Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Nach einer sehr ernsthaften Debatte zur Causa "M" − das können Sie sehen für Mollath oder für Merk − folgt ein Antrag zum Schmunzeln. Das ist ein Antrag zum Amüsieren. "Zweite Stammstrecke München weiter zügig realisieren", so heißt dieser Antrag. Wir könnten sagen, weiter so, macht das weiterhin so zügig, wie bisher, wenn es nicht zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und zulasten der Fahrgäste ginge.
Im Mai 2001 gab es die Vereinbarung zwischen der Spitze der Landeshauptstadt und der Staatsregierung, dieses Projekt zu realisieren − Mai 2001! Seit Jahren wird hier herumgeplant, laufen die Planungs- und Genehmigungsverfahren und, wie der Kollege von den FREIEN WÄHLERN richtigerweise sagte, es liegt noch für keinen einzigen der vier Planfeststellungsabschnitte Baurecht vor. Aber Sie sagen: "Weiter zügig realisieren".
Ich bin doch schon etwas länger als Sie hier im Landtag und habe viel mehr erlebt. Ich habe wieder einmal einen Schwung Ordner, beginnend 1995, herausgezogen; das war noch vor der Vereinbarung des konkreten Projekts. Ich zitiere einmal zwei, drei Pressebekundungen, zum Beispiel aus dem Jahr 2003 − Überschrift: Neue Wegmarke beim zweiten Münchener S-Bahn-Tunnel erreicht − Die Sache kommt immer besser und schneller ins Rollen. Das war ein
O-Ton von Otto Wiesheu, und: 2010 werden die ersten S-Bahn-Züge durch den neuen Tunnel fahren. Der Münchner Oberbürgermeister hat dies noch 2004 und 2005 behauptet. Da sagte er noch: 2010 ist die Röhre in Betrieb, da fahren dann S-Bahnen.
Herr von Gumppenberg und Herr Minister Zeil: Viel, viel öfter als Kollege Piazolo haben wir schon gehört, jetzt sei die Finanzierung in trockenen Tüchern. Also ich staune doch immer wieder, wie selbstsicher Sie das hier vortragen.
Erstens einmal: Die Geschichte mit der Mitfinanzierung via Flughafendarlehen ist weder politisch noch rechtlich durch, wie Sie auf der Pressekonferenz vor zwei Tagen auf Fragen von Journalisten geantwortet haben.
Zweitens. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Berlin, zumal jene aus dem Haushaltsausschuss, waren doch sehr überrascht, als wir sie damit konfrontiert haben, dass es vom Bund jetzt ganz sicher Geld gibt − und auch noch ein wenig mehr über diese Verschieberei Bedarfsplanprojekte versus Regionalisierungsmittel. Die Haushälter wussten noch nichts davon.
Drittens. Es ist doch völlig unbestritten, dass die Röhre deutlich teurer wird als 2 Milliarden Euro. Das waren auch Ihre offiziellen Angaben; und jetzt präsentieren Sie vorgestern in der Pressekonferenz eine Tabelle, in der wir als Kosten 2,047 Milliarden Euro finden, deren Finanzierung dann mühsam abgedeckt wird. Wie wollen Sie denn dann bitte den Rest finanzieren?
Es gab zum Beispiel eine Aufsichtsratssitzung der Bahn im Dezember 2011. Dort wurden als Kosten 2,237 Milliarden Euro präsentiert. Eine Sprecherin Ihres Hauses hat ebenfalls im letzten Jahr gesagt: Ja, wir sind deutlich teurer, wir sind jetzt weit über den 2 Milliarden Euro. Und auf einmal sagen Sie wieder: Ja, 2 Milliarden Euro kostet es, und die sind jetzt gedeckt.
