Protocol of the Session on June 28, 2011

ge Entscheidung, dieses Zentrum dort einzurichten. Damit haben wir ein internationales Aushängeschild. In der Energiewende liegen für die bayerische Landund Forstwirtschaft große Chancen. Dies hat sich auch gezeigt. Jeder Landwirt kann in Zukunft auch Energiewirt sein - egal, ob mit Hackschnitzel, Biomasse oder Solarenergie. Die Gemeinde Ascha in Niederbayern und die Gemeinde Wildpoldsried im Oberallgäu produzieren ihre Energie schon heute nahezu vollständig selbst. Sie sind damit nahezu autark, andere sind auf den Weg dorthin. In Bayern - auch das ist uns heute gesagt worden - sind schon heute neun Heißwasser-Geothermie-Anlagen in Betrieb. Zwei davon erzeugen neben Wärme auch Strom. Zehn weitere Anlagen sind im Bau. Die Landsiedlung des Bayerischen Bauernverbandes plant unter anderen im oberbayerischen Neumarkt-Sankt Veit ein Bürgerwindrad. Die Bürger aus der Region können sich daran beteiligen. Hier wird sich etwas grundlegend ändern. Das war vor vierzehn Tagen auch in Oberfranken zu erfahren. Es gibt die genossenschaftliche Energie. Die Leute wollen nicht mehr einen anonymen Investor aus England, sondern sie wollen ihre Energieversorgung für ihre Gemeinde und ihren Landkreis selbst organisieren. Ich glaube, das ist in einer Bürgergesellschaft gut so.

(Beifall bei der CSU, der FDP und Abgeordneten der FREIEN WÄHLER - Ulrike Gote (GRÜNE): Tatsächlich? Das ist etwas ganz Neues! Das ist ja toll!)

Diese Beispiele, meine Damen und Herren, zeigen, dass die Bürgerenergie ein Stichwort sein wird. Privates Investitionskapital wird für Bürgerwindanlagen, Bürgeranlagen für Biomasse und Bürgersolaranlagen aktiviert. Die Staatsregierung hat bereits bei der letzten Kabinettssitzung entschieden, dass wir die staatlichen Gebäude mit erneuerbaren Energien versorgen wollen. Aber auch das ist symptomatisch: Kaum ist diese Idee geäußert, gibt es irgendeine Persönlichkeit, die glaubt, auf dem Dach der Bayerischen Staatskanzlei dürften keine Sonnenmodule sein.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Ihr gehört halt raus!)

- Da stimme ich Ihnen sogar zu, Herr Aiwanger - nicht bei dem, was Sie gefordert haben, aber dabei, dass Sie mir zustimmen. Ich kann jedem nur empfehlen, dass er im Kanzleramt einmal nach oben fährt. Dann sieht er nämlich, dass man Solaranlagen an öffentlichen Gebäuden durchaus so anbringen kann, dass sie von außen überhaupt nicht erkennbar sind.

Ich möchte auch auf das internationale Megaprojekt Desertec hinweisen. Es war die Bayerische Staatsre

gierung, die die Führung, das Headquarter von Desertec, nach München geholt hat. Meine Damen und Herren, das wird sich im Laufe der nächsten 10 oder 20 Jahre noch als sehr nützlich erweisen.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich möchte noch auf den Aufbau der Stromnetze zu sprechen kommen. Dabei unterstreiche ich einen Satz, der in diesen zwei Tagen sehr häufig gefallen ist: "Das Tempo des Netzausbaus wird das Tempo der Energiewende bestimmen". Wir brauchen eine Investitionsoffensive für Stromnetze in Bayern, Deutschland und Europa. Meine Damen und Herren, das habe ich während des Energiegipfels dazugelernt. Wir dürfen nicht immer nur an die großen Stromversorgungstrassen wie die Thüringer Strombrücke, die vom Norden Deutschlands nach Bayern führen soll, denken. Heute ist uns von den Vertretern der erneuerbaren Energien nachdrücklich ans Herz gelegt worden, die Verteilerstromnetze im Blick zu haben, weil ein intelligentes Stromnetz weder in Bayern noch in ganz Deutschland auf eine andere Weise ausgebaut werden kann.

