Protocol of the Session on July 15, 2010

(Beifall bei den Freien Wählern - Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

Von 21 Seiten Regierungserklärung sind 19 Seiten ein bloßes Aneinanderreihen von Zahlen, vermischt mit nichtssagenden Aussagen.

(Beifall bei den Freien Wählern - Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Heiße Luft!)

Auf drei Seiten wagen Sie eine Art Ausblick. Ich weiß nicht, wieso Sie vom "Magischen Viereck" sprechen. Entweder haben Sie einen schlechten Berater, oder das ist ein freudscher Versprecher. Sie wissen, dass die Wirtschaft das "Magische Viereck" deshalb als solches bezeichnet, weil mit dem Erreichen eines Ziels automatisch das andere Ziel nicht erreicht werden kann. Es heißt "magisch", weil man eine Gratwanderung zwischen vier Zielen machen muss, die sich gegenseitig widersprechen. Ich konnte die ganze Nacht darüber nachdenken, weil mich der Husten nicht hat schlafen lassen, was das "Magische" an eigenverantwortlicher Schule, Weiterentwicklung der Schulaufsicht, Schulberatung und Elternarbeit ist. Der Vergleich hinkt. Erklären Sie mir, was daran das Magische sein soll.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Wenn Sie das "Magische Viereck" der Wirtschaft, übernehmen, dann ist das so falsch, wie es falscher nicht geht.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Den höchsten Ausblick, den wir in Bayern haben, ist die "Schulinnovation 2020". Das ist erbärmlich.

Im Namen der Freien Wähler habe ich folgende Bitte: Konzentrieren Sie sich auf Ihr Kerngeschäft. Das ist die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen. Alles andere ist schöne Zier. Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Sie müssen im Fokus sein. Das ist Ihr Kerngeschäft. Dann könnten auch die Schulen ihr Kerngeschäft erledigen. Das ist die Erziehung unser Kinder und Jugendlichen zu verantwortungsbewussten Mitgliedern in unserer Gesellschaft, mit Erfolg in der Schule. Das ist nicht nur Deutsch und Englisch, wie das der Ländervergleich zeigt. Die Kinder und Jugendlichen sollen Erfolg haben im Beruf ebenso wie im Leben, und Spaß darf auch noch dabei sein.

(Anhaltender Beifall bei den Freien Wählern)

Als Nächster hat Herr Kollege Thomas Gehring das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Visionären möchte ich wieder zurückkommen zum eigentlichen Gegenstand dieser Regierungserklärung, nämlich zum Ländervergleich.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Thomas Goppel (CSU))

Ich möchte vorausschicken: Wir GRÜNEN haben uns schon vor Jahren für länderübergreifende Bildungsstandards eingesetzt, als andere das aus einem föderalen Dünkel noch abgelehnt haben und eine Qualitätssenkung befürchteten. Es geht aber darum, länderübergreifend ein Niveau zu setzen, das alle Schülerinnen und Schüler erreichen müssen. Leider stellten wir fest, dass viele Schülerinnen und Schüler dieses Niveau nicht erreichen.

Es ist notwendig, von außen vergleichende Tests zu machen. Dabei muss uns aber klar sein, dass nur Ausschnitte getestet werden, in diesem Fall die Kompetenzen in Englisch und Deutsch. Es wurde auch Französisch getestet. Daran hat sich Bayern allerdings nicht beteiligt. Ich möchte davor warnen, die Ergebnisse dieser Tests, auch wenn sie noch so schön

sind, mit Bundesligatabellen gleichzusetzen. Es macht keinen Unterschied, ob jemand auf Platz 1, 2, auf Platz 14 oder 13 oder auf Platz 15 oder 16 liegt. Das geben diese Ergebnisse statistisch nicht her.

(Eduard Nöth (CSU): Wer sich gegen Leistung ausspricht, kommt nicht weit!)

