- Herr Kollege Schmid hat "Dialog" gesagt. Das ist nicht das Ergebnis eines Dialogs, sondern das, worüber wir hier diskutieren, ist einfach ein in Form gegossener Populismus des Herrn Ministerpräsidenten Seehofer.
(Beifall bei den GRÜNEN - Georg Schmid (CSU): Das ist ganz schwach! Sie enttäuschen mich, Frau Stahl! Ich halte so viel von Ihnen, und jetzt machen Sie so etwas, Frau Vizepräsidentin! Schade!)
Herausforderungen, denen sich die Staatsregierung in aktiver Politik stellen sollte, fasst sie in konsequenzlose Programmsätze.
Sie sind in weiten Teilen, Herr Kollege, überhaupt nicht einklagbar. Ich nenne das eine Bankrotterklärung aktiver, gestaltender Politik.
Während Verfassungsrichter davor warnen, Grundgesetz und Bayerische Verfassung für die Tagespolitik zu verwenden,
sondern in ihnen die Kernsätze demokratischer Grundsätze festzuschreiben, wirft der Ministerpräsident seit 2010
Das ging mit der Entbeamtung von Lehrerinnen und Lehrern los, bis sich dann die Berufsverbände zu Wort gemeldet haben − dann versank das in der Versenkung. Die Freiheit im Internet sollte verankert werden. Da hat der Ministerpräsident eine Forderung der Jungen Union auf Europaebene unterstützt, bis sich dann herausgestellt hatte, dass es nicht ganz so einfach ist, Stichwort Urheberrecht. Unvermeidlich ist das Thema − Sie haben es dankenswerterweise angesprochen, Herr Güller − Integrationspflicht für Ausländer, das aus Opportunitätsgründen in der Versenkung verschwunden ist.
(Harald Güller (SPD): Und weil SPD und FREIE WÄHLER nicht bereit waren, darüber überhaupt zu reden!)
Volksentscheide auf Bundesebene wurden ebenfalls groß angekündigt. Davon ist nicht mehr die Rede. Es ist aber davon die Rede − das nennen wir Rosinenpickerei −, dass man Volksentscheide zu europäischen Themen haben möchte. Warum? − Weil man sich relativ sicher ist, dass da populistisch auch Unterstützung kommt.
Auf CSU-Seite ist von den Forderungen die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse übrig geblieben. Ich war sehr froh, Herr Güller, dass wenigstens noch die SPD einen kritischen Blick auf die ganzen Verhandlungen geworfen hat. Sie wissen selbst, dass ganz konkrete Maßnahmen notwendig sind, um diese gleichwertigen Lebensverhältnisse auch herzustellen. In den letzten Monaten war man hier noch nicht einmal in der Lage, ein ordentliches Landesentwicklungsprogramm auf den Weg zu bringen. Ich nehme daraus für mich in Anspruch zu glauben, dass sich, auch wenn das in die Verfassung hineingeschrieben wird, nicht sehr viel ändern wird.
Das Zweite ist die Schuldenbremse. Wir sind uns mit der SPD einig. Wenn man möchte, kann man das einfach gesetzlich regeln. Wir haben auch einen Gesetzentwurf eingebracht; denn selbstverständlich ist es unser Anliegen, dass wir solide Haushalte behalten bzw. auf den Weg bringen. Was haben wir hier? - Obwohl das bereits im Grundgesetz verankert ist, wird jetzt ausgerechnet vom Meister der Schattenhaushalte, der sich anscheinend selbst in die Pflicht nehmen muss, von Ministerpräsident Seehofer, ein weiteres Placebo in der Verfassung auf den Weg gebracht. Das wäre nicht nötig gewesen; denn Sie haben das Heft des Handelns doch in der Hand. Wir werden in diesen Tagen die Haushalte noch diskutieren. Dabei können Sie dann beweisen, wie sorgfältig Sie mit Steuergeldern umgehen.
(Harald Güller (SPD): Aber Seehofer war bei den Verhandlungen nicht dabei! Darum waren sie ja erfolgreich!)
Der nächste Punkt ist die Bindung der Staatsregierung bei Fragen, die die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union betreffen. Darüber kann man diskutieren; das ist sehr strittig. Wir haben zu diesen Fragestellungen ein Fachgespräch durchgeführt. Ich sage Ihnen: Wir halten diese Regelung für äußerst bedenklich, weil sie aus unserer Sicht nicht verfassungskonform ist. Ich nehme das jedenfalls aus dem Fachgespräch mit.
Hineinverhandelt wurde die Würdigung des Ehrenamtes. Ich verstehe gut, dass dieses Bedürfnis besteht, dass man die Staatsregierung endlich einmal auch
dazu zwingen möchte, für das Ehrenamt etwas zu tun. Ich erinnere mich aber auch, dass man hier zum Beispiel bei den Steuerbefreiungen für Absolventen des Freiwilligen Sozialen Jahres nicht zustimmen wollte. Dasselbe galt auch bei weitergehenden Freistellungen für Menschen, die ein Ehrenamt innehaben. Auch hier stand wieder einerseits ein wunderschöner Programmsatz zur Gewissensberuhigung, auf der anderen Seite gab es aber konkrete Anträge, denen nicht zugestimmt wurde.
