Wir brauchen für die Europäische Union nicht nur klare Grenzen nach außen; innerhalb der Europäischen Union müssen wir Überregulierungen und Bürokratie aus Brüssel klare Grenzen setzen.
Die Richtschnur der bayerischen Europapolitik lautet: Europa muss sich auf die großen Themen, wie Außenund Sicherheitspolitik oder Energieversorgung, konzentrieren. Was die Bürger dagegen stört, sind übertriebene Regulierung und bürokratische Vorgaben aus Brüssel. Bayern steht für Subsidiarität, Deregulierung und eine Konzentration der EU-Kompetenzen auf das Wesentliche.
Trotz einzelner Fortschritte hat die Europäische Union in einer Reihe von Fällen die Kritik an vorhandenen oder geplanten Überregulierungen ignoriert. In einer vom bayerischen Kabinett beschlossenen Antibürokratieliste haben wir plakative Beispiele aus allen Politikbereichen zusammengestellt, die gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen oder überflüssige bürokratische Vorgaben enthalten. Ich nenne als Beispiele nur die Bodenschutzrichtlinie oder die Antidiskriminierungsrichtlinie. In beiden Fällen sind die Vorgaben aus Brüssel überflüssig, weil wir bereits bewährte und ausreichende Regelungen auf nationaler Ebene haben.
Statt zu viel Regulierung und Bürokratie brauchen wir von Europa Antworten auf die wirklich europäischen und globalen Herausforderungen. Hier brauchen wir mehr Europa.
Wir brauchen im Bereich der inneren Sicherheit europäische Antworten auf die grenzüberschreitende, vor allem organisierte Kriminalität und auf die Terrorgefahren. Es ist ein Erfolg bayerischer Politik, dass die Erweiterung des Schengenraums zu keiner Erhöhung der Kriminalität geführt hat. Wir setzen uns dafür ein, dass unsere wegweisende Schleierfahndung ein Modell für andere europäische Staaten wird.
Die Sicherheit der Energieversorgung lässt sich auch nur auf europäischer Ebene sicherstellen. Mit einer gemeinsamen Energieaußenpolitik, dem Aufbau neuer Versorgungsleitungen von und nach Europa und einer starken eigenen Energieproduktion stellt sich Europa für zukünftige Krisen besser auf. Für die Staatsregierung gehört hierzu ein breiter Energiemix, der den Ausbau regenerativer Energien ebenso einschließt wie die weitere Nutzung der Kernenergie.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen europäische Lösungen in der Umwelt- und Klimapolitik. Die Europäische Union hat wegweisend konkrete Klimaschutzziele mit der Formel "20-20-20-Klimaschutzziele" vorgegeben. Wir wollen bis zum Jahr 2020 europaweit eine Deckung des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen zu 20 %, die Verringerung der Treibhausgasemissionen um 20 % und eine Steigerung der Energieeffizienz ebenfalls um 20 %. Beim Kopenhagener Klimagipfel muss Europa die Führungsrolle behalten und Antworten anbieten, die die Frage der gerechten Finanzierung der Klimaschutzprogramme betreffen.
In der Außenpolitik muss Europa eine stärkere Rolle im globalen Kontext übernehmen. Hierzu wird die gestärkte Position des Hohen Vertreters der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik eine ganz wichtige Rolle spielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein starkes Europa, um unseren Wohlstand und unsere Rolle bei der Lösung der globalen Probleme zu wahren. Die Staatsregierung hat ein ganz klares Ziel: Wir brauchen ein Europa, das den Bürgern nützt und die Bürger schützt.
Europa braucht die Stimme und das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger. Die Europawahl findet in einem Monat statt. Wir alle stehen in der Verantwor
Es ist notwendig, dass wir wieder eine starke bayerische Repräsentanz im Europäischen Parlament haben, damit bayerische Interessen dort auch vertreten werden.
Ich bitte Sie, überall, wo Sie jetzt sind, für Europa zu werben, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 30 Minuten pro Fraktion vereinbart. Erste Wortmeldung Herr Kollege Förster.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Staatsministerin Müller, ich möchte Ihnen mit dem, was ich jetzt sage, persönlich nicht schaden. Aber heute muss ich Sie gleich in meinem ersten Satz ausdrücklich loben, und zwar für die Überschrift dieser Regierungserklärung: "Mit Europa die Krise bewältigen". Das ist gut, denn es besagt, was wir seit Jahrzehnten sagen, dass nämlich die europäische Integration die Lösung und nicht das Problem ist.