Wir haben vereinbart - und das werden wir auch tun -, dass bei der Planung und dem Bau der Stromnetze die Transparenz gewahrt bleibt. Deshalb kann ich die Zurückhaltung der Bundesoberbehörden im Hinblick auf die Planung der Stromleitungen in Deutschland nicht so recht verstehen. Meine Damen und Herren, diese Intransparenz schafft automatisch Misstrauen. Ich bin für Transparenz und dafür, alles auf den Tisch zu legen, was geplant ist. Woher wird der Strom bezogen? Wohin fließt er? Ich bin für eine Beteiligung der Bürger. Wenn man mit den Bürgern auf der Grundlage transparenter Informationen offen und ehrlich umgeht und sie am Diskussionsprozess beteiligt, wird man manche Vorbehalte und Widerstände vor Ort überwinden können.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Ich möchte noch einen Satz zu den Gaskraftwerken sagen. Die großen Experten haben uns in den letzten zwei Tagen Folgendes ans Herz gelegt: Wenn man gedanklich - gedanklich! - von einer hundertprozentigen Versorgung Bayerns mit erneuerbarer Energie ausgeht, werden zur Stabilisierung des Stromnetzes trotzdem Gaskraftwerke benötigt.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Die Gaskraftwerke werden mit Kraft-Wärme gekoppelt.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Schon wieder etwas gelernt!)

Am 15. September geht das modernste Gaskraftwerk der Welt in Bayern ans Netz. Dieses Kraftwerk in Vohburg-Irsching wird dann so viel Strom wie das Kernkraftwerk Isar 1 liefern.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Ja, das geht!)

Meine Damen und Herren, wir machen weiter. Für das Kraftwerk Haiming im Landkreis Altötting liegt die Genehmigung vor. Auf dieser Schiene werden wir weitermachen. Auf dem Energiegipfel haben wir Hinweise erhalten, wie dies gehen könnte. Die Kommunen haben erklärt, die kommunalen Unternehmen hätten wie die großen Konzerne ein großes Interesse an Kooperationsmodellen. Meine Damen und Herren, da werden wir ansetzen und weitermachen.

Wir brauchen einen weiteren Paradigmenwechsel für das Energiesparen. Sie alle kennen die Zahlen: Rund 40 % des Energieverbrauchs entfallen auf Raumbeheizung und Warmwasserbereitung. Deshalb begrüße ich, dass die Gebäudesanierungen wieder auf das Niveau wie zum Zeitpunkt der Konjunkturprogramme gehoben werden. Wir werden uns überlegen, wie wir dies weiterführen können.

Meine Damen und Herren, Energiesparen geht uns alle an. Ich sage noch einmal: Wenn die Klimaschutzziele gleichrangig mit den Sicherheitszielen und den Bezahlbarkeitszielen sind, müssen wir unter Einhaltung der Haushaltssolidität das Menschenmögliche für die Gebäudesanierung tun.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Zuruf der Ab- geordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Dazu gehört auch die Mobilität. Wir wollen, dass in zehn Jahren 200.000 Elektroautos auf unseren Straßen fahren.

Siemens, MAN, BMW, Audi und unzählige mittelständische Betriebe in Bayern sind Weltmarktführer auf ihrem Gebiet. Unsere Hochschulen und Forschungsinstitute sind Motor unserer Energiezukunft. Kollege Heubisch hat gestern und heute mehrfach darauf hingewiesen, dass von den 26 Hochschuleinrichtungen bis auf drei alle auf dem Gebiet der Energieforschung unterwegs sind. Wir selbst haben mit dem Energie Campus und dem Haus der Forschung einiges in Bewegung gebracht. Der Energie Campus Nürnberg wird gemeinsam mit der Technischen Universität München vieles positiv voranbringen.

