Bernd Weiß
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Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Aiwanger, ich habe mich heute Morgen über den Antrag eigentlich sehr gefreut, nicht nur für die Menschen in meiner Region, sondern auch weil mir der Inhalt vertraut vorkam. Ich habe mir gedacht: Sie haben meine Rede von vor sechs Wochen abgeschrieben.
Man muss das, was ich damals in diesem Hause gesagt habe, allerdings auch ein bisschen verstehen. Ich kann nicht ganz so stehen lassen, was Sie daraus gemacht haben.
Was trifft den Kern? Die Zukunftssorgen der Menschen sind das, wo es in der Region brennt. Was man aus dem, was ich vor sechs Wochen gesagt habe, nicht machen darf, ist eine fundamentale Kapitalismuskritik. Es gibt ja Reden in einer Richtung, wo es heißt: Siemens macht als Konzern insgesamt zwei Milliarden Euro Gewinn; da darf man nicht solche betriebswirtschaftlichen Maßnahmen einleiten, wie sie in Rede stehen. Aber ein Betrieb muss, wenn es irgend geht, in jeder Sparte Gewinn machen. Das ist Aufgabe des Managements.
Der wahre Kern des Antrags liegt in Folgendem: Ein Konzern wie Siemens wird immer zusehen, wo er seine Leistungen am günstigsten produziert. In diesem Zusammenhang halte ich die Ausdrücke "bestehende Produktlinien" und "neue Produktlinien" für wichtig. Ich hätte mich gefreut, wenn Sie auch die Regionalverträglichkeit genannt hätten; denn es geht wirklich um die Verträglichkeit in der Region.
Ein Konzern wie Siemens lebt nicht nur davon, dass er ältere Produkte ein Leben lang um den Globus schiebt, bis er irgendwann den günstigsten Standort erwischt
hat, sondern auch davon, dass in diesem Konzern jeden Tag etwas Neues erfunden wird. Wer zum Standort Deutschland steht, muss, wenn er alte Produktlinien verlagert, dafür sorgen, dass er die Produktionsanlagen in Deutschland und vor allem die gut ausgebildeten Menschen meiner Region mit neuer Arbeit versorgt. Man kann erwarten, dass die Politik in diese Kerbe schlägt. Das wäre realistisch. In diesem Sinne möchte ich den Antrag verstehen.
Was die Aufforderung an die Staatsregierung angeht, das Ihre mit dem größtmöglichen Nachdruck zu tun, so sage ich: Ich habe erlebt, dass der Wirtschaftsminister am Ort war. Ich habe in dieser Hinsicht Kontakt zur Staatsregierung, auch zum Ministerpräsidenten. Ich habe schon neulich gesagt: Es hilft den Menschen in meiner Region überhaupt nicht, wenn jedes Wort, das in der Öffentlichkeit gesagt wird, auf die Goldwaage gelegt wird.
Die Politik muss sich schon daran messen lassen, dass mit dem Hebel, über den sie verfügt, auf Siemens eingewirkt wird. Ich habe feststellen können, dass der Wirtschaftsminister und die Staatsregierung insgesamt dies tun werden.
Trotzdem bin ich dankbar, dass der Landtag das Thema noch einmal aufgreift. Denn man kann jede nur mögliche Unterstützung für die Region mit Dankbarkeit annehmen. - Wir werden dem Antrag zustimmen.
Man soll doch die Kirche im Dorf lassen. Sie haben die Sitzung soeben erst wieder eröffnet, Frau Präsidentin.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Für die Menschen in meiner Heimat, mich selbst eingeschlos sen, war die Ankündigung in der letzten Woche, dass die Firma Siemens in Bad Neustadt 840 Stellen abbau en will, ein Schock. Das gilt für die 240 konjunkturell bedingt abgebauten Arbeitsplätze ebenso wie für 600 Arbeitsplätze, die strukturell abgebaut werden sollen, also Arbeitsplätze, die selbst bei besserer Konjunktur lage, falls das so zum Tragen käme, nicht wiederkom men.
Ich will damit die 300, die in Erlangen betroffen sind, nicht klein reden, aber ich spreche an dieser Stelle na türlich in erster Linie für Bad Neustadt und die Region Rhön-Grabfeld, einen sehr ländlichen Raum, der die Hauptlast dieser Abbaumaßnahmen zu tragen hat.
Die Menschen bei mir zu Hause fühlen sich im Moment noch bei der Politik aufgehoben. Sie fühlen, dass die Politik an ihrer Seite steht. Wir haben uns sehr schnell darauf verständigt, zu reagieren. Wir dürfen dieses Ver
trauen der Menschen in meiner Region nicht enttäu schen.
