Eine multikulturelle Gesellschaft beschreibt eine Gesellschaft, in der Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Nationalitäten, Sprachen und Religionen friedlich zusammenleben.
Die Realität sieht ganz anders aus. Dazu möchte ich einige Beispiele nennen. Sie haben es doch selbst
gesagt, Frau Haderthauer: In Bayern haben 2,4 Millionen Menschen und damit rund ein Fünftel unserer Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Bayern liegt damit auf Platz 7, im Mittelfeld der Bundesländer. Bei den Kindern unter sechs Jahren liegt der Anteil mit Migrationshintergrund bereits bei einem knappen Dritteln, in den Großstädten bei annähernd zwei Drittel. Hinter diesen Zahlen verbergen sich unterschiedlichste Lebensentwürfe. Unsere Gesellschaft wird zunehmend vielfältiger und pluralistischer - jeden Tag ein bisschen mehr.
Das hat im Übrigen auch Bundespräsident Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober dankenswerterweise zutreffend beschrieben. Die Gesellschaft der Vielfalt ist nicht tot, sie lebt, und sie ist Realität. Nehmen wir die Arbeitswelt in Bayern. Sie ist längst eine Welt der ethnischen Vielfalt. Ethnische Vielfalt gehört mittlerweile bei vielen großen bayerischen Firmen zum erklärten Unternehmenskonzept. Konzerne wie Siemens oder BMW betreiben Diversity Management. Die Deutsche Post beschäftigt allein in Deutschland über 200.000 Mitarbeiter aus 150 verschiedenen Nationen. Über 600 Firmen haben die Charta der Vielfalt unterzeichnet und sich verpflichtet, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei ist von Vorurteilen und Ausgrenzung.
Wir leben im Schengen-Europa der offenen Grenzen und profitieren vom freien Waren- und Kapitalverkehr und der Niederlassungsfreiheit. Wir schicken unsere Kinder zum Schüleraustausch. Wir finden auch portugiesische und slowenische Euromünzen in unserem Geldbeutel. Diese unsere europäische Zivilisation ist eine Einheit in Vielfalt, und ein vereintes Europa - ich denke, da sind wir uns einig - ist die beste Garantie für Frieden und Freiheit.
Die Gesellschaft der kulturellen Vielfalt steht eben nicht für Gettobildung und nicht für Parallelgesellschaften. Sie bedeutet auch nicht, auf bayerisches Brauchtum und deutsche Traditionen zu verzichten. Die Begegnung mit fremden Kulturen steht dem christlich-jüdischen Abendland nicht entgegen, sondern ist Teil von ihm. Sie gehört zum modernen Leben, sie ist unser Alltag. Zu uns in Bayern gehören mittlerweile neben Biergarten, Volksmusik, Gamsbart und Georgiritt auch die griechische Taverne, der türkische Gemüsehändler, Pizza, Sushi, Döner und Gyros ebenso wie Django Asül, Hamit Altintop und Miroslav Klose. Zur Gesellschaft der Vielfalt gehören Kirchweih und Lederhose genauso wie die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Migranten, viele Liebesbeziehungen und Ehen zwischen deutschen Männern und ausländischen Frauen und
ausländischen Männern und deutschen Frauen sowie auch gleichgeschlechtliche Beziehungen. Wir tolerieren in Bayern sogar für Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg die Krawallmacherband AC/DC. Wenn das mal nicht Weltoffenheit und Toleranz ausstrahlt, meine Damen und Herren!
Bayern ist ein wirtschaftlich starkes Land im Herzen Europas. Wir sind stolz darauf, dass sich die Landshauptstadt München gemeinsam mit anderen Regionen in Bayern gerade um die Olympischen Winterspiele bewirbt. Wir erinnern uns noch an München 1972. Internationales Flair kam damals in die Stadt. Mit dieser Toleranz und Weltoffenheit werben wir jetzt um die Olympischen Winterspiele 2018. Wir können jedoch nur hoffen, dass die Mitglieder des IOC der ausgrenzenden Rhetorik des Ministerpräsidenten keine allzu große Aufmerksamkeit schenken, ist sie doch geradezu kontraproduktiv für die Bewerbung um das größte internationale Sportfest, in dem es um Völkerverständigung geht. Stimmungsmache gegenüber anderen Kulturen ist hier, meine Damen und Herren, völlig fehl am Platz.
Herr Ministerpräsident, mit Ihrer Ausgrenzungsrhetorik erweisen Sie der bayerischen Olympiabewerbung einen Bärendienst.
