Protocol of the Session on April 1, 2009

Eine funktionierende Justiz - da rede ich nicht nur von der Strafjustiz, sondern auch von der Zivilgerichtsbarkeit, die so gut wie gar nicht in Ihrem Vortrag vorkam, Frau Justizministerin - ist und bleibt ein wichtiger Standortfaktor auch für die Wirtschaft. Sie wissen, was es bedeutet, fünf Jahre in langwierigen Verhandlungen zu stecken, wie das im europäischen Ausland teilweise der Fall ist.

Wir haben eine gut funktionierende Justiz und wir sollten diese gut funktionierende Justiz hegen und pflegen, damit nicht in ein paar Jahren das böse Erwachen kommt. Die Richter und Staatsanwälte haben immer mehr Aufgaben zu bewältigen und immer höhere Belastungen zu tragen. Und wie hat man das in den vergangenen Jahren kompensiert? Durch den Abbau von Verfahrensrechten! Ist das eine Lösung, meine Damen und Herren? Ist es eine Lösung, dass man Verfahrensrechte insbesondere in den Rechtsmittelzügen beschneidet? Ist das die Lösung? Ich sage: Nein.

Ich fand es bedrückend, dass Sie die Anregung in unserem Antrag, die Sache Landesbank, das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Landesbank, zur Chefsache zu erklären, abgelehnt und gesagt haben, Nein, das wollen wir nicht. Die Mehrheit in diesem Hohen Hause hat diesen Antrag abgelehnt. Die Causa Landesbank ist nicht Chefsache, wohl aber der Verbraucherlotse. Das ist die falsche Schwerpunktsetzung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den Freien Wählern - Zuruf von der CSU: Riesenbeifall!)

Die Justiz ist Kernbereich unserer Landespolitik. Der Stellenwert der Justiz muss wieder erhöht werden. Herr

Kollege Radwan, ich gebe Ihnen durchaus recht, wenn Sie sagen, über den Verbraucherschutz darf es keine ideologische Auseinandersetzung geben. Wenn Sie sich dafür einsetzen, dass man die überbordende Bürokratie im Auge hat, dann bin ich voll bei Ihnen. Erklären Sie das bitte dann auch der Justizministerin. Sie will ein neues Klageverfahren. Wenn in einem Supermarkt in den Zahnpastatuben 10 mg zu wenig enthalten sind, dann muss nicht mehr der Einzelne klagen, sondern man kann sich zusammenschließen. Meine Damen und Herren! Die Zahnpastatube gegen das Desaster bei der Landesbank - ist das die richtige Schwerpunktsetzung?

(Beifall bei den Freien Wählern - Zurufe von der CSU)

- Ich sehe, dass Sie nervös werden.

(Heiterkeit und Lachen bei der CSU - Georg Schmid (CSU): Da müssen Sie aber früher aufstehen!)

- Es ist schön, dass ich Sie jetzt aus Ihrem Dornröschenschlaf habe wecken können.

(Zurufe von der CSU)

Vielleicht denken Sie jetzt über die Frage der richtigen Schwerpunktsetzung nach; denn es ist wirklich bedauerlich und zum Weinen, dass man davor nach wie vor die Augen verschließt.

Wir haben den Antrag gestellt, die Gelder für das sogenannte Jugendgericht zu erhöhen. Wir meinen das Experiment, bei dem Jugendliche über die Straftaten Gleichaltriger beraten. Wir haben beantragt, statt 60 000 Euro 120 000 Euro in den Haushalt einzustellen. Das ist natürlich abgelehnt worden; Sie haben über diesen Vorschlag nicht einmal nachgedacht, sondern lediglich reflexhaft gesagt: Er kommt von der falschen Seite. Wahrscheinlich werden wir irgendwann in den nächsten Monaten einen gleichlautenden Antrag von Ihnen bekommen, sowie es viel zu häufig der Fall in diesem Hohen Hause ist.

(Zurufe von der CSU)

Meine Damen und Herren, ich stelle abschließend fest, das Justizressort ist ein Kernressort. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Wir müssen die richtigen Schwerpunkte setzen. Es kann nicht sein, die Staatsanwaltschaften so zu überlasten, dass es am Rande des rechtsstaatlich Vertretbaren ist. Die Staatsanwaltschaften müssen Diebstahlsfälle innerhalb einer halben Stunde bearbeiten. Das geht nicht.

(Zuruf von der SPD: Fünf Minuten sind das nur!)

