Protocol of the Session on July 18, 2013

Was den Arbeitskampf betrifft, so sind die Dinge – ungeachtet dessen, dass Sie es vielleicht hundertmal wiederholen – inzwischen eindeutig geregelt. Sie haben selber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitiert.

Zum Schluss warne ich davor, die Bedeutung einer Bannmeile zu verniedlichen. Abgesehen davon, dass nahezu jedes demokratische Organ in der Form eines Parlaments eine Bannmeile hat, stehe ich dazu, dass so etwas notwendig ist. Ich möchte mich hier nicht unter dem Druck der Straße auseinandersetzen, sondern frei und ohne irgendwelche Drucksituationen, die Dritte erzeugen, die hier keine Verantwortung haben, entscheiden können.

Ihr Vorschlag wird von uns vollinhaltlich abgelehnt.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin ist für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Christine Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Ausufernde Videoüberwachung, vielfältige Streetview-Angebote, Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen und Überwachung und beschränkte Nutzung von Grünflächen - ich frage Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen: Wem gehört eigentlich der öffentliche Raum? Wem gehört die Stadt? Diese grundsätzliche Frage sollten Sie sich bei all den Themen, die Sie im Bürgerrechtsbereich immer wieder meinen ansprechen zu müssen und die mit Beschränkungen verbunden sind, einmal stellen. Sie müssen sie sich stellen, um eine grundlegende Antwort geben zu können; denn es geht um nichts weniger als um Bürgerrechte.

Selbstverständlich muss es für die Nutzung öffentlichen Straßenraums, der für den Verkehr geöffnet ist und Kommunikationsfunktion hat, Regeln geben. Doch leider erleben wir, dass Sie Sicherheits- und Ordnungsprinzipien – gerade Herr Heike ist dafür ein fulminanter Vertreter – regelmäßig dazu nutzen, Freiheitsrechte zu beschränken. Es gibt aber kein Grundrecht auf Sicherheit und Ordnung, auch wenn diese Begriffe in einfachgesetzlichen Regelungen selbstverständlich eine Rolle zu spielen haben.

Nach all den Jahren hier im Haus habe ich den Eindruck gewonnen, dass Sie Angst vor vermeintlichem Chaos haben und sich Rettung durch autoritäre Regelungen erhoffen. Ihre Triebfeder scheint es zu sein, diese Angst in Abwägungsprozessen mit autoritären Regeln in den Vordergrund zu stellen. Aber ein guter Ratgeber sind diese noch nie gewesen.

So läuft es wie gehabt: Wir zeigen ein Problem auf. Sie leugnen das Problem, auch wenn es dafür Belege gibt. Diese Leugnung der Realität ist Ihnen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mich manchmal frage, wie man da noch Sachpolitik betreiben will, selbst wenn man Ihnen vorliest, wo es die Schwierigkeiten gibt und dass es Prozesse gibt, die deswegen geführt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das ist beispielsweise bei Versammlungen der Gewerkschaften so.

Ich mache eine zweite Bemerkung. Sie interpretieren Verfassungsgerichtsentscheidungen so um, dass sie Ihnen ins politische Konzept passen. Und Sie verbreiten per Schreckgemälde Angst, etwa indem Sie wie heute wieder der Öffentlichkeit einreden wollen, es gehe ans Eingemachte, hier an das Eigentum, als

stünde Verdi mit seinen Streikposten demnächst in Nachbars Garten.

Ich möchte Ihnen – oder ich sollte sagen: dem Protokoll, damit alle es nachlesen können – einen Auszug aus der Verfassungsgerichtsentscheidung vom 22. Februar 2011 einmal vor Augen führen. Da geht es zum einen darum, dass die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo allgemeiner, öffentlicher Verkehr stattfinden kann, zusichert, um Forderungen bei einem allgemeinen Publikum Gehör zu verschaffen und Protest oder Unmut sinnbildlich auf die Straße zu tragen, wie es Kollege Arnold schon ausgeführt hat.