Ich will die Folgen, die für die Region anstehen, ganz kurz beschreiben: Die Firma Siemens, seit Jahrzehn ten, genau gesagt bereits seit den Zwanzigerjahren, in der Region ansässig, hat bei uns gut bezahlte Indust riearbeitsplätze bereitgestellt. Das mag für andere Re gionen weniger von Bedeutung sein, etwa für Ballungs räume, in denen ein breites gut bezahltes Arbeitsplatzangebot zur Verfügung steht. In der Rhön, vor allem in den Landkreisen Bad Kissingen und RhönGrabfeld, sind solche Arbeitsplätze eine Quelle des Wohlstands. Dort haben auch einfach qualifizierte Men schen Arbeit, Lohn und Brot gefunden. Sie hatten und haben nach wie vor ein gutes Auskommen. Es haben sich ganze familiäre Traditionen gebildet, in deren Rah men über drei oder vier Generationen hinweg die Men schen bei "der Siemens", wie es da heißt, gearbeitet haben.
Wenn diese Industriearbeitsplätze wegfallen, dann be deutet das nicht nur für die Menschen, die akut arbeits los werden, ein Problem, sondern das bedeutet vor allem für den ländlichen Raum, für die Gegend, aus der ich komme, ein strukturelles Problem. Die Arbeitsplät ze, die weg sind, können auch durch junge Menschen nicht mehr nachbesetzt werden. Es fallen Ausbildungs stellen weg. Die Chancen für die Jugend gehen verlo ren, selbst wenn die Arbeitsplätze aller akut Betroffenen sozial verträglich abgebaut werden könnten. Abwande rung wird die Folge sein. Die Folgen für Anschlussar beitsstellen, für Dienstleister, für Zulieferer, für Hand werk und Gewerbe, für die ganze Kaufkraft, die verloren geht, brauche ich niemandem zu beschreiben, der selbst aus einer ländlichen Region kommt. Die Auswir kungen dieses Arbeitsplatzabbaues sind im Kreis Rhön-Grabfeld bezüglich der sozialversicherten Ar beitsplätze sechsmal so hoch, wie sie beispielsweise bei Quelle in Fürth der Fall gewesen sind.
Meine Damen und Herren, bei aller Betroffenheit, die bei mir in der Region herrscht, muss ich sagen, dass die Diskussion um das Verhalten von Unternehmen, auch die Diskussion um Industriestandorte ungeheuer populismusanfällig ist. Ich will jetzt hier nicht in das Horn stoßen, dass gierige Unternehmen und Manager wie Heuschrecken über Land gehen und Arbeitsplätze aus Kostengründen abbauen und verlagern.
- Nein, das wäre eben nicht angebracht, weil damit den Menschen in meiner Region, Kollegin Tolle, nicht geh olfen ist.
Im Übrigen, das eine Beispiel sei schon erlaubt, wenn ich von "populismusanfällig" spreche: Wenn heutzuta ge über Manager, über Unternehmenskultur, über das Verhalten von Unternehmen geredet wird, stelle ich in der politischen Debatte fest - das muss man an dieser Stelle auch einmal sehr deutlich sagen -, dass die Leute nicht wissen, wovon sie reden.
Ich nenne Ihnen als Beispiel die Forderung, Manager gehälter an den Unternehmenserfolg zu koppeln. Wer das fordert - das haben fast alle Parteien, da will ich gar niemanden in Schutz nehmen, zum Beispiel vor der Bundestagswahl gefordert -, der muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass praktisch jeder zu gestimmt hat, als wir vor ein paar Jahren in der Bilanz richtlinie bei der Wirtschaft IFRS-Standards eingeführt haben, und dass man einen langfristigen Unterneh menserfolg bei einer Tageswertbilanz gar nicht mehr wirklich messen kann.
Also, wer solche Dinge einfach so in den Raum stellt, mag vielleicht im ersten Moment die Menschen auf die Bäume treiben, er zeigt aber schlicht und einfach, dass er gar nicht weiß, wovon er spricht.
Wenn wir für die Region nach Hilfe rufen - und das tun wir quer durch die politischen Ebenen und, soweit ich das überblicke, auch quer durch die Parteien -, dann müssen wir drei Ziele im Auge haben, zwar abgestuft, aber alle drei gleichzeitig.
Ich habe Ihnen beschrieben, was in einer solchen Re gion passiert, wenn Arbeitsplätze dauerhaft weggehen. Das erste und wichtigste Ziel muss sein, möglichst viele Arbeitsplätze in dieser Region zu halten, also möglichst viele dieser 840 Arbeitsplätze von der Streichliste wie der herunterzuholen.
