Protocol of the Session on July 14, 2010

Die Versorgung der Asylbewerber mit Gutscheinen fördert vielleicht auch den Alltagskontakt mit der Bevölkerung. Damit könnte vielleicht verhindert werden, dass die Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften jahrelang in Isolation und ohne unmittelbaren Kontakt zur Außenwelt leben. Das ist die Realität. Das muss man insgesamt verändern. Bei den Asylbewerbern muss das Prinzip "Selbsthilfe vor Hilfe" gelten, damit eine Versorgungsmentalität vermieden wird. Die Rahmenbedingungen sollten wir insgesamt verändern und die Eigenverantwortung der Asylbewerber insgesamt fördern.

Dazu werden wir im Herbst Anträge stellen. Wie bei dem Leverkusener Modell sollte auch hier ein Modellversuch gemacht werden. Das könnten Sie, Frau Meyer von der FDP, auch einmal fordern. Es liegt auch in Ihrem Interesse, da weiterzukommen.

Zu den Mindeststandards ist zu sagen, dass es inzwischen vom Sozialministerium Leitlinien gibt, die am 1. April in Kraft getreten sind. Diese bringen zwar eine Besserung des vorherigen Zustands - das ist klar -, aber hier muss noch vieles verändert werden. In den Richtlinien steht zum Beispiel, dass in einem Raum maximal sechs Personen untergebracht werden können. Wir halten das für zu viel. Wir halten die Belegung mit maximal vier Personen für richtig. Je mehr Personen man unterbringt, desto eher kommt es zu sozialen Konflikten. Kleine Gruppengrößen sind hier viel besser und wirken sich positiv auf das Klima in einer Gemeinschaftsunterkunft aus. Sie bringen dem Betreiber weniger Probleme.

Das Gesetz steht unter dem Finanzierungsvorbehalt. Aber Menschenwürde und elementare menschliche Bedürfnisse dürfen nach unserer Meinung nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Ich nehme auch Bezug auf die Frage, ob man keine Dusche braucht oder eine Dusche für 60 Personen ausreichen soll. Man müsste es einmal ausprobieren, wie es funktioniert, wenn sich 60 Personen eine Dusche teilen sollen. Jedenfalls ist das eine mangelhafte Situation.

Die Qualität einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit den Schwächsten und mit Minderheiten umgeht.

Andere Gesetzentwürfe werfen ähnliche Probleme auf. In dem Entwurf der GRÜNEN steht etwas über Bargeldleistungen. Darüber kann man sicherlich diskutieren. In einigen Bundesländern gibt es so etwas schon; danach haben wir uns erkundigt. Aber bezüglich der Erfahrungswerte bei Bargeldleistungen haben einige von uns Probleme. Vielleicht besteht eine Missbrauchsgefahr. Einige Bundesländer haben diese Leistungen bereits, aber das kann für uns nicht repräsentativ sein.

Im Gesetzentwurf der SPD steht, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften maximal ein Jahr dauern darf. Aber beim genauen Lesen des Entwurfs muss man den Eindruck bekommen, dass die Leute sofort aus den Gemeinschaftsunterkünften wieder ausziehen sollen. Jedenfalls ist uns diese Sache noch nicht ganz klar. Die SPD möchte eine volle Kostenübernahme für Miete, Unterkunft, Heizung und Grundsicherung haben. In Leverkusen wird ein zwanzigprozentiger Abschlag vorgenommen. Dieser wird akzeptiert. Darüber kann man zumindest diskutieren.

Die Freien Wähler wollen, dass jemand, der in Deutschland jahrelang gearbeitet hat, finanziell besser gestellt wird als jemand, der hinzuzieht.

Unser Gesetzentwurf spart zum einen Kosten ein. Er fördert die regionale Wirtschaft. Er wird dazu führen, dass sich die Situation der Asylbewerber insgesamt verbessert. Wenn man es schafft, die Situation von Menschen zu verbessern - wir sparen dabei auch Kosten und fördern die regionale Wirtschaft -, dann müsste ein solcher Gesetzentwurf doch auch für Sie eine Alternative sein, über die nachgedacht werden sollte.

