Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Die Grundschulen hier in Bayern haben beim großen Grundschultest gut abgeschnitten; darüber freuen wir uns sehr. Aber das ist nicht den Entscheidungen hier in diesem Haus zu ver
Die Lehrerinnen und Lehrer haben es trotz aller Widrigkeiten geschafft, unsere Schüler immer wieder zu motivieren - trotz großer Klassen, fehlender mobiler Reserve, fehlender Verwaltungsunterstützung und vieler anderer Probleme mehr. Dieser Erfolg ist auch den Eltern zu verdanken, die an unzähligen Nachmittagen mit ihren Kleinen üben, lernen, nachholen, Nachhilfe organisieren - oft am Rand ihrer eigenen Leistungskraft und am Rand ihrer finanziellen Ressourcen.
Vor zwei Jahren hat mein mittlerer Sohn die 4. Klasse besucht; ich bin also noch gut mit dem Thema vertraut. Die Eltern von Kindern in diesem Alter interessiert nur eine Frage: Schafft mein Kind das Grundschulabitur? Gehen Sie doch einmal in die Abteilung Schule einer Buchhandlung. Dort finden Sie zu dem Thema ungefähr 30 Bücher mit Titeln wie: "Tipps zum Übertritt", "So lerne ich richtig", "Mathe - leicht gemacht", "So gelingt der Übertritt". Ich sage Ihnen: Über all diesen Aufgaben sitzt am Nachmittag die gute bayerische Mama und übt mit ihrem Kleinen, damit der Übertritt gelingt.
Kein Wunder, dass so viele Kinder unter diesem absurden Druck leiden. Ein Blick in die Statistik hilft weiter: Die Zahl der Schulverweigerer hat im vergangenen Schuljahr hier in Bayern um 10 % zugenommen. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Ich kann Ihnen noch eine erschreckende Zahl aus Schwaben nennen: Ungefähr 10.000 Kinder und Jugendliche aus dem Umkreis von Augsburg werden psychiatrisch behandelt. Das ist doch erschreckend, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aber das ist der Preis für den Leistungsdruck, dem wir unsere Kinder aussetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Wiegen und Messen allein wird die Sau nicht fett.
Wir sollten uns fragen: Ist es nachhaltig, was wir da mit unseren Kindern tun? Profitieren sie wirklich ein Leben lang von dem, was in der Schule stattfindet? Haben sie das Gelernte wirklich verstanden, oder reproduzieren sie es nur? Und: Sind gute Leistungen allein der Schlüssel zum Erfolg, oder brauchen wir vielmehr in einer modernen Welt Kompetenzen, zum Beispiel Teamgeist, Empathie, soziale Kompetenzen, Selbstwertgefühl? Gerade insoweit lässt der große Grundschultest viele Fragen offen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es lohnt sich dennoch, einmal genauer hinzuschauen. Der Test gibt nämlich genaue Auskunft darüber - jetzt bitte ich Sie wirklich zuzuhören -, dass fast nirgendwo anders in Deutschland die Diskrepanz zwischen sozialer Herkunft und Leistungen der Schüler so groß ist wie bei uns in Bayern. Auch insofern sind wir leider spitze.
Ein Kind aus einer Akademikerfamilie hat das Abitur sozusagen schon per Geburt in der Tasche. Ein Kind aus einer sozial schwachen Familie dagegen hat in unserem Bildungssystem schlechte Karten. Ich frage Sie: Wo ist hier die Chancengleichheit? Was ist mit den Kindern, die keine Eltern haben, die am Nachmittag mit ihnen lernen?
Es gibt so viele Möglichkeiten, hier Chancengleichheit herzustellen. Ein Ansatz - der Ansatz der guten Ganztagsschule - ist bei uns in Bayern Mangelware, und er ist viel zu knapp finanziert. Muttersprachlicher Unterricht für Migranten - Fehlanzeige. Einheitliche Sprachkonzepte vom Kindergarten an - Fehlanzeige. Sozialpädagogen in den Schulen - Fehlanzeige. Die Liste ließe sich endlos fortführen.