Total spannend war es, Herr Staatsminister, gestern im Haushaltsausschuss bei der Nachschubliste. Da heißt es − ich zitiere −:
Zur Realisierung der zweiten Stammstrecke ist vom Freistaat Bayern gegenüber der DB AG anzuzeigen, dass die Durchfinanzierung der Maßnahme gesichert ist. In diesem Fall haftet der Freistaat für den Bundesanteil.
sind nach derzeitigem Stand der Bundesanteile in Höhe von 700 Millionen Euro sowie 300 Millionen Euro Anteil am Risikobudget nicht gesichert.
Also eine Milliarde Euro ist nicht gesichert, für welche wir hier mit unserem Staatshaushalt haften. Von dieser Milliarde Euro soll nun die Hälfte über das Flughafendarlehen finanziert werden, außerdem noch weitere 100 Millionen Euro durch den Freistaat Bayern, obwohl Sie immer erklärt haben − auch in den Verhandlungen gegenüber der Landeshauptstadt München −, dass der Freistaat Bayern keinen Cent mehr dazugeben könnte − mit den Begründungen werden wir Sie noch an mancher Stelle konfrontieren −, und dann noch einmal 108 Millionen Euro. Ich habe es vorhin Verschiebebahnhof genannt, und Sie sagen, Sie wollen Landesmittel, die Sie für Bedarfsplanprojekte vorhalten wollten, nun doch nicht in diese stecken, sondern in das Vorhaben Röhre. Das ist ganz skurril, denn diese Landesmittel sind Regionalisierungsmittel, die wir vom Bund bekommen, um Zugkilometer im Nahverkehr einzukaufen. Damit finanzieren Sie dann wiederum Bedarfsplanungsprojekte, die eigentlich originär und ausschließlich der Bund zu finanzieren hat − also, es ist ganz fantastisch, was hier stattfindet!
Können Sie kurz sagen, was Ihr eigentliches Anliegen ist? Wollen Sie die Stammstrecke verhindern, oder bejahen Sie die Stammstrecke?
Die zweite Röhre bejahen wir überhaupt nicht, weil sie das Betriebssystem und die Bedienungs- und Betriebsqualität massiv verschlechtern würde. Ich werde Ihnen das noch in zwei, drei Sätzen erklären; wir haben sicher auch noch viele Gelegenheiten, uns dazu auszutauschen.
Zu Ihrer Sicherheit und Ihrem Jubelschrei vorhin ein Zitat: - "Bild"-Zeitung aus dem Jahr 2007 −: "Wie Stoiber und Huber die Weichen stellten".
Herr Huber, Sie grinsen schon. Sie haben sich wahnsinnig gefreut; denn Sie sind zum ersten und einzigen Mal in Ihrem Leben in der Staatskanzlei mit Champagner bewirtet worden. Ich zitiere jetzt den damaligen Ministerpräsidenten:
Nach jahrelangem Hickhack hat Stoiber das letzte große Projekt seiner Regierungszeit erfolgreich angeschoben. Die Freude und der Stolz darauf waren ihm gestern deutlich anzusehen. Triumphierend sagte er − jetzt kommt ein Originalzitat −: Niemand wird diesen Schritt mehr rückgängig machen, das ist völlig klar.
Damals ging es um den Transrapid, und das erinnert mich stark daran, wie Sie heute geredet haben: Niemand kann diesen Schritt mehr rückgängig machen, das ist völlig klar.
Herr von Gumppenberg, unsere Kritikpunkte noch einmal − es wäre schön, wenn Sie aufpassen würden − in aller Kürze: Die Kosten stehen in keinem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen. Im Gegenteil: Für Zigtausende von Fahrgästen würde diese Röhre massive Verschlechterungen bringen − in Form von eklatanten Taktausdünnungen und neuen Umsteigezwängen. Der 10-Minuten-Takt wäre endgültig gestorben, es gibt Riesenprobleme beim Brandschutz und beim Rettungskonzept, und die Finanzierung würde weiterhin wichtige Maßnahmen in Bayern kannibalisieren. Denn wenn Sie jetzt noch einmal 100 Millionen Euro drauflegen − dies kann ja nur aus unseren Haushaltsmitteln, also aus FAG- oder aus GVFG-Landesmitteln oder angesparten Regionalisierungsmitteln erfolgen −, dann können Sie diese nicht woanders ausgeben, zum Beispiel bei Münchener Straßenbahnprojekten.