Meine Damen und Herren, mir sind die energieintensiven Betriebe sehr wichtig. Diese werden heute schon mit der EEG-Umlage unterstützt. Ich bin froh, dass wir uns in Berlin darauf verständigen konnten. Unsere Papierfabriken leben von konkurrenzfähigen Energie

preisen. In der bayerischen Chemie hängen 60.000 Arbeitsplätze von den Energiepreisen ab, weitere 60.000 in der Kunststoffindustrie. Unsere Glasindustrie braucht wettbewerbsfähige Energiekosten. Wir erleben gerade, wie wichtig dies bei der Produktion von Karbonfasern in Bayern wäre. Hierzu befinden wir uns noch in Verhandlungen. Die Bayerische Staatsregierung wird alles tun, damit bei den energieintensiven Unternehmen die Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Dafür werden über eine Milliarde zusätzliche Mittel aus dem Energiefonds des Bundes aufgewandt, um die Ausgleiche für die energieintensiven Betriebe zu erhöhen und wettbewerbsfähige Produktionsbedingungen sicherzustellen. Genauso werden wir darauf achten, dass für Familien, Rentner und Geringverdiener der Strom bezahlbar bleiben wird.

Meine Damen und Herren, ich habe zwei große Visionen für Bayern. Meine erste Vision ist eine autarke Stromversorgung von Eigenheimen. Solarmodule auf dem Dach und stationäre Stromspeicher im Keller sollen nicht nur die Warmwasserversorgung, sondern die Grundversorgung eines Eigenheimes gewährleisten. Viele Experten glauben, die Umsetzung dieser Speichertechnologien werde schneller als geplant vollzogen werden können. Diese Meinung teile ich auch im Hinblick auf die Automobilindustrie. In diesem Zusammenhang greife ich einen Diskussionsvorschlag von Eon auf, wonach erneuerbare Energien in Methangas umgewandelt werden sollen. Daran wird stark gearbeitet. Dies ist noch vorrangiger als die Elektromobilität. Der Vorstandsvorsitzende der Eon AG hält dieses Ziel für realistisch. In zehn Jahren sollen 15 % des gesamten Gasverbrauchs durch Methangas aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Greenpeace macht das längst!)

Meine Damen und Herren, wir haben in Bayern die besten Bedingungen für diese Energiewende. Bei dieser Energiewende setzen wir auf staatliche Flankierung, auf Anreize, auf Freiheit und Eigenverantwortung sowie auf den Wettbewerb. Der Wettbewerb war bisher in der Energiewirtschaft nicht besonders ausgeprägt. Der Wettbewerb wird für die Dämpfung der Energiepreise mehr bewirken als vieles, was uns Politikern dazu einfallen könnte. Mit unseren Anreizen bleiben wir der Sozialen Marktwirtschaft treu. Ich warne davor, so zu tun, als könnte man in den Ministerien einen wunderschönen Bedarfsplan ausfeilen. Am Ende wird man nur feststellen, dass man ihn deutlich übertrifft. So kennen wir es aus der Geschichte. Wir haben eine erfolgversprechende Strategie. Ich bin sicher, dass die Menschen im Laufe der Zeit zu uns sagen werden: Wir haben die Strategie am Anfang vielleicht nicht ganz verstanden. Schließlich haben wir

sie mehr und mehr bewundert. Jetzt ist sie ein Vorbild für uns.

Mir wird immer berichtet, welche Sorgen beim französischen Staatspräsidenten vorherrschen, wenn er in Berlin zu Gast ist. Dort wird im Falle einer erfolgreichen deutschen Energiewende befürchtet, dass diese auch in anderen Ländern ihre Wirkung nicht verfehlen werde. Vielleicht sollte man darauf hinweisen, dass von 27 Mitgliedstaaten in der Europäischen Union heute bereits 13 Mitgliedstaaten keine Kernkraft nutzen.

(Simone Tolle (GRÜNE): Schön!)

Wir wollen, dass unser Produktionsstandort attraktiv bleibt. Wir wollen den Technologieschub in Bayern erleben. Wir wollen weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein und die Schöpfung bewahren. Wir arbeiten für die Symbiose von Ökologie und Ökonomie. Das wird uns bei dieser Energiewende begleiten. Gehen wir gemeinsam mit Energie in die Zukunft - für unser einzigartiges Bayern. Machen wir Bayern zum Modell für die Energiewende - realistisch, verlässlich, berechenbar. Bayern kann es, und Bayern macht es.