Dann kommt das eigentlich Interessante. Ich zitiere:

Diese Versammlungsfreiheit gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen. Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht oder Private im Wege der mittelbaren Drittwirkung in Anspruch genommen werden können. Dies gilt unabhängig davon, ob die Flächen sich in eigenen Anlagen befinden oder in Verbindung mit Infrastruktureinrichtungen stehen, überdacht oder im Freien angesiedelt sind. Grundrechtlich ist auch unerheblich, ob ein solcher Kommunikationsraum mit den Mitteln des öffentlichen Straßen- und Wegerechts oder des Zivilrechts geschaffen wird.

Das ist für mich glasklar und eindeutig pro Versammlungsfreiheit, auch in der Weise, wie wir sie uns vorstellen. Obwohl Sie das nicht können und es Ihr Vorstellungsvermögen überschreitet, werde ich mich verfassungsgemäß verhalten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mut muss ich den Kollegen der neuen Legislaturperiode bei diesen Themen wirklich nicht machen. Aber ich wünsche ihnen Durchhaltevermögen und hoffe, dass sie die Bürgerrechtsthemen wie gehabt immer wieder auf die Tagesordnung setzen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Bevor ich dem nächsten Redner das

Wort erteile, gebe ich Ihnen noch das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Aiwanger, Streibl, Dr. Vetter und Fraktion der FREIEN WÄHLER betreffend "Rolle Bayerns beim Transplantationsskandal – wer täuscht die Öffentlichkeit?", Drucksache 16/17932, bekannt: Mit Ja haben 19 Abgeordnete gestimmt. Es gab 132 Nein-Stimmen und keine Stimmenthaltung. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt worden.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 6)

Nun kommen wir zum nächsten Redner. Für die FREIEN WÄHLER hat Joachim Hanisch das Wort. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit dem Bayerischen Versammlungsgesetz haben wir uns schon vor zwei Jahren beschäftigt; damals kam diesbezüglich von Ihnen gar nichts. Wir berieten intensiv und ließen uns viele Möglichkeiten offen; das Gesetz ist schließlich geändert worden.

Wir haben uns nunmehr im Wesentlichen mit vier Punkten zu beschäftigen: Zusammentreffen von Arbeitskämpfen und Versammlungen, Anzeigepflicht für kleine Versammlungen, Videoaufnahmen der Polizei, "Befriedeter Bezirk" rund um den Landtag.

Meine Damen und Herren, der "Befriedete Bezirk" dient dem Schutz und der Funktionsfähigkeit des Landtags. Insofern halten wir ihn für gerechtfertigt. Ich kann mir lediglich eine Regelung vorstellen, wie sie der Bundestag getroffen hat, die auch als "präventives Verbot" bezeichnet wird –: Versammlungen sind grundsätzlich erlaubt, können aber im Einzelfall verboten werden.

Für die Frage, ob wir uns vor dem Bürger schützen müssen, habe ich zwar Verständnis; aber ich möchte hier nicht beraten, wenn draußen laut gegrölt wird.

Hinsichtlich der Videoaufnahmen der Polizei sehe ich keinen Handlungsbedarf. Wir legen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts so aus, wie wir glauben, dass es ausgelegt werden muss. Es gibt die Möglichkeit, dass der Einzelne insoweit tätig wird.

Für Spontanversammlungen entfällt die Anzeigepflicht ohnehin, für Eilversammlungen ist die Frist verkürzt. Sie auch für Versammlungen mit weniger als 20 Teilnehmern gänzlich entfallen zu lassen, öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Es besteht die Gefahr, dass eine Versammlung nicht angemeldet wird, obwohl man nicht weiß, was letztlich daraus wird. Das weiß der Anzumeldende durchaus besser als derjenige, der die Anmeldung entgegennimmt. Insofern wäre mit der

im Gesetzentwurf enthaltenen Regelung eine gewisse Gefahr verbunden.