Zu Ihren genannten 800.000 Fahrgästen bitte ich Sie, doch etwas sauberer zu argumentieren. Das sind die sogenannten Beförderungsfälle. So gesehen wäre ich sechs Fahrgäste am Tag, weil ich häufig sechsmal mit der S-Bahn hin- und herfahre. Aber das ganz Entscheidende ist: Die Röhre ist doch niemals ein Engpass von den Fahrgästen her, denn dann müssten wir zur Hauptverkehrszeit mal längere Züge einsetzen. Drei Viertel der Züge sind keine Langzüge. Meine Kollegen von der SPD, schauen Sie sich einmal die Stellen an, die am meisten belastet sind: Das sind jene von der Hackerbrücke zum Hauptbahnhof und vom Hauptbahnhof zum Marienplatz. Dort haben wir jetzt 225.000 Menschen, und in der Prognose sind es dann 230.000 bis 235.000 mit zwei Röhren. Der Zuwachs, den Sie hier mit 2 Milliarden Euro einkaufen wollen, beträgt nach Ihrer eigenen Prognose: Von heute 48,5 %, die im öffentlichen Verkehr fahren, fahren dann im Stadtverkehr 48,9 % im öffentlichen Verkehr. Das ist einfach jämmerlich.
Als Alternativen − wir haben sie immer wieder vorgebetet − schlagen wir vor: endlich eine Verbesserung der Steuerungstechnik, damit die Stammstrecke bes
ser arbeiten kann, die Anschaffung weiterer Zuggarnituren, Beseitigung von Engpässen im Netz wie Fahrstraßenkreuzungen, Mischverkehre, Eingleisbetriebe, Verlängerung der U 5 nach Pasing und vieles mehr.
Kollege Erwin Huber, ich bewundere Ihre Weitsicht und Ihre Ironie, denn Sie haben vorgeführt, wie Sie mit Ihrem Drängen und Hängen an diesem Projekt "zweite Röhre" den Steuerzahler und die Fahrgäste belasten. Ich zitiere also aus dem Wirtschaftsausschussprotokoll vom 3. Februar 2011:
Die Staatsregierung müsse sicherlich Fantasie aufbringen, um den Olympiabezug der zweiten Stammstrecke zu begründen. Möglicherweise könne man im Tunnel Eisschnelllaufwettbewerbe stattfinden lassen. Falls die Olympischen Spiele 2026 in München stattfänden, würde der Tunnel vielleicht fertiggestellt sein. Bei Olympischen Spielen 2034 in München wäre die Chance höher.
Das war der Vorsitzende des Verkehrsausschusses − als Staatsminister auch einmal zuständig für das Projekt. Er sagt: Vielleicht hätten wir eine Chance im Jahr 2034, aber früher kann es eigentlich nicht sein. − Das illustriert doch die ganze Problematik in der Debatte. Sie versprechen den Menschen Wolkenkuckucksheim und bringen die Dinge nicht durch, die eigentlich notwendig wären. Darum geht es, und deshalb unterstützen wir auch den Antrag der FREIEN WÄHLER.
Moment, Herr Kollege Dr. Runge. Vielen Dank für diesen Wortbeitrag. − Wir haben noch eine Zwischenbemerkung des Kollegen Dr. Klein.
Herr Dr. Runge, Sie haben, wie schon so oft, eine sehr detailverliebte Rede zum Thema Stammstrecke gehalten. Ich möchte Ihnen jetzt einmal fünf Punkte nennen, damit wir diese Situation, in der wir uns befinden, festhalten können.