Wir haben uns natürlich auch mit Ihrem Gesetzentwurf insgesamt beschäftigt. Der Bayerische Flüchtlingsrat bezeichnete den Asylkompromiss als empörend. Aber ganz so empörend finde ich ihn nicht. Mit ihm ist zumindest ein kleiner Fortschritt erzielt worden. Mit ihm ist Bewegung gekommen, sicherlich auch durch die Bemühung der FDP; dies ist uns bewusst. Aber das ist zu wenig. Der Bayerische Flüchtlingsrat sagt, dass die CSU und die FDP mit dem Kompromiss nur die Probleme der Koalition lösen, nicht aber die Probleme der Flüchtlinge. Ich glaube, das trifft den Kern.

Frau Meyer, Sie haben am 19. Mai einen weiteren Antrag eingebracht. Sein Thema ist der kontinuierliche Abbau von Belastungen durch Asylbewerber. Das heißt: Es hatte Ihnen bisher nicht gereicht; sonst hätten Sie nicht am 19. Mai nachgezogen. Aus gut unterrichteten Kreisen haben wir gehört, dass die schwarzgelbe Koalition in dieser Frage Anfang Mai sogar am Kippen war. Aus diesem Grund muss die FDP natürlich immer noch nachlegen, um ihr Gesicht nicht zu verlieren.

Hinsichtlich des Finanzierungsvorbehalts zitiere ich jetzt den augenblicklich nicht anwesenden Finanzexperten der FDP, Karsten Klein. Was er sagte, steht im "Münchner Merkur" vom 7. Mai 2010:

Unter solchen Bedingungen könne man das politische Handeln der Fraktionen ganz einstellen, schäumte der Finanzexperte der FDP, Karsten Klein.

Oliver Jörg, der jetzt leider auch noch nicht da ist, bezeichnete den Zustand als Kompromiss. Er sagte ganz klar - das steht auch in Ihrem Entwurf -, dass die Frist von vier Jahren für die private Wohnsitznahme natürlich viel zu hoch ist. Genau das ist das Problem. Viele in der CSU sehen das und sagen es auch. Bei Ihnen gibt es da verschiedene Strömungen, und es haben sich diejenigen durchgesetzt, die für die vier Jahre eingetreten sind. Wenn Flüchtlinge erst vier Jahre nach Abschluss des Asylverfahrens ausziehen

dürfen, dann werden daraus in der Regel sechs bis acht Jahre. Zwar dauern die Verfahren laut Statistik des Innenministeriums 7,1 Monate, das resultiert aber daraus, dass besonders Flüchtlinge aus Somalia und Christen aus dem Irak schon nach wenigen Wochen als Asylberechtigte anerkannt werden. Alle anderen Verfahren dauern viel länger, sodass die Menschen lange in den meist menschenunwürdigen Sammellagern bleiben.

Die Ausnahmeregelungen sind zu eng gefasst. Es handelt sich natürlich um einen Kompromiss; das ist klar. Familien und Alleinerziehende dürfen heraus, allerdings nicht, wenn sie straffällig geworden sind. Wenn die Leute zum Beispiel die Residenzpflicht verletzt haben - das ist eine Straftat -, dann dürfen sie nicht heraus.

Aber warum gilt das nicht für unbegleitete Flüchtlinge? Während Kinder, die mit ihren Eltern hierher gekommen sind, in Wohnungen umziehen dürfen, lässt man das nicht für 16- und 17-jährige Flüchtlinge gelten, die sich zu uns allein durchgeschlagen haben. Dies sind oft gerade die problematischen Fälle.

