Protocol of the Session on October 6, 2009

(Zuruf von der SPD)

- Das waren Hauptschulen aus ganz Bayern. Wer dort war, wird sein Bild von der Hauptschule revidieren müssen, auch wenn das in den Medien gezeigte Bild von den Hauptschulen meist ein Bild ist, das von außerhalb Bayerns stammt.

Die bayerischen Hauptschüler sind motiviert und leistungsstark. Das zeigen alle Tests. Darüber brauchen wir nicht zu reden; denn das ist Fakt und eindeutig. Bayerns Hauptschullehrer zeigen sich ebenfalls höchst engagiert. Sie sind hervorragende Pädagogen, also Lehrer und Erzieher. Ihnen gilt ein herzlicher Dank für die großartige Arbeit, die sie leisten.

(Beifall bei der CSU)

Die bayerische Wirtschaft und gerade das bayerische Handwerk wissen um die Leistungsstärke der Hauptschule und stehen uneingeschränkt zu ihr, wie es erst

gestern der Präsident der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz sagte. Denn gerade im Hinblick auf den akuten und drohenden Fachkräftemangel wird die Notwendigkeit eines gezielten Bildungsangebots, das anschaulich-konkretes Denken und praktische Begabung passgenau fördert, immer deutlicher. Das Bildungsangebot der Hauptschule jetzt ist auch in Zukunft unerlässlich. Es muss aber weiterentwickelt werden, um den gesellschaftlichen Anforderungen und den spezifischen Herausforderungen gerecht zu werden. Die Anforderungen an die Hauptschule sind groß und vielfältig. Die Globalisierung und die Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft führen zu steigenden Anforderungen der Arbeitswelt. Angesichts der demografischen Entwicklung muss das Begabungspotenzial jedes einzelnen Schülers, jeder einzelnen Schülerin voll ausgeschöpft werden. Die Heterogenität und der relativ hohe Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund machen ein spezifisches Bildungsangebot erforderlich.

Die Hauptschule sieht sich mit einer zurückgehenden gesellschaftlichen Anerkennung konfrontiert. Eine große Zahl der Hauptschulstandorte vor allen Dingen im ländlichen Raum bangt um ihren Erhalt. Diese Herausforderungen erfordern Antworten. Unsere Antwort ist die bayerische Mittelschule. Frau Gottstein, wir sind hier gar nicht so weit auseinander, habe ich vorhin festgestellt.

Das Bildungsangebot der Hauptschule wir im Wesentlichen von drei Säulen getragen: Berufsorientierung, Allgemeinbildung und soziale Kompetenz. Also: stark für den Beruf, stark im Wissen und stark als Person.

Um das besondere Profil der bayerischen Hauptschule als Schule nah am Beruf zu betonen, gibt es jetzt nach der siebten Jahrgangsstufe die berufsorientierten Zweige Technik, Wirtschaft und Soziales.

(Günther Felbinger (FW): Das ist der Tod der kleinen Hauptschule!)

- Ich komme schon noch darauf zurück, Herr Kollege.

Im laufenden Schuljahr werden alle Schüler der siebten Jahrgangsstufe auf die Wahl des berufsorientierten Zweiges der achten Jahrgangsstufe vorbereitet. Schüler wählen in der achten Jahrgangsstufe grundsätzlich einen berufsorientierten Zweig, und zwar mit vier Wochenstunden. Um die Berufsorientierung zu verankern, werden die Lehrpläne in den entsprechenden Fächern modifiziert und ergänzt.

Ein weiteres verpflichtendes Merkmal der neuen bayerischen Mittelschule ist ein offenes oder gebundenes Ganztagsangebot. Ich denke, die pädagogische Bedeutung ist unbestritten. Dadurch ist mehr Raum für

individuelle Förderung gegeben, und es wird eine sinnvolle und aktive Freizeitgestaltung gelehrt und gelernt. Zurzeit gibt es an 400 bayerischen Hauptschulen gebundene Ganztagszüge und an über 500 Hauptschulen offene Ganztagsangebote. 2.900 Gruppen mit über 50.000 Schülern nehmen diese Ganztagsangebote wahr.