- Herr Kollege Nöth, der Vergleich gibt her, was er hergibt. Wenn Sie die Studie lesen, dann sehen Sie das. Was man ablesen kann, ist: Es gibt eine Spitzengruppe, eine mittlere Gruppe und eine untere Gruppe, und Bayern ist in der Spitzengruppe.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Thomas Goppel (CSU))

Deshalb gratuliere ich auch den bayerischen Schülerinnen und Schülern und den Lehrern für die Leistung, die sie erbracht haben, und für die Arbeit, die sie hineinstecken.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das ist angesichts der Rahmenbedingungen gar nicht leicht.

Noch eine Vorbemerkung: Wir sollten uns bei den Erklärungen dazu, woran das Ergebnis gelegen hat, zurückhalten. Die Bildungsforscher, auch bei Pisa, lassen uns mit den Erklärungen ziemlich allein. Sie stellen die Ergebnisse zur Verfügung und sagen: Als Wissenschaftler kann ich nicht sagen, woran es liegt. Auch Pisa stellt fest, es gibt gute Ergebnisse sowohl im gegliederten als auch im integrativen Schulsystem. Pisa hat uns im internationalen Vergleich gezeigt: Es gibt viele integrative Systeme, die gute und bessere Leistungen haben. Auch in dieser Studie sagen uns die Wissenschaftler nicht, woran es gelegen hat. Leider hat sich der Kultusminister keine Zurückhaltung auferlegt, sondern er ging gleich nach außen und sagte: Dass Bayern so gut abgeschnitten hat, dann liegt das am gegliederten Schulsystem. - Ich halte das für eine gewaltige Überinterpretation.

(Beifall bei den GRÜNEN - Hans-Ulrich Pfaff- mann (SPD): Das ist parteipolitisches Kalkül!)

Es gibt aber auch noch eine andere Erklärung, nämlich die Wirtschaftslage in den einzelnen Ländern. Die Bildungsforscher stellen nämlich fest, es gibt einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft, der Kompetenzentwicklung und der Bildungsbeteiligung. Es liegt also nahe, einen Zusammenhang zwischen der Sozialstruktur und der Wirtschaftsstruktur in einer Region und den Schulleistungen herzustellen. Es muss nicht verwundern, dass in dem Bundesland mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit die besten

Leistungen vorzufinden sind im Gegensatz zu dem Bundesland mit der höchsten Arbeitslosigkeit. Das liegt doch nun wirklich auf der Hand.

(Eberhard Sinner (CSU): Was hängt da zusammen? Sie verwechseln doch die Ursachen mit der Wirkung!)

- Nein. Die Bildungspolitik hängt mit der Wirtschaftspolitik zusammen. Wir können hier gerne über Wirtschaftspolitik reden, über die Werftenkrise und Standortpolitik.

(Zuruf des Abgeordneten Eberhard Sinner (CSU) - Unruhe bei der CSU)

Die Bildungsforscher sprechen von drei Risikolagen, in denen die Schülerinnen und Schüler sind: Erwerbslosigkeit, Bildungsferne der Familie und Armut. In Bremen haben 10 % der Schülerinnen und Schüler mit diesen Risikolagen zu kämpfen, in Bayern hingegen nur 1,7 %. Glückliches Bayern! Natürlich hat Bayern die besseren Bildungsleistungen. Eine Risikolage besteht in Bremen bei 33 % der Kinder, in Bayern hingegen nur bei 19 %. Diese Unterschiede, Herr Kollege, sind in Bayern in den fränkischen Regionen zu finden, die wirtschaftlich schlechter sind als die Regionen südlich von München.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir München ansehen, dann stellen wir fest, die Übertrittsquoten in Dachau liegen bei 36 %, in Starnberg hingegen bei 72 %. Offensichtlich machen Sie für Starnberg eine bessere Bildungspolitik als für Dachau.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Man darf auch Stadtstaaten nicht einfach mit Flächenstaaten vergleichen. Mich würde der Vergleich zwischen Bremen und Nürnberg wirklich interessieren. Das wäre doch einmal spannend. Oder machen wir einen Vergleich zwischen Hamburg und München.

(Karl Freller (CSU): Gerne!)