Was Frau Ackermann angesprochen hat, verstehen auch wir nicht. Die Regelung soll nicht für Schwangere gelten. Die Einzelfallregelungen für Schwangere verstehen wir überhaupt nicht. Entweder ist man schwanger, oder man ist es eben nicht. Bitte erklären Sie mir einmal, warum Sie für Schwangere eine Einzelfallprüfung haben wollen und wie diese Prüfung dann konkret aussieht. Hier liegt ein Schwachpunkt. Die Regelung wird, wie wir gelesen haben, von einigen von Ihnen aber befürwortet.

Die neuen Leitlinien für die Unterbringung sind ein gewisser Fortschritt. Uns fällt auf, dass für die Erstaufnahme in der Einrichtung keine Verbesserungen vorgesehen sind. Aber gerade die von der Flucht erschöpften Neuankömmlinge werden hier untergebracht. Sie können sich nicht in Ruhe auf die Anhörung vorbereiten. Die Leitlinien müssten also auf die Erstaufnahme in der Einrichtung erweitert werden.

Weder Sozialpolitiker der CSU noch die der FDP finden diesen Antrag zielführend. Warum sollen wir von den Freien Wählern, wenn es schon innerhalb Ihrer Koalition so viele Kritikpunkte gibt, zustimmen? Denn die Punkte, die uns wesentlich sind, sind da nicht drin.

Interessant ist die Frage: Spricht Frau Haderthauer oder der Innenminister? Es geht nämlich um die Frage: Ist die bayerische Asylpolitik so, dass man die Ausreisebereitschaft fördern will? Da wollte Frau Haderthauer etwas streichen, aber das durfte sie nicht, obwohl schon die Hälfte der Flüchtlinge hier legal lebt.

Deshalb können und werden wir dem Gesetzentwurf der CSU und der FDP leider nicht zustimmen.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Für die SPDFraktion darf ich die Kollegin Angelika Weikert ans Mikrofon bitten.

Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich zu unserem Gesetzentwurf komme, mache ich einige grundsätzliche Bemerkungen zum Themenkomplex "Asyl und Flüchtlinge". Dieses Thema verdient es, über den Tellerrand hinauszublicken.

Nach einer Untersuchung des UNHCR waren im Jahr 2009 weltweit mehr als 43 Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten Flüchtlinge schaffen nur den Weg in den an ihr eigenes Krisengebiet angrenzenden Staat. Meist handelt es sich dabei um Staaten, in denen Menschen unter extremer Armut leiden. Die ärmsten Staaten sind mit den größten Flüchtlingsproblemen konfrontiert. Diese Staaten haben überhaupt keine Chance, sich zu überlegen, wie sie Flüchtlinge aufnehmen. Die Flüchtlinge sind einfach da, und mit ihnen muss das Wenige geteilt werden. Diese Staaten - das ist ein allgemeiner Appell an alle politisch Verantwortlichen hier - brauchen bei der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik viel mehr internationale Hilfe als bisher.

Nach Europa kamen im Jahr 2009 circa 250.000 Flüchtlinge. Nach Deutschland kamen 2009 circa 30.000 Menschen. Fluchtziel ist, wenn man sich das überhaupt aussuchen kann - das ist nur in begrenztem Maße der Fall -, nicht in erster Linie Deutschland, Fluchtziel ist häufig Europa. Das Thema "Flucht und Asyl" ist ein globales und ein europäisches Thema. Wie bereits ausgeführt, sind Europa, Deutschland und damit auch Bayern nur mit einem geringen Teil der Probleme konfrontiert. In Europa wird an einer Harmonisierung der Flüchtlingspolitik gearbeitet. Ich bitte die politisch Verantwortlichen hier in Bayern, diese Politik zu unterstützen. Gerade bei den zurückliegenden Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union hat die Praxis der Aufnahme von Asylbewerbern eine große Rolle gespielt.