Ich nehme Ihnen, der SPD und auch den FREIEN WÄHLERN, ab, dass das bei Ihnen im Konkreten, in der aktiven Politik anders aussieht; denn teilweise kamen die Anträge ja von dieser Seite. Dafür habe ich Verständnis. Auf der rechten Seite des Hauses aber nehme ich Ihnen dieses nicht ab.
Ein weiterer hineinverhandelter Punkt ist die Finanzausstattung der Gemeinden. Davon abgesehen, dass man sich allein schon darüber streiten kann, was eine "ausreichende Finanzierung" ist, fand ich doch sehr bemerkenswert, dass im Gesetzentwurf unter dem Punkt Kosten "keine" stand. Allein das zeigt schon, dass man nicht wirklich an einer ordentlichen Finanzausstattung der Gemeinden interessiert ist, wenn man das ganze mit "null Kosten" kennzeichnet.
Selbst wenn es in der Verfassung steht − da besteht sicherlich Einigkeit -, werden Sie darum kämpfen müssen, die Kommunen ordentlich auszustatten.
(Harald Güller (SPD): Aber dann mit anderen Koalitionen! Wir brauchen mit der anderen Verfassung auch eine andere Regierung!)
Über das, was angemessen ist, gehen hier im Hohen Hause die Vorstellungen weit auseinander. Letztendlich wird die Verfassung dadurch, dass ständig neue Staatsziele aufgenommen und unverbindliche programmatische Aussagen formuliert werden, geschwächt; die Verfassung droht damit beliebig zu werden.
Frau Kollegin Stahl, nach Schluss Ihrer Rede hat sich Kollege Pohl zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Ich bitte Sie, noch einmal an das Redepult zu treten, damit der Herr Pohl seine Zwischenbemerkung an Sie richten kann. Bitte sehr, Herr Kollege Pohl.
Frau Kollegin Stahl, ich möchte Sie doch gerne nach Ihrem Verfassungsverständnis fragen. Was steht denn in einer Verfassung? - Die Verfassung gibt den Rahmen vor. Natürlich sind darin nicht einklagbare Programmsätze enthalten. Das ist klar. Aber diese Programmsätze binden Gesetzgebung, Rechtsprechung und Exekutive. Wenn Sie die Bedeutung der Bayerischen Verfassung so gering achten, muss ich Sie schon fragen, warum Sie dann nicht den Antrag stellen, weite Teile der Bayerischen Verfassung außer Kraft zu setzen, weil sie parallel zum Grundgesetz laufen.
Ein Letztes: Sie sagten, wir hätten Aschermittwochreden des bayerischen Ministerpräsidenten abgeschrieben. Zum einen ist es auch einem bayerischen Ministerpräsidenten nicht verboten, einmal beim politischen Aschermittwoch etwas Sinnvolles zu sagen.
Zum anderen ist zu sagen, Frau Kollegin: Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse propagieren wir FREIE WÄHLER seit über zehn Jahren, und das gilt für die Kommunalfinanzen gleichermaßen. Wenn wir es nun schaffen, diese Forderungen so zentral in die Bayerische Verfassung als Grundlage hineinzuschreiben, ist das für diese Anliegen hervorragend und wesentlich besser, als wenn man in dem einen oder anderen Punkt einmal einen Treffer landet.
Ich mache es kurz, weil ich meine Redezeit bereits überzogen habe. Herr Kollege Pohl, mein Verfassungsverständnis ist sehr gefestigt. Das versichere ich Ihnen. Genau deshalb halte ich es mit den Verfassungsrechtlern auf Bund- und Länderebene, die eindeutig davor warnen, die Verfassung weiter aufzublähen. Genau deswegen haben wir uns auch − das war ein langer Diskussionsprozess − dagegen entschieden, den Klimaschutz mit aufzunehmen. Lesen Sie doch einmal unsere Verfassung durch, dann sehen Sie, dass alles, was wir brauchen, im Grunde genommen schon darin enthalten ist.
Ich brauche kein Sammelsurium an neuen Programmsätzen, sondern ich brauche die Umsetzung dessen, was in der Verfassung steht. Daran mangelt es. Diese Erfahrung durfte ich seit der letzten Verfassungsänderung hier sehr wohl machen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich namens unseres Ministerpräsidenten und der gesamten Staatsregierung herzlich für diese richtungweisende Initiative der vier Fraktionen bedanken. Es ist ein beachtliches Zeichen lebendigen Parlamentarismus’, dass diese gemeinsame Initiative in dieser Weise möglich geworden ist.
Nachdem ich mir gerade Ihre Ausführungen angehört habe, liebe Frau Kollegin Stahl, glaube ich, dass Sie schon gewaltiger Verrenkungen bedurften, um zu erklären, warum Sie dem, was jetzt hier vorliegt, nicht zustimmen wollen.
Dass man hier erklärt, was man sich sonst noch alles hätte wünschen können, ist nachvollziehbar, aber, mit Verlaub, eine ganz konkrete Begründung, warum Sie den Formulierungen, die mit diesem Entwurf vorgelegt worden sind, nicht zustimmen wollen, konnte ich letzten Endes Ihren Ausführungen nicht entnehmen.
Dass Verfassungsbestimmungen keine konkrete Politik ersetzen können, ist selbstverständlich. Ich denke nur einige Jahre zurück, als es darum ging, die Grundanliegen des Umweltschutzes in die Bayerische Verfassung aufzunehmen.