Es gibt auch andere Erklärungen von ernsthaften Leuten, die sagen, die guten Leistungen sind in Regionen erzielt worden, in denen die Menschen mehr Dialekt sprechen. Dieser Äußerung kann ich mich gut anschließen. Vielleicht liegt es auch daran.

Kommen wir zu den Herausforderungen für Bayern und dazu, was die Studie über Bayern aussagt. Das Ergebnis ist: Es gelingt nicht, Leistung und sozialen Ausgleich miteinander zu verbinden. Dieses Ergebnis müssen wir für Bayern feststellen. Wir sind gut in

Deutschland, wir sind deshalb aber nicht gut in Europa. Wir spielen in der zweiten Liga. Auch die zweite Liga ist nicht schlecht, die 60-er würden sich freuen, wenn sie so gut wären wie der FC Augsburg. Es bleibt aber zweite Liga. Es heißt, wir in Bayern erzielen gute Leistungen, es wird aber nicht thematisiert, wie diese Leistungen erzielt werden, und es wird auch nicht darüber geredet, welcher Druck notwendig ist, um diese Leistungen zu erzielen. Wir alle kennen die Situation, die in der vierten Klasse an den Grundschulen herrscht. Wir alle sind uns einig, wenn wir mehr Leistung erzielen wollen - denn das ist notwendig -, dann wird es nicht mit mehr Druck und noch mehr Druck möglich sein, so wie das heute schon der Fall ist. Wenn Bildungspolitik den Grundsatz hat, zu fordern und zu fördern, dann kann man für Bayern feststellen: Bayern fordert viel, fördert aber zu wenig.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zum Thema soziale Ungerechtigkeit. Hier gibt es in der Tat zwei Ebenen. Man kann über die soziale Herkunft reden und über die Kompetenz, die man im Schulleben erlangt. Man kann auch über die soziale Herkunft reden und über die Schullaufbahn, die man einschlägt. Nachdem der Aspekt der Schullaufbahn immer relativiert wird, gehe ich gleich auf das Thema der sozialen Kompetenz ein. Wir stellen fest: Wie viel eine Schülerin oder ein Schüler lernt, unabhängig von der Schulart, hängt ganz entscheidend davon ab, wie die sozialen Verhältnisse im Elternhaus sind. Das belegt diese Studie ganz deutlich. Bei allen Tests der Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Englisch sieht man, dass die Unterschiede in der Leistung mit der sozialen Lage der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen. Der Lernzuwachs, der Kompetenzzuwachs ist also von der sozialen Lage abhängig. Man könnte es auch etwas flapsig so formulieren: Nicht wer mehr in der Birne hat, sondern der, der mehr im Geldbeutel hat, lernt bei uns in der Schule mehr.

Das ist auch in Bayern so. Bayern ist also nicht Spitze, im Gegenteil. Wenn es darum geht, den sozial-sozioökonomischen Status zu sehen und wie er die Kompetenzen in Deutsch beeinflusst, stellt man fest, dass Bayern mit Berlin, Bremen und dem Saarland in einer Gruppe liegt. Das Gleiche gilt für Englisch. Der soziale Hintergrund hat also viel mit den Leistungen in der Schule zu tun. Der Ländervergleich spricht von hohen sozialen Disparitäten. Dann kommt ein Satz, der alle Bildungspolitiker, auch die hier in Bayern, aufschrecken muss. Die Bildungsforscher sagen: Die sozialen Disparitäten sind bereits in der Grundschule vorhanden und nehmen im Verlauf der Schulzeit weiter an Intensität zu. - Soziale Ungleichheit nimmt also im Verlauf der Schulzeit zu, sie wird nicht abgebaut,

sondern sie wird mehr. Das ist eine Bestandsaufnahme, die jeden Bildungspolitiker, erst recht aber jeden Demokraten aufschrecken muss!

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD - Hans- Ulrich Pfaffmann (SPD): Aber hier in Bayern ist ja alles gut!)