Probleme und Konflikte offen anzusprechen, ist das eine und völlig legitim, ja notwendig. Weite Bevölkerungsteile unseres Landes jedoch zu stigmatisieren und aus rein parteitaktischen Motiven Stimmung zu schüren gegen Zuwanderer mit muslimischem Hintergrund, insbesondere aus der Türkei und aus arabischen Ländern, ist das andere. Der Schaden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den inneren Frieden ist jedoch bereits entstanden. So warnt die türkische Gemeinde in Deutschland vor dem jüngsten Integrationsgipfel in einer Erklärung mit Blick auf Horst Seehofer, ich zitiere:
Wir haben große Sorge, dass die Weiterführung der Diskussion in dieser Art und Weise zur Wiederholung der tragischen Ereignisse infolge der Asyldiskussion der Neunzigerjahre führen könnte.
Herr Ministerpräsident, Sie sollten diese Sorge der türkischen Gemeinde überaus ernst nehmen und nicht als politische Hysterie abtun.
auf beiden Seiten. Diese Ängste gilt es in der Gesamtheit nicht zu ignorieren, sondern ernst zu nehmen.
Wer wie Sie, Frau Haderthauer, zu Recht - wie wir Sozialdemokraten im Übrigen auch - das innere Ja zur Integration der Zuwanderer einfordert, der darf nicht durch ein zur Schau getragenes öffentliches Nein zu anderen Kulturen auffällig werden.
Ich frage mich im Übrigen: Wie soll sich jemand zu unserer Gesellschaft zugehörig fühlen, wie soll die Identifikation der Zuwanderer mit unserem Land wachsen, wenn ihnen permanent über die Medien ein starkes Nein von Spitzenpolitikern entgegenhallt? Im Übrigen geht es nicht nur um politische Rhetorik, sondern auch ganz konkret um politische Inhalte. Tatsache ist: Schwarz-Gelb verfolgt im Bund eine Politik der sozialen Kürzungen und wirkt damit der Integration vieler Menschen mit Migrationshintergrund entgegen. Ihrer Schönrednerei, Frau Ministerin, stehen konkrete Haushaltsentscheidungen im Bund entgegen, die eine ganz andere Sprache sprechen, und der Widerspruch ist unübersehbar:
Erstens. Die Bundesregierung reduziert die Mittel für Qualifizierungen von Arbeitslosen und für die Integration in den Arbeitsmarkt. Allein in der Landeshauptstadt bedeutet das 2011 eine Kürzung von über 15 Millionen Euro.
Zweitens. Die Bundesregierung streicht Hartz-IVEmpfängern das Elterngeld und baut einen riesigen Verwaltungsaufwand für die Bildungsteilhabe von Kindern auf.
Und schließlich - drittens - sorgt sie für Mehrbelastungen im Gesundheitsbereich durch den Einstieg in die Kopfpauschale, während sie den Beitrag für die Arbeitgeber einfriert.
Meine Damen und Herren, stattdessen sollte die Bundesregierung, Schwarz-Gelb, doch endlich flächendeckend einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, damit die Menschen auch von ihrer Arbeit leben können.
Und dass diese schwarz-gelben Maßnahmen Migrantinnen und Migranten in Bayern auch treffen, ist offensichtlich. Die Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund ist in Bayern durch eine zweifach höhere Armutsrisikoquote gekennzeichnet - 23 % -, als sie die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund hat. Die Arbeitslosenquote von Menschen ohne abgeschlosse
Ein Schlüssel, meine Damen und Herren, zur Integration, insbesondere zur Integration in den Arbeitsmarkt, und eine Kernforderung an Zuwanderer ist der Erwerb der deutschen Sprache. Die Sprach- und Orientierungskurse waren seit 2005 von Anfang an ein Erfolg. Die Menschen wollen die Sprache lernen, sie wollen sich in dieser Gesellschaft orientieren können. Nicht nur die Neuzuwanderer nutzten sie, sondern zu über 60 % Menschen, die schon seit vielen Jahren in der Bundesrepublik leben.
Statt dieses große Interesse im Sinne der Integration zu fördern, kürzt die Bundesregierung auch hier. Einsparungen sollten erzielt werden durch eine zeitliche Verzögerung des Kursantritts, durch Einsparungen bei den Fahrtkostenerstattungen und durch die Erhöhung der Teilnehmerzahl bei den Alphabetisierungskursen. Am Ende steht eine erschreckende Zahl: 9.000 motivierte Migrantinnen und Migranten können zurzeit wegen fehlender Mittel keinen Integrationskurs absolvieren.
Es ist klar, Integration kann nicht verordnet werden; sie braucht die Mitwirkung der Zuwanderer, und sie ist verbunden mit der Pflicht, einen eigenen Beitrag zur Integration in die Gesellschaft zu leisten. Sie haben das, Frau Ministerin, richtigerweise ausgeführt, aber man muss hinzufügen: Die Politik muss hierfür auch die Mittel bereitstellen.