Wenn wir von strukturellen Produktionsverlagerungen, beispielsweise dieser Niederspannungsmotoren spre chen, die in Zukunft in Tschechien produziert werden sollen, dann mag das eine unternehmerische Entschei dung der Firma Siemens sein. Eines wollen wir nicht vergessen, auch wenn Siemens im ersten Quartal einen Gewinn von zwei Milliarden ausgewiesen hat. Das Unternehmen ist dazu da, Gewinn zu machen, und es ist eine unternehmerische Entscheidung, was wo produziert wird. Nur - insoweit ist die Politik gefragt Siemens ist ein großer Konzern, der Produktlinien im Portfolio hat, die durchaus auch nach Bad Neustadt verlagert werden könnten, um dort zukunftsfähige Ar beitsplätze zu erhalten. Das ist die Einfallstelle der Po litik. Wir fordern daher mit unserem Antrag die Staats regierung auf, bei der Konzernleitung in gleicher
Augenhöhe nachzufassen und so viele Arbeitsplätze wie möglich in Bad Neustadt zu halten und zukunftsfä hig zu machen.
Das zweite Ziel ist es, für die Arbeitsplätze, die tatsäch lich wegfallen, einen sozial verträglichen Abbau zu ge währleisten. An dieser Stelle füge ich gleich hinzu: Der Begriff "sozial verträglich" betrifft das Individuum, er be trifft den Menschen, der seinen Arbeitsplatz verliert, ihn aufgeben muss. Der Abbau der Arbeitsplätze, die nicht zu halten sind, muss dann aber auch regional verträg lich sein. "Regional verträglich" heißt, dass der sozial verträgliche Abbau - Vorruhestandsregelungen, Alter teilzeitregelungen, Pensionierungsregelungen - zwar durchaus hilfreich sein kann, dass es aber nicht sein darf, dass junge Menschen durch die Nichtübernahme aus Ausbildungsverhältnissen ihren Job verlieren, ohne dass betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden müssten, und dass wir auch darauf achten müssen, dass es eben nicht zu betriebsbedingten Kün digungen kommt, weil dann auch die Jungen, Leis tungsfähigen entlassen werden. Das sind dann jene dabei denke ich an meine Region -, die abwandern und die die Landflucht, das Entleeren des ländlichen Raums verstärken würden.
Wenn wir vom sozial verträglichen Abbau reden, müs sen wir darauf achten, dass die Firma Siemens wirklich nur so viele Plätze streicht und abbaut, wie dies nicht zum Schaden der Region und der Zukunftschancen vor allem der jungen und leistungsfähigen Menschen in dieser Region ist.
Drittes Ziel muss es schließlich sein, wenn ein Arbeits platzabbau in gewissen Maßen nicht vermeidbar ist, die Folgelasten, die Folgen für die Kaufkraft, die Folgen für Handel und Gewerbe, für die Zulieferer, die Folgen für die Ausbildungsplätze und für qualifizierte Arbeitsplätze abzufedern. Auch insoweit ist die Politik gefragt, damit, wie gesagt, gerade die jungen Menschen bei uns im ländlichen Raum eine Perspektive haben, damit sie, auch wenn Ausbildungsmöglichkeiten, Zukunftschan cen und Arbeitsplatzmöglichkeiten bei der Firma Sie mens nicht mehr im bisherigen Umfang zur Verfügung stehen, die Perspektive haben, dazubleiben, weiter in Lohn und Brot zu sein und sich Wohlstand zu erarbei ten.
Das sind die drei großen Ziele, die wir haben müssen. Aber oberstes Ziel - ich wiederhole es an dieser Stelle noch einmal - ist ein ernsthaftes Zugehen der Bayeri schen Staatsregierung auf die Konzernspitze von Sie mens, ein Zugehen auf höchster Ebene und auf gleicher Augenhöhe, damit möglichst viele jener Ar
beitsplätze, die jetzt auf der Streichliste stehen, von dieser Streichliste wieder herunterkommen.
Den Menschen in der Region - das möchte ich Ihnen auch sagen - ist mit irgendeiner fundamental daher kommenden Kapitalismuskritik nicht geholfen. Den Menschen in der Region ist auch nicht damit geholfen, dass man sich an irgendwelchen Äußerungen, bei spielsweise des Ministerpräsidenten, aufhängt. - Mir hat seine erste Äußerung auch nicht gefallen. - Den Menschen in der Region ist damit geholfen, dass wir als Landtag ernsthaft hinter ihnen stehen und einfordern, dass die Staatsregierung, dass wir alle, die wir politisch Einfluss haben, auf die Firma Siemens zugehen und im Rahmen dieser drei genannten Ziele dafür sorgen, dass möglichst wenig Arbeitsplätze abgebaut werden und die Menschen in meiner Heimat eine Zukunftsperspek tive haben. Dafür - das sage ich Ihnen ganz ehrlich nehme ich jede Hilfe, die ich bekommen kann.