Protocol of the Session on May 7, 2009

(Beifall bei der SPD - Harald Güller (SPD): So ist es!)

Nur ein Europa des sozialen Fortschritts wird langfristig Wohlstand und Beschäftigung sichern und die Unterstützung der Menschen gewinnen und erhalten. Aber die Erreichung dieser Ziele verlangt klare politische Vorgaben. Deshalb fordern wir konkret, im Primärrecht durch eine soziale Fortschrittsklausel klarzustellen, dass die EU nicht nur dem wirtschaftlichen Fortschritt den wir wollen -, sondern auch dem sozialen Fortschritt verpflichtet ist. Sozialer Fortschritt ist nichts Abstraktes; er bedeutet konkret die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen. Deshalb treten wir dafür ein, dass eine soziale Fortschrittsklausel in Form eines rechtlich verbindlichen Protokolls Bestandteil der Europäischen Verträge ist.

Zur Stärkung der EU durch eine konsequente soziale Neuausrichtung gehört weiter auch die Klarstellung, dass die EU-Entsenderichtlinie nicht, wie sie der Europäische Gerichtshof auslegt, eine Maximalrichtlinie ist, sondern dass sie Mindeststandards vorgibt. Sie muss zu einer Verbesserung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führen und darf die Sozialpartner nicht daran hindern, günstigere Bedingungen zu vereinbaren. Der Schutz von Arbeitnehmerrechten und die Verhinderung von Sozial-Dumpings sind in einem Binnenmarkt gemeinsame europäische Aufgaben.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit am gleichen Ort, dieses Prinzip muss europaweit verbindlich gelten.

(Beifall bei der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD) und der Abgeordneten Tanja Schweiger (FW))

Sozialer Fortschritt, wie meine Partei und ich ihn definieren, beinhaltet auch, dass Behinderte barrierefrei einkaufen können, dass sich ältere Mitmenschen versichern und zwei Männer, wenn sie wollen, auch gemeinsam ein Hoteldoppelbett nehmen können.

Schauen wir das Abstimmungsverhalten Ihrer konservativen Kollegen im Europäischen Parlament an, das Sie, verehrte Ministerin, in einer Pressemitteilung begrüßt haben, als es um die neue Antidiskriminierungs

richtlinie ging. Da komme ich zu dem Ergebnis, dass sich die CSU bei dieser Haltung offenbart hat: Sie will bestimmte Diskriminierungen weiter ungestraft hinnehmen und beispielsweise nach wie vor Homosexuelle in ihren Rechten einschränken. Schaut so soziale Politik aus? Das kann nicht sein. Das wäre für Millionen von europäischen Diskriminierungsopfern ein Schlag ins Gesicht. Nein, Ihre fadenscheinigen Einwände gegen diese Richtlinien entziehen sich meinem Verständnis von Menschenwürde. Diese Richtlinie versucht, bei der Antidiskriminierung ein Mindestmaß herzustellen, und das sind die EU und wir den Menschen schuldig. Durch Ihr ablehnendes Verhalten, werte Kolleginnen und Kollegen der CSU, beweisen Sie wieder einmal, dass Sie nicht näher am Menschen, sondern dass Sie vom Menschen unterirdisch weit entfernt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Und: Kommen Sie mir bitte nicht wieder mit der Bürokratie. Hätten Sie diese Richtlinie konzentriert durchgelesen, dann wären Sie auch über den Passus gestolpert, wonach Maßnahmen zur Antidiskriminierung keine unverhältnismäßigen Belastungen verursachen dürfen.

Auch wir sind für Entbürokratisierung, wo immer sie sinnvoll ist. Diese Forderung ist immer und überall wohlfeil, auch gegenüber Brüssel bestimmt nicht grundlos. Wir sind, wie alle Vernünftigen, gegen übertriebene Regulierungen und bürokratische Vorgaben aus Brüssel. Auch wir sind für Subsidiarität, selbstverständlich. Ihre vorgestern im Kabinett beschlossene Antibürokratie-Initiative, mit der - ich zitiere - "die überbordende Bürokratie aus Brüssel eingedämmt werden soll", ist deshalb eine wahrhafte Großtat. Allerdings gilt hier der Satz eines Aphoristikers: Bei uns wird ständig versucht, mit mehr Bürokratie die Bürokratie abzubauen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zum Thema Bürokratie sollten Sie einmal intensiv in der Bibel lesen, nämlich jene Stelle, wo es um den Splitter im Auge des Nächsten und um den Balken im eigenen Auge geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich denke dabei an das jüngste Beispiel von bayerischem Bürokratismus, nämlich an das Konjunkturpaket. Die Verteilung der Mittel aus dem Konjunkturpaket an die Kommunen war wohl eine überaus bürokratische Prozedur, oder? Da hat der bayerische Amtsschimmel so laut gewiehert, dass die Bürgermeister regelrecht erschrocken sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, von Ihrer Bürokratie können sogar die Bürokraten in Brüssel noch etwas lernen.