Wir entscheiden heute über das bayerische Aufnahmegesetz, also über die bayerische Asylpraxis. Den Hintergrund für das Aufnahmegesetz bilden Gesetze und Verordnungen auf Bundesebene, die in den letzten Jahren gesellschaftlich breit diskutiert wurden und die stark umstritten waren. Ich nenne einige Stichworte: Asylkompromiss, Zuwanderungsgesetz, Asylverfahrensgesetz. Ich darf an dieser Stelle daran erinnern, dass alle hier im Landtag vertretenen Parteien mit Ausnahme der Freien Wähler - die gab es damals

noch nicht - in unterschiedlichen Koalitionen an der Herausbildung der in Deutschland geübten Asylpraxis mitgewirkt haben. Hintergrund ist auch das Grundrecht auf Asyl. Dieses Recht - ich bitte Sie, das nicht zu vergessen - hat Verfassungsrang. Wir Sozialdemokraten werden dieses Grundrecht auf Asyl schon aufgrund unserer eigenen Geschichte immer verteidigen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Wir haben das Recht auf Asyl ausgeweitet. So haben wir zum Beispiel die geschlechtsspezifische Verfolgung als weiteren Anerkennungsgrund aufgenommen. Hintergrund für die bayerische Asylpraxis ist aber auch die Genfer Flüchtlingskonvention, der sich auch Bayern verpflichtet fühlt und die es verbietet, dass Menschen abgeschoben werden, denen der Entzug der Freiheit oder gar der Tod drohen. Hintergrund ist weiterhin die Europäische Menschenrechtskonvention, die als sogenannter subsidiärer Schutz Flüchtlinge vor Abschiebung schützt. Vor diesem Hintergrund entscheiden wir heute über die Asylpraxis in Bayern.

Für uns Sozialdemokraten ist das oberste Ziel der Asylpraxis in Bayern, dass die Menschen, die bei uns Schutz und Hilfe suchen, ihre Rechte, die ich aufgezeigt habe, uneingeschränkt und selbstbestimmt wahrnehmen können. Es geht um Rechte, nicht um Hilfeleistungen. Jeder Flüchtling muss seine Fluchtgründe der zuständigen Behörde - und zwar nur der zuständigen Behörde, nicht der Ausländerbehörde ohne Einschränkungen darlegen können. Die zuständige Behörde ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Ich kann Ihnen, verehrte Abgeordnete der CSU - da nehme ich jetzt die Freien Wähler und die FDP aus; die waren damals noch nicht im Landtag - einen Vorwurf nicht ersparen. Es geht um die Geisteshaltung, die zu diesem Thema in Bayern vorherrscht. Diese Geisteshaltung war - ich fürchte, sie ist es immer noch - von folgendem Grundgedanken - ich formuliere jetzt etwas salopp - geprägt: Wir machen den Menschen, die zu uns kommen, den Aufenthalt so unangenehm wie möglich, damit sie schnell wieder das Land verlassen. - Diese Praxis ist beschämend für das Land Bayern, sie ist unmenschlich und widerspricht an manchen Stellen internationalen Standards.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜ- NEN)

Die Praxis war aber auch auf der ganzen Linie erfolglos. Trotz eines vom Innenministerium eingerichteten Ausreisezentrums in Zirndorf ließ sich die Rückkehrquote nicht steigern. Die Menschen sind trotz widriger Bedingungen über viele Jahre hiergeblieben. Das

Land Bayern hat viel Zeit und Geld verschenkt und Chancen vertan, anstatt die Menschen hier zu integrieren.

(Beifall bei der SPD)

Jahre später mussten die Menschen doch integriert werden. So hat letztlich der in dieser Sache sehr harte Innenminister Günther Beckstein seinen Widerstand gegen eine von der Innenministerkonferenz vorgelegte Bleiberechtsregelung aufgeben müssen. Nach einem jahrelangen Tauziehen wurde der Aufenthalt für langjährig hier lebende Flüchtlinge legalisiert. Leider wurden viele Jahre, die für Integrationsmaßnahmen hätten genutzt werden können, vergeudet. Sie haben mit dieser Praxis auch viel Geld falsch investiert. Sie haben Geld in die Stacheldrähte in Zirndorf statt in Integrationsmaßnahmen für Flüchtlinge investiert. Die Flüchtlinge sind durchaus bereit, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, wenn das Land Bayern ihnen die entsprechenden Rahmenbedingungen bietet, das heißt, wenn die Behörden eine Arbeitserlaubnis erteilen, Zugang zu Bildung verschaffen und ihnen entsprechende Unterkünfte anbieten.

