So sind wir doch auf die entsprechenden Vorhalte hin belehrt worden. War es nun der CSU-Vorsitzende, oder war es der Ministerpräsident?
Wenn es der Ministerpräsident gewesen sein sollte, dann war es jedenfalls stillos, so zwischen Bierdunst und Fischsemmeln eine Verfassungsänderung anzukündigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch fast 70 Jahre nach dem Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung von 1946, in denen sich unser Land, Europa und die ganze Welt in einer Weise verändert haben, wie es sich die Väter und die wenigen Mütter unserer Verfassung nicht haben vorstellen können, besteht – Gott sei Dank! – weiterhin keine Notwendigkeit für eine Totalrevision der Verfassung. Denn das, was 1946 angesichts des Trümmerfeldes in die Bayerische Verfassung geschrieben worden ist, ist auch nach dem Inkrafttreten und den vielen zwischenzeitlichen Änderungen des Grundgesetzes und trotz der Überlagerung durch Kompetenzen des Bundes und der Europäischen Ebene immer noch modern und zeitgemäß und genauso identitätsstiftend für unser Land wie der Watzmann oder der Chiemsee; denn die Bayerische Verfassung ist viel mehr als nur eine Geschäftsordnung des Staates, ein Instrument of Government. Sie war immer viel mehr, nämlich eine Werteordnung, die in den fast 70 Jahren nicht an Aktualität und Strahlkraft verloren hat und mit ihrer fast schon poetischen Sprache ein freiheitliches Gemeinwesen beschreibt, das zu bewahren und behutsam fortzuentwickeln gerade in Zeiten der europäischen Integration, der Globalisierung und der zunehmenden Ökonomisierung vieler Lebensbereiche und auch der Nivellierung der Unterschiede vieler Kulturen weiterhin eine lohnende Aufgabe ist.
Für uns Sozialdemokraten ist die Bayerische Verfassung – ich sage das ganz bewusst – fast heilig, auch deshalb, weil sie nicht von der CSU stammt, sondern von einem Sozialdemokraten konzipiert worden ist.
Die Bayerische Verfassung von 1946 ist aber kein Denkmal, und sie ist auch kein Weltkulturerbe, das unverändert zu den Akten genommen werden könnte. Vielmehr ist es von Zeit zu Zeit geboten, behutsame Änderungen vorzunehmen, ohne den freiheitlichen Kern der Verfassung anzutasten.
Den hohen Hürden für die Änderung der Verfassung ist es zu verdanken, dass die Bayerische Verfassung seit 1946 nur wenige Male und dann auch jeweils aus guten Gründen geändert worden ist. In dieser Tradition steht auch der jetzige interfraktionelle Gesetzent
wurf. Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Es war nicht gut, dass der Ministerpräsident in seiner Eigenschaft als CSU-Vorsitzender im Jahre 2011 ausgerechnet beim politischen Aschermittwoch zwischen Bier und Fischsemmeln – so ist es kommentiert worden – eine Änderung der Verfassung angekündigt hat,
wobei es ihm im Wesentlichen nicht um die Punkte eins, zwei, drei gegangen ist, sondern lediglich um die Schaffung einer Integrationspflicht für Migranten, um Stimmungen und Emotionen zu bedienen.
(Beifall bei der SPD - Dietrich Freiherr von Gump- penberg (FDP): Wann, wo und wie? Ich frage, ob das richtig ist!)
Es war und ist nicht gut. Eine Verfassungsänderung kündigt man nicht im Bierzelt an, Herr Kollege, sondern ist über Jahrzehnte hinweg immer in ernsthaften Gesprächen zwischen den Fraktionen diskutiert worden.
Ich muss dazu nichts weiter ausführen, möchte aber doch noch kurz zitieren, was Ernest Lang im Bayerischen Rundfunk dazu gesagt hat.
Wer wie Seehofer aus heiterem Himmel vor 3.000 bierseligen Anhängern Vorschläge zur Verfassungsänderung in die Welt setzt, der hat entweder noch nicht gemerkt, dass die CSU selbst in ihren besten Zeiten nie allein eine Verfassungsänderung hätte durchsetzen können.