Zum Schluss eine Frage: Warum führen wir das heterogene Lernen, das wir in der Grundschule seit vielen Jahren praktizieren und das sich sehr bewährt hat, nicht fort? Längeres gemeinsames Lernen - das wäre ein echter Beitrag zur Erreichung von Chancengleichheit.
Danke schön, Frau Kollegin. - Als Nächster hat Herr Kollege Günther Felbinger von den FREIEN WÄHLERN das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Als ich gestern das Thema der Aktuellen Stunde gelesen habe "Bayerns Spitzenposition ausbauen. Für ein chancen- und leistungsgerechtes Bildungssystem im Freistaat", habe ich mich zunächst etwas gewundert, weil wir vor nicht allzu langer Zeit hierzu bereits eine Regierungserklärung vom Herrn Staatsminister hörten. Aber vielleicht hat sich auch bei der FDP als zweiter Regierungspartei die Erkenntnis durchgesetzt - darauf setze ich -, dass in diesem Bereich noch Handlungsbedarf besteht.
Liebe Kollegin Will, Sie haben vorhin gesagt, die frühkindliche Bildung müsse gestärkt werden und das Geld müsse vor allem in der Grundschule bleiben. Sie finden in diesem Saal sicherlich niemanden, der diese
Ansicht nicht teilt. Sie haben von einer "qualitätsvollen Grundschule" gesprochen. Ich muss Sie aber ganz klar fragen: Wo ist sie denn? Wir verzeichnen, bezogen auf alle Schularten, bei den Grundschulen nach wie vor die geringsten Pro-Kopf-Ausgaben für einen Grundschüler. Es sind 3.600 Euro im Jahr, mit weitem Abstand zu allen anderen Schularten. Wo ist denn die von Ihnen immer so hoch gehaltene individuelle Förderung?
- Das gilt auch für die flexible Grundschule, Frau Kollegin. - Wo ist die frühe Förderung, wenn die Unterrichtsversorgung in der Grundschule nach wie vor auf Kante genäht ist und keinerlei Spielraum für Arbeitsgemeinschaften oder Wahlunterricht bietet? Da gebe ich Herrn Kollegen Nöth recht. Da ist Kontinuität vorhanden. Ich füge hinzu: aber nur in der Mangelverwaltung!
Bundespräsident Joachim Gauck hat in seiner Antrittsrede gesagt: "Wir dürfen nicht dulden, dass Kinder ihre Talente nicht entfalten können, weil keine Chancengleichheit existiert."
Dieser Satz birgt viel Wahres in sich. Ich glaube, wir brauchen genau das: Chancengleichheit, um ein gerechtes Bildungssystem in Bayern zu bekommen. Nötig ist ein Umdenken im Sinne einer qualitativen wie quantitativen Verbesserung der individuellen Förderung, Frau Kollegin Will. Das beginnt mit unserer ewigen Forderung nach mehr Lehrern und mehr Unterstützungspersonal an den Schulen. Das Korsett darf nicht immer enger geschnallt werden.
Ich frage Sie: Ist es gerecht und zeugt es von dem Bemühen um Qualität, wenn landauf, landab willkürlich an ein und derselben Schule jahrgangsgemischte und jahrgangsreine Grundschulklassen nebeneinander gebildet werden mit dem einzigen Ziel, Lehrer einzusparen? Ist es gerecht und zeugt es von dem Bemühen um Qualität, wenn keine Ganztagsklassen gebildet werden, obwohl dafür genügend Anmeldungen vorhanden wären, aber das Verbot der Klassenmehrung keine weitere Ganztagsklasse zulässt? Wie steht es um die Chancengleichheit für Kinder mit Migrationshintergrund in Bayern? Diese haben immer
Chancengleichheit heißt im Übrigen auch Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Was tun Sie dafür?
Die Techniker- bzw. Meisterausbildung sollte genauso kostenfrei sein wie das Studium. Damit bekämen wir akademische und berufliche Bildung auf Augenhöhe.