Die Kooperation mit einer Berufsschule, mit der regionalen Wirtschaft und der Arbeitsagentur ist von hoher Wichtigkeit. Vor allem mit der Berufsschule sollen gemeinsame Lehrerkonferenzen, Elternabende, Informationstage und Projekte durchgeführt werden, um den Übergang von der Hauptschule zur Berufsschule intensiv zu begleiten. Eine bayerische Mittelschule braucht natürlich ein mittleres Bildungsangebot, das dem Niveau von Realschule und Wirtschaftsschule entsprechen muss. Neben dem mittleren Abschluss wird es aber auch weiterhin den qualifizierenden Hauptschulabschluss und den Hauptschulabschluss geben. Neu wird ein Praktikumsabschluss mit einem theorieentlastenden Zuschnitt sein.

Ein wesentlicher Kernpunkt der bayerischen Mittelschule ist die individuelle und modulare Förderung im Klassenverband unter Beibehaltung des Klassenlehrerprinzips. Das ist ein ganz wichtiger Ansatz. Die begabungsgerechte Förderung wird dadurch in der fünften und sechsten Jahrgangsstufe modular durchgeführt. Die Förderstunde in der fünften Jahrgangsstufe ist bereits eingeführt. Für das Schuljahr 2010/2011 ist eine Förderstunde auch für die sechste Jahrgangsstufe geplant. Zudem werden weitere Fördermaßnahmen in Deutsch, Mathematik und Englisch durch zusätzliche Differenzierungsmaßnahmen für schwächere Schüler angeboten. Darüber hinaus werden in der neunten und in der zehnten Jahrgangsstufe Mittlere-Reife-Klassen und Praxisklassen eingerichtet.

Ein Schwerpunkt der Hauptschule liegt natürlich im sozialen Lernen und im Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Auch die Sozialkompetenz ist ein wichtiger Baustein und eine bedeutende Aufgabe im Unterricht und im Schulleben. Für die Durchführung individueller Fördermaßnahmen sind zusätzliche Lehrerstunden erforderlich. 65 Stellen sind für die Einführung der Förderstunde in der sechsten Jahrgangsstufe im Schuljahr 2010/2011 geplant. Für die Förderstunden für leistungsschwächere Schüler in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch in der siebten und in der achten Jahrgangsstufe sind im Schuljahr 2011/2012 117 zusätzliche Stellen vorgesehen.

Die Hauptschulen leisten eine erfolgreiche Integration von Schülern mit Migrationshintergrund. Zur Unterstützung dieser verantwortungsvollen Aufgabe werden die Klassenstärken ab dem jetzigen Schuljahr auf 25 Schü

ler gesenkt, wenn der Migrationsanteil 50 % beträgt. Damit erhöhen wir die Chancengerechtigkeit.

Liebe Frau Gottstein, wir wollen nicht nur Abiturienten. Wir wollen unsere Schüler begabungsgerecht fördern. Ich glaube, dass uns dies mit der bayerischen Mittelschule bestens gelingt.

(Beifall bei der CSU - Hubert Aiwanger (FW): Lassen wir uns überraschen, was dabei herauskommt!)

Wir wollen die Abschlüsse nicht verwässern, sondern wir wollen aus jedem das Bestmögliche herausholen. Jeder soll den für ihn besten Abschluss machen können, und dazu brauchen wir ein differenziertes Bildungssystem.

Fazit: Wir stehen uneingeschränkt zum dreigliedrigen Schulsystem.

(Hubert Aiwanger (FW): Viergliedrig wird es noch!)

Dank der Schulverbünde können auch kleinere Schulstandorte erhalten werden.

(Hubert Aiwanger (FW): Genau die gehen drauf!)

Die große Sorge, die Sie haben, Herr Aiwanger, haben wir genauso. Mit den Schulverbünden schaffen wir aber genau diese Stabilität. Wie soll es denn anders gehen? Um ein differenziertes Angebot darstellen zu können, brauche ich eine bestimmte Größe, und die wird mit Schulverbünden ermöglicht.

(Hubert Aiwanger (FW): Die Differenzierung verursacht das Schulsterben! Schauen wir in zwei Jahren wieder nach!)

Glauben Sie mir, dass es anders ist. Sonst sterben die Schulen von ganz alleine, weil der Übertrittsdruck immer größer wird. Darauf müssen wir reagieren, und das machen wir mit einem differenzierten, begabungsorientierten Angebot.

(Beifall bei der CSU - Margarete Bause (GRÜNE): Und jetzt sterben die Schulen mit Ihrer Hilfe!)

Würde der Staat nicht handeln, würden etwa 300 Schulen aufgrund der zurückgehenden Schülerzahlen langsam schließen müssen.