Erstens. Es gibt eine Vielzahl von Gutachten. Wir sind dieses ganze Verfahren mehrmals durchgegangen, und am Ende dieser Gutachten stand immer, dass die
zweite Stammstrecke die beste Variante und die beste Lösung für die ÖPNV-Anforderungen der Zukunft hier in München ist. Ich will Ihnen das nur noch einmal sagen, weil Sie das immer wieder infrage stellen und irgendwelche Gutachten zitieren. Es gibt Gutachten mit einer klaren Aussage. Die sind Basis für unsere getroffenen Entscheidungen.
Zweitens möchte ich Ihnen Folgendes mit auf den Weg geben: Die Finanzierungslücke von 700 Millionen Euro ist geschlossen. Das wurde gestern im Haushaltsausschuss noch einmal dargelegt. Da geht es um das FMG-Darlehen. Wir geben 100 Millionen Euro zusätzlich aus den Rücklagen hinzu. Der Bund lässt 108 Millionen Euro nach Bayern fließen.
Über die 300 Millionen Euro, die Sie ansprechen, wird entschieden − das ist der dritte Punkt −, wenn wir in den Planungsverfahren fortgeschritten sind. Über diese wird heute nicht debattiert, auch wenn Sie das hineinmengen. Im Übrigen beziehen sich die zwei Milliarden Euro nicht auf das Risikobudget.
Sie und Ihre Partei, die immer wieder den ÖPNV hochhalten, sollten sich, wenn es zum Schwur kommt und Projekte umgesetzt werden sollen, die für die Zukunftsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit einer Metropolregion ausschlaggebend sind, einen Ruck geben und zustimmen, nachdem so viele Gutachten angefertigt worden sind. Sie spielen wieder den Verhinderer, wie bei jedem anderen Projekt in Deutschland.
Geschätzter Herr Kollege, das, was Sie Gutachten nennen, nenne ich nicht Gutachten. Ich habe immer gesagt: Tricksen, täuschen und vieles mehr. Ich kann Ihnen erklären, was passiert ist. Drei der vier sogenannten Gutachter sind schon im Rahmen der Planfeststellung beauftragt. Zu nennen sind etwa Intraplan und SMA. Die werden doch nicht ihre eigenen Aufträge schlecht bewerten und sich damit ihrer eigenen Aufträge berauben. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Das trifft in dem Fall wirklich zu.
Selbstverständlich sehen wir die Notwendigkeit, dass etwas passieren muss. Ihr Antrag heißt so fantastisch: "Weiter zügig realisieren". Sie haben überhaupt nichts realisiert. Sie haben überhaupt nichts aufs Gleis gebracht. Es passiert überhaupt nichts. Machen Sie doch einmal die vernünftigen Dinge. Die Beseitigung der Taktlücken am Freitag ist gescheitert, weil 700.000 Euro im Jahr nicht aufzubringen wären. Eigentlich waren alle Fraktionen dafür, diesen Anachronismus zu beenden. Jedoch hieß es, im Jahr fehlten 700.000 Euro. Wollen Sie uns weismachen, Sie könnten für zwei oder drei Milliarden Euro ein Infrastruktur
projekt realisieren und hätten dann noch Geld übrig, um das zu realisieren, was eigentlich notwendig ist, um die Außenäste zu ertüchtigen? Sie brauchen nicht glauben, dass wir dann mehr Geld für weitere Zugbestellungen haben. Das ist völlig skurril, was Sie hier machen. Dann sorgen Sie erst einmal dafür, dass weitere Garnituren angeschafft werden. Im letzten Winter hatten wir massenweise Zugausfälle, weil es nicht genug Garnituren gab. In Steinhausen werden die Züge instand gesetzt, dort gab es einen zu hohen Krankenstand. Es gab zu wenig Personal. Im Interesse der Fahrgäste sollte man dort ansetzen und etwas bewegen. Dafür sollten wir alle gemeinsam arbeiten.
Herr Kollege, bleiben Sie noch. Herr Kollege Pfaffmann hat sich für eine Zwischenbemerkung gemeldet, zu der ich ihm das Wort erteile.