Nächster Punkt: Zusammentreffen von Arbeitskämpfen und Versammlungen. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit zugunsten der Koalitionsfreiheit oder des Arbeitskampfes ist in unseren Augen rechtlich sehr problematisch; denn Grundrechtsschutz wird sowohl von Artikel 8 als auch von Artikel 9 des Grundgesetzes gewährt. Insofern werden wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege. Würden Sie bitte noch bleiben, damit Kollegin Stahl eine Zwischenbemerkung mit Ihnen austauschen kann?

Gern.

Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Kollege, ich nehme zur Kenntnis, dass für Sie Demonstrationen per se erst einmal "grölende Mengen" sind, denen man sich nicht widersetzen könne.

Ich nehme auch zur Kenntnis, dass Sie nicht wissen, dass wir ein Hausrecht haben, das uns weitgehend schützt. Sei’s drum.

Stimmen Sie mir zu, dass alle diejenigen, die eine Versammlung abhalten, dies in der Regel deshalb tun, weil sie etwas öffentlich machen wollen? Wäre es anders, brauchten sie keine Demonstration zu veranstalten. Wir reden hier nicht von Geheimbünden, sondern von Veranstaltungen, die dem Transport von Ideen, der Kommunikation etc. pp. dienen. Es liegt also in der Regel sowieso im Interesse des Veranstalters, dass Demonstrationen angekündigt werden. Meinen Sie nicht, dass damit Öffentlichkeit hergestellt ist und auch die Polizei weiß, was läuft?

Herr Kollege Hanisch zur Erwiderung, bitte.

Ich kann Ihnen nicht zustimmen; denn die vorgeschlagene Regelung könnte umgangen werden. Wenn Sie als Veranstalter eine Versammlung nicht anmelden, weil Sie sagen, dass Sie 15 Teilnehmer erwarten, es aber hinterher 100 Teilnehmer sind, dann haben Sie und die Polizei das nicht in der Hand.

(Christine Stahl (GRÜNE): Das haben Sie doch jetzt auch nicht!)

Wenn ich die Anzeige habe und mir entsprechende Erkenntnisse vorliegen, kann ich die Versammlung untersagen. Wenn mir bei weniger als 20 Teilnehmern keine Anzeige vorliegt, habe ich überhaupt keine Möglichkeit, rechtzeitig zu reagieren.

Zum "Grölen" auf Versammlungen: Ich habe mich auf den Extremfall bezogen. Natürlich gehe ich davon aus, dass Versammlungen in der Regel friedlich verlaufen. Wenn aber die Bannmeile um den Landtag abgeschafft wird, muss ich auch hier mit dem Extremfall rechnen. Es würde mir persönlich nicht passen, wenn dieser einträte. Ich bin der Meinung, dass die Bannmeile ihre Berechtigung hat, habe aber auch signalisiert, dass ich mit einer Regelung leben könnte, wonach Versammlungen grundsätzlich erlaubt sind, aber im Einzelfall verboten werden können.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank. – Es gibt eine weitere Zwischenbemerkung. Herr Kollege Horst Arnold von der SPD-Fraktion, bitte schön.

Herr Kollege Hanisch, ich sage nur zur Klarstellung: Die unterlassene Anmeldung ist kein Grund, eine Versammlung nicht durchzuführen.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Polizei ist nach unserer Rechtsordnung befugt – Gott sei Dank; dazu stehen wir, weil das wichtig ist –, dann tätig zu werden, wenn aus der Versammlung heraus Straftaten begangen werden bzw. die öffentliche Ordnung massiv und intensiv beeinträchtigt wird. Wenn Sie sagen, eine Versammlung müsse angemeldet werden, damit sie genehmigt werde, dann zeigt das, welch obrigkeitsstaatliche Einstellung Sie in Bezug auf Gesetze haben. Ich bitte Sie dringend, die Sommerferien dafür zu nutzen, Hausaufgaben zu machen und das Gesetz zu lesen.

(Beifall bei der SPD)

Diese Belehrung brauche ich mir nicht anzuhören. Die rechtliche Situation ist mir klar. Dazu stehen wir, und wir vertreten sie auch. Aber Ihrem Gesetzentwurf können wir bei aller Liebe nicht zustimmen.