Laut einer dpa-Meldung hat der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags Grund gesehen, die Bayerische Staatsregierung zu ermahnen, keine sinnlosen Gutachten mehr in Auftrag zu geben, und hat sie verpflichtet, bis zum 30 November zu klären, wie sie - die Staatsregierung - teure und überflüssige Gutachten künftig verhindern will. Laut Oberstem Rechnungshof gaben Ihre Ministerien - ich wiederhole: Ihre Ministerien, nicht Brüsseler Bürokraten - von 2003 bis 2006 sage und schreibe 1000 Gutachten in Auftrag.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Nach Einschätzung der Rechnungsprüfer hätten Ihre Ministerialbeamten aber viele dieser Fragen problemlos selbst erforschen können.

(Beifall bei der SPD - Franz Maget (SPD): Na, und jetzt?)

Deshalb begrüßen wir die an Sie selbst gerichteten Forderungen nach einem EU-Bürokratie-Stopp in der Landwirtschaft. Wir wollen mit Ihnen zusammen die Bauern entlasten, aber eben nicht nur von überflüssiger Brüsseler, sondern auch von überflüssiger bayerischer Bürokratie.

(Beifall bei der SPD)

Wie kann die Akzeptanz von Europa und die Begeisterung dafür gesteigert werden? - Ein wichtiger Schritt zur dringend notwendigen Akzeptanzsteigerung ist auch, die EU für die Bürger nachvollziehbarer zu machen und den Bürgern mehr Einblick zu geben. Dazu gehört meiner Meinung nach, auch offenzulegen, wie viel Gutes die EU in Euro und Cent bringt, beispielsweise die Direktzahlungen an Landwirte, die wir ausdrücklich unterstützen. Wir sind uns sicher alle in der Zielsetzung einig, gerade der bäuerlichen bayerischen Landwirtschaft zu einem stabilen Einkommen zu verhelfen, das ihnen der Markt leider nicht mehr garantiert. Wir müssen also dafür sorgen, dass wenigstens die Unterstützung aus den EU-Fonds wirklich denen zugutekommt, für die sie gedacht ist, nämlich der bäuerlichen Landwirtschaft, nicht aber den Agrarfabriken, einer Lufthansatochter oder anderen schwarzen Schafen.

(Beifall bei der SPD - Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Zum Beispiel!)

Um solche skandalösen Fehlentwicklungen zu vermeiden, unterstützen wir die Feststellung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs, dass die Steuerzahler einen Anspruch darauf haben, dass EU-Gelder rechtmäßig, zielgerichtet, wirtschaftlich und sparsam verwendet werden. Dazu gehört - so der ORH-Bericht 2007 weiter -, dass sich alle ein Bild von der Identität der Empfänger

und Höhe der Zuwendungen machen können, damit verhindert wird, dass die Falschen das Geld kassieren.

Für uns ist deswegen nicht verständlich, warum Sie sich dagegen sperren, diese Liste zu veröffentlichen. Die Argumente des Datenschutzes greifen nicht; das hat selbst der oberste Datenschützer vor einigen Tagen festgestellt. Ihr Argument, damit würde Unfrieden und Neid auf den Dörfer geschürt, greift auch nicht; denn wir können gemeinsam festlegen, dass die Empfänger nur ab einer bestimmten Förderhöhe, zum Beispiel ab 50.000 Euro, veröffentlicht werden. Frau Kollegin Männle, an diesem Punkt waren wir in der Diskussion im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten schon angekommen. Der kleine Bauer Huber - vielleicht sollte ich sagen: der kleine Bauer Sprinkart

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

hat erstens nichts zu verbergen, und zweitens würde sein Name hier auch nicht auftauchen. Vielleicht geht es Ihnen aber mehr um andere Leute, zum Beispiel um Fürstin Gloria von Thurn und Taxis.

(Georg Schmid (CSU): Was?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer die EU durch eine Neuausrichtung stärken will, wird nicht darum herumkommen, die Agrarpolitik auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und die bisherige Förderpraxis daraufhin zu überprüfen, ob sie bei uns in Bayern wirklich noch den Zweck erfüllt, vor allem in kleinen und mittleren Betrieben ein verdientes und gerechtes Einkommen zu sichern.

