Sehr geehrter Herr Pfaffmann, wir haben uns schon daran gewöhnt, dass bei Ihnen in Reden die Worte Leistung und Qualität nicht vorkommen. Sehr schade ist allerdings, dass Sie nicht einmal erwähnen, dass für den Bildungserfolg die Bildungsmotivation der Familien und die Leistungsbereitschaft der Schüler mitentscheidend sind.
(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Was denn sonst? Muss man das denn immer betonen? Das ist eine Selbstverständlichkeit! Das muss man doch nicht immer betonen!)
Die Schüler und Eltern sind übrigens viel ehrlicher. In einer Allensbach-Umfrage bestätigten 70 % der befragten Eltern, dass ein Grund für schlechte Leistungen der Schüler auch zu viel Fernsehen und Computerspiele sind. Ich muss sagen: Die Eltern sind wesentlich ehrlicher als die Opposition im Bayerischen Landtag.
Wir haben eine gute Substanz, auf die wir zu Recht stolz sein können. Wir haben gute Ergebnisse erzielt, aber wir haben auch eine Reihe von Aufträgen der Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel die Verbesserung der Rahmenbedingungen, zum Beispiel auch an den Förderschulen.
Wir haben das große Thema Inklusion. Ich bin sehr, sehr froh, dass wir dieses große Thema, das uns noch lange begleiten wird, gemeinsam in der Interfraktionellen Arbeitsgruppe anpacken. Wir arbeiten selbstverständlich an der weiteren Verbesserung der Durchlässigkeit und an der Verbesserung der Chancengerechtigkeit. Wir sind auf einem guten Weg. Herr Pfaffmann, zuhören: Bildungspolitik ist eine Daueraufgabe,
weil die Schulen jedes Jahr Schülerinnen und Schüler bilden und erziehen und zu einem Abschluss führen wollen. Das wird eine Daueraufgabe bleiben.
Deswegen sind auch die Aufträge eine Daueraufgabe an uns, die Schulen, die Lehrer, die Eltern und die Schüler zu begleiten. Wir machen das. Wir gehen diese Aufträge konsequent und erfolgreich an. Ich bin mir sicher, dass wir hierzu die Zustimmung der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger haben.
Einen Moment, Herr Kollege Eisenreich, bleiben Sie bitte noch am Pult. Wir haben noch eine Zwischenbemerkung, angemeldet von Frau Kollegin Wild. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Eisenreich, Sie hatten gesagt, man sollte einmal etwas weg vom Gymnasium, man sollte einmal das Bildungssystem als Ganzes betrachten. Dann fange ich einmal von unten an und gehe zu einem Bereich, den Sie nur kurz am Rande erwähnt haben. Ich gehe zu den schulvorbereitenden Einrichtungen mit dem Förderschwerpunkt Sprache, Lernen, Verhaltensauffälligkeiten, also auf ein ganz breites Feld. Was sagen Sie denn dazu, dass man dort seit mindestens 20 Jahren ständig größere Gruppen aufbaut? Die Probleme der Kinder nehmen zu, während die Zweitkräfte weggefallen sind. Eine einzelne Heilpädagogin muss sich um ein riesiges Feld kümmern. Sie sprechen davon, dass alle die gleichen Chancen haben sollen. Sie wissen, dass gerade dort oft Kinder aus sozial schwächeren Familien mit diversen geballten Defiziten sind. Wo ist hier die Chancengerechtigkeit, die es eigentlich von unten kommend bräuchte, damit unten schon gefördert werden kann, damit der Weg hin zu den weiterführenden Schulen frei wird? Da kann man sehr viel machen. Was sagen Sie dazu?
