Protocol of the Session on March 17, 2011

(Markus Rinderspacher (SPD): Er hat den Ausstieg beschlossen! Was soll das jetzt hier! Das ist unfassbar! - Unruhe bei der SPD)

Das ist die Haltung der SPD. Das war Ihr ehemaliger Bundeskanzler! So kann man mit einem Thema, mit jahrzehntelangen Halbwertzeiten, nicht umgehen! Sie sind ein energiepolitisches Chamäleon.

(Natascha Kohnen (SPD): Was bin ich? Na ja, egal!)

Frau Kollegin, das war eine Zwischenbemerkung des Herrn Kollegen Steiner. Sie haben natürlich die Möglichkeit, hierauf zu reagieren.

Ich sage Ihnen eines: Unsere Partei war einst für die Atomkraft. Wir haben aber im Gegensatz zu Ihnen etwas gelernt!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜNEN - Alexander König (CSU): Wir haben genauso gelernt!)

Das ist es, was ich auch von Herrn Söder in seiner Regierungserklärung heute erwartet hätte, dass er nämlich etwas gelernt hat!

(Widerspruch bei der CSU - Alexander König (CSU): Das hat er doch! - Thomas Hacker (FDP): Wir haben auch gelernt! - Beifall bei der SPD)

Er hat aber nichts gelernt, sondern er verhält sich weiterhin so wie in den letzten Jahren.

Das stimmt sehr wohl. Ich habe sehr gut zugehört. Ich habe in den ganzen letzten Tagen sehr gut zugehört. Herr Söder schrie zuerst: Isar 1 wird abgeschaltet. Er sagte, er vermutet, es bleibt abgeschaltet. So ging das in den ganzen darauffolgenden Tagen. Dann hat er erfahren, dass Eon nicht mitzieht und nun sagt er heute: Die Leistung von Isar 1 ist auf 15 % heruntergefahren. - Wo sind wir denn? Welche Sprache sprechen wir denn?

(Hubert Aiwanger (FW): Babylonische Sprachverwirrung!)

Was wollen Sie den Menschen draußen erklären? Was ist Wahrheit und was ist Wirklichkeit? Das versteht doch niemand mehr!

(Lang anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Für die CSU-Fraktion darf ich nun Herrn Kollegen Schmid das Wort erteilen. Bitte schön

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Vergangenen Freitag erschütterte ein ungeheures Erdbeben Japan. Mit Stärke 9 auf der Richterskala war das Beben so heftig, dass es die Hauptinsel Japans schlagartig um drei Meter verrückte. Die Erdstöße lösten gleichzeitig einen Tsunami aus, der mit einer Höhe von zehn Metern nichts als Verwüstung, Leid und Tod hinterließ. Die Bilder, die uns aus Japan erreichen, machen uns fassungslos: Trümmer und Verwüstung, Obdachlose und Verletzte. Tausende Menschen sind widrigsten Bedingungen ausgesetzt. Es gibt nach aktuellen offiziellen Angaben derzeit 15.000 Tote und Vermisste. Wie viele es wirklich sind, wissen wir nicht. An den Stränden im Norden des Landes werden täglich neue Leichen angeschwemmt. Es gibt kaum noch Hoffnung, unter den Trümmern Lebende zu finden. Ganze Ortschaften wurden von riesigen Flutwellen weggespült. Wir gedenken der Toten. Wir fühlen mit den Angehörigen, die ihre Liebsten verloren haben. Den Menschen in Japan gilt unsere Solidarität und Aufmerksamkeit.

Wenn es in der Vergangenheit galt, Hilfe in Katastrophenfällen zu leisten, war Japan stets in vorderster Reihe dabei. Nun braucht das Land, das schwer erschüttert ist, selbst Hilfe, die Hilfe seiner Freunde. Diese Hilfe haben wir, Frau Kohnen, angeboten. Das THW war vor Ort. Es gibt Absprachen mit dem Internationalen Roten Kreuz, dem Bayerischen Roten Kreuz und dann, wenn Japan Hilfe anfordert, wird diese gegeben. Der Innenminister hat hierzu das Notwendige veranlasst. Ich darf Ihnen sagen, dass die kleinliche Attacke an dieser Stelle nicht angebracht war.

(Beifall bei der CSU und der FDP - Markus Rin- derspacher (SPD): Warum dann diese Worte?)