(Beifall bei der SPD)

Frau Ministerin, Sie sprachen in Ihrer Rede soeben auch von der Notwendigkeit einer weiteren Nutzung der Kernenergie. Bei diesem Punkt bekommen Sie mein aufrichtiges Beileid für den schlechten Berater Ihrer Partei, der Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

In grundsätzlichen Fragen hat sich nichts geändert. Die Atomkraft birgt erhebliche Sicherheitsrisiken, die Entsorgungsfrage ist ungeklärt, und die benötigten Uranvorkommen sind endlich. Jetzt wollen Sie mir weismachen, dass diese Art der Energieerzeugung eine geeignete Lösung ist, um Umwelt und Klima nachhaltig und zukunftsfähig zu schützen und die Energieversorgung sicherzustellen. Unser sozialdemokratisches Ziel ist es, aus momentan 1,8 Millionen Jobs im Umweltbereich bis zum Jahr 2020 vier Millionen zu machen. Unser Ziel ist es, in Deutschland 500.000 neue Arbeitsplätze allein durch erneuerbare Energie zu schaffen, weil wir wollen, dass auch die zukünftigen Gene

rationen die saftigen Äcker und den weiß-blauen Himmel Bayerns genießen können.

(Beifall bei der SPD)

Natürlich komme ich jetzt auch noch auf die angesprochene Frage der EU-Erweiterung zu sprechen. Dieses Thema gehört für Sie wie ein Mantra stets zu dieser Art von Debatte. Das war auch bei der Umfrage unter den Kollegen, welche Themen wohl kommen werden, das am meisten genannte Thema. Ich glaube, Sie brauchen das Türkeigespenst einfach für den Wahlkampf; das wissen wir alle schon längst. Genauso gut wissen wir, zumindest die Kundigen, dass auf absehbare Zeit nicht - und sicher nicht in dieser Wahlperiode - über einen Beitritt der Türkei entschieden wird. Wir wissen auch alle, dass es keinen Beitrittsautomatismus gibt. Dass eine Türkei, so wie sie heute ist, nicht beitreten kann, ist auch allen klar. Dass man aber heute nicht wissen kann, wie die Welt in zehn Jahren aussieht und welche Antwort dann von uns Europäern verlangt wird, wissen auch alle, die es wissen wollen, nur scheinbar die Kollegen der CSU nicht.

(Beifall bei der SPD)

Das Thema "Türkei" ist nach wie vor eine Ihrer Wahlkampfmaschen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CSU. Da schrecken Sie nicht einmal vor dem Liebäugeln mit einem Volksentscheid zurück. Zu Volksentscheiden in zentralen EU-Fragen gibt es quer durch die politischen Familien unterschiedliche Ansichten. Das gilt auch für die Sozialdemokraten und die SPÖ, auch für die CDU und sogar für die CSU. Ich glaube aber nicht, dass Ihr künftiger Ehrenvorsitzender vor 15 Jahren die Einführung des Euro einem Volksentscheid hätte unterwerfen wollen. Er hätte ihn wohl verloren. Heut aber preisen Sie, sehr geehrte Frau Staatsministerin, genau diesen Euro über alle Maßen. Ich sage: mit Recht. Stellen Sie sich vor, wir hätten vor 2004 eine Befragung zum Thema Osterweiterung der EU durchgeführt, was Sie in Ihrer Rede ganz ausdrücklich für Bayern gelobt haben. Ich glaube nicht, dass wir vor 2004 eine Mehrheit für die Osterweiterung gehabt hätten. Das zeigt vor allem eines: G’scheitheit schützt vor Irrtum nicht, Frau Staatsministerin. Wir sollten also vorsichtig sein. Da Sie sich seit Jahr und Tag weigern, der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene zuzustimmen, wirkt Ihre jetzige Wahlkampfforderung nach eben diesen Instrumenten auf EU-Ebene nicht gerade überzeugend.

(Beifall bei der SPD)

Diese Idee ist noch zu unausgereift, um jetzt darüber zu entscheiden. Wir halten es jedenfalls für nicht unbedenklich, wenn ein Land über Angelegenheiten eines anderen abstimmt. Ihr Parteifreund Elmar Brock hat das

Ganze vor wenigen Tagen im ORF sogar "Schwachsinn" genannt.

Sie sehen: Trotz vieler Gemeinsamkeiten in Grundfragen der EU-Politik gibt es viele unterschiedliche Standpunkte, über die es sich zu diskutieren lohnt, über eines allerdings nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, nämlich über Ihren Wahlslogan "Nur wer CSU wählt, gibt Bayern eine eigene Stimme in Europa".

(Zuruf des Abgeordneten Walter Nadler (CSU))

Tut mir leid, liebe Kolleginnen und Kollegen, daraus spricht die alte Hybris der CSU und der bereits im Landtagswahlkampf manifestierte Größenwahnsinn, CSU und Bayern gleichzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben bei der Landtagswahl von 56 % der Wählerinnen und Wähler dafür eine anständige Watschn bekommen,

(Zurufe von der CSU: Aber Sie auch!)

aber offenbar nichts daraus gelernt.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)