(Anhaltender Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Kolleginnen und Kollegen, bevor ich die Aussprache eröffne, darf ich auch offiziell meinen Vorgänger im Amt, Herrn Präsident Glück, sehr herzlich im Hohen Haus - an langjähriger Wirkungsstätte begrüßen.

(Allgemeiner Beifall)

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Pro Fraktion stehen 40 Minuten zur Verfügung. Der Ordnung halber weise ich darauf hin, bevor ich darauf hingewiesen werde. Die Redezeit muss natürlich nicht ausgenutzt werden.

Ich darf zunächst dem Vorsitzenden der SPD-Fraktion das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilen. Herr Kollege Rinderspacher, bitte schön.

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die heutige Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ist gleich in mehrfacher Hinsicht historisch: Wohl nie zuvor hat es seitens der CSU im Hohen Haus so viel Applaus für rot-grüne Programmatik gegeben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Diese Regierungserklärung ist die historische - radikale - Abkehr von der jahrzehntelang für richtig gehaltenen Atompolitik der Bayerischen Staatsregierung.

(Zuruf von der CSU: Und der SPD!)

Wäre man heute böse, müsste man nüchtern festhalten: Diese Regierungserklärung ist für die bisherige Energiepolitik der Staatsregierung eine regelrechte Bankrotterklärung.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Sie ist das Eingeständnis von politischer Fehleinschätzung historischen Ausmaßes. Im geschichtlichen Zusammenhang braucht es oft Jahre oder gar Jahrzehnte, bis falsche Grundannahmen in der Politik eingestanden werden. In diesem Fall waren aktuelle Fernsehbilder aus Japan für einen radikalen politischen Wechsel ursächlich - quasi über Nacht. Es bedurfte nach Tschernobyl einer erneuten Katastrophe als politischen Weckruf.

Das, was im Grundsatzprogramm der CSU aus dem Jahr 2007 auf den Seiten 122 bis 127 unter "Sichere und umweltverträgliche Energieversorgung" geschrieben steht, wird mit der heutigen Erklärung des CSUParteichefs gelöscht und wegradiert; nichts bleibt mehr von den einstigen Grundüberzeugungen übrig. Wesentliche Grundsätze der CSU werden für überholt, ja für grundfalsch erklärt. Das geschieht im Handstreichverfahren, ohne dass sich etwa ein Parteitag damit befasst hätte und auch ohne dass sich die Faktenlage gegenüber den Vorjahren - 2009, 2008, 2007 - grundlegend verändert hätte.

Diese Regierungserklärung ist auch deshalb unwahrhaftig, da Herr Seehofer mit dem abrupten Kurswechsel keine hinreichende Erklärung verknüpft. Im Gegenteil, der über weite Strecken erkennbare Versuch, so zu tun, als wäre die neue Energiepolitik die logische Fortsetzung dessen, was die WAA-WackersdorfCSU schon immer wollte, ist absolut unredlich.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜ- NEN)

Ein Bedauern des bisherigen politischen Irrweges, zumindest das Einräumen von Fehlern, zum Beispiel bei der Laufzeitverlängerung, hätte sicherlich mehr zur Glaubwürdigkeit der heute definierten Ziele beigetragen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Regierungserklärung ist auch eine Genugtuung für Rot-Grün, also für jene, die bereits seit Jahrzehnten für die von Ihnen heute beschriebene Politik

kämpfen und die vor über einem Jahrzehnt den Atomausstieg organisiert und die Weichen in Richtung erneuerbare Energien gestellt haben. Wir freuen uns darüber, dass jetzt acht Atomkraftwerke in Deutschland endgültig stillgelegt werden. Doch, Herr Ministerpräsident, das ist gewiss nicht Ihr Verdienst, auch wenn Sie heute diesen Anschein erwecken wollten, sondern das ist das Verdienst einer unermüdlichen Protestbewegung der vergangenen Jahrzehnte, der letzten Jahre und auch der vergangenen Monate.