Ich habe noch einen zweiten Punkt anzusprechen. Ich sage: Das A und O einer guten Bildungspolitik sind die Lehrer. Sie sagen, Individualität und individuelle Förderung sind für uns das oberste Gebot. Dem kann ich nur zustimmen. Inwieweit sind unsere Lehrkräfte darauf auch vorbereitet? Inwieweit haben sie hierfür Zeit zur Verfügung? Inwieweit haben sie auch den entsprechenden Input? Inwieweit sind sie in Lernpsychologie und Entwicklungspsychologie, in Diagnostik und fortlaufender Beobachtung geschult? Inwieweit haben sie die Möglichkeit, in so großen Klassen mit bis zu 28 Schülern die individuelle Förderung überhaupt zu gewährleisten? Das können sie nicht, weil die Zweitkräfte fehlen. Was sagen Sie dazu? Individualität ist nur mit einem ausgezeichneten Lehrer, in kleinen Gruppen und mit einer Zweitkraft möglich.
Ich glaube, ich habe in meinem Beitrag mehrfach erwähnt, dass die Verbesserung der Rahmenbedingungen eine Daueraufgabe ist. Ich möchte Ihnen aber auch sagen, dass wir diesen Auftrag nicht nur ernst nehmen, sondern dass wir auch ganz konkret viel Geld in die Hand genommen haben - sehen wir uns die letzten beiden Jahre an -: 2.700 zusätzliche Lehrerstellen im Doppelhaushalt 2009/2010 - das macht uns kein anderes Bundesland nach.
1.300 Lehrerstellen aus der demografischen Rendite, die im Bereich der Grund- und Hauptschule verblieben sind - auch das macht uns kein anderes Bundesland nach. Ich habe gesagt, dass wir darüber hinaus noch andere Aufgaben haben. Ich habe sogar die Förderschulen ausdrücklich erwähnt. Auch das ist ein Auftrag. Ich glaube aber, dass wir mit dem, was wir in den letzten beiden Jahren schon gemacht haben, einen wirklich großen Schritt gegangen sind. Natürlich müssen jetzt weitere Schritte folgen. Wir werden gemeinsam weiterhin an der Verwirklichung dieser Ziele arbeiten. Wir werden über diese Ziele im Bildungsausschuss immer wieder diskutieren. Für die Zuhörer sei gesagt: Im Bildungsausschuss sind die Diskussionen wesentlich pragmatischer und an der Sache orientierter als hier.
Nicht, dass Sie einen falschen Eindruck bekommen: Die Debatte heute ist ein großes Schaulaufen. Das ist auch in Ordnung so.
Herr Kollege Eisenreich, zwischenzeitlich hat sich Herr Kollege Dr. Goppel zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Darf ich Sie noch einmal an das Pult bitten? Herr Kollege Dr. Goppel, Sie haben das Wort.
Herr Kollege Eisenreich, die Alternative zu dem Vorschlag, den Sie gerade bekommen haben - Individualisierung der Unterrichtsentscheidung und ein paar Tausend Planstellen mehr - wird gerade in Nordrhein-Westfalen praktiziert. Dort wird kurzerhand eine Milliarde mehr Schulden gemacht, die den drei im Länderfinanzausgleich zahlenden und unionsgeführten Ländern Baden-Württemberg, Hessen und Bayern aufgeladen werden. Nordrhein-Westfalen sagt jetzt, man könne zum Beispiel auf Studienbeiträge verzichten. Auch alles andere könnte man dort finanziell aufbessern. Wenn ein Land solche Schlampereien als Maß vorgibt, sollte man mit den dortigen Kollegen aufräumen. Herr Kolle
Jetzt hat Frau Kollegin Eva Gottstein das Wort. Frau Kollegin, Sie sind etwas leidend und dürfen Ihre Teetasse mitnehmen.
(Von der Rednerin nicht autori- siert) Wenn Sie mich hören, werden Sie mir zugestehen, dass ich versuche, trotz meiner Krankheit zu reden. Ich tue das nicht, weil ich mich für unverzichtbar halte, sondern weil ich eine Optimistin bin. Selbstverständlich bin ich verzichtbar, wie jeder hier in diesem Raum. Ich habe aber gedacht, dass es mir heute schon besser gehen würde.