Wenn Sie von Leistungsgerechtigkeit sprechen, will ich ein Thema ansprechen, das selten erwähnt wird: die Schulverwaltung. Seit Jahren lässt die Regierungskoalition die Verwaltungsangestellten an unseren Schulen mit einem kärglichen Lohn und viel zu wenigen Stunden am ausgestreckten Arm verhungern. Ich gehe noch weiter und sage: Sie pressen sie aus wie eine Zitrone, indem Sie die Zuteilungsrichtlinie nicht verbessern und den Lohn nicht dem tatsächlichen Anforderungsprofil angleichen.
Frau Will und Herr Minister Spaenle, ich bin gespannt, welche Antworten Sie darauf haben. Wir FREIE WÄHLER sagen jedenfalls: Wir brauchen eine Schule, die den Begabungen unserer Kinder gerecht wird und sie wirklich, nicht nur auf dem Papier, fördert.
(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der FDP, besonders Frau Will, dankbar, dass sie diese Aktuelle Stunde initiiert hat. Ich erinnere daran, dass sich die FDP zur Landtagswahl mit dem Slogan gestellt hat: Gelb ist der größte Gegensatz zu Schwarz. Sie hat die sechsjährige Grundschule gefordert und große bildungspolitische Erwartungen geweckt. Sie hat auf viele Wählerinnen und Wähler gesetzt. Aber diese sind nachhaltig enttäuscht.
Die FDP hat in diesem Sommer ihre eigenen bildungspolitischen Positionen geräumt und sich nahtlos der CSU-Position angeschlossen.
Die heutige Rede zeigt: Diese FDP wird für eine andere, bessere Bildungspolitik in Bayern nicht gebraucht, auch nicht in dieser Koalition, weil sie sich dort nicht durchsetzt. Das gilt auch für den nächsten Landtag.
Der Bildungsvergleich hat gezeigt, dass bayerische Grundschüler gut abschneiden, gute Leistungen erbringen. Es ist vor allem das Verdienst der guten Lehrer in diesem Land. Dafür bedanken wir uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, die Leute vor Ort können das Gerede, dieses Selbstbeweihräucherungsgedröhn der CSU und der Staatsregierung nicht mehr hören; sie haben es satt.
Die Situation an den Schulen vor Ort ist nämlich eine ganz andere. Schulräte haben bisher dafür gekämpft, Lehrer zu finden, die man einstellen kann. Die mobile Reserve ist zu einem großen Teil abgeräumt worden. Was sagen Sie mit Ihrer spitzen Rhetorik den Leuten, die uns jetzt E-Mails schicken mit dem Inhalt, dass Lehrer krank sind und keine mobile Reserve vorhanden ist oder dass kein Ersatz für eine ausfallende schwangere Lehrerin zur Verfügung steht?
Und was sagen Sie dazu, dass eine Schulsekretärin auf eine Drittelstelle herabgestuft worden ist, sodass sie putzen gehen muss, um ein Halbtagseinkommen zu erzielen? Was sagen Sie den Schulleitern, die nur zwei Tage in der Woche eine Sekretärin haben, obwohl das Telefon fünf Tage in der Woche klingelt? Was sagen Sie dazu, dass ein Schulleiter am Sonntag anderthalb Stunden kopieren muss? Was da passiert, ist doch ärgerlich.
Die Vergleichsstudie zeigt ganz deutlich, dass wir in Deutschland nach wie vor ein großes Problem haben, nämlich die Koppelung zwischen der sozialen Herkunft und der Schulleistung. Das Problem zeigt sich auch in Bezug auf Bayern.
Eine Bemerkung zur Lesekompetenz. Wie wir alle wissen, ist Lesen insgesamt eine Voraussetzung für den Bildungserfolg. Der Studie zufolge besteht gerade in Bayern ein starker Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Leseleistung. Dieser Zusammenhang ist uns schon mindestens seit der ersten Pisa-Studie bekannt. Die liegt über zwölf Jahre zurück. Da kein Fortschritt erreicht worden ist, können wir nicht von "spitze" sprechen.