Mein aufrichtiger Dank gilt allen Einsatzkräften in Japan. Trotz der drohenden Gefahren befreiten die Helfer unter Einsatz ihres Lebens verschüttete Menschen aus den Trümmern. Wir blicken jetzt mit großer Sorge auf die Entwicklung in den japanischen Atomkraftwerken. Was dort genau vonstatten geht, darüber hat letztlich niemand gesicherte Erkenntnisse. Jede Nachrichtensendung bringt neue Hiobsbotschaften. Fest steht, dass in Fukushima radioaktive Strahlung in

einem Besorgnis erregenden Ausmaß ausgetreten ist. Niemand weiß, welche neuen Katastrophenmeldungen uns heute im Laufe des Tages erreichen werden. Auch das Schlimmste scheint möglich zu sein. Um den GAU zu verhindern, werfen fünfzig Techniker in dieser Stunde im Kernkraftwerk Fukushima ihr Leben in die Waagschale. Ihr Einsatz berührt uns zutiefst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Leid Hundertausender Menschen in Japan zeigt uns einmal mehr dramatisch die Zerbrechlichkeit unseres Wohlstands und unseres Fortschritts. Es führt uns auch schockierend vor Augen: Menschliches Wissen und technologisches Vermögen sind immer begrenzt.

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Ach was, jetzt plötzlich?)

Diese Ereignisse in Japan haben uns gezeigt, dass wir Menschen die Naturgewalten nie vollständig beherrschen. Im Zweifel beherrschen sie uns. Das stimmt viele Menschen in Deutschland nachdenklich. Wir hatten gestern in unserer Fraktion eine dreieinhalbstündige Debatte ausschließlich zu diesem Thema. Von den Kolleginnen und Kollegen in unserer Fraktion ist diese Nachdenklichkeit in sehr ernster Weise ausgesprochen und vehement diskutiert worden. Wir nehmen die Sorgen der Menschen ernst, auch wenn Japan 10.000 Kilometer von Deutschland entfernt ist und für die Menschen in Bayern selbst bei einer größeren Freisetzung von Radioaktivität wohl keine Gefahr besteht.

(Hubert Aiwanger (FW): Das wissen Sie heute doch gar nicht!)

- Wir wissen es nicht definitiv. Japan ist in diesen Tagen ganz nah. Die Menschen in Deutschland sehen täglich die Bilder von explodierenden Kraftwerken, von Menschen in Schutzanzügen und von Kindern, die auf radioaktive Strahlung untersucht werden. Die Menschen spüren auch für sich selbst eine große Betroffenheit. Japan ist ein Hochtechnologie-Land. Die japanischen Sicherheitsstandards wurden stets als vorbildlich empfunden. Jetzt sehen die Menschen Bilder von Feuersäulen, die aus dem japanischen Kernkraftwerk Fukushima aufragen. Japan und die Gefahr einer nuklearen Katastrophe kommen durch das Fernsehen auch in die Wohnzimmer der Bürgerinnen und Bürger in Bayern. Die Menschen stellen sich nun die Frage, wie sicher die Kernkraftwerke in Deutschland sind, gerade im Lichte der Ereignisse in Japan. Die Bundeskanzlerin, die Bundesregierung, die Ministerpräsidenten haben sich zu einem tiefgreifenden Schritt entschlossen. Für uns ist die Naturkatastrophe in Japan mit ihren nuklearen Folgen ein epochaler Einschnitt. Wir können jetzt nicht einfach zur

Tagesordnung übergehen, ich sage, wir dürfen das auch nicht! - Wir nehmen die Sorgen der Menschen sehr ernst, das zeigt auch das Moratorium. Das zeigt das Herunterfahren von Isar 1 und von weiteren Kraftwerken, und das zeigen die von der Politik in Berlin und München angeordneten Sicherheitsüberprüfungen.

Das Moratorium ist kein Hinhalten, das darf und das wird es auch nicht sein. Das Moratorium ist eine grundlegende Prüfung aller sicherheitsrelevanten Fragen unter dem Eindruck der Ereignisse in Japan.

Frau Kohnen, gerade das haben Sie kritisiert, deshalb gebe ich an Sie die Frage zurück: Wie hätten Sie reagiert in Ihrem Redebeitrag, wenn wir nicht sofort so entschieden hätten, wenn Berlin nicht so entschieden hätte?

(Alexander König (CSU): Sehr richtig! - Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir müssen innehalten und uns ernsthaft, vorurteilsfrei und gewissenhaft mit dem Unglück und den notwendigen Konsequenzen auseinandersetzen. Das von der Bundesregierung verkündete Moratorium ermöglicht es, innezuhalten. Wir brauchen diese Denkpause. Übrigens hat China wegen der Vorfälle in Fukushima die Genehmigung für 50 neue Kraftwerke vorerst auf Eis gelegt, wie wir gehört haben. Auch dort haben wir ein Moratorium, und es wird es nicht nur dort so sein, sondern überall, wo wir Kernkraftwerke auf dieser Welt haben, muss es ein Moratorium geben und nachgedacht werden dürfen. Wir sollten das auch nicht lächerlich machen, Frau Kollegin Kohnen.

