.
Damit hatten Sie eine der radikalsten atompolitischen Positionen in Deutschland eingenommen, die überhaupt vorstellbar sind. Sie selbst feierten die Atomlaufzeitverlängerung letztes Jahr als ein Herzstück des Herbstes der Entscheidungen der Berliner Koaliti
on. Entschieden lehnten Sie damals auch eine finanzielle Belastung der Stromkonzerne über die geplante Brennelementesteuer hinaus ab. Im Bundestagswahlkampf 2009 traten sie beschwörerisch auf; der von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomausstieg sei nicht mehr so machbar, wie ursprünglich geplant. Ich darf erinnern: Sie appellierten laut einem Zeitungsartikel in der "Welt" an die Vernunft der SPD ich zitiere wörtlich -, mit dem notwendigen Pragmatismus zu einem überparteilichen Konsens mit den bürgerlichen Kräften zu kommen. Gerade jetzt in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit Ideologiedebatten um die richtige Energiepolitik zu führen, ist doch absurd - so Horst Seehofer. Heute, Herr Ministerpräsident, wissen Sie es besser. Eine Ideologiedebatte führten allen voran Sie. Absurd war damals nur eines: Absurd war Ihr Atomfetischismus, von dem Sie heute nichts mehr wissen wollen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Politik ist ganz gewiss kein fehlerfreier Raum. Man muss auch in der politischen Verantwortung die Gelegenheit haben, sich zu korrigieren. Sie haben eine Korrektur vorgenommen - wir begrüßen das. Eines ist aber auffällig: Die Wortwahl von Horst Seehofer ist erschreckend gleichlautend. Warb er vor einem Jahr für den überparteilichen Konsens für die Laufzeitverlängerung, wirbt er heute für den überparteilichen Konsens für die Verkürzung der Laufzeitverlängerung, die er selbst mitbeschlossen hat. Es drängt sich der Eindruck auf, das Motiv des Handelns war nicht bessere Einsicht, sondern das Motiv war Machtinstinkt, nämlich ein Thema der politischen Konkurrenz vor den anstehenden Wahlkämpfen hastig abzuräumen. Horst Seehofer, in machtpolitischen Fragen der schnelle Brüter aus Ingolstadt.
Doch auch machtpolitische Erwägungen sind, wenn sie der Sache dienlich sind und zum richtigen Ergebnis führen, durchaus legitim. Es stellt sich zwar die Frage, wie die Wähler von Schwarz-Gelb aus dem Jahre 2009 heute darauf reagieren; haben sie doch diese Regierung unter ganz anderen Vorzeichen gewählt. Das soll heute aber nicht das Problem der SPD sein. Das Problem der Steuerzahler hingegen wird womöglich sein, dass Ihre Laufzeitverlängerung zu neuen Eigentumsansprüchen der Energiekonzerne geführt hat. Die Konzerne klagen jetzt auf Schadenersatz, der nach Schätzungen der Unternehmen im zweistelligen Milliardenbereich liegen wird. Von einer Summe bis zu 34 Milliarden Euro ist die Rede. Das sind eindeutig klassische Seehofer-Milliarden, sollte
der Steuerzahler hierfür in Anspruch genommen werden, meine Damen und Herren. Wieder einmal, wie beim Landesbank-Desaster, hätte die CSU das Copyright auf neue Milliardenschulden; diesmal in gemeinsamer Verantwortung mit FDP und CDU.
Was für ein politisches Hin und Her in den letzten Monaten! Die Wirtschaft steht staunend da und schüttelt den Kopf, sowohl die mittelständischen Betriebe im Bereich der erneuerbaren Energien mit deutschlandweit 370.000 Beschäftigten als auch die Atomriesen selbst, genauso wie das Handwerk und die verarbeitenden Betriebe sowie die Industrie. Schwarz-Gelb nahm mit diesem energiepolitischen Schlingerkurs sehenden Auges und billigend in Kauf, dass sich das Investitionsklima für Unternehmen und Privathaushalte verschlechterte. Für die siebtgrößte Volkswirtschaft Europas, den Freistaat Bayern, war diese energiepolitische Wackelei eine regelrechte Zumutung. Wo bleibt da die Verlässlichkeit, Herr Ministerpräsident?
Selbst wenn man Ihnen abnehmen möchte, dass Sie es mit der Energiewende ernst meinen, so bleiben doch begründete Zweifel, ob in Ihrer Partei auch die Zeichen der Zeit erkannt werden. In den letzten Wochen haben Sie trotz erheblicher Überzeugungsarbeit immer wieder Rückschläge in den eigenen Reihen hinnehmen müssen. Die Skepsis innerhalb der CSU zu diesem rasanten Wendemanöver ist groß. Die CSU-Fraktion wollte dem Ministerpräsidenten keineswegs folgen, als es darum ging, ein konkretes Datum für den Atomausstieg zu formulieren.