Glücklicherweise, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind wir heute nach dem gestrigen Votum des Tschechischen Senats zum Reformvertrag von Lissabon nicht dazu gezwungen, darüber zu diskutieren, wie wir die Krise der EU in Europa bewältigen können oder müssen. Wir vermögen uns gar nicht vorzustellen, wie groß der Scherbenhaufen heute wäre, wenn die tschechischen Senatoren gestern anders abgestimmt und den Vertrag abgelehnt hätten. So aber ist das Ja beider Kammern des tschechischen Parlaments ein wichtiger Schritt nach vorn, ein Schritt zur tatsächlichen Stärkung und zu größerer Geschlossenheit der Europäischen Union. Damit steigen auch die Chancen, dass wir mit Europa die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise besser bewältigen können als ohne und dass die EU durch den Nachweis ihrer Handlungsfähigkeit, durch
das Sichtbarmachen ihres Mehrwerts auch in der Wertschätzung der Bürgerinnen und Bürger steigt und wieder bzw. endlich eine größere Akzeptanz erfährt.
Ihrer Pressemittelung 229 vom gestrigen Tage habe ich entnommen, dass Sie sich mit uns über das tschechische Votum freuen können, Frau Ministerin, und sich ausdrücklich auch zum Vertragswerk von Lissabon bekennen, wie Sie es auch in Ihrer Rede getan haben.
Das freut mich auch als Mitglied der Europa-Union, der wir beide angehören und die zumindest bundesweit auch nicht von dieser Haltung je abgerückt ist. Schade, dass ausgerechnet der Landesvorsitzende der Bayerischen Europa-Union, Ihr Spitzenkandidat Markus Ferber, kurzzeitig - vielleicht aus populistischen Gründen, wer weiß? - von diesem guten und richtigen Ziel abgerückt war. Aber ich hoffe, dass Sie, Frau Ministerin, Ihre Autorität nutzen werden, um dieses verirrte Schaf zur Herde zurückzuführen.
Aber jetzt wollen wir erst einmal über das Abstimmungsergebnis im tschechischen Parlament freuen. Wir danken nicht zuletzt unseren Parteifreunden von der CSSD. Denn ohne die tschechischen Sozialdemokraten wäre der Vertrag in Prag gescheitert, weil viele Abgeordnete der konservativen Regierungspartei dagegen gestimmt haben.
Unser Verhältnis als Sozialdemokraten zu den tschechischen Kolleginnen und Kollegen ist sehr gut. Das haben wir erst vor wenigen Tagen in Weiden bei einem gemeinsamen deutsch-tschechischen Treffen unter dem Motto "Tschechien-Deutschland-EU - fünf Jahre unter Freunden" mit Müntefering, Paroubek, Martin Schulz und den bayerischen Sozis unter Führung von Franz Maget feststellen dürfen.
Herr Ministerpräsident Seehofer, ich möchte Sie ein weiteres Mal ganz ausdrücklich auffordern, die von Ihrem Vorvorgänger übernommene Eiszeit sichtbar zu beenden und endlich im Amt des bayerischen Ministerpräsidenten in die Hauptstadt unseres wichtigen Nachbarlandes zu reisen.
Herr Ministerpräsident, Sie wären nicht der Erste - eher einer der Letzten. Hunderttausende von Privat- und Geschäftsleuten tun es längst. Die Menschen hier und drüben sind gute Nachbarn geworden. Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen entwickeln sich prächtig. Die Politik sollte dem nicht länger nachstehen.
Die eben in der Regierungserklärung gehörte Herangehensweise an das Thema Europa seitens der Staatsregierung ist aus meiner Sicht ein Fortschritt, weil das in der Vergangenheit nicht immer - und schon gar nicht von allen - so intoniert worden ist. Es ist gut, dass die europäische Integration nicht mehr nörgelnd, sondern vielmehr lobend und anerkennend kommentiert wird, und dass wir uns heute über vieles, wenngleich nicht alles, einig sind. Ich hoffe nur, dass diese Ursache nicht primär auf den Umstand zurückzuführen ist, dass in Bayern gerade Europa-Wochen sind, also dass es aus feierlichem Anlass eine Art gehobene Sonntagsrede ist und draußen im Wahlkampf gleich wieder andere Töne zu hören sein werden. Apropos Wahlkampf: Ich hätte schon ganz gern noch eine Erklärung von der Staatsregierung, warum die Wahlkämpfer verschiedenster Parteien in einer bestimmten Zeit vor den Wahlen nicht mehr in Behörden auftauchen dürfen, aber bei der feierlichen Eröffnung der Europa-Wochen im Goldenen Saal meiner Heimatstadt Augsburg durch die Staatsregierung ausschließlich CSU-Redner zu Wort gekommen sind.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Wenn der Wähler es so will, dann ist der Oberbürgermeister ein Mann mit einem CSU-Parteibuch und die Ministerin eine Frau mit diesem Parteibuch; sie reden kraft ihres Amtes, und das ist auch gut so. Aber dass ausgerechnet der Spitzenkandidat der CSU, Herr Markus Ferber, der vor Ort natürlich der erste Kandidat für ein politisches Mandat ist, hier ein Forum bekommt und hier in Szene gesetzt wird, das ist mit Verlaub eben genau der Filz, den Ihnen der bayerische Bürger in Ihren Meinungsumfragen vorgehalten hat.