- Es wird nicht besser, Herr Minister, wenn 7.000 dabei sind. Die Behauptung, dass es 7.000 waren, ist falsch. Es waren nie mehr als 3.000, auch im letzten Jahr nicht.
Es kommt ihnen offensichtlich auf den kurzfristigen politischen Knalleffekt an. Das war es im Grunde genommen. Das Anliegen, die Integration von Ausländern als politische Aufgabe in der Verfassung zu verankern, löste sich auf wie der Bierdunst am Ende des Politischen Aschermittwochs. Auch in der Bayerischen Staatskanzlei hat danach die Fastenzeit begonnen und Seehofer steht wieder einmal vor einem Scherbenhaufen. Seehofer hat sich selbst beschädigt und er hat der Bayerischen Verfassung einen Bärendienst erwiesen.
Meine Damen und Herren, der jetzige Vorschlag zur Änderung der Verfassung ist das Ergebnis ernsthafter Gespräche zwischen fast allen Fraktionen des Hohen Hauses und natürlich ein Kompromiss, so wie es auch in der Vergangenheit immer der Fall war. Natürlich ist jedem klar, dass Verfassungsbestimmungen die aktuelle Tagespolitik nicht ersetzen können und dass die einzelnen Bestimmungen erst lebendig werden, wenn sie in Tagespolitik umgesetzt werden. Dennoch ist es gut und richtig, dass künftig in der Verfassung die Förderung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz Bayern verankert sind. Ich freue mich auch deshalb, weil wir das seit vielen Jahren immer wieder gefordert haben und ich mich noch gut daran erinnern kann, wie vor etwa einem Jahr Kollege Dr. Rabenstein, als er diesen Vorschlag eingebracht hat, niedergebügelt wurde. Ich freue mich, dass die Erkenntnis nun gewachsen ist.
Es ist auch gut, dass die Förderung des ehrenamtlichen Einsatzes für das Gemeinwohl durch Staat und Gemeinden künftig in der Verfassung steht - gerade angesichts der Hochwasserkatastrophe ist das ein ganz wichtiges Symbol -, und es ist auch gut, dass der Landtag im Zusammenhang mit Fragen der europäischen Integration mehr Rechte bekommt. Deswegen auch unsererseits herzlichen Dank, Herr Vizepräsident Bocklet, für Ihr Engagement in dieser Sache.
Es ist auch gut, dass sich der Staat verpflichtet, die Gemeinden angemessen mit Finanzen auszustatten, was immer das im Einzelfall bedeutet.
Was die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung betrifft, gibt es bekanntermaßen durchaus un
terschiedliche Meinungen, ob die vorgeschlagene Änderung des Artikels 82 der Bayerischen Verfassung angesichts der bereits vorhandenen Regelungen im Grundgesetz wirklich sein muss. Und es gibt die Befürchtung, dass sich die Schuldenbremse im Krisenfall zulasten der Gemeinden oder der Sozial- und Bildungspolitik auswirken könnte, wenn nicht gleichzeitig auch die Sicherung der Einnahmenseite festgeschrieben wird. Sie wissen, dass das unser Anliegen war. Wir haben uns da leider nicht durchsetzen können. Dennoch trägt auch meine Fraktion diesen Kompromiss mit. Freilich wird die Umsetzung im Zusammenhang mit einem Ausführungsgesetz zur Bayerischen Haushaltsordnung noch viele Streitfragen aufwerfen.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten stimmen den vorgeschlagenen Verfassungsänderungen zu und werden auch den Bürgerinnen und Bürgern empfehlen, am 15. September zusammen mit der Landtags- und Bezirkstagswahl die Vorschläge anzunehmen. Wir sind der Überzeugung, dass die Bayerische Verfassung durch diese Änderungen nichts von ihrem freiheitlichen Charakter verliert und dass die Väter und wenigen Mütter der Verfassung die jetzt vorgeschlagenen Änderungen bereits vor fast 70 Jahren in die Verfassung geschrieben hätten, wenn die Problemlagen damals schon bekannt gewesen wären. Wir sind sicher, Wilhelm Hoegner würde die Verfassungsänderungen jetzt mittragen, er hätte sie möglicherweise sogar selbst, vielleicht sogar noch ein bisschen schöner, formuliert. Wir stimmen also zu und empfehlen auch die Annahme.
Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Es geht heute nicht darum, wer für diese Verfassungsänderungen das Erstgeburtsrecht hat. Es geht auch nicht darum, wer der Verfassung irgendwo einen Bärendienst erwiesen hat oder nicht. Vielmehr geht es darum, dass vier Fraktionen dieses Hauses gemeinsam Verfassungsänderungen ausgehandelt haben, sie gemeinsam auf den Weg bringen und einen Konsens gefunden haben, der diesem Haus letztlich zur Ehre gereicht.
In diesem Zusammenhang möchte ich ganz besonders dem Kollegen Georg Schmid danken, der diese interfraktionelle Arbeitsgruppe auf höchster Ebene souverän und sehr gut geleitet hat. Er hat uns jeder
zeit das Gefühl gegeben, willkommen zu sein und mitarbeiten zu können. Wir konnten unsere Gedanken und Anregungen sehr gut einbringen und hatten das Gefühl, dass wir auf einer sehr guten Basis zusammenarbeiten. An dieser Stelle ein besonderes Dankeschön!
Meine Damen und Herren, diese Änderungen, die wir in unsere Verfassung aufnehmen wollen, sind nicht Makulatur, sondern betreffen ganz zentrale Themen und Herausforderungen für unsere bayerische Gesellschaft heute. Gerade die Schaffung von gleichwertigen Lebensverhältnissen in ganz Bayern, in Stadt und Land, ist eine zentrale Herausforderung für die Zukunft Bayerns.
Wir leben in einem Zeitalter des demografischen Wandels, wir leben in einem Zeitalter der zunehmenden Metropolisierung des Planeten. Es gibt Prognosen, wonach 2050 80 % der Weltbevölkerung in Metropolen leben werden. Es erfolgt ein ganz massiver Druck auf die Metropolen dieser Welt, auch auf die Metropolen in unserem Land Bayern. Wir als Politiker sind gemeinsam herausgefordert, die Strukturen in Bayern zu schaffen, auch im ländlichen Raum, die es letztlich jedem Einzelnen in diesem Land ermöglichen, in seiner angestammten Heimat sein Lebensglück zu finden und zu schmieden. Das ist unsere Herausforderung.
Dazu ist es notwendig, im ländlichen Raum die nötigen Infrastrukturen zu schaffen, angefangen von Straße und Schiene über das DSL, den Internetausbau, der genauso notwendig ist, die Daseinsvorsorge, die Bildung in all ihren Facetten, auch die duale Bildung und das Handwerk, die medizinische Versorgung, die Pflegeleistungen in einer alternden Gesellschaft bis hin zum Arbeiten und Wirtschaften. Diese Herausforderungen müssen wir bestehen, damit wir die Menschen in ihrer Heimat halten können und die Metropolen vor einem übermäßigen Zuzugsdruck schützen. Das ist die Herausforderung in Bayern.
Darüber hinaus hat das Ganze natürlich auch mit einem Wertegerüst und einem Wertewandel zu tun. In Metropolen entwickeln sich andere Werte als auf dem Land. Ein Beispiel: In der Megametropole London hat nur noch ungefähr ein Drittel der Haushalte eine Küche. Sie ist nicht mehr notwendig. Man lebt vor dem Fernseher und von der Mikrowelle.
Wenn zum Beispiel die Küche als Ort des geselligen Austausches, des Zusammenkommens wegfällt, ändern sich auch Werte im gesamten Familienbild, letztlich auch in der Erziehung und im ganzen Leben.