Protocol of the Session on October 27, 2010

Es muss aber auch etwas getan und es darf nicht nur genickt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, sondern auch das Land muss Geld in die Hand nehmen. Denn wir verstehen unter Selbstständigkeit der Kommunen und Verlagerung der Verantwortung nach unten nicht, Geldleistungen abzuwälzen, wie es gegenwärtig der Fall ist. Die Kommunen springen im Be

reich Ganztagsangebote in Aufgaben hinein, die eigentlich Aufgaben des Landes sind. Das kann so nicht sein.

Herr Taubeneder, ich möchte eine letzte Anmerkung machen. Es geht um das Thema Verantwortung der Eltern. Sie haben gesagt, viele Eltern kämen ihrer Erziehungsverantwortung nicht mehr nach. Das stimmt. Manche wollen es nicht; viele können es nicht. Was ist jedoch die Konsequenz für Sie als Politiker? Sie sagen "einfordern". Wollen Sie Sanktionen? Was tun Sie mit denen, die das nicht leisten können? Die Antwort eines Politikers muss doch sein: Ich muss meine Angebote und meine Strukturen umbauen, um Familien zu unterstützen. Dafür sind Ganztagsschulen und Ganztagsangebote ein wichtiger Beitrag. Deshalb bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf der SPD zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Abgeordneten der SPD)

Für die FDP äußert sich Frau Kollegin Will.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Plädoyer des Herrn Gehring für die Ganztagsschule fällt es mir schwer, noch etwas hinzuzufügen. Dennoch sage ich: Für mich ist die flächendeckende Einrichtung von Ganztagsschulen ein politisches Herzensanliegen. Ganztagsschulen sind unverzichtbar für mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen. Ganztagsschulen stehen für mehr und bessere Bildung. Ganztagsschulen stehen für mehr individuelle Förderung und den Erwerb sozialer Kompetenzen.

(Volkmar Halbleib (SPD): Dann stimmen Sie doch zu!)

Sie dienen allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft. Das ist unbestritten. Ganztagsschulen stehen für die Chance des sozialen Aufstiegs von Kindern mit Migrationshintergrund und von Kindern aus einem sozial schwierigen Umfeld. Die jungen Menschen erhalten dank der intensiveren Förderung mehr Möglichkeiten, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben. Auch das ist unbestritten.

Zu guter Letzt - das ist auch wichtig - stehen Ganztagsschulen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Vorhin haben wir von Frauen gesprochen, die verstärkt ins Berufsleben gehen sollen. Dafür müssen die Rahmenbedingungen vorhanden sein.

Wir Liberale haben diese Punkte im Rahmen der Koalitionsverhandlungen erkämpft. Wir haben dafür gekämpft, dass das Angebot an Ganztagsschulen deut

lich ausgeweitet wird. Erklärtes Ziel der Koalition ist es, bis zum Schuljahr 2012/2013 ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Angebot von Ganztagsschulen in Bayern aufzubauen.

(Markus Rinderspacher (SPD): Flächendeckend!)

- Flächendeckend. Wir wollen das Angebot nicht an einzelnen Schulen komplett einführen, sondern erst einmal in der Fläche für alle Schularten. Das haben wir im Koalitionsvertrag so vereinbart.

Die bisherige Zusammenarbeit zwischen der FDP und den Kolleginnen und Kollegen der CSU kann sich sehen lassen. Wir haben bereits 785 gebundene Ganztagszüge und über 3.100 offene Ganztagsangebote quer durch alle Schularten. Ziel ist es, bis zum Schuljahr 2016/2017 in ganz Bayern etwa 200.000 Ganztagsplätze vorzuhalten. Diese Zahlen sind das Ergebnis einer gewaltigen gemeinsamen Kraftanstrengung unserer Regierung.

Mit über 62 Millionen Euro fördert der Freistaat den Ausbau der Ganztagsschulen im aktuellen Schuljahr. Meine verehrten Damen und Herren, das ist eine gute Bilanz. Erkennen Sie diese Bilanz doch einmal an. Ab dem Schuljahr 2011/2012 folgt der Ausbau der rhythmisierten Ganztagszüge an Realschulen und Gymnasien. Der Einstieg findet in jeweils 200 staatlichen Realschulen und Gymnasien gleichzeitig statt. Damit haben mehr als die Hälfte der staatlichen Realschulen und Gymnasien einen gebundenen Ganztagszug. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist doch bundesweit einmalig.

(Margarete Bause (GRÜNE): Einmalig negativ!)

In keinem anderen Bundesland gibt es diese finanzielle Unterstützung. Nur in Rheinland-Pfalz gibt es mehr Lehrerstunden, aber nicht mehr Geld.