Das ist ein schlechtes Zeugnis für ein demokratisches Bildungswesen. An dieser Stelle möchte ich auf einen Bildungsforscher hinweisen, der von Ihnen gerne herangezogen wird, Herrn Prof. Jürgen Baumert, der von unterschiedlichen lernfördernden Milieus in den einzelnen Schularten spricht. Das ist eine Erklärung für die unterschiedliche Entwicklung. Herr Prof. Baumert sagt, je nachdem, in welcher Schulart man ist, sind die Fortschritte größer oder geringer. Wenn wir uns über sprachliche Bildung unterhalten, dann wissen wir alle, dass wir Sprache vor allem von den Mitschülern lernen. Die Jugendlichen lernen von der Peer-Group mehr als aus dem, was der Lehrer an die Tafel schreibt. Es spielt deshalb eine Rolle, welches sprachliche Milieu an einer Schule herrscht, an einer Hauptschule beispielsweise das Milieu der Halbsprachlichkeit oder an einem Gymnasium die Sprache des Bildungsbürgertums.

Dieses Thema führt uns zum Thema Schulstruktur, zum Thema Übertritt an weiterführende Schulen. Da hat Bayern ein miserables Zeugnis. Sechseinhalbmal so gut sind die Chancen eines Akademikerkindes, auf dem Gymnasium zu landen, als die Chancen eines Arbeiterkindes; wohlgemerkt: bei gleicher Kompetenz und bei gleichem Testergebnis der Leistungen. Wir haben ein rigides Übertrittsverfahren. Dabei spielt der Elternwille eine geringe Rolle. Es gibt vergleichbare Noten. Aber obwohl die Schüler gleich viel können, landet der eine auf dem Gymnasium - und zwar sechseinhalbmal häufiger - und der andere nicht.

Das relativiert natürlich die Leistungen am Gymnasium in Bayern. Bei allem Lob für das bayerische Gymnasium - in dieser Studie gibt es einen Zusammenhang zwischen relativ guten Leistungen in Deutsch am Gymnasium und einer niedrigen Bildungsbeteiligung am Gymnasium. Wer in einem Jahrgang in einer kleineren Klasse des Gymnasiums ist, erzielt bessere Leistungen. Ich muss sagen: Das ist kein so großer Erfolg.

Wenn das Gymnasium eine Schule ist, die Schülerinnen und Schüler zu guten Leistungen führt, dann ist es aber nicht okay, dass diese Schule vor allem den Kindern aus den unteren Schichten vorenthalten wird. Das ist soziale Segregation.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch beim Thema Migranten sind die bayerischen Ergebnisse nicht berauschend; denn da wird die soziale Schere ganz deutlich. Bayern hat im Bundesvergleich die größte Leistungstrennung zwischen den Schülern mit und ohne Migrationshintergrund. Der größte Abstand besteht im Kompetenzbereich Lesen. Es gelingt nicht, Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund in ihren Leistungen mitzunehmen und entsprechend zu fördern, damit sie den Leistungen der deutschen Schülerinnen und Schüler angemessen vergleichbar sind.

Jetzt wird wieder die frühkindliche Bildung beschworen. Sicher ist viel Richtiges daran. Es ist notwendig, mehr in die frühkindliche Bildung zu investieren. Wir warten darauf, was zu dem Thema kommt. Da braucht man kleinere Gruppen, bessere Fortbildung der Erzieher, Akademisierung der Erzieherausbildung. Es gibt schöne Worte, aber wenig Taten.

Die Studie zeigt auch: Man darf nicht bei der frühkindlichen Bildung stehen bleiben. Frau Gottstein, es ist falsch, zu glauben, dass nach der Kindergartenzeit alle Kinder gleich weit wären und in einer Kohorte durch das Schulsystem gebracht werden könnten. Die Bildungsstudien und die internationalen Ergebnisse gerade aus Ländern wie Kanada und USA zeigen deutlich, dass die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund auch in der Sekundarstufe I eine weitere sprachliche Begleitung - bei uns im Fach Deutsch - brauchen. Sie brauchen einen systematischen Deutschunterricht, wobei Deutsch Zweitsprache ist, um aufholen und die Ziele der deutschen Schüler erreichen zu können. Da ist noch viel zu tun. Da muss das Umdenken beginnen.