Die Überschrift der Regierungserklärung enthält die Begriffe Qualität, Differenzierung und Durchlässigkeit. Ich habe mich gefragt, was uns da heute erwartet möglicherweise ein Resümee "Zwei Jahre Kultusminister Dr. Spaenle" bzw. "Zwei Jahre Bildungspolitik der CSU und der FDP in Bayern" oder eine wissenschaftliche Zusammenfassung des Ländervergleichs 2009 unter besonderer Berücksichtigung der Sicht eines CSU-Politikers, der sich in einer Koalition mit der FDP befindet, unter Zuhilfenahme des Bildungsberichtes 2010.
Diese Ansatzpunkte wurden in dieser Regierungserklärung leider nur angerissen. Herr Minister, das war ein sehr enttäuschender Versuch. Die Qualität des Bildungsberichtes entspricht der wissenschaftlichen Zusammenstellung für ein Proseminar. Ihr leidenschaftlicher Vortrag dieser Zahlen hat zumindest die Hälfte dieses Hauses fast vom Hocker gerissen. Das habe ich nicht ganz verstanden. Ich fand diesen Vortrag relativ langweilig.
Herr Kollege Pfaffmann, Herr Kollege Eisenreich und auch der Kultusminister haben erklärt, dass eine Schulstrukturdebatte nicht benötigt würde. Diese Debatte wird aber geführt. Abgesehen von der Zwischenbemerkung der Frau Kollegin Wild habe ich heute nur gehört, dass die einen erklären, dieses Sys
tem sei gut, während die anderen sagen, dass ein anderes System noch besser wäre. Über die eigentlichen Probleme des Schulsystems ist heute nicht gesprochen worden.
Herr Kultusminister, Sie haben Ihre Regierungserklärung mit der Leitlinie "Qualität" begonnen und wunderbar formuliert "Qualität und Gerechtigkeit". Der Ländervergleich, den Sie heute immer wieder zitiert haben, enthält den Denkfehler, dass es dabei nur um die Kernkompetenzen in den Fächern Deutsch und Englisch geht. Darauf hat Herr Kollege Pfaffmann mit Recht hingewiesen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger. In diesem Ländervergleich werden keine naturwissenschaftlichen Kompetenzen geschweige denn weitere Schlüsselkompetenzen abgefragt. Unser Schulsystem besteht doch nicht nur aus den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik. Diese Schlüsselkompetenzen brauchen wir für das Leben, für die Wirtschaft und für das Studium. In diesem Ländervergleich ist auch nicht von der Wertevermittlung die Rede, die in den Schulen stattfinden muss. Gestern und heute läuft ein Prozess über U-Bahn-Gewalt in Bayern. Davon ist auch die Schule betroffen. Davon habe ich jedoch heute überhaupt noch nichts gehört.
Der zweite Denkfehler, auf den ebenfalls schon hingewiesen wurde, betrifft das Thema der fehlenden Bildungsgerechtigkeit. Sie sagen immer nur, dass Sie um dieses Problem wüssten, dass Änderungen notwendig seien und dass Änderungen vorgenommen würden. Das ist zu wenig. Es muss etwas passieren. In diesem Zusammenhang sprechen Sie immer von "der Opposition". Die Freien Wähler sind nicht für eine Einheitsschule bis zur zehnten Klasse. Wir lassen uns hier nicht mit den anderen Oppositions-Parteien in einen Topf werfen; denn die Einheitsschule ist auch kein Allheilmittel.
(Beifall bei den Freien Wählern - Simone Tolle (GRÜNE): Sagen Sie einmal, was Sie wollen! Das fände ich sehr interessant!)
- Das sagen wir immer wieder. Sie müssen einfach zuhören und sollten unsere Vorschläge nicht immer abtun.