Ich meine es ganz ernst, dass wir sagen: Warum wird nicht sofort dieses und jenes entschieden oder alles gemacht? Ich denke, dass es wichtig ist, jetzt innezuhalten und zu fragen: Welches sind unsere Erkenntnisse aus diesen Ereignissen? Wir haben diese Erkenntnisse im Übrigen noch gar nicht. Wir brauchen sie zuerst, um danach die notwendigen Entscheidungen treffen zu können. Wir hoffen, dass auch andere Regierungen auf der Welt ihre Atompolitik nach dem Unglück in Japan auf den Prüfstand stellen. Wir brauchen dieses Moratorium, nicht nur in Deutschland und in Europa, sondern überall auf der Welt, weil es ein "Weiter so" nach Japan nicht geben darf.

Moratorium bedeutet: Natürlich besteht eine andere Situation. Wenn Frau Kohnen gerade von Apokalypse gesprochen hat, dann müssen wir sagen: In einer solchen Situation haben wir die Pflicht, sofort eine Denkpause einzulegen, innezuhalten, zu prüfen und zu überlegen.

(Beifall bei der CSU - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Diese Pflicht hatten Sie vorher schon!)

Ich könnte nun rückwärts gehen und fragen: Wann hat Trittin, wann hat Gabriel? Ich will heute aber keine rückwärtsgewandte Rede halten, sondern wir müssen uns die Frage stellen: Wie reagieren wir jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der CSU)

Wir stellen unsere Sicherheitseinschätzungen und kriterien auf den Prüfstand. Wir überprüfen unsere Risikoeinschätzung. Künftig werden wir stärker das einbeziehen, was uns oft als undenkbar und als unwahrscheinlich erschien; und wie prüft man Folgen mit offenem Ausgang?

(Zuruf des Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD))

- Doch, alle Beteiligten. Es ist doch gesagt worden, dass wir auch Verantwortung haben, und ich bitte zu bedenken, dass wir heute nicht rückwärtsgewandt debattieren.

(Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Das Moratorium ist eine logische Konsequenz unserer Politik seit Jahren. Sicherheit, liebe Kolleginnen und Kollegen, steht an erster Stelle, und ich sage ganz ausdrücklich:

(Hubert Aiwanger (FW): Plötzlich!)

Das hat mit Wahlkampf nichts zu tun. Das weiß jeder, der ernsthaft argumentieren will.

(Beifall bei der CSU)

Wenn von einer "weltweiten" bis zu einer "kaum dagewesenen" Katastrophe gesprochen wird und wir sofort über einen Zeitraum von drei Monaten unterbrechen, und dann wird gesagt, es werde deswegen gemacht, weil Wahlen stattfinden, dann halte ich das, mittelmäßig ausgedrückt, für kleinkariert und dümmlich.

(Beifall bei der CSU - Zuruf des Abgeordneten Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD) - Zuruf des Abgeordneten Harald Güller (SPD))

Ich danke ausdrücklich Bundeskanzlerin Angela Merkel, Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer und unserem Umweltminister Markus Söder für ihr besonnenes, aber auch beherztes Handeln. Ich sage noch einmal: Vielen Dank, Ministerpräsident Seehofer und Umweltminister Söder!

(Beifall bei der CSU - Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Wenn wir nicht reagiert hätten, gäbe es heute hier eine Diskussion. Ich will nicht fragen, welche Debatten wir hier hätten. Es war in der jetzigen Situation der richtige Weg und die richtige Entscheidung.

(Beifall bei der CSU)

Ich halte es für falsch, sofort in Aktionismus große Maßnahmen anzuschieben, die sozusagen für die nächsten 20, 30 Jahre in die Zukunft weisen, ohne zu wissen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Es gilt der alte Satz: "Zuerst denken und dann diskutieren", und nicht umgekehrt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CSU)

Auch die Kernkraftwerke in Bayern werden jetzt allesamt aufs Neue grundlegend überprüft. Bis Mitte Mai werden wir zusammen mit unabhängigen Experten Sonderinspektionen durchführen. Von diesem Moratorium ist auch Isar 1 direkt betroffen. Am vergangenen Dienstag wurde begonnen, das Kraftwerk herunterzufahren. Sobald uns - ich sage ganz ausdrücklich, da die Menschen das verfolgen - gesicherte Erkenntnisse aus Japan vorliegen, werden wir die verschärften Sicherheitsvorkehrungen für unsere Kraftwerke prüfen und umsetzen. Deshalb haben wir uns auch einen längeren Zeitraum genommen. Deswegen können wir heute nicht entscheiden, welche zusätzlichen Sicherheitsanforderungen wir stellen, wenn wir die Erkenntnisse aus Japan überhaupt noch nicht haben. Das wäre doch Augenwischerei, liebe Kolleginnen und Kollegen!