Ich bin davon überzeugt, dass mit der Ausweitung des mittleren Schulabschlusses an der Hauptschule die Attraktivität gestärkt wird und dass Eltern und Schüler erkennen, dass ein passgenauer Abschluss an der Hauptschule die Berufschancen erhöht. Ich bitte Sie, die Hauptschulen nicht schlechtzureden, sondern sie positiv zu unterstützen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Güll.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Staatssekretär, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Taubeneder, ich habe den Dreh mit Ihrer Hilfe gefunden. Sie haben gesagt, wir müssten das Bild der Hauptschule revidieren. 69.000 Menschen gehen in die Allianz-Arena. Wir müssten nur alle Eltern dort hinbringen und für die Mittelschule werben, dann würden sich die Menschen für die Hauptschule entscheiden. Das ist eine gute Idee. Sie ist aber leider nicht so einfach zu verwirklichen. So einfach funktioniert es auch nicht. Zunächst bin ich Frau Gottstein dafür dankbar, dass sie das Thema gleich nach den Ferien ausgesucht hat. Innerhalb von neun Jahren sind 500 Teilhauptschulen und rund 100 Schulen geschlossen worden.

(Reinhard Pachner (CSU): Weil es dafür keine Kinder mehr gibt!)

In Oberbayern sind die Hauptschulen Altenmarkt und Waakirchen geschlossen worden. In Niederbayern ist die Hauptschule Künzing geschlossen worden, und in der Oberpfalz die Hauptschule Waldershof usw. Weitere 300 Standorte sind gefährdet, und da sprechen wir noch vom leisen Abschied.

(Hubert Aiwanger (FW): Ein Massensterben! Tanja Schweiger (FW): Das tut weh! Machen Sie weiter!)

Als mögliche Konsequenz aus dem Rückgang der Schülerzahlen und dem geänderten Übertrittsverhalten könnten die Politiker sagen: Wo keine Schüler sind, gibt es keine Schule mehr, also wird die Schule geschlossen. Das wäre eine Möglichkeit, sie führt aber dazu, dass in den Gemeinden keine Kinder mehr sind und die Kinder die meiste Zeit auf den Straßen verbringen, weil sie in die Zentren gefahren werden müssen. Wenn aber darüber Konsens besteht, dass wohnortnahe Schulen einen hohen Wert haben und ein hohes Gut sind und dass sie auch ein Standortfaktor für die Gemeinden sind, wenn Konsens ist, dass Kinder ein hohes Bildungsangebot bekommen sollen und wenn wir der Meinung sind, dass Schulhäuser nicht nur mit Kindern gefüllt werden sollen, sondern dort auch gute Bildungsangebote gemacht werden sollen, dann müssen wir nach Lösungen suchen, die wirklich tragen, und darüber auch ideologiefrei diskutieren. Dann aber ist die Allianz-Arena der falsche Weg. Auch Hochglanzbroschüren sind dann der falsche Weg. Vor zwei Tagen habe ich von der modularen Förderung gehört. Auch wenn man es in einer Hochglanzbroschüre liest, ist es

noch lange nicht gemacht. Wir müssen diese Ideen auch verwirklichen.

Wir brauchen eine solide Planung und ein nachhaltiges Konzept. Das ist nicht einfach, das weiß ich. Wir haben die Lösung auch nicht in der Hosentasche. Wir können aber eine Lösung finden. Wenn man nur eine inhaltliche Veränderung der Hauptschule will, ist das ein möglicher Weg. Dieser Weg ist nicht verkehrt, er ist in Ordnung und er dient den Kindern, die diese Schulart besuchen. Gefragt werden muss allerdings, ob damit der eigentliche Zweck erfüllt wird. Ich glaube, wir sind uns in diesem Haus darüber einig, dass wir etwas gegen die Abnahme der Schülerzahlen und gegen den Trend hin zu weiterführenden Schulen machen müssen. Dabei lege ich Wert darauf, dass ich den Kindern keinen möglichen Schulabschluss vorenthalten möchte. Wir müssen uns fragen, ob man den Schulbesuch auch anders organisieren kann.