Gerechtigkeit, schnelles Recht und verlässliches Recht sind der wesentliche Standortfaktor. Ich sagte es bereits. Derjenige, der hierher kommt und sich als Unternehmer niederlässt, muss auf unsere Rechtsordnung und auf die Durchsetzung seiner Rechte vertrauen können. Dazu brauchen wir eine ordentliche Personalausstattung.

Leider haben wir bei diesem Doppelhaushalt die Chance verpasst, die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Ich hoffe, dass uns dies im nächsten Doppelhaushalt gelingt. Diesem vorliegenden Haushalt jedenfalls können wir nicht zustimmen; denn dieser Haushalt setzt leider die falschen Schwerpunkte. Er negiert, dass im Kern der Justiz immer noch Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger stehen, und diese gehen leider leer aus.

(Beifall bei den Freien Wählern)

Danke sehr, Herr Kollege Pohl. Als Nächste hat Frau Kollegin Christine Stahl das Wort.

(Abgeordnete Christine Stahl (GRÜNE) senkt das Rednerpult ab)

Ich wusste gar nicht, dass Herr Kollege Pohl so groß ist. Das dauert aber. Bitte, Herr Präsident, nicht auf die Redezeit anrechnen.

Frau Kollegin, wir sind heute großzügig.

Sehr verehrtes Präsidium, sehr geehrte Herren und Damen! Was soll die Justiz leisten? - Sie soll Sachverhalte aufklären, sie soll in Unabhängigkeit zügig und fundiert Recht sprechen, sie soll für einen gerechten Ausgleich sorgen und für unter Umständen gerechte Sanktionen. Sie soll aber auch präventiv tätig sein oder gegebenenfalls Resozialisierung ermöglichen. Sie soll auch für den notwendigen Schutz von Opfern sorgen. Das ist eine sehr lange Liste, fürwahr, aber auch eine banale Liste, und doch halte ich die Aufzählung für dringend geboten; denn wir müssen genau diese Aufgaben bei der Haushaltsdebatte wieder etwas stärker ins Bewusstsein rücken.

Gleichzeitig muss ich diese Aufzählung natürlich mit der Frage verbinden: Kann die bayerische Justiz das alles noch leisten? Wir sind der Meinung: In diesem Umfang kann sie das nicht mehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Viele Bürgerinnen und Bürger setzten Ende des letzten Jahres nach den Wahlen große Hoffnungen in einen Neuanfang bei der CSU mit einem neuen Ministerpräsidenten, der in der vierten Leitlinie seiner Regierungs

erklärung verkündete: Wir brauchen einen starken Staat. Konkret zur Justiz sagte er: In dieser Legislaturperiode werden wir die Justiz um 400 Stellen für Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugsbeamten verstärken.

So der Ministerpräsident. Ich will heute nicht das Staatsverständnis des Herrn Ministerpräsidenten diskutieren, das mir befremdlich erscheint.

- Es erscheint mir befremdlich, weil die Aufgaben der Justiz in dieser Regierungserklärung ausschließlich unter dem Blickwinkel diskutiert wurden, ob sie letztendlich der verlängerte Arm der Innenpolitik sein können, aber sie wurden nicht unter Demokratiegesichtspunkten diskutiert.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für diese Debatte bräuchten wir eine eigene Aussprache. Das kann ich in elf Minuten wirklich nicht leisten. Ich will heute im Rahmen des Justizhaushaltes nur darüber diskutieren, was von den Versprechungen im Koalitionsvertrag und in der Regierungserklärung übrig geblieben ist. Am Beispiel der Ausstattung mit Richtern und Staatsanwaltschaften ist zu sehen, dass von den Versprechungen im Justizhaushalt bis heute wenig bis nichts angekommen ist. Ich hätte Herrn Ministerpräsidenten gerne gefragt, was er für ein Zeitverständnis hat. Wie lange dauert bei ihm eine Legislatur?

(Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Wenn wir die zehn Stellen zugrunde legen, die heute angekündigt wurden, brauchen wir 80 Jahre, um das Defizit auszugleichen.

(Unruhe)

Beim besten Willen und bei aller Liebe zur Rechtspolitik: Ich mag hier nicht 80 Jahre sitzen, um das Ende der Legislatur abzuwarten; denn dann bin ich 132 Jahre.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Überhaupt keine Ausführungen finden wir erstaunlicherweise zu einem weiteren Sicherheitsaspekt. Obwohl Ihnen die Sicherheit als soziales Grundrecht am Herzen liegen soll, finden wir kein Wort zur Resozialisierung, zur Therapie, zur Bewährungs- und Strafentlassenenhilfe. Genauso - pardon - sieht in diesen Bereichen der Haushalt aus. Sie haben es als Justizministerin - ich möchte Sie dafür ausdrücklich loben anscheinend geschafft, Ihre Fraktion davon zu überzeugen, dass Therapie enorm wichtig und ein Garant für mehr Sicherheit ist, weil sie auch Resozialisierung bietet. Hier wurde sehr viel erreicht, jetzt auch mit dem

Angebot einer verstärkten therapeutischen Arbeit mit psychisch kranken jugendlichen Straftätern.