Ich komme aber auf die Rede der Frau Ministerin zurück, denn die war viel erfreulicher als die offensichtliche Wahlwerbung von Herrn Ferber in Augsburg. Frau Ministerin, ich sage Ihnen, ich kann weiten Teilen Ihrer heutigen Ausführungen im Prinzip zustimmen, wenn Sie Europa als beispiellose Erfolgsgeschichte zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger darstellen, wenn Sie die EU einen Stabilitätsanker in der Krise nennen und ihren weltweiten Modellcharakter hervorheben,
wenn Sie vom Nutzen der EU und insbesondere der Osterweiterung für das europäische Herzland Bayern sprechen - für seine Wirtschaft, aber nicht minder für seine Bürger -, wenn Sie das Subsidiaritätsprinzip unterstreichen - denn daran arbeiten wir im Ausschuss ganz intensiv fraktionsübergreifend, Frau Professor Männle - und von Europas Vielfalt sprechen. Aber, Frau Ministerin Müller, ich brauche hier nicht Ihre Rede zu wiederholen, auch nicht in den Punkten, bei denen wir erfreulicherweise beieinander liegen.
Frau Ministerin Müller, in der Überschrift Ihrer Regierungserklärung sprechen Sie von Stärke und Geschlossenheit der EU. Da kann ich nur sagen: Ja, natürlich, da sind wir uns alle einig. Sie fordern eine Neuausrichtung der EU. Da rennen Sie bei uns offene Türen ein; ja, natürlich. Aber es fragt sich, wie diese Neuausrichtung aussehen soll. Wohin soll sie gehen? Hier unterscheiden wir uns natürlich in einigen Punkten. Wir sind der Meinung, dass es höchste Zeit ist, die EU von einem grenzenlosen Wirtschaftsclub neoliberaler Marktderegulierer - ich nenne nur die Stichworte: Sparkassen und kommunale Daseinsvorsorge - zu einem Europa der Bürger weiter zu entwickeln.
Wir wollen mehr als eine EU, die nur bürgernah ist. Wir wollen eine EU der Bürger, ein Europa der Bürger, in dem beispielsweise vor der Verabschiedung von Richtlinien danach gefragt wird, was diese für die Leute vor Ort und für die Gesellschaft bedeuten. Das heißt für uns, die Europäische Union muss von einer bloßen Wirtschaftsunion zu einer sozialen Union fortentwickelt werden, zu einem Europa des sozialen Fortschritts. Wir treten für eine EU ein, die wirtschaftliches Wachstum mit mehr sozialer Gerechtigkeit verbindet.
Verehrte Frau Ministerin, auch wir sehen die EU als Wertegemeinschaft, selbstverständlich. Nur: Als Gemeinschaft welcher Werte? Mit Verlaub gesagt, manche Werte sind uns rein gar nichts wert; denn in den vergangenen Jahren sind so oft die falschen Werte ausschlaggebend gewesen, die - wie sich herausgestellt hat - dann auch nichts mehr wert waren. Es wurden die falschen Götter des möglichst ungezügelten freien Marktes angebetet. Um ein Wort von Johannes Rau abzuwandeln: Viele haben nur nach den Kosten gefragt, nicht aber nach dem Wert. Die EU muss, wie es einst Jacques Delors beschworen hat, für ihre Menschen zum Fahrstuhl nach oben werden, der alle zu möglichst großem Wohlstand und zu bestmöglicher sozialer Sicherheit bringt. Ja, wir brauchen eine neue Ausrichtung. Wir brauchen eine Stärkung der sozialen Kräfte.
Wir als Sozialdemokraten sagen: Werte wie sozialer Zusammenhalt, Solidarität und Sozialstaat müssen gestärkt werden. Soziale Grundrechte und soziale Standards dürfen nicht durch Wettbewerb und Liberalisierung im europäischen Binnenmarkt ausgehöhlt und eingeschränkt werden.