Jetzt stellt sich die Frage, ob diese Regierungskoalition die Kraft, die Disziplin und den Willen aufbringt, die Energiewende tatsächlich voranzutreiben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Zweifel melde nicht nur ich hier heute an, sondern der Ministerpräsident hegt diese Zweifel selbst. So sagte Horst Seehofer gegenüber den Medien, die FDP stelle Parteiinteresse über das Wohl des Landes. Ich zitiere aus einer Pressekonferenz: Ich kann nur vermuten, dass die Eigeninteressen der Freien Demokraten eine größere Rolle gespielt haben als bayerische Anliegen. Meine Damen und Herren, so spricht nur jemand, der Zweifel an der Handlungsfähigkeit der eigenen Regierung hat.
Den Widerstand seines Stellvertreters Zeil gegen einen schnellen Atomausstieg nannte Horst Seehofer bedauerlich. Er selbst wolle nun die Regie bei der Energiewende in Bayern übernehmen. Zitat: Ich werde die Umsetzung des Energiekonzepts als Minis
terpräsident selbst koordinieren. Damit wurde der Wirtschaftsminister, mit dem der Ministerpräsident gerade geplauscht hat, entmachtet - im Übrigen wie im Jahr zuvor die FDP-Staatssekretärin Hessel, der die Verantwortung für den ländlichen Raum weggenommen wurde. So handelt nur ein Regierungschef, der die Regierungsfähigkeit seines Kabinetts nicht gewährleistet sieht.
Jetzt gibt es nur noch einen FDP-Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen, der etwas zu melden hätte, wenn er doch nur etwas zu sagen hätte - Kunstminister Dr. Heubisch. Wir sind gespannt, Herr Dr. Heubisch, wann Ihre öffentliche Demontage kommen wird. Das scheint gegenwärtig nur eine Frage der Zeit zu sein. Das Klima der schwarz-gelben Koalition als vergiftet zu bezeichnen, käme geradezu einer Verniedlichung gleich. Wie anders wäre es zu erklären, dass FDP-Minister Zeil in der "Süddeutschen Zeitung" vom vergangenen Freitag mit Blick auf die CSU befindet - Zitat -: Krach macht doch die Seite, deren Selbstfindungsprozess offenbar noch andauert. Der Zeitungsgruppe "Straubinger Tagblatt"/"Landshuter Zeitung" sagte er - Zitat -: Ich sehe für den momentanen Umgang vonseiten bestimmter Teile der CSU keinerlei Rechtfertigung.
Meine Damen und Herren, die Liste der gegenseitigen Verunglimpfungen des jeweils anderen in der Koalition ist mittlerweile so lang, dass ich den Zeitrahmen sprengen würde, wollte ich sie in vollem Umfang wiedergeben.
Wie soll eine Regierung die Mammutaufgabe der Energiewende organisieren, wenn das Vertrauen in der Regierungskoalition offenbar bei Null angekommen ist und wenn der Regierungschef über den Koalitionspartner sagt, das Verhalten der FDP sei ihm Zitat - schleierhaft. Die Gemeinsamkeiten von Schwarz und Gelb sind bereits in der Mitte der Legislaturperiode aufgebraucht, sollte es sie jemals gegeben haben. Heute ist nur noch der kleinste gemeinsame Nenner erkennbar - der schnöde Wille zur Macht oder die Angst vor dem Machtverlust, Kolleginnen und Kollegen.