Wir müssen daher das zweite Ziel verfolgen. Wir dürfen nicht nur auf die Verbesserung einer Schulart schauen, sondern nachhaltigere und weiterreichende Angebote entwickeln. Deshalb müssen wir neue Ansätze wählen. Die Kooperation zwischen den Realschulen und den Hauptschulen, wie sie von der Staatsregierung vorgesehen worden ist, war der falsche Weg und rettet keinen Standort. Diese Maßnahme wurde inzwischen ad acta gelegt. Das ist keine Lösung. Auch die Mittelschule ist keine Lösung. Herr Kollege Taubeneder, wenn dies eine Lösung wäre, warum hat dann diese Idee so viele Kritiker? Sind das alles Fachidioten oder Leute, die von der Schule keine Ahnung haben? Ich habe in den letzten vier Wochen niemanden getroffen, der mir plausibel hätte erklären können, wie mit dieser Idee das Ziel, Schulstandorte zu erhalten, erreicht werden kann. Ich gebe zu, dass damit vielleicht eine Verbesserung für den einen oder anderen Hauptschulstandort erreicht werden kann, aber nicht der langfristige Erhalt von Schulstandorten.

Die Idee der Schulverbünde klingt zunächst charmant. Sie würde jedoch zu Schülertourismus und ungleichen Standorten führen. Das wurde bereits ausgeführt. Ich brauche das nicht zu wiederholen. Das wird auch keine Lösung sein. Eine Lösung wird erst gefunden sein, wenn die Eltern und die Kinder diese Lösung akzeptieren. Das ist die Schlüsselfrage und muss der Maßstab unseres Handelns sein. Die Frage muss lauten: Werden die Eltern - stellvertretend für ihre Kinder - dieses Angebot wirklich annehmen? Nicht nur ich, sondern auch viele andere Fachleute haben hier die größten Bedenken.

Man könnte nun sagen: Weil wir das alles kritisieren, gibt es keine Lösung. Unserer Meinung nach ist der Lösungsvorschlag des Staatsministeriums nicht zielfüh

rend. Ich sage dazu: Ja, es gibt eine Lösung. Diese Lösung ist jedoch nicht im Rahmen der jetzt vorgesehenen Strukturen möglich; denn die Mittelschulidee setzt eine schulorganisatorische Mindestgröße voraus. Ich möchte jetzt nicht über Zahlen streiten, ob diese Größe bei 300, 400 oder 500 Schülern liegt. Bei der momentanen Schulidee ist jedoch ein differenziertes Angebot nur bei einer bestimmten Schulgröße möglich. Diese Schulgröße ist inzwischen bei fast keiner Hauptschule mehr vorhanden, lediglich bei ein paar wenigen. Die Schulverbünde werden somit unter Zugzwang gesetzt, sich großräumig zu verbünden. Damit werden die Schulwege immer länger. Auch das ist keine Lösung.

Die Lösung liegt auf der Straße. Wir müssten uns nur einmal den Blick über den europäischen Zaun gönnen. Dort sind diese Lösungen erdacht und in die Praxis umgesetzt worden. Die Lösung liegt in integrativen und kooperativen Schulformen. Das ist kein Teufelszeug. Die Grundidee dieser Schulformen ist, das Kind in den Mittelpunkt zu stellen und das System dem Kind anzupassen. Der Kern dieser Schulformen ist die individuelle Förderung. Die Organisation dieser Schulformen wird - wenn notwendig - unabhängig von Jahrgangsoder Klassenstrukturen vorgenommen. Frau Kollegin Gottstein hat bereits angedeutet, dass diese Schulform auch an Schulen mit 80 oder 100 Schülern praktiziert werden kann. Das bedeutet, dass nahezu jeder bayerische Schulstandort erhalten werden könnte.

(Beifall bei der SPD und den Freien Wählern)

Das wäre eine professionelle wenn auch zugegebenermaßen etwas ungewöhnliche Lösung, die nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Dazu wäre viel Vorarbeit und ein Coaching sowie die Begleitung der Lehrkräfte erforderlich. Diese Lösung wäre aber machbar. Für mich ist selbstverständlich, dass diese Schulform im Ganztagsbetrieb organisiert werden muss. Inzwischen spricht niemand mehr davon, dass dies nicht notwendig wäre. Hier haben wir einen Konsens.

Der Kernpunkt dieser Lösung ist die individuelle Förderung und das darin begründete modulare System. Allerdings darf diese individuelle Förderung nicht so erfolgen, wie dies im Hochglanzheftchen des Kultusministeriums beschrieben ist. Vielmehr müssen die Schüler nach ihren Begabungen inhaltliche Module vorfinden, die sie im Laufe dieser fünf oder sechs Jahre zu ihrem Abschluss führen. Wir müssen künftig abschlussorientiert und nicht jahrgangsorientiert denken. Ich möchte das hier im Detail nicht ausführen, weil ich nicht glaube, dass hier der Ort dafür ist.

Nach meiner Auffassung eignet sich die Bildungspolitik nicht für das politische Tagesgeschäft. Das Kernpro