Wenig bis kein Geld fließt aber auf der anderen Seite in die Bewährungs- und Strafentlassenenhilfe. Wenn man genau hinsieht, muss man feststellen, dass das wirklich eine fahrlässige Politik ist. Es gibt mittlerweile in München und Augsburg mehrere Überlastungsanzeigen von Bewährungshelfern und -helferinnen. Das halte ich für unerträglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Durchschnittszahl an Probanden- es gibt Zahlen, die durchaus darüber liegen - beträgt 94 pro Bewährungshelferin oder -helfer. Echte Hilfe kann so nicht mehr geleistet werden. Qualitätsstandards, die einmal eingeführt wurden, gehen in Rauch auf. Arbeitszeiten bis 20.00 oder 21.00 Uhr sind keine Ausnahme. Somit wird das Geld, das mit der einen Hand sinnvollerweise für Therapie ausgegeben wird, mit der anderen Hand zum Fenster hinausgeworfen. Es genügt nicht, Straftäter ihre Haft absitzen zu lassen und vereinzelt persönliche Defizite dieser Menschen zu behandeln. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Der Strafvollzug muss sinnvoll und als Vorbereitung auf ein Leben ohne Strafe ausgestattet sein, und es muss auch eine Möglichkeit geben, die Betroffenen nach der Strafentlassung an die Hand zu nehmen. Sie brauchen Arbeit, Wohnung und Ausbildung, um nicht rückfällig zu werden.

Meine Herren und Damen, wohin will also die Justiz? Die Kritik der bayerischen Justizgewerkschaft, des Richtervereins, des Verbands bayerischer Rechtspfleger, der Gerichtsvollzieher und der Bewährungshilfe sollte Sie etwas stutzig machen; denn sie geht unisono in eine Richtung. Lieber Herr Kollege Radwan, es geht auch nicht darum, mal eben Stellen zu fordern, sondern es geht um die Funktionstüchtigkeit der dritten Säule in unserem Staat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das hat für uns eine andere Wertigkeit als für Sie. Wir müssen uns darum kümmern, dass wir das finanzieren. Nachdem ich hier gestern gehört habe, dass Geld für ein Uniklinikum in Augsburg da ist, obwohl es Überkapazitäten gibt, und anscheinend Geld für ein Museum für bayerische Geschichte da ist, dann darf ich mich auch hier herstellen, Herr Radwan, Frau Justizministerin, und Stellen für die Justiz fordern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Merk, Sie haben sowohl im Haushaltsausschuss als auch heute hier versucht, Zuversicht zu verbreiten. Sie haben am Ende aber nur Mangelwirtschaft verkün

det. Sie versprechen zwar Änderungen und verpacken diese in positives Denken, aber positives Denken nützt wie Warzenbesprechung herzlich wenig. Man muss auch etwas tun.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte einige kleine Beispiele nennen. Ich erwähne das Modell der Schülergremien und Team Courts. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man an Schulen mit kleineren Delikten umgehen kann. Sie möchten zwar eine Ausweitung - dafür sind wir auch -, aber es wird dafür natürlich kein Geld in Aussicht gestellt.

Ich halte es für sehr problematisch, dass die Mittel für Aus- und Fortbildung von Betreuern und Betreuerinnen und für die Gefangenenbeförderung nicht aufgestockt werden. Auch das ist ein Problem. An uns wird immer wieder die Bitte herangetragen, Ausgang zu bekommen oder verlegt zu werden. Dafür gibt es relativ wenig Geld. Es gibt aber stattdessen unglaublich viel Geld für Verlegungen von Behörden und Ämtern. Für Gerichtsvollzieher und Gerichtsvollzieherinnen gibt es 80 neue Stellen. Ich habe mir im ersten Moment auch gedacht, dass das wunderbar ist. Wenn man aber sieht, dass insgesamt 200 geprüfte Gerichtsvollzieher und -vollzieherinnen noch nicht anerkannt sind, muss man feststellen, dass die neuen Stellen eben noch lange nicht ausreichen.