Was in dieser Regierungserklärung völlig ignoriert wurde, ist der Zusammenhang mit der frühkindlichen Bildung. Diesem Thema ist von 21 Seiten gerade einmal eine Viertelseite gewidmet. Herr Kultusminister, es ist die Krux Ihres Hauses, dass die frühkindliche Bildung nicht Ihre Sache ist. Wir haben die schulische Bildung und die Hochschulbildung. Das Kind wird
aber geboren, wird ab diesem Zeitpunkt gebildet und geht dann in sein Leben hinein. Dann sollte es sich auch noch bilden lassen. Bei Ihnen beginnt das Kind erst mit dem Stichtag der Einschulung. Dass das Kind bereits vorher mit dem Bade bzw. mit der frühkindlichen Bildung ausgeschüttet worden ist, negieren Sie völlig.
Wir haben ein KiDZ-Modell für den Kindergarten der Zukunft. Wir haben die entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen. Wir haben den gesunden Menschenverstand. Bereits an dem Tag, an dem das Kind in die Schule kommt, muss die Chancengleichheit hergestellt sein. Das ist bei uns nicht der Fall. Damit beginnt das Problem, dass die Schulen in großen Teilen ein Reparaturbetrieb sind. Wir sollten bei der Stunde Null des Schulbeginns gleichberechtigte Schüler haben. Die Bildungsnähe des Elternhauses wird selbstverständlich immer eine Rolle spielen. Hier muss jedoch eingegriffen werden, bevor es zu spät ist. Das tun wir leider immer noch nicht.
Herr Kultusminister, Sie haben auf einer halben von Ihren 21 Seiten die große Bedeutung des Lehrpersonals hervorgehoben und sich bei diesem Personal bedankt. Alle Studien bezeugen, dass der Bildungserfolg in erster Linie von der Qualität der unterrichtenden Lehrer abhängig ist. Natürlich haben wir gut ausgebildete Lehrer. Es ist das Mindeste, dass Sie als Dienstherr diesen Leuten Ihren Dank aussprechen. Wir haben motivierte Lehrer, die immer noch mehr tun, obwohl sie bereits an ihrer Grenze sind. Wir müssen es einmal zur Kenntnis nehmen: Wir haben Lehrer, die völlig allein gelassen werden. Sprechen Sie einmal mit diesen Leuten. Sie bekommen Mehrarbeit bis zum Gehtnichtmehr aufgebrummt.
Dieser Berufsstand erfährt immer noch sehr wenig Anerkennung. Dagegen hilft auch ein Kultusministerielles Schreiben nichts. Das Arbeitszeitkonto ist den Lehrern vor einigen Jahren reingewürgt worden. Die Lehrer schlucken das schon. Sie haben es auch geschluckt. Bei der Fortbildung kommt jede Schule in einen Gewissenskonflikt, weil bei uns Fortbildung immer mit Unterrichtsausfall gekoppelt ist. Wenn man einen Lehrer zur Fortbildung schickt, muss man Unterricht ausfallen lassen. Das ist das Problem. In den unterrichtsfreien Zeiten haben wir nicht so viele Möglichkeiten. Die Zahl der Mobilen Reserven reicht immer noch nicht aus. An den Realschulen, den Gymnasien und den Berufsschulen gibt es überhaupt keine Mobilen Reserven. Jeder kranke Lehrer ist für den Schulleiter ein Problem. Dieses Problem wird hier vernachlässigt.
Für zusätzliche Elternarbeit wurde keine Zeit eingeplant. Die Elternarbeit ist immens wichtig. Je bildungsferner ein Elternhaus ist, desto mehr muss es an die Schule herangeholt werden. Die Schule muss zu den Elternhäusern hinausgehen. Das soll offenbar nebenbei gemacht werden, am letzten Schultag oder beim Sommerfest, wo man den Eltern klarmachen muss, warum kein Alkohol ausgeschenkt wird.