Ich bin froh, dass im ganzen Land ein Umdenken stattgefunden hat. Kürzlich habe ich in der Zeitschrift der Bayerischen Landfrauenvereinigung des Katholischen Deutschen Frauenbundes ein flammendes Plädoyer für die Vorzüge der Ganztagsschule gelesen. Dort heißt es, die Ganztagsschule entfremde die Kinder trotz langer zeitlicher Bindung nicht vom eigenen Dorf. Wohlgemerkt: Dieser Satz stand nicht in einer Publikation der SPD oder der GRÜNEN. Er stand in einer Frauenzeitschrift. Dieser Satz beweist: Die Idee der Ganztagsschule ist in allen gesellschaftlichen Schichten endgültig angekommen und verankert.

Die Idee ist angekommen, weil sie eben nicht von oben übergestülpt wurde, sondern von der Basis her ihre positive Wirkung entfalten konnte. Lehrer, Eltern, Kinder, Vereine und Verbände wurden bei dieser

wichtigen Reform ebenso mitgenommen wie die kommunalen Spitzenverbände. Sie haben sich dank der Freiwilligkeit für die Idee der Ganztagsschule begeistert. Sie haben sich dafür begeistert, weil sie eben nicht zwangsverpflichtet wurden. Ich führe das so detailliert aus, weil ich dies für die Basis für das Gelingen aller Reformen im Bildungssystem halte. Wir dürfen nichts zwangsverordnen. Wir dürfen entscheidende Veränderungen nicht von oben überstülpen. Wir müssen die Betroffenen mitnehmen. Daran haben wir Liberale einen großen Anteil.

Wohlgemerkt: Ein wichtiger Grundsatzbeschluss der Koalition lautet, dass der Besuch einer Ganztagsschule für die Kinder kostenlos sein muss. Zur Erinnerung: Zuvor mussten die Eltern bis zu 120 Euro pro Monat für den Besuch einer staatlichen Ganztagsschule berappen. Gerecht war das nicht. Wir haben Erfolge für bessere Bildung, mehr Chancengerechtigkeit und mehr Teilhabe erreicht. Das sind wichtige Beiträge zur Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, das fordern auch Sie.

Hier hören jedoch unsere Gemeinsamkeiten auf. Ihren Gesetzentwurf zur Anerkennung eines Rechtsanspruchs auf einen gebundenen Ganztagsschulplatz müssen wir ablehnen. Wissen Sie, was dieser Gesetzentwurf bedeuten würde? Er wäre schlicht nicht finanzierbar. Außerdem brauchen wir die Wahlfreiheit.

Frau Kollegin Will, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Kollegin Gottstein?

Ich bin immer wieder entsetzt über Ihre Versuche, uns hier vorzuführen. Sie gaukeln den Menschen im Lande vor, Ihre Ideen wären finanzierbar. Dabei wissen Sie ganz genau, dass der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschulplatz nicht finanzierbar ist. Das ist unredliche Politik.

(Zuruf von der SPD: Mehr Netto vom Brutto!)

Wegen des Konnexitätsprinzips bürden Sie dem Freistaat ein unkalkulierbares Kostenrisiko auf. Diese Verantwortungslosigkeit können Sie sich nur leisten, weil Sie selbst nicht regieren. Allein das von Ihnen geforderte Sonderinvestitionsprogramm für bauliche Maßnahmen würde Mittel in dreistelliger Millionenhöhe binden. Dieses Geld haben wir zurzeit nicht. Sie wünschen zudem die Zuteilung von 19 Lehrerstunden pro Ganztagsklasse. Das ist jeweils fast eine volle Stelle. Wenn wir Ihrem Gesetzentwurf zustimmen würden, müssten wir Tausende neuer Lehrer einstellen. Das ist vielleicht wünschenswert, aber nicht finanzierbar.

Die knappen verfügbaren Mittel brauchen wir dringend für Qualitätsverbesserungen im bestehenden System. Wir brauchen sie für eine weitere Verbesserung der individuellen Förderung. Wir brauchen diese Mittel aber auch, um nicht nur die Vision von Ganztagsklassen, sondern auch vom Lebensraum einer Ganztagsschule zu realisieren. Diese Schulen sollen zu einem Ort werden, an dem die Kinder gerne lernen und gerne ihre Zeit verbringen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CSU)

Frau Kollegin Will, bleiben Sie bitte noch am Pult. Wir haben noch eine Zwischenbemerkung von Frau Kollegin Gottstein.

Frau Kollegin Will, ist Ihnen der Unterschied zwischen einem Rechtsanspruch und einer Zwangsverpflichtung an einer Schule klar? Aus Ihrer Argumentation kann man das nicht schließen.

Sicherlich: Wenn von oben verordnet wird, dass es eine gebundene Ganztagsschule gibt, ist das eine Zwangsverordnung. Ich habe ausgeführt, dass die Ganztagsschulen von unten entstehen werden, dort, wo sie gewünscht sind. Dem wird nachgegeben. Die Nachfrage ist groß. Ich habe ausgeführt, wie weit wir bis 2013 gekommen sein wollen und wo wir noch hinwollen. Das erfolgt aber nur auf Nachfrage und Genehmigung. Ein Rechtsanspruch bedeutet, dass man den Platz einklagen kann.