Das Thema Asyl ist nicht statisch, sondern es ist einem ständigen Wandel unterworfen. Ich würde gerne eine Statistik an die Wand projizieren, aber das ist hier nicht möglich. Deswegen lese ich die Zahlen vor. Die Quelle für diese Zahlen ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Im Jahr 2003 bekamen circa 13 Prozent aller Flüchtlinge den Flüchtlingsstatus, also Asyl, den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder den subsidiären Schutz, und damit das Aufenthaltsrecht. Im Jahr 2009 - es handelt sich also um ganz neue Zahlen - erhielten den Flüchtlingsschutz annähernd 50 Prozent aller in Bayern eintreffenden Flüchtlinge. Diese Zahl hängt davon ab, wie man die Statistik interpretiert, aber mit den Flüchtlingen, denen die Härtefallkommission den Verbleib gestattet, kommt man auf annähernd 50 Prozent.

Die Top-Ten-Liste der Herkunftsländer - meine Angaben sind ganz aktuell; ich war gerade noch einmal auf der Webseite des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge und habe mir die Zahlen angeschaut wird von den Ländern Irak, Afghanistan und Iran angeführt. Das sind Länder, in die man nicht abschiebt, nicht einmal Bayern. Das heißt wiederum, dass die hier ankommenden Flüchtlinge möglichst rasch Zugang zu Bildung, Arbeit und einer verträglichen Unterkunft brauchen und wir möglichst schnell mit Integrationsmaßnahmen reagieren müssen. Die Flüchtlinge werden lange bleiben. Deshalb sollten wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.

Vor dem Hintergrund der sich wandelnden Flüchtlingspolitik muss auch dieser Gesetzentwurf beleuchtet werden. Nun zu unserem Gesetzentwurf: Der Einbringung des Gesetzentwurfs ging eine Anhörung voraus, die im April 2009 stattgefunden hat. Die Ergebnisse dieser Anhörung waren für das Land Bayern schlicht und einfach beschämend. Ich glaube nicht, dass Sie, Frau Sozialministerin Haderthauer, sich während des Interviews, das Sie abends in den "Tagesthemen" geben mussten und in dem Bayern vorgeführt wurde, wohlgefühlt haben. Die schlechte Aufnahmepraxis in Bayern ist wirklich bis zu den "Tagesthemen" gedrungen. Sie mussten sich gegen massive Vorwürfe verteidigen. Allen im sozialpolitischen Ausschuss war klar, dass sich etwas ändern muss.

Ich will Ihnen zunächst deutlich machen, was die SPD will. Wir wollen zunächst einmal eine größere Offenheit gegenüber der Themenstellung, eine Abkehr von der Praxis, Flüchtlinge möglichst schnell wieder zurückzuführen. Ich habe anhand der Zahlen und der internationalen Verpflichtungen verdeutlicht - wir müssen uns auch an das europäische Recht halten -, dass wir mindestens europäische Standards einhalten müssen. Bayern könnte in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir wollen die Umkehr der Regel im bisherigen Aufnahmegesetz. Die Regel ist die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften. Wir wollen die Unterbringung in eigenen Wohnungen zur Regel machen. Wir wollen damit die Selbstständigkeit der Menschen stärken, und wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Wir wollen die Menschen nicht zu Hilfeempfängern degradieren und mit Essenspaketen versorgen, die sie sich aus bunten Bildern zusammenstellen können. Wir wissen aber auch, dass wir auch in Zukunft Gemeinschaftsunterkünfte brauchen werden. Es wäre eine Illusion, zu glauben, man könnte diese sofort abschaffen. Deshalb haben wir in unserem Gesetzentwurf die Dauer des Aufenthalts auf maximal ein Jahr festgelegt.