Ein weiterer Punkt. Sie haben die Städtebauförderung angesprochen, die jetzt von der Bundesregierung, von Schwarz-Gelb, von 610 auf 305 Millionen Euro halbiert werden soll. Davon ist dabei insbesondere das wichtige Projekt "Soziale Stadt" betroffen, eines der erfolgreichsten Integrationsprojekte überhaupt. "Glasscherbenviertel" werden wieder in die Stadtgesellschaft integriert, und damit wird Menschen mit Migrationshintergrund eine Perspektive zur Teilhabe mit Lebensqualität eröffnet. Das wird von Schwarz-Gelb im Bund jetzt infrage gestellt. Ihr Kollege Herr Ramsauer, Frau Ministerin, stellt hier die Weichen in Richtung Ausgrenzung statt Integration.
Der schwarz-gelbe Kahlschlag beim Projekt "Soziale Stadt" - ich konnte mich in Hof in diesem Sommer persönlich davon überzeugen - schlägt voll durch auf die Arbeit in Stadtteilen und Wohnbezirken, in denen Integrationsprobleme bestehen. Machen Sie Front dagegen, sagen Sie Ihrem Minister in Berlin, dass es so nicht geht!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen in der Integration den Vorrang der Bildungspolitik und die nachholende Integration. Es muss uns darum gehen, den Einwanderern - gleich welcher Herkunft, Nationalität, Kultur oder sozialen Stellung - eine umfassende, gleichberechtigte Teilhabe an der Bildung, im Arbeitsleben und an den politischen Entscheidungsprozessen zu ermöglichen. Im Mittelpunkt aller staatlichen Bemühungen zur Integration steht der Gedanke der Chancengleichheit. Und wir brauchen klare Zielmarken für ein Zuwanderungskonzept, kurz: Punktesystem, Kindergartenpflicht, Ganztagsschulen; Sprachund Integrationskurse ohne Sparmaßnahmen und mit verbindlicher Vorschulerziehung müssen so früh wie möglich begonnen werden.
Im Übrigen ist das Betreuungsgeld für häusliche Erziehung ab 2013 eine integrations-, frauen- und gesellschaftspolitische Fehlsteuerung par excellence, meine Damen und Herren!
Man muss die Kinder - das sollte doch eigentlich inzwischen deutlich geworden sein - aus den bildungsfernen Milieus herausholen, statt den Familien Prämien für das Daheimbehalten zu bezahlen.
All das, Frau Ministerin, blieb in der Regierungserklärung ausgeklammert. Auch nach dieser Erklärung haben wir in Bayern keinen einzigen Integrationskurs mehr, haben wir keinen einzigen zusätzlichen Sprachförderungskurs in den Vorschulen. Wir haben keinen einzigen zusätzlichen Erzieher oder sozialpädagogischen Betreuer mit Migrationshintergrund, keinen einzigen Hinweis darauf, wie die Zahl der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund gesenkt wird. Kleinere Klassen, mehr Ganztagsangebote und mehr pädagogische Freiheit, Verstärkung der Schulsozialarbeit, mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt, Bekämpfung von Armut - kein Wort dazu.
Integrationspolitik ist leider nicht so unkonkret, dass man sich damit begnügen könnte, allein von Werten und von Pflichten zu reden. Das ist wichtig, es ist legitim, es gehört auch dazu, aber die konkreten politischen Handlungsableitungen dürfen dabei eben nicht auf der Strecke bleiben. Und dabei ist doch einiges auffällig.
Leider ist uns keine einzige Bundesratsinitiative der Staatsregierung aus Ihrer Feder, Frau Ministerin, bekannt, in der Sie sich persönlich für eine bessere Integration einsetzen. Stattdessen belassen Sie es bei
Ich hätte erwartet, dass in dieser Regierungserklärung neben virtuellen Problemen auch tatsächliche Herausforderungen angesprochen werden, zum Beispiel die Freizügigkeitsbeschränkungen für Bürger der EU-Beitrittsstaaten, die demnächst wegfallen. 2013 fällt die letzte Beschränkung für Rumänien und für Bulgarien. Es ist in diesem Zusammenhang damit zu rechnen, dass eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen auch aus ethnischen Minderheiten zuzieht, Menschen, die in ihren Herkunftsländern soziale Ausgrenzung erfahren. Schon jetzt ist in Teilen in Deutschland eine Wanderungsbewegung in die Bundesrepublik zu verzeichnen, und es ist davon auszugehen, dass bei Weitem nicht alle, um nicht zu sagen: die wenigsten dieser Zuwanderer Qualifikationen mitbringen, die ihnen ermöglichen, schnell in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert zu werden.
Hier stehen wir vor einer echten Herausforderung, mit der wir uns im Bayerischen Landtag befassen müssen. Ich hätte von Ihnen, Frau Ministerin, hierzu heute eine Position erwartet. Bund, Länder und Kommunen müssen hier eine gemeinsame Position entwickeln. Es muss auf der politischen Ebene gelöst werden, auch mit Brüssel und mit Berlin, und wir sollten auch hier im Bayerischen Landtag darüber diskutieren, wie Programme in den Heimatländern gefördert und finanziert werden können, die den Menschen dort eine Lebensperspektive ermöglichen.