(Zuruf von der SPD: Gott sei Dank!)

Frau Gottstein, wissen sie, was das für uns bedeutet? Da möchte ich Sie hören.

(Beifall bei der FDP)

Für die Staatsregierung äußert sich Herr Staatssekretär Dr. Huber.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist völlig müßig, über den Nutzen des Ganztagesangebots zu diskutieren. Darin sind wir uns sicherlich einig. Den Nutzen des Ganztagesangebots möchte ich allerdings auf die Schülerinnen und Schüler einschränken, für die es wirklich nützlich ist; das sind aber nicht alle. Deshalb möchte ich meine Empfehlung zur Ablehnung des Gesetzentwurfs wie folgt begründen:

Die Wahlfreiheit ist für uns ein hohes Gut. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen, es gibt viele Eltern, die sich darüber freuen, dass ihr Kind am Nachmittag nach Hause kommen kann; sie fordern das auch von uns ein.

(Beifall bei der CSU)

Ich will nicht verhehlen, dass manche Eltern es gerne so hätten, es sich aber nicht leisten können oder aus anderen Gründen dazu gezwungen sind. Es gibt aber auch viele, die es gerne so haben wollen. Aus diesem Grund gehen mir Ihre Ganztagsschulen - ich betone Schulen und nicht Ganztagszüge oder -angebote - zu weit. Ein Rechtsanspruch, den Sie fordern, ist in einer Stadt sicherlich relativ leicht zu erfüllen. Sofern die Stadt bereit ist, diese Angebote zu machen und uns dabei die Hand zu reichen, wollen wir die Möglichkeiten, die wir bieten, in der Stadt gerne umsetzen. Schwierig wird es dagegen auf dem flachen Land. Auf dem flachen Land ist es schwierig, diesen Anspruch zu erfüllen, wenn nur ein bestimmter Anteil von Schülern, eine Handvoll Schüler, ihn für sich in Anspruch nimmt, ohne dass dabei gleich eine ganze Klasse gebildet werden muss.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe, dann gerne.

Wenn ich nur fünf Schülern dieses Angebot machen will, muss ich, um eine Klasse bilden zu können, soundsoviele Kinder, die gar nicht in eine Ganztagsklasse gehen wollen, quasi dazu verpflichten, in die Ganztagsklasse zu gehen. Das ist für mich nicht in Ordnung. Einen Rechtsanspruch in der Fläche zu erfüllen, ist sehr schwierig.

Bevor ich meinen nächsten Gedanken ausführe, möchte ich die Zwischenfrage zulassen.

Vielen Dank. Frau Sonnenholzner, bitte.

Herr Staatssekretär, geben Sie mir Recht, dass es selbst im schönen Bayernland inzwischen einen Rechtsanspruch auf einen Kindertagesstättenplatz gibt? Würden Sie mir weiterhin zustimmen, dass aus diesem Rechtsanspruch keine Zwangsverpflichtung für die Eltern resultiert, die Kinder auch dort unterzubringen?

(Beifall bei der SPD)

Das hat aber nichts mit dem zu tun, was ich gerade auszuführen versucht habe. Der Rechtsanspruch hat zur Folge, dass ich an einer Schule eine Klasse bilden muss. Dies hat wiederum zur Folge, dass andere Kinder dort hineingehen müssen, obwohl sie es gar nicht wollen.

Zweitens - das richte ich an Frau Gottstein - hat dieser Rechtsanspruch auch für die Schulen und Kommunen Folgen. Wenn der Rechtsanspruch erfüllt würde und infolgedessen soundsoviele Kinder an eine andere Schule gehen müssten, hätte der Rechtsanspruch auch Folgen für die Schulen, an denen momentan Sprengelpflicht besteht. Es käme zu einem Schülertourismus, der in diesem Fall einschließlich der Beförderungskosten billigend in Kauf genommen würde. Dabei kümmern Sie sich um die Kommunen überhaupt nicht. Unsere Erwägungen sind für Sie offensichtlich uninteressant, denn bei einem Rechtsanspruch würde die Sprengelpflicht entfallen. Das muss uns klar sein. Diese Aspekte sprechen für mich klar gegen den Rechtsanspruch.

Ein völlig schiefes Bild wird von Ihnen auch in der Begründung gemalt. Sie beklagen, dass zu wenig Stunden oder für die offenen Angebote zu wenig Geld zur Verfügung gestellt würden. Die Ausstattung ist nicht wirklich luxuriös. In der Praxis aber funktioniert sie. Wenn Sie daran zweifeln, tun Sie vielen Ganztagesklassen und Ganztageszügen Unrecht, die draußen mit dieser Ausstattung gut zurechtkommen und ihren Schülern hochwertige Angebote machen.

Herr Staatssekretär, ich muss noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.