Solange es diese Gemeinschaftsunterkünfte gibt, brauchen sie Mindeststandards. Diese Mindeststandards haben wir festgelegt. Davon war jetzt schon die Rede, etwa von der Größe der Räume, der Anzahl der sanitären Einrichtungen, von abgeschlossenen Bereichen, vor allem für Familien mit Kindern. Ganz wichtig sind uns auch der Bildungszugang und die Möglichkeit, Hausaufgaben in der Gemeinschaftsunterkunft zu machen und die Kinder sofort in unser Schulsystem zu integrieren. Wir brauchen geeignete Objekte, in denen Personen mit besonderer Schutzbedürftigkeit leben und besonders betreut werden. Das sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge; dazu könnte ich eine ganze Latte erzählen. Wir brauchen

natürlich auch Unterkünfte für traumatisierte Flüchtlinge. Wir haben die schutzbedürftigen Personengruppen in unserem Gesetzentwurf aufgelistet.

Wir wollen, dass alle Flüchtlinge schnell aus der Gemeinschaftsunterkunft herauskommen, eine Arbeitserlaubnis bekommen und in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu gestalten. Ich erinnere nochmals daran, dass sich die Zahl derer, die sofort einen Flüchtlingsstatus bekommen, relativ erhöht hat. Wir hatten im Ausschuss eine sehr lange und intensive Diskussion darüber. Die Mitglieder des sozialpolitischen Ausschusses, die heute da sind, können sich sicher noch daran erinnern. Das Ergebnis des Koalitionskompromisses wird jetzt im Anschluss an diese Rede in einem Antrag, der zu den Gesetzentwürfen gehört, nochmals vorgetragen.

Ich will abschließend zur Diskussion im sozialpolitischen Ausschuss Folgendes sagen: Wir haben das Bemühen schon erkannt - da spreche ich Sie, Frau Meyer, an -, dass man sich dieser Problematik stärker annehmen will. Das ist der Anhörung und all denen zu verdanken, die sich daran beteiligt haben, das Thema mehr an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen, weil es leider kaum beachtet wurde.

Sie werden mit dem Kompromiss, den Sie erreicht haben, dem wir aber natürlich nicht zustimmen können, weil wir eigene Vorstellungen dagegen setzen, noch viel Ärger haben. Der Ärger fängt erst an. Ich habe mich in den letzten Wochen zum einen in Bezug auf die Ausstattung der Standards ein bisschen umgehört. Ich habe auch mit Wohlfahrtsverbänden darüber geredet, wie es bei ihnen in den Gemeinschaftsunterkünften aussieht, ob die Leitlinien, die wir im Ausschuss verteilt haben, erfüllt werden. Ich sage Ihnen voraus, auch Ihnen, Frau Sozialministerin, es wird in den Doppelhaushalt eine ganze Menge Geld eingestellt werden müssen, wenn diese Leitlinien in allen bestehenden Einrichtungen tatsächlich umgesetzt werden. Dieses wird ein wesentliches Thema sein.

Aber es geht noch viel weiter: Meine Vorredner haben zum Teil schon darauf hingewiesen, dass Sie in Ihrem Antrag sehr unbestimmte Begriffsbestimmungen zugrunde gelegt haben. Meine Forschungsarbeit hat ergeben, dass bei diesen Fragen die Diskussion erst richtig anfängt: Wer ist zum Beispiel ein Straftäter? Diese Frage haben Sie nämlich ausgenommen. Ist ein Straftäter jemand, der einmal schwarz gefahren ist oder gegen die unsinnige Residenzpflicht verstoßen hat? Ist derjenige schon ein Straffälliger, der nicht heraus darf? Wo fängt diese Straffälligkeit an? Da gibt es eine Menge Fragen, die auf Sie noch zukommen

werden. Das wird für diejenigen, die da etwas verbessern wollen, alles andere einfach.