Auf den Punkt bringt den Regierungskrach Kollege Franz Xaver Kirschner von der FDP. Das Verhalten von Horst Seehofer nennt er unanständig und spricht gegenüber der "Passauer Neuen Presse" von einer
Ihre Regierung, Herr Ministerpräsident, strahlt Handlungs- und Gestaltungsunfähigkeit aus. Darüber können auch hastig anberaumte Fachgespräche mit Energieversorgern, der Wirtschaft und Kommunen in der Staatskanzlei am Vortag Ihrer Regierungserklärung nicht hinweg täuschen. Es bleiben Zweifel. Sie werden wohl nicht die Kraft aufbringen, Ihre ehrgeizigen Ziele durchzusetzen. Der Widerstand in den eigenen Reihen ist zu groß. Selbst wenn man Ihnen unterstellen möchte, dass Sie guten Willens sind, so müssen doch jetzt endlich konkrete Maßnahmen her. Es reicht doch eben nicht, sich bei der Eröffnung eines Solarparks in Oberfranken medienwirksam ablichten zu lassen. Was es jetzt tatsächlich braucht, sind Investitionen. Unterstützung für die Energiewende brauchen jetzt vor allem die Kommunen. Ihnen kommt bei der Energiewende - das haben Sie heute richtig festgestellt - eine Schlüsselrolle zu. Die Kommunen sind eben nicht nur Planungsträger bei der Ansiedlung von Anlagen erneuerbarer Energien, sondern können auch selbst Anlagen errichten. Hier findet die regionale Wertschöpfung statt. In der dezentralen Versorgung profitieren alle von den erneuerbaren Energien, nicht nur die großen vier Energieversorger wie beim Atomstrom; denn die Erneuerbaren spülen über die Gewerbesteuer frisches Geld in die Kassen der Gemeinden. Im Jahre 2009 trugen die erneuerbaren Energien deutschlandweit mit knapp 7 Milliarden Euro zur kommunalen Wertschöpfung bei. 600 Millionen Euro flossen über Steuereinnahmen in die Kassen der Gemeinden.
Die Erneuerbaren leisten somit einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Gemeindekassen, zur Finanzierung kommunaler Vorhaben sowie zur Standortsicherung. Volkswirtschaftlich ist jede Kilowattstunde aus heimischer Erzeugung gegenüber der importierten Primärenergie ein Gewinn. Deshalb brauchen wir eine starke Bürgerbeteiligung. Auch wir treten selbstverständlich für die Renaissance der genossenschaftlichen Idee ein, allerdings nicht erst seit heute. Man möchte Ihnen fast zurufen: Herzlich willkommen im Club, Genosse Seehofer, dass Sie jetzt auch genossenschaftliche Ideen haben.
Auf dem Weg zur Energiewende sollte deshalb nicht jede Regelung bis ins kleinste Detail vorgegeben werden. Stattdessen sollten die Entscheidungen vor Ort getroffen werden. Die SPD will die Energiewende in einer offenen Wettbewerbsstruktur, nicht mit einem zementierten Versorgungsoligopol. Aus unserer Sicht
muss die Energiewende auch als wesentliches Element im Landesentwicklungsprogramm festgelegt werden. So ist gewährleistet, dass die regenerative Energieversorgung zum verbindlichen Beurteilungsmaßstab für Raumordnungsverfahren und landesplanerische Schritte wird. Wir brauchen den absoluten Vorrang für heimische Energiequellen. Sie haben es gesagt: Gerade im ländlichen Raum wirken Sonne, Wind & Co. wie ein lokaler Konjunkturmotor. Doch vor Ort müssen die Bürger und auch die Kommunalpolitiker häufig mit hohen bürokratischen Hürden umgehen. Die Staatsregierung ist hier alles andere als kommunalfreundlich und bürgernah.
Davon konnte ich mich vergangene Woche im Landkreis Straubing-Bogen persönlich überzeugen. Nur ein Beispiel von vielen: Im Landkreis Straubing-Bogen wurde im September 2009 ein Solarpark mit 190 Hektar Gesamtfläche beantragt. Dieser Park würde alle 24.000 Haushalte Straubings mit Strom versorgen und in 25 Jahren 70 Megawatt Strom produzieren. Nach dem Willen der Stadt sollte sogar eine BürgerSolaranlage mit 26 Hektar angehängt werden. Ein gutes Projekt. Widerstände aus der Bevölkerung sind soweit nicht bekannt. Es gibt keine Unterschriftensammlungen. Es gibt keine Protestplakate. Aber zwei politische Protagonisten sind dagegen, nämlich der örtliche CSU-Bundestagsabgeordnete Ernst Hinsken und Wirtschaftsminister Zeil. Dieser hatte am 22. April 2010 entschieden: kein Solarpark in dieser Größe. Die Fläche sei schließlich Vorranggebiet für Lehmabbau. Wer damals vor Ort war, hat gesehen: Dort wird überhaupt kein Lehm abgebaut.
Die Ziegeleien in Straubing und in Bogen haben erklärt, sie bräuchten diesen Lehm nicht. Außerdem gibt es im Gebiet der Planungsregion Donau-Wald weitere 43 Lehmvorratsgebiete. Es ist also keineswegs so, wie das hier dargestellt wurde, dass man mit Widerständen bei den Bürgern rechnen müsste. Die Bürger sind doch viel weiter, als es die CSU